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Das Gespenst einer globalen Stagflation

Artikel-Nr.: DE20080624-Art.-15-2008

Das Gespenst einer globalen Stagflation

Tödliche Kombination

Nur im Web - Wird die zunehmende globale Inflation zu einer starken globalen Konjunkturabschwächung führen? Oder schlimmer noch, wird sie die Stagflation wieder auferstehen lassen, jene tödliche Kombination aus steigender Inflation und negativem Wachstum? Wie wahrscheinlich ist ein Absturz der Weltwirtschaft in die Stagflation, fragt der US-Ökonom Nouriel Roubini.

Die Inflation zieht bereits in vielen Industrienationen und aufstrebenden Märkten an, und es gibt Anzeichen für einen wahrscheinlichen Wirtschaftsabschwung in vielen hochentwickelten Volkswirtschaften (den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Spanien, Irland, Italien, Portugal und Japan). Auf den aufstrebenden Märkten wurde Inflation – bislang – mit Wachstum und sogar Überhitzung der Wirtschaft assoziiert. Doch könnte der Wirtschaftsabschwung in den USA und anderen hochentwickelten Wirtschaftsnationen zu einer erneuten Wiederankopplung (statt einer Entkopplung) des Wachstums der aufstrebenden Märkte führen, da die US-Rezession das Wachstum verlangsamt und die steigende Inflation die Währungsbehörden zwingt, ihre Geld- und Kreditpolitik zu verschärfen. Vielleicht steht ihnen dann eine „Stagflation light“ ins Haus – steigende Inflation zusammen mit stark verlangsamtem Wachstum.

* „Stagflation light“?

Für eine Stagflation ist ein negativer Angebotsschock erforderlich, der die Preise steigen lässt, während er gleichzeitig die Produktion verringert. Stagflationsschocks haben in den letzten 35 Jahren dreimal zu einer globalen Rezession geführt: 1973-1975, als die Ölpreise nach dem Jom-Kippur-Krieg und dem OPEC-Embargo in die Höhe schossen; 1979-1980 nach der iranischen Revolution; und 1990-91 nach der irakischen Invasion in Kuwait. Selbst die Rezession von 2001 – ausgelöst vor allem durch die platzende High-Tech-Blase – wurde nach dem Beginn der zweiten palästinensischen Intifada gegen Israel von einer Verdopplung der Ölpreise begleitet.

Heute könnte ein israelischer Angriff auf die nuklearen Anlagen des Iran einen Stagflationsschock nach sich ziehen. In den letzten Wochen ist dieses geopolitische Risiko gestiegen, da Israel hinsichtlich der Intentionen des Iran zunehmend alarmiert ist. Ein derartiger Angriff würde einen abrupten Anstieg der Ölpreise auf über $200 pro Barrel auslösen. Die Folge einer solchen Spitze wäre – wie 1973, 1979 und 1990 – eine große globale Rezession. Tatsächlich ist der jüngste Anstieg der Ölpreise teilweise auf die Erhöhung dieser Angstprämie zurückzuführen.

Doch ist eine globale Stagflation auch möglich, wenn man von einem solchen negativen Angebotsschock absieht? Zwischen 2004 und 2006 war das Weltwirtschaftswachstum stabil, da die Inflation aufgrund eines positiven globalen Angebotsschocks gering war: In China, Indien und den aufstrebenden Märkten stiegen Produktivität und Produktionskapazität.

Diesem positiven Angebotsschock folgte seit Anfang 2006 ein positiver globaler Nachfrageschock: Das schnelle Wachstum in „Chindia“ und anderen aufstrebenden Märkten erhöhte langsam die Preise verschiedener Rohstoffe. Das starke globale Wachstum 2007 kennzeichnete den Beginn einer steigenden globalen Inflation, ein Phänomen, das mit einigen Vorbehalten (der abrupten Konjunkturschwäche in den USA und in einigen hochentwickelten Volkswirtschaften) bis 2008 anhielt.

* Hintergrund der steigenden Rohstoffpreise

Vorausgesetzt, dass es zu keinen echten negativen Angebotsschocks kommt, ist eine globale Stagflation daher unwahrscheinlich. Die jüngsten Erhöhungen der Öl-, Energie- und anderen Rohstoffpreise spiegeln verschiedene Faktoren wider:

* Die rapide Zunahme bei der Nachfrage nach Öl und anderen Rohstoffen in den schnell wachsenden aufstrebenden Marktwirtschaften mit rascher Urbanisierung findet zu einer Zeit statt, in der Kapazitätsbeschränkungen und politische Instabilität in einigen Förderländern das Angebot begrenzen.

