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Afrikanischer Kapitalismus als Entwicklungsweg

Artikel-Nr.: DE20081119-Art.47-2008

Afrikanischer Kapitalismus als Entwicklungsweg

Zu Jörg Goldbergs "Überleben im Goldland"

Nur im Web – Was ist nötig um die Entwicklung Afrikas aus Hunger, Krieg und Tod endlich Geschichte werden zu lassen? In der Reihe der Publikationen, die sich dieser Grundfrage der entwicklungspolitischen Diskussion widmen, stellt das Buch von Jörg Goldberg einen fundierten und grundlagenkritischen Beitrag dar. Der Leser profitiert in allen Kapiteln von der langjährigen Erfahrung, die der promovierte Wirtschaftswissenschaftler auf dem afrikanischen Kontinent gesammelt hat. Von Markus Demele.

Dem Dreischritt Sehen, Urteilen, Handeln bleibt Goldberg dergestalt treu, dass er ausführlich die gegenwärtige Situation Afrikas beschreibt und seine Analyse immer wieder mit Kritiken spickt, die sich vor allem gegen die Strukturanpassungspolitiken (SAP) der Weltbank und des IWF wenden. Allein die Handlungsempfehlungen, formuliert anhand eines Blicks auf die Republik Südafrika, bleiben eher vage – gleiches gilt für sein Postulat einer „afrikanischen Produktionsweise“. Wohltuend indes ist die Perspektive Goldbergs. Konsequent denkt er die politische, anthropologische und historische Dimension mit ökonomischen Fragestellungen zusammen, wo andere Publikationen alleine einen wirtschaftswissenschaftlichen oder politischen Blickwinkel einnehmen.

* Umfassende Bestandsaufnahme der Misere Afrikas

Ausgehend von der Frage, ob es sich beim afrikanischen Kontinent um einen Sonderfall der Entwicklung handele, der Parallelen zu anderen Entwicklungsregionen verbiete, nimmt Goldberg eine umfassende Bestandsaufnahme der ökonomischen Misere Afrikas vor. Dabei spricht er zu Beginn ein Grundlagenproblem der Afrikaforschung, gleich welcher Disziplin, an: die offiziellen Daten und Statistiken sind oft nicht sonderlich valide (S. 17) und durch die Dominanz der informellen Wirtschaft auch unvollständig (Goldberg spricht stets noch vom informellem „Sektor“ statt von informeller Wirtschaft, dem eigentlich seit langem gebräuchlichen Terminus).

Mit Blick auf die Integration Afrikas in den Welthandel werden die Flüsse ausländischer Direktinvestitionen (FDI) thematisiert (S. 24). Zu Recht betont Goldberg, dass viele Investitionen bisher kaum einen nennenswerten Beschäftigungseffekt vor Ort hatten. Dennoch kommt den rasant steigenden FDI nach Afrika jenseits des Rohstoffsektors eine enorme Bedeutung zu. Unerwähnt bleibt hier die Tatsache, dass gerade deutsche Unternehmen nur sehr zögerlich in afrikanischen Ländern, außerhalb Südafrikas, investieren. Auch die Wirkungen anderer Geldflüsse sind spärlich: Die offizielle Entwicklungshilfe (ODA) wurde in den letzten Jahren netto nicht erhöht.

Diese Kritik erinnert stark an das Mantra Jeffrey Sachs‘, der in seiner Funktion als UN-Berater für die Millennium-Entwicklungsziele stets für eine Erhöhung der ODA streitet. Die Pauschalkritik Goldbergs an einem hohen Verwaltungskostenanteil mancher NGOs kann jedoch in dieser Form nicht gelten gelassen werden. Effizienzkontrollen und Monitoringsysteme sind gerade in korruptionsanfälligen afrikanischen Staaten notwendige Maßnahmen zur Sicherung der Verwendung der Kapitalflüsse.

Bei der Kennzeichnung und Quantifizierung von Migration und Brain Drain als reale „Humankapitalflucht“ bleiben Bezüge zu den aktuellen Einsätzen der europäischen Grenzschutz-Agentur Frontex leider unerwähnt. Jedoch wird die westliche Einwanderungspolitik, mit empirischen Belegen, zu Recht als massiv entwicklungsschädlich gekennzeichnet. Mit Blick auf die gezielte Facharbeiterabwerbung des Westens fordert der Autor „internationale Sanktionsmechanismen“ gegen Staaten, die Afrika qualifizierte Arbeitnehmer entziehen (S. 49). Eine interessante Parallele wird angesichts der Fachkräftemigration aus Afrika nach Europa (1), deren Rücküberweisungen an die Daheimgebliebenen (2) und den Billigimporten aus Asien nach Afrika (3) vom Autor zwar selbst als übertrieben eingestuft, bleibt aber doch im Gedächtnis – man fühlt sich an eine moderne Form des (Sklaven-)Dreieckshandels erinnert (S. 45).

