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Der REDD-Hype in den Klimaverhandlungen

Artikel-Nr.: DE20080824-Art.-27-2008

Der REDD-Hype in den Klimaverhandlungen

Internationale Waldschutzdebatte nach Bali

Vorab im Web - Seit kurzem müssen sich Beobachter an ein neues Akronym in den internationalen Klimaverhandlungen gewöhnen: Unter dem Stichwort „REDD“ („Reducing Emissions from Deforestation and Degradation“) debattiert die internationale Staatengemeinschaft Wege, Klimaschutz und Waldschutz stärker als bislang miteinander zu verbinden. Im Zentrum stehen dabei Vorschläge zur Bestimmung der erreichten Reduktion der jährlichen Entwaldungsrate. Eine kritische Analyse von Constanze Haug und Philipp Pattberg.

Die Frage nach wirksamen Mitteln zum Stop von Entwaldung und Walddegradation nimmt nicht erst seit gestern einen zentralen Platz auf der globalen Umweltagenda ein. Geschätzte 70% der terrestrischen biologischen Vielfalt befinden sich in Wäldern, 300 Millionen weitgehend arme Menschen sind zur Sicherung ihres Lebensunterhalts direkt von Wäldern abhängig, die darüber hinaus eine zentrale Rolle beim Bodenschutz und Wasserkreislauf spielen. Jedes Jahr verschwinden weltweit ungefähr 13 Mio. ha Wald, ein Gebiet von der Grösse Griechenlands oder Nicaraguas. In Ländern wie Brasilien, Indonesien und Malaysia macht Entwaldung bis zu 80% der jährlichen Treibhausgasemissionen aus.

* Renaissance des Waldthemas

Leider steht trotz der Dringlichkeit des Problems der Waldschutz international noch vor dem Durchbruch. Obwohl die internationale Gemeinschaft bereits auf der Riokonferenz von 1992 ein internationales Waldschutzabkommen ins Auge fasste, sind die Ergebnisse dieser politischen Bemühungen bis heute äusserst mager. Statt verbindlicher Regeln existieren nur unverbindliche Absichtserklärungen, und an Stelle eines robusten internationalen Vertragswerkes gibt es mit dem Waldforum der Vereinten Nationen nur eine regelmässig tagende Diskussionsrunde.

Durch die weltweite Besorgnis über den Klimawandel und angesichts der zentralen Funktion des Waldes als Kohlenstoffsenke hat das Thema allerdings in den letzten Jahren eine Renaissance erfahren. So wies u.a. der Stern-Report darauf hin, dass bis zu 20% des globalen Treibhausgasausstosses durch Entwaldung verursacht werden und dass Waldschutz theoretisch eines der kosteneffizientesten Mittel zur Minderung des globalen Treibhausgasausstosses darstellt. Angesichts dieser Zahlen überrascht es kaum, dass das Thema kontrovers diskutiert wird.

Dem Waldschutz kommt im Kontext der Diskussionen zu einem Post-2012-Klimaschutzabkommen als politische Verhandlungsmasse eine zentrale Rolle zu. Gerade viele der ärmeren, waldreichen Entwicklungsländer Afrikas und Asiens, die bisher kaum vom Clean Development Mechanism (CDM) des Kyoto-Protokolls profitiert haben, sehen den Walderhalt als ihren wichtigsten “Bargaining Chip” im Klimaregime. Das Thema wird daher von der Gruppe der 77 mit großem Interesse verfolgt.

* Waldschutz im Klimaregime seit Kyoto

Schon in den Verhandlungen zum Kyoto-Protokoll in den 1990er Jahren war die Berücksichtigung von Kohlenstoffsenken ein umstrittenes Thema. Viele NGOs waren besorgt, dass Senken die Anreize zur Reduzierung der Abhängigkeit von fossilen Energieträgern schwächen könnten. Während in Kyoto letztendlich die Anrechnung von Senken auf die nationalen Emissionsinventare zugelassen wurde (resultierend in der viel kritisierten “heissen Luft” vor allem in Russland und anderen Transformationsländern), und Aufforstungsprojekte unter dem Clean Development Mechanism unter relativ strengen Beschränkungen erlaubt wurden, enthält das Kyoto-Protokoll keine spezifischen Anreize zum Walderhalt und zur Vermeidung von Entwaldung.

Mit dem Start der Verhandlungen zur Zukunft des Klimaregimes in Montreal 2005 hat die Diskussion zum Walderhalt im Rahmen des Klimaregimes wieder an Fahrt gewonnen. Papua-Neuguinea und 11 weitere Regenwaldnationen reichten (unterstützt von der Weltbank) einen Antrag ein, der einen marktbasierten Mechanismus, ausgehend von einer nationalen Referenzbasis, zur Bestimmung der erreichten Reduktion der jährlichen Entwaldungsrate, vorschlug, und setzten damit das Thema REDD formal auf die Tagesordnung.