* Der schwächelnde US-Dollar lässt den Dollarpreis für Öl in die Höhe schnellen, da die Kaufkraft der Ölexporteure in Regionen mit anderen Währungen abnimmt.

* Die Entdeckung der Rohstoffe als Anlagenklasse durch die Investoren heizt sowohl die Nachfrage zu Spekulationszwecken als auch die langfristige Nachfrage an.

* Die Umfunktionierung von Anbauflächen zur Biokraftstoffproduktion hat die Flächen verringert, die für die Produktion von Agrarprodukten zur Verfügung stehen.

* Eine laxe US-Geldpolitik, gefolgt von einer Lockerung der Währungspolitik in Ländern, die ihre Wechselkurse formal an den US-Dollar gekoppelt haben (wie die Golfstaaten) oder unterbewertete Währungen aufrechterhalten, um Wachstum durch Export zu erzielen (China und andere informelle Mitglieder der Dollarzone des sog. Bretton Woods II), haben eine neue Aktienblase für Rohstoffe sowie die Überhitzung ihrer Wirtschaft gefördert.

Die meisten dieser Faktoren deuten auf einen positiven globalen Gesamtnachfrageschock, der zu einer Überhitzung der Wirtschaft und zu steigender globaler Inflation führt.

Die Wechselkurspolitik ist entscheidend. Große Leistungsbilanzüberschüsse und/oder steigende Terms of Trade lassen darauf schließen, dass der reale Gleichgewichtswechselkurs (der relative Preis für ausländische oder einheimische Waren) in Ländern wie China oder Russland gestiegen ist. Daher muss im Laufe der Zeit der tatsächliche reale Wechselkurs – über eine reale Aufwertung – mit dem höheren Gleichgewichtskurs zusammenlaufen. Wenn nicht zugelassen wird, dass der nominale Wechselkurs steigt, kann eine reale Aufwertung nur durch eine höhere Inflation im Inland stattfinden.

Daher besteht die wichtigste Möglichkeit zur Inflationskontrolle darin, zuzulassen, dass die Währungen in diesen Wirtschaftsnationen bedeutsam an Wert gewinnen, während man die zur Inflationskontrolle erforderliche währungs- und kreditpolitische Autonomie zurückerlangt. Leider benötigen die überhitzten aufstrebenden Märkte just zu einem Zeitpunkt eine Währungsaufwertung und Straffung der Geldpolitik, in dem Immobilienpleite, Kreditkrise und hohe Ölpreise in den hochentwickelten Wirtschaftnationen zu einer starken Konjunkturabschwächung führen – und in manchen sogar zu einer regelrechten Rezession.

* Alptraumszenario nach der Wende

Die Welt hat eine Kehrtwende vollzogen. Nach einer günstigen Periode mit einem positiven globalen Angebotsschock hat ein positiver globaler Nachfrageschock zu einer globalen Überhitzung und zu steigendem Inflationsdruck geführt. Jetzt drehen sich die Sorgen darum, dass ein Angebotsschock, der eine Stagflation auslösen könnte – z. B. ein Krieg mit dem Iran –, zusammen mit einem deflationären Nachfrageschock auftreten könnte, wenn die Immobilienblasen platzen. Der Deflationsdruck könnte in Volkswirtschaften mit Konjunkturrückgang Fuß fassen, während der Inflationsdruck in Wirtschaftsräumen mit nach wie vor schnellem Wachstum zunimmt.

Somit stehen die Zentralbanken in vielen hochentwickelten und aufstrebenden Ökonomien vor einem Alptraumszenario, in dem sie ihre Währungspolitik gleichzeitig straffen (um die Inflation zu bekämpfen) und lockern müssen (um die negativen Risiken des Wachstums zu vermindern). Da sich Inflation und Wachstumsrisiken in verschiedenen Ländern auf unterschiedliche und komplexe Weise verbinden, wird es für die Zentralbanker sehr schwierig werden, diese widersprüchlichen Anforderungen auszutarieren.

© Project Syndicate 2008

Nouriel Roubini ist Professor für Ökonomie an der Stern School of Business der New York University und Vorsitzender von RGE Monitor (www.rgemonitor.com). Aus dem Englischen von Anke Püttmann.

Veröffentlicht: 24.6.2008

Empfohlene Zitierweise: Nouriel Roubini, Das Gespenst einer globalen Stagflation. Tödliche Kombination, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 24.6.2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)