Die ethische Sprengkraft, die in der Frage steckt, ob Afrikaner das ihnen zur Verfügung stehende Kapital investiv nutzen müssen oder für „Prestigekäufe von westlichen Konsumgütern“ (S. 41) ausgeben dürfen, bleibt leider unerwähnt. Prahalads arg in Mode gekommenen „Bottom of the Pyramid“-Ansätze ringen mit eben diesem Problem: Was ist, wenn die Armen nicht sinnvoll konsumieren?

* Koordinatensystem Weltmarkt

Sehr gut sind die Überlegungen zu den zweifelhaften Synonymen „Unterentwicklung“ und „Armut“. Zwar hat der von Goldberg zitierte Karl Polanyi Recht, wenn er die kulturelle Zerstörungskraft des Kapitalismus betont. Dennoch folgt Goldberg überall in seinem Buch dem vom kapitalistischen Weltmarkt veränderten „gesellschaftlichen Koordinatensystem“, wenn er mit den Daten von Weltbank, IMF, UNCTAD und Co. argumentiert. Zu einseitig wird das Engagement der transnationalen Konzerne (TNC) negativ dargestellt. Beim lamentieren über „tax holidays“ und Gewinnrückführungen (S. 71), die alle zu Recht angeprangert werden, verzichtet Goldberg darauf, auf gute neue Ansätze der (noch freiwilligen) Regulierung, wie etwa die Extractive Industries Transparency Initiative (EITI), hinzuweisen. Zudem ist es verwunderlich, dass ein Autor, der die afrikanische Entwicklung u.a. vor dem Hintergrund einer marxistischen Gesellschaftstheorie bedenkt, seinen Fokus nicht stärker auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen und die Konzeptionen der ILO zu würdiger Arbeit (decent work) legt. Ein Blick auf die von Franz Nuscheler schon vor Jahren formulierte Positivliste der Entwicklungseffekte durch TNCs hätte zu einem ausgewogeneren Bild geführt.

In der umfassenden Analyse Goldbergs fehlen auch das koloniale Erbe und die Folgen des Sklavenhandels nicht. Auch ihr hier sind Parallelen zur Argumentation Jeffrey Sachs auszumachen, der das Kolonialerbe Afrikas erheblich entwicklungshemmender einschätzt als z.B. das Indiens (S. 84). Zu kritisieren sind hier jedoch die verwendeten Daten. In der jüngeren Forschung wurden die Zahlen des transatlantischen Sklavenhandels teils deutlich nach unten korrigiert (vgl. Andreas Eckert). An den von Goldberg beschriebenen Konsequenzen ändert dies gleichwohl nichts.

Auch das Problem der Kriege in Afrika wird nicht ausgespart, sowie die traurige Rolle auch deutscher TNCs bei der Finanzierung der dieser Auseinandersetzungen. Nur fünf der 48 Staaten Afrikas waren seit 1945 nicht in kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt (S. 89). Das Kapitel hätte gewonnen, wären die Arbeiten von Paul Collier („Bottom Billion“) zu den ökonomischen Kosten von Konflikten, Kriegen und Putschen bzw. den Opportunitätskosten der Konfliktprävention breiter rezipiert worden. Goldbergs Argumentation wird hier Gegenstand seiner eigenen Klage: „Vielfach berühren neuere Arbeiten über Afrika ökonomische Aspekte kaum noch, sondern konzentrieren sich auf die politische Ebene.“ (S. 152)

* Rolle der Subsistenzwirtschaft

Gelungen ist auch der Abschnitt zu „Ethnizität und Sicherheit“, in dem der Autor das in ökonomischen Analysen oft vernachlässigte Problem der Staatlichkeit ohne „Volksnationalismus“ thematisiert (S. 95). Breiten Raum nimmt die Diskussion der afrikanischen Landwirtschaft ein. Sie ist für Goldberg Schlüssel der afrikanischen Entwicklung. Hervorragend wird die Stellung der Subsistenzbauern gegenüber den übermächtigen TNCs und der westlichen Subventionswirtschaft vor dem Hintergrund der aktuellen Lebensmittelkrise dargestellt. Nur der Staat kann geeignete Rahmenbedingungen schaffen, um eine positive, d.h. auch friedliche, „Industrialisierung der Wirtschaft“ zu erreichen, die nicht zu Lasten der ländlichen Kleinbauern geht (S. 138).

