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Accra als entwicklungspolitischer Wendepunkt

Artikel-Nr.: DE20080915-Art.-32-2008

Accra als entwicklungspolitischer Wendepunkt

Doch wohin geht die Reise?

Nur im Web - Vom 2.-4. September 2008 trafen sich nördliche und südliche Regierungen in Accra/Ghana, um genauer zu verabreden, wie sie die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe bis 2010 verbessern wollen. Die Reichweite der kommenden Reformen wird zeigen, ob die Hilfe künftig als Instrument der Gerechtigkeit dienen oder ob es lediglich kosmetische Modifikationen geben wird, die den Anfang vom Ende der internationalen Entwicklungshilfe bilden. Eine Analyse der Konferenzergebnisse von Denise Auclair.

Die Neuheiten in der in Accra verabschiedeten Agenda for Action lassen sich an einer Hand abzählen: Mindestens 50% der an Regierungen vergebenen Entwicklungshilfe sollte über die öffentliche Finanzverwaltung des jeweiligen Landes laufen – als direkte Budgethilfe oder über Sektorprogramme; läuft die Entwicklungshilfe für Aktivitäten des öffentlichen Sektors nicht über die lokalen Systeme, muss dies besonders begründet werden. Die Entwicklungsländer sollten drei- bis fünfjährige Voraussagen bekommen, über wie viel Finanzmittel sie in diesem Zeitraum verfügen können. Die Überprüfung der Fortschritte bei der Vereinfachung und Rationalisierung von Verfahren durch die Geber und der Einsatz der Mittel nach Sektoren sollte zu allererst auf Länderebene erfolgen. Die Geber haben sich darüber hinaus dazu bereit erklärt, individuelle Pläne zur Abschaffung der Lieferbindung zu veröffentlichen, allerdings ohne spezifische Verpflichtungen, die Lieferbindung im Rahmen der Nahrungsmittelhilfe oder der Technischen Zusammenarbeit anzugehen.

* Keine Umsetzungsgarantie

Mit diesen Veränderungen soll erreicht werden, dass die Kapazität der Regierungen, längerfristig Dienstleistungen für ihre Bürger bereitzustellen, gestärkt wird, statt diese durch unkoordinierte Parallelstrukturen der Geber zu untergraben. Die Regierungen sollten sich auf verlässliche Vorausschätzungen stützen können, wie viel Entwicklungshilfe ihnen für die Haushaltsplanung zur Verfügung steht, statt große Schwankungen gewärtigen zu müssen, die die Nutzung der Entwicklungshilfe für wichtige laufende Kosten, wie die Lehrergehälter, einschränken. Die Regierungen sollten weniger Zeit brauchen für aufwändiges Gebermanagement und mehr Zeit haben, um ihrer Verantwortung gegenüber den Bürgern gerecht zu werden.

Der Rest der Accra-Agenda ist eine überarbeitete, verbesserte Version der Paris-Agenda von 2005. Sie enthält viel positive Rhetorik zu längst überfälligen Veränderungen, ist aber gleichwohl keine Garantie dafür, dass der politische Wille zur Umsetzung dieser Rhetorik jetzt stärker wäre als vor Accra, als offizielle Berichte diesbezüglich eine alarmierende Umsetzungslücke konstatiert hatten.

Nehmen wir die Konditionalitätsfrage. Bedingungen der Entwicklungshilfe, die sich auf breit geteilte entwicklungspolitische Ziele, wie die Verwirklichung der Menschenrechte, oder ein transparentes Finanzmanagement beziehen, können adäquate Anreize darstellen. Doch die Gebergeschichte ist zugleich die Geschichte des Diktats spezifischer wirtschaftspolitischer Entscheidungen, die schädliche Auswirkungen auf die Entwicklungsziele hatten, etwa die Privatisierung oder die Kürzung öffentlicher Ausgaben für öffentliche Dienstleistungen. Der Umsetzungsbericht zur Paris-Agenda bietet allenfalls gemischte Belege hinsichtlich der notwendigen umfassenden Veränderung in puncto Konditionalität. Wird die in Accra gefundene Sprachregelung von den „gegenseitig anerkannten Konditionen“ und der „ergebnisorientierten Konditionalität“ ausreichen, um den Wandel drastisch zu beschleunigen?

Der Vorrang der demokratischen Rechenschaftspflicht gegenüber Parlamenten und Bürgern bei der Verwendung öffentlicher Ressourcen und der Transparenz des öffentlichen Finanzmanagements wurde in der Accra-Agenda explizierter als früher formuliert. Das ist wesentlich, weil Parlament und Bürger so verfolgen können, wie viel externe Hilfe ins Land kommt und wofür sie genutzt wird, etwa zum Vorteil des allgemeinen Wohlergehens. Wird die besondere Erwähnung von Schritten in der Accra-Agenda, die für einen transparenten Budgetierungsprozess notwendig sind, ausreichen, damit Parlamente und Zivilgesellschaft künftig ihre Überprüfungs- und Monitoringrolle angemessen erfüllen können?

* Reformtempo zu langsam

Der Inhalt der Accra-Agenda zeigt, das das entwicklungspolitische System, wie wir es kennen, unfähig zu einer ausreichend schnellen Reform ist, wie sie gebraucht wird, um die Millennium-Entwicklungsziele bis 2015 zu erfüllen. Die Debatte über die Wirksamkeit der Entwicklungshilfe erhielt 2005 einen Anstoß durch die Versprechen der reichen Länder, ihre Hilfe zu erhöhen, weil damit sichergestellt werden musste, dass das Hilfesystem die Mittelsteigerung bewerkstelligen kann. Inzwischen und angesichts der Stagnation des Niveaus der Entwicklungshilfe kommt aber der Verdacht auf, dass die Debatte um die Effektivität der Hilfe auch deshalb geführt wird, um von den nicht eingehaltenen Versprechen abzulenken. Wie dem auch sei, es ist beängstigend, wie bescheiden die in Accra erzielten Fortschritte sind.

