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‚Neue Normalität' der Weltwirtschaft?

Artikel-Nr.: DE20200618-Art.11-2020

‚Neue Normalität' der Weltwirtschaft?

Kein Zurück zum ‚Business-as-usual'!

Die Covid-19-Pandemie hat die meisten Ökonomien der Welt stark in Mitleidenschaft gezogen. Ihre vollständigen Konsequenzen werden nicht erfasst, geschweige denn gemessen werden können, bis sie sich voll entfaltet haben werden. Viele Länder kämpfen immer noch darum, die Ansteckung einzudämmen, während die Kosten für Leben und Lebensverhältnisse zweifellos langfristige Auswirkungen haben werden. Von Anis Chowdhury und Jomo Kwame Sundaram.

Die Pandemie hat ökonomische Verwundbarkeiten bloß gestellt, die sich in Jahrzehnten aufgebaut haben, besonders seit die Konterrevolution gegen den Keynesianismus und die Entwicklungsökonomie seit den 1980er Jahren mit der konzerngetriebenen transnationalen Privatisierung, Liberalisierung und Globalisierung Fahrt aufnahm.

● Zurück in die Zukunft?

Während die Welt durch Handel, Finanzen und Kommunikation independenter wurde, haben Ungleichheit und wirtschaftliche Unsicherheit zugenommen und sich ungleich verbreitet, verstärkt durch Deregulierung, Reregulierung, Finanzialisierung und verringerte öffentliche soziale Vorsorge, was die öffentliche Gesundheitsversorgung und die soziale Sicherung unterminiert hat. Die PolitikerInnen scheuten vor der Bearbeitung der grundlegenden Ursachen mehrerer Finanzkrisen zurück, von der Mexiko-, Ostasien- und Russlandkrise der 1990er Jahre bis zur Dot.com-, Ernährungs- und globalen Finanzkrise im ersten Jahrzehnt des aktuellen Jahrhunderts. Jetzt konzentrieren sich zu viele erneut auf die Frage, wie man schnell zum ‚Business as usual‘ zurück kommt.

● Welche multilaterale Koordinierung?

Die globale ökonomische Situation bleibt unvorhersagbar angesichts der verschiedenen Ausprägungen pandemischer Rezessionen. Die Antworten der Regierungen waren nicht nur unterschiedlich, sondern – wegen der Neuartigkeit der Krise – oft auch schlecht konzipiert. Die Konsequenen variierten mit dem Ansteckungsgeschehen und den politischen Reaktionen, wobei die oft verwirrenden, wenn nicht irreführenden Zahlenangaben nicht hilfreich waren.

Solche Unsicherheit spiegelt sich auch in den weitreichenden Wachstumsprognosen wichtiger internationaler Organisationen wider. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat den Großen Lockdown als ‚selbst auferlegte‘ Kontraktion bezeichnet, der zu der „schlimmsten Rezession seit der Großen Depression“ geführt habe. Der IWF unterstützt die fiskalischen und geldpolitischen Initiativen der Regierungen und erklärt, er „steht bereit für die Mobilisierung seiner 1 Billion Dollar starken Kreditkapazität, um seinen Mitgliedern zu helfen“. Auch die Weltbank hat zusätzliche 14 Mrd. Dollar versprochen, um Regierungen und der Wirtschaft bei der Bekämpfung der Pandemie zu helfen.

● Plurilateralismus nahezu irrelevant

Ein gemeinsames Statement der G7 vom März versprach „einen stark koordinierten internationalen Ansatz“, erwähnte aber keine spezifischen Aktionen oder Folgemaßnahmen. Stattdessen verfolgten die Länder ihre eigenen divergierenden Strategien, die sogar Exportverbote für medizinische Ausrüstungen einschlossen.

Unterdessen gab die Trump-Administration weiterhin ‚America First‘ den Vorrang, während sie die meisten multilateralen Institutionen schwächte und sogar solche, die wie die G20 von den USA geschaffen worden waren. Andere G20-Mitglieder wurden bereits in die Spannungen zwischen den USA und China hineingezogen, während das Weiße Haus China für die Pandemie und andere amerikanische Probleme verantwortlich machte. Unterdessen ist Saudi-Arabien, das 2020 die G20-Präsidentschaft hat, gefangen im Sumpf seiner eigenen politischen und ökonomischen Probleme, die noch durch fallende Öleinnahmen im Zuge des Preiskampfs mit Russland verschärft werden.

Schwache Diagnose, schlechte Medizin

Der Rückgang des Wirtschaftswachstums, vor allem in der Verarbeiten Industrie, bei Dienstleistungen und im Handel, begann bereits vor dem Ausbruch von Covid-19. Doch die ökonomischen Effekte der Pandemie wurden als kurzfristig eingeschätzt, während Fabriken geschlossen und strikte ‚Stay at home‘-Maßnahmen angeordnet wurden, um die Ansteckung zu stoppen.

Der Rückgang des ökonomischen Outputs mit Beginn des Epidemie und ihres Übegriffs auf industrielle Zentren hatte internationale Rückwirkungen in Form der Unterbrechung von Lieferketten. Solche Nachschubunterbrechungen waren verknüpft mit verlängerten und weitreichenden Nachfrageschocks, da die politischen Reaktionen auf die Covis-19-Krise und andere Unsicherheiten die Konsum- und Investitionsausgaben reduzierten, was seinerseits das ökonomische Wachstum verlangsamte und die Beschäftigung unterminierte.