Eng verbunden ist damit das Phänomen der informellen Wirtschaft. Goldberg charakterisiert den darin zum Ausdruck kommenden Wirtschaftsstil der „economy of affection“ (Ökonomie der Zuneigung), in der persönliche Beziehungen, bis hin zur Korruption, eine bedeutende Rolle spielen, mit Goran Hyden als unvereinbar mit der „modernen, marktwirtschaftlich-kapitalistisch verfassten Wirtschaft“. Einen weiteren Gegensatz erkennt der Autor in der sog. „target economy“ (Ökonomie des Genug), ohne ausdrücklich den Begriff zu verwenden, und den von Max Weber formulierten zentralen Prinzipien des Kapitalismus. Goldberg hat Recht, wenn er sich hier für das Funktionieren eines gemeinsamen Wirtschaftsraums für ein gemeinsames Regelsystem stark macht (S. 145).

* Hoffnung endogene Bourgeoisie

Im letzten Viertel des Buches nähert sich Goldberg dem „Kapitalismus in Afrika“ und der Suche nach den Trägern einer „afrikanischen Produktionsweise“ (aufbauend auf Catherine Coquery-Vidrovitch). Eine grundlegende Lehre aus den SAPs ist, dass freie Märkte nur im Rahmen einer effizienten staatlichen Ordnung funktionieren (S. 157). Wo viele Autoren ein Nebeneinander von Überlebensökonomie und kommerzieller Wirtschaft sehen, erkennt Goldberg, dass beide Bereiche „miteinander verbunden und aufeinander angewiesen“ sind (S. 173). Schließlich trägt der „moderne kapitalistische Sektor den Hauptbeitrag zum afrikanischen BSP“ bei. Im Spiel der beiden Wirtschaftsformen meint Goldberg, „die kapitalistische Produktionslogik [könne] sich nicht gegen die Sicherheitslogik des Subsistenzsektors durchsetzen“ (S. 173). Die massiven Urbanisierungstendenzen scheinen dieser These zu widersprechen. Letztlich ziehen die meisten Afrikaner ein relativ sicheres kapitalistisches Arbeitsverhältnis der, auch aufgrund des Klimawandels, immer unsicherer werdenden Subsistenzwirtschaft vor. Letztere ist nicht mehr Idealform der Existenzsicherung, sondern Fluchtpunkt für das Heer der Erwerbsarbeitslosen. Entwicklungsoption bleibt hier ein „Kapitalismus afrikanischen Typs“.

Wenn Goldberg zum Schluss „Entwicklungswege zwischen Sozialismus und Kapitalismus“ nachzeichnet, stellt die Aussage, dass der „kapitalistische Entwicklungsweg“ für Afrika in der aktuellen Entwicklungspolitik ein „staatlich vermittelter Kapitalismus“ sei (S. 183), mehr Hoffnung als eine Tatsache dar. Der Druck von Aktivisten, wie den Autoren des „Bonner Aufrufs“ dieses Jahres, Entwicklungspolitik am Staat vorbei direkt in der Zivilgesellschaft zu verankern, findet im neoliberalen Mainstream derzeit ein lautes Echo.

Goldberg sieht eine afrikanische „endogene Bourgeoisie“ (S.192) als Träger einer kapitelgetriebenen Entwicklung. Ob eine solche Entwicklung gelingen kann, hängt zu einem großen Teil von der Zukunft der afrikanischen Staatlichkeit ab (den „fremden Monstern“, S. 197). Nur starke und effiziente Staaten können Gestalter eines afrikanischen Kapitalismus sein. Funktionierende Staatlichkeit bedarf in Afrika eines Wirtschaftswachstums, das breiten Bevölkerungskreisen Erwerbsarbeit verschafft, also zu einer realen Freiheit der Arbeit führt. Das wusste schon Karl Marx: „Der moderne Staat, die Herrschaft der Bourgeoisie, beruht auf der Freiheit der Arbeit.“

Fazit: Jörg Goldbergs Buch ist ein sachkundiger und umfassender Beitrag zur Diskussion um afrikanische Entwicklungsoptionen. Kaum ein Thema wird ausgespart, was bei rund 250 Seiten zwangsläufig zur inhaltlichen Ausdünnung mancher Passagen führt. Dennoch: Es gibt keine vergleichbare Analyse des afrikanischen Entwicklungsstandes die eine marxistische Entwicklungstheorie mit bedenkt.

Markus Demele ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Oswald-von-Nell-Breuning-Institut für Wirtschafts- und Gesellschaftsethik.

Hinweis:
* Jörg Goldberg, Überleben im Goldland. Afrika im globalen Kapitalismus, 250 S., PapyRossa: Köln 2008. Bezug: Buchhandel.

Veröffentlicht: 19.11.2008

Empfohlene Zitierweise: Markus Demele, Afrikanischer Kapitalismus als Entwicklungsweg, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), 19.11.2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)