* Waldschutz auf dem Bali-Gipfel

Seit dieser Initialzündung wurden eine Reihe von weiteren Vorschlägen zum Umgang mit vermiedener Entwaldung im Klimaregime gemacht, sowohl von Vertragsparteien als auch von NGOs und Think Tanks. Einige sehen die Einbeziehung von Zertifikaten aus vermiedener Entwaldung in die Kohlenstoffmärkte vor, andere (Brasilien, das einen marktbasierten Ansatz aus Bedenken vor einer Einschränkung seiner Souveränität über die nationale Resource Amazonas ablehnt) wollen freiwillige Beiträge von Industrieländern an einen internationalen Fonds. Dieser würde Entwicklungsländer für eine Verringerung der jährlichen nationalen Entwaldungsrate mit Zahlungen kompensieren. Wiederum andere (z.B. das sog. TDERM-Modell von Greenpeace) haben Hybridkonstruktionen, bestehend aus einem Mix von markt- und fondsbasierten Elementen, entwickelt.

Nach zwei grossen Klimakonferenzen und einer Reihe spezialisierter Workshops wurde beim Klimagipfel 2007 in Bali ein wichtiger Schritt in Richtung einer Einbeziehung von Waldschutzbelangen ins Klimaregime gemacht. Doch nimmt die angenommene Entscheidung zu REDD bei keiner der zentralen Fragen zum Design des Mechanismus die Antwort schon vorweg. Stattdessen wurde in Bali lediglich ein Arbeitsprogramm verabschiedet, das die methodologischen Fragen zu den verschiedenen Ansätzen und Anreizmechanismen zur Vermeidung von tropischer Entwaldung weiter untersuchen soll. Ausserdem werden die Vertragsparteien zur Durchführung von „Demonstrationsaktivitäten“ aufgefordert, nachdem zuvor der stärkere Begriff “Pilotprojekte” von den waldreichen Entwicklungsländern abgelehnt worden war.

* Offene Fragen und Probleme…

Obwohl die Diskussion damit auf internationaler Ebene an Dynamik gewinnt und viele Staaten eine Einbeziehung von vermiedener Entwaldung in ein zuküftiges Klimaabkommen zu befürworten scheinen, sind noch zahlreiche komplexe Fragen im Zusammenhang mit REDD ungelöst. Die Herausforderung, sich bis zur Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen auf die Umrisse eines konsensfähigen REDD-Modells zu einigen, ist enorm.

Die kontroversesten Fragen der Debatte lassen sich in sechs Punkten zusammenfassen:

* Marktmechanismen: Beobachter fürchten eine Überschwemmung der Kohlenstoffmärkte mit Entwaldungszertifikaten. Die Frage, wie das Crowding Out anderer energiebasierter Projekttypen vermieden werden kann, ist nicht gelöst. Ein weiteres Problem stellt sich mit der Verifikation der Umweltintegrität der Zertifikate, da der Ankauf von Zertifikaten Industrieländer ihrer Pflicht zur Emissionsminderung im eigenen Land enthebt. Ausserdem müssen angesichts der grossen Zahl von Zertifikaten, die durch Waldprojekte auf nationaler Ebene generiert werden könnten, die Reduktionsziele der Industrieländer äusserst stringent sein, um den Anreiz zur nationalen Emissionsminderung zu erhalten und gleichzeitig einen Absatzmarkt für Waldzertifikate zu garantieren. Denn es gilt: ohne Nachfrage kein Walderhalt.

* Fonds: Sollte es zu einer fondbasierten Lösung kommen, so lautet die Kernfrage: Wer leistet die notwendigen Zahlungen? Die bestehenden Fonds unter der Klimarahmenkonvention und dem Kyoto-Protokoll sind notorisch unterfinanziert. (180 Mio. US-Dollar sind z.B. für die beiden Fonds unter der Konvention zugesagt, wieviel Geld bereits geflossen ist, bleibt unklar.) Es steht zu befürchten, dass in einem System, das auf freiwilligen Beiträgen beruht, die enormen Summen, die zur Walderhaltung notwendig sind, kaum erreicht werden können.

* Referenzfall: Auf welcher Vergleichsbasis soll die Verminderung von Entwaldung festgestellt werden? Im Zusammenhang mit REDD wird meist von einem entweder regionalen oder nationalen Durchschnittswert der Entwaldungsrate über eine gewisse Anzahl von Jahren hinweg ausgegangen. Allerdings sind die verfügbaren Daten in Entwicklungsländern oft mangelhaft und ohne einen vertrauenswürdigen Referenzfall steht das ganze System auf tönernen Füssen. Damit ist auch die Herausforderung verbunden, perverse Anreize zu vermeiden. Wie behandelt man „early movers“, wie z.B. Costa Rica, das sich frühzeitig für die Erhaltung und den Schutz seiner Regenwälder eingesetzt hat, und vermeidet es gleichzeitig, die schlimmsten Abholzer für ihr Verhalten noch zu belohnen?