Fast 2,7 Milliarden AbeiterInnen, rund 81% der weltweiten Arbeitskraft, arbeiten wegen der Covid-19-Rezession weniger, wobei die in den Entwicklungsländern mit unterem mittlerem Einkommen am meisten verlieren. Und fast 1,6 Milliarden im informellen Sektor sind am härtesten getroffen oder durch die Lockdown-Maßnahmen in Mitleidenschaft gezogen. Je länger der Lockdown andauert, desto größer sind die ökonomischen Störungen und desto schlimmer sind die durch die Handels- und Finanzverknüpfungen erzeugten Auswirkungen für eine wachsende Zahl von Ländern, Firmen und Haushalten.

Die Regierungen haben verschiedene geldpolitische und fiskalische Maßnahmen ergriffen, um zu versuchen, die wirtschaftliche Aktivität wieder zu beleben oder aufrecht zu erhalten. Dazu gehörten Cash Transfers an Haushalte, Erweiterung der Arbeitslosenversicherung oder Sozialleistungen, zeitweise Aussetzung von Steuerzahlungen und erhöhte Garantien und Kredite für Unternehmen. Die frühen Konjunkturpakete gingen davon aus, dass der Pandemie-Schock kurzfristig und leicht reversibel wäre. Sie haben weitgehend versäumt, die Nichtnachhaltigkeit, Ungleichheit, Instabilität oder andere Verwundbarkeiten ihrer wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Systeme einzubeziehen.

● Geldpolitische Tricks, Liquiditätsfalle

Basel III empfahl Kapitalrücklagen und antizyklische Kapitalpuffer für alle Banken. Viele Zentralbanken haben die Zinssätze gekürzt und die Liquidität durch eine Kombination von Maßnahmen erhöht, etwa durch die Lockerung der Reservevorschriften und anderer Basel-III-Anforderungen sowie durch die Erleichterung der Bedingungen bei neuen zeitweisen Kreditfazilitäten für Banken und Unternehmen.

Die fortgesetzte Kreditunterstützung durch unkonventionelle Geldpolitiken hat das Liquiditätsproblem wegen der rückläufigen Geschäftsumsätze nicht gelöst. Erhöhte Liquiditätsvorgaben wurden stattdessen aufgefressen durch eine Lockerung der ‚Kreditrisiken‘, die sogar die Inflation antrieben, während für die Verwundbarsten und Bedürftigsten wenig getan wurde, was die Ungleichheiten von vor Covid-19 noch vertiefte.

Bereits vor Covid-19 schufen unkonventionelle Geldpolitiken Aktienmarkt-Blasen statt Investitionen in die Realökonomie zu finanzieren und trugen so zur wachsenden Ungleichheit bei.

Die Zentralbanken waren aus Angst vor einem Kollaps des Finanzsektors nicht in der Lage, ihre Bilanzen zu bereinigen oder die exzessive Liquidität zurückzufahren, und erhöhten so ironischerweise die Fragilität, indem sie mehr Liquidität in das System pumpten, die Spekulation anheizten und die Inflation beförderten.

● Fiskalische Fallen

Bei nur schlechter Planung und Koordination wurden die ursprünglichen Hilfsmaßnahmen für Haushalte und Unternehmen fälschlicherweise oft als fiskalische Konjunkturpakete porträtiert, während der Output durch den erzwungenen Lockdown eingeschränkt blieb.

Trotz der Kürzung von Regierungsausgaben, vor allem für öffentliche Gesundheit und soziale Sicherung, gab es wenig politischen Willen, die progressive Besteuerung auszubauen. Stattdessen haben hastige Steuerkürzungen die öffentlichen Schulden nach oben getrieben, während die fehlgeschlagene Verbesserung der fiskalischen Kapazitäten nach der globalen Finanzkrise von 2008 gleichbedeutend mit der Vermeidung von produktiven öffentlichen Investitionen, von Einkommenssteigerung durch progressive Besteuerung und der Stärkung universeller Gesundheitsversorgung und sozialer Sicherung war.

● Design der Erholung

Das Design von Maßnahmen zählt, besonders mit Blick auf die wahrscheinlichen Effekte. Wenn Länder sich auf die Erholung vorbereiten, sollten sie fragen, was ‚Erholung‘ bedeuten kann und sollte. Um die vielen Probleme, denen wir uns gegenüber sehen, anzugehen, sollte eine Rückkehr zum ‚Business as usual‘ ausgeschlossen sein.

Erstens müssen Arbeitsplätze und soziale Räume – in den Menschen sich treffen, kommunizieren, einkaufen etc. – neu gestaltet und ausgestattet werden, um gesundheitliche Vorsichtsanforderungen, wie physisches Distanzhalten, zu erfüllen. Zweitens muss die nichtnachhaltige, finanzialisierte und grob ungleiche Ökonomie der Vor-Covid-19-Zeit grundlegend transformiert werden.

Die politischen Antworten auf Covid-19 haben die tieferen Probleme, die es schon davor gab, kaum angepackt, etwa das stagnierende oder fallende Produktivitätswachstum oder die fallende Vergütung der Arbeit, von einer nachhaltigen Industriepolitik, Maßnahmen gegen die Erderwärmung, die Ressourcenerschöpfung und andere Nachhaltigkeitsprobleme gar nicht zu sprechen.

Jomo Kwame Sundaram war Professor für Wirtschaft und Assistenz-Generaldirektor für wirtschaftliche und soziale Entwicklung. 2007 erhielt er den Wassily-Leontief-Preis für Verdienste um wirtschaftliches Denken. Anis Chowdhury ist außerordentlicher Professor in Australien und hatte leitende Positionen der Vereinten Nationen in New York und Bangkok (© IPS).

Gepostet: 18.6.2020

Empfohlene Zitierweise:
Anis Chowdhury/Jomo Kwame Sundaram, Neue Normalität in der Weltwirtschaft? Kein Zurück zum Business-as-usual, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 18. Juni 2020 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).

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