Die Verhandlungsdynamik in Accra wurde einerseits von einer einheitlichen und generell progressiven Position der Europäischen Union dominiert, andererseits von einem anfänglichen Widerstand der Vereinigten Staaten und Japans, der hernach durch begrenzte, aber dennoch spürbare Positionsveränderungen abgelöst wurde. Afrikanische Stimmen gab es seltsamerweise überhaupt nicht, ebenso wenig wie irgendwelche andere einheitliche Positionen der Entwicklungsländer. Brasilien und andere Schwellenländer spielten insoweit eine Rolle, als die Accra-Agenda die besonderen Charakteristiken der Süd-Süd-Zusammenarbeit anerkennt.

* Jenseits des Geberclubs?

Die Pariser Erklärung war ein Kind des Geberclubs der OECD, wobei zu dieser Gelegenheit eine begrenzte Gruppe von Entwicklungsländern hinzugezogen worden war. Das Treffen von Accra zeigte, dass der Prozess mit einer breiteren Teilnahme von Entwicklungsländern an Tempo zulegt. Interesse besteht nicht nur an der Pariser Erklärung an sich (deren Fokus auf die Umsetzung keine Antwort auf die allgemeinere Frage gibt, ob diese Hilfe zu einer ganzheitlichen menschlichen Entwicklung beiträgt), sondern auch an einem multilateralen Forum, das die Natur und den Zustand des internationalen entwicklungspolitischen Systems überprüft.

Mit dem Format des Accra-Forums wurde auch anerkannt, dass ein breiteres Spektrum entwicklungspolitischer Akteure, Regierungen von Schwellenländern, private Stiftungen und die Zivilgesellschaft, in die Überprüfung der Reform der Entwicklungshilfe einbezogen werden muss. Die Zivilgesellschaft verfügte über einen willkommenen Raum, in dem sie Kontakte zu Entscheidungsträgern aufnehmen, ihre entwicklungspolitischen Analysen präsentieren und auch die Reflexion über die Effektivität ihrer eigenen Hilfe vorantreiben konnte.

Die OECD-Länder haben kein Monopol auf Entwicklungszusammenarbeit mehr. Die Empfängerländer sind durch den der Lieferbindung und der Technischen Zusammenarbeit und der schädlichen Politikkonditionalität geschuldeten Mangel der OECD-Hilfe an Ergebnissen desillusioniert und blicken hoffnungsvoll auf die neue Geberkonkurrenz. Die Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Geberansätze bedürfen einer separaten Diskussion. Hier reicht die Feststellung, dass ein entwicklungspolitisches System mit den schrittweisen Veränderungen, wie sie in Accra vorgeschlagen wurden und das durch weitgehend unveränderte „DAC-Plus“-Strukturen gemanagt wird, schnell obsolet werden dürfte.

Die Accra-Agenda ruft zu Vorschlägen zur Stärkung der internationalen Rechenschaftsmechanismen im Jahr 2009 auf, erwähnt aber nur die Einbeziehung der Entwicklungsländer in die Peer-Reviews der OECD-Geber. Die Zivilgesellschaft hat dazu aufgerufen, dass die Überprüfung der Reform der Entwicklungshilfe in einem Forum wie dem Development Cooperation Forum der Vereinten Nationen stattfinden sollte, in dem alle Länder gleichberechtigt sind. In einem solchen Forum wäre es auch möglich, Nichtregierungsakteure zu assoziieren, wie es heute schon in der UN der Fall ist. Diese Art von Strukturfragen konnten in Accra nicht gelöst werden, können aber in der kommenden UN-Konferenz für Entwicklungsfinanzierung in Doha angegangen werden.

* Entwicklungshilfe ist nur ein kleines Stück des Kuchens

Dass auf der Doha-Konferenz ein größeres Themenspektrum besprochen wird, ist eine nützliche Erinnerung daran, dass Entwicklungshilfe nur ein kleines Stück des Kuchens ist, verglichen mit den Potentialen der Mobilisierung heimischer Ressourcen, etwa durch Besteuerung, durch Begrenzung der Steuerflucht und den verantwortlichen Umgang mit den Einnahmen aus natürlichen Ressourcen in Afrika und auf anderen Kontinenten. Wir sollten nicht nur auf die Verbesserung des Entwicklungshilfe-Systems zielen und es auf diese Art womöglich noch zu verewigen. Das übergreifende Ziel sollte sein, die Entwicklungshilfe im Kontext der gesamten Entwicklungsfinanzierung radikal zu verändern, und zwar so, das die AfrikanerInnen ihre Entwicklung, unabhängig von der Hilfe, selbst in die Hand nehmen können. Wir können nicht einfach weiter an unserem Entwicklungshilfe-Rädchen drehen, während die Welt schon längst weiter ist. Treffen wir uns in Doha!

Denise Auclair ist entwicklungspolitische Referentin bei CIDSE, der Koalition katholischer Entwicklungsorganisationen in Brüssel. CIDSE agierte in Accra im Rahmen einer ökumenischen Delegation von katholischen und protestantischen Kirchen und Glaubensgemeinschaften aus Nord und Süd (SECAM, AACC, ACT Development, Caritas).

Veröffentlicht: 15.9.2008

Empfohlene Zitierweise: Denise Auclair, Accra als entwicklungspolitischer Wendepunkt: Doch wohin geht die Reise?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 15.9.2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)