* Permanenz der Senken: Anders als andere Arten von Emissionsminderung kann der Effekt von Walderhaltung oder Wiederaufforstung jederzeit rückgängig gemacht werden, z.B. durch Abholzung oder durch natürliche Ursachen wie Waldbrände. Die Frage, wie diese Tatsache bei der Berechnung der erreichten Reduktionen adäquat berücksichtigt werden kann, ist weiterhin ungelöst.

* Implementierung vor Ort: Insbesondere die unklaren Eigentumsverhältnisse in vielen waldreichen Entwicklungsländern machen eine angemessene Berücksichtigung der Interessen lokaler Gruppen und der indigenen Bevölkerung und deren Teilhabe an den „benefits“ von REDD schwierig.

* Vermeidung eines Monopols auf REDD: Schließlich könnten auch die grossen nationalen Unterschiede in den Gründen und der Dynamik von Entwaldung zu Problemen führen. Mit Brasilien und Indonesien sind nur zwei Staaten für etwa 45% der jährlichen Abholzung in den Tropen verantwortlich. Wie kann angesichts dieser Ausgangssituation eine Monopolisierung der Finanzströme, ob durch Zertifikate oder durch einen Fonds generiert, zumindest zu einem gewissen Grad kompensiert werden, damit auch andere Länder von einem REDD-Mechanismus profitieren?

* … aber der „REDD-Hype“ geht weiter

Trotz dieser ungelösten Fragen werden abseits des Verhandlungstisches bereits Nägel mit Köpfen gemacht. Die Weltbank kündigte in Bali die Gründung einer neuen “Forest Carbon Partnership Facility” an. Ziel der Fazilität soll es zum einen sein, Entwicklungsländern dabei zu helfen, den Kohlenstoffwert ihrer Wälder besser zu beurteilen. Zum anderen sind Pilotprojekte zu vermiedener Entwaldung geplant. Die durch die Projekte generierten Kohlenstoffzertifikate sollen Industrieländern und Unternehmen zum Kauf angeboten werden. In Bali hatten neun Industrieländer bereits insgesamt 155 Mio. US-Dollar zugesagt, wobei die deutsche Bundesregierung mit 59 Mio. den größten Betrag anbot. Die 14 Entwicklungsländer, die in der ersten Runde von der Fazilität profitieren sollen, wurden im Juli dieses Jahres bekannt gegeben.

Gleichzeitig versprach Norwegen in Bali, über die nächsten Jahre jährlich mehr als 500 Mio. Dollar für den Schutz des Regenwaldes zur Verfügung zu stellen. Viele Side Events
in Bali demonstrierten zudem die Vielfältigkeit der bereits in Entwicklung befindlichen REDD-Initiativen. Nicht zuletzt die Kohlenstoffmarktspezialisten haben ein starkes Interesse, sich mit REDD ein neues Aufgabenfeld zu erschliessen.

* Fazit

Das Thema (tropische) Entwaldung hat mit seiner Einbeziehung in die Klimaverhandlungen endlich wieder die Aufmerksamkeit erhalten, die es auf der politischen Agenda verdient. Ob allerdings die Klimarahmenkonvention mit ihrer ohnehin schon komplexen Agenda, einer Vielzahl von parallelen Verhandlungsforen und einer Unmenge an Experten und Akteuren wirklich das beste Forum ist, um eine nachhaltige Lösung des Problems zu erreichen, ist fraglich. Faktoren, die ausserhalb des Klimaregimes und ausserhalb der Kompetenz von Regenwaldnationen liegen, wie z.B. die internationale Nachfrage nach Tropenholz und weltweit steigende Nahrungsmittelpreise (vormals sinkende Entwaldungsraten in Brasilien sind in den letzten Monate sprunghaft nach oben geschnellt), sind zentrale Triebkräfte für Entwaldung, die nur schwerlich im Rahmen des Klimaproblems angegangen werden können. Deshalb sollte weiter auch ausserhalb des Klimaregimes nach wirksamen Strategien zur Verminderung und Vermeidung von Entwaldung gesucht werden, teils mit bekannten Instrumenten wie Zertifizierungssystemen oder nachfragebasiertem Management, teils auch mit innovativen Lösungen wie zum Beispiel eines „Waldpfennigs“ aus einer internationalen CO2-Steuer oder der Besteuerung des internationalen Schiff- und Flugverkehrs.

Constanze Haug (Constanze.Haug@ivm.vu.nl) ist Mitarbeiterin am Institute für Umweltforschung (IVM) der Freien Universität Amsterdam. Ihre Schwerpunkte sind internationale und EU-Klimapolitik und –recht. Dr. Philipp Pattberg (Philipp.Pattberg@ivm.vu.nl) ist Projektleiter am Institut für Umweltforschung (IVM) der Freien Universität Amsterdam. Seine Forschungsschwerpunkte sind globale Klimapolitik, Waldschutzpolitik sowie die Privatisierung weltpolitischer Steuerung.

Veröffentlicht: 25.8.2008

Empfohlene Zitierweise: Constanze Haug/Philipp Pattberg, Der REDD-Hype in den Klimaverhandlungen. Internationale Waldschutzdebatte nach Bali. Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Nr. 09, Luxemburg, September 2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).