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Die weltwirtschaftlichen Aussichten für 2009

Artikel-Nr.: DE20081205-Art.49-2008

Die weltwirtschaftlichen Aussichten für 2009

Bedrückende Szenarien als Folge der Finanzkrise

Nur im Web – Als Anfang des Jahres an dieser Stelle bei der Vorstellung des UN-Berichts „World Economic Situation and Prospects“ die Frage aufgeworfen wurde, ob sich die Subprime-Krise des US-Immobiliensektors zu einer globalen Rezession auswachsen würde, galt dies für viele als die Einzelmeinung von Exoten. Inzwischen ist das „R-Wort“ in fast Aller Munde. Die jetzt veröffentlichte Prognose der UN-Experten für das Jahr 2009 (s. Hinweis) sollte deshalb endlich einmal Ernst genommen werden, meint Rainer Falk.

Obwohl es inzwischen als widerlegt gelten kann, dass niemand die aktuelle Finanzmarktkrise und ihr Übergreifen auf die Realwirtschaft vorhergesagt hätte, behauptete selbst die renommierte Financial Times Ende November (26.11.2008) das glatte Gegenteil. Die Ökonomen der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Fragen (DESA) und des UNCTAD-Sekretariats können darüber nur den Kopf schütteln. Denn die Finanzkrisen der vergangenen Jahre wurden regelmäßig in den Trade & Development Reports der UNCTAD vorhergesagt. Und die Warnungen vor finanziellen Ungleichgewichten oder den jetzt zu beobachtenden Problemen bei Rohstoffpreisen und Währungen waren zahlreich in den UN-Publikationen, ebenso die Hinweise auf den jetzt stattfindenden Abbau risikoreicher Positionen auf den Kapitalmärkten überall auf der Welt.

* Mageres globales Wachstum

Nach dem Basisszenario des neuesten Reports „World Economic Situation and Prospects” (WESP 2009) wird der weltweite Output im Jahr 2009 um magere 1% wachsen, verglichen mit 2,5% in 2008 und globalen Wachstumsraten zwischen 3,5 und 4% in den letzten vier Jahren (s. Tabelle). Die Projektion für 2009 geht von einem Rückgang von 0,5% in den Industrieländern, einem Wachstum von 5,3% in den Transitionsökonomien und von 4,6% in der Entwicklungswelt aus. Dieses globale Wachstumsmuster deutet darauf hin, dass das weltweite Pro-Kopf-Einkommen 2009 fallen wird.


In einem optimistischeren Szenario, das Konjunkturprogramme der Industrieländer in einer Größenordnung von 1,5 bis 2% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und weitere Zinssenkungen einrechnet, könnten die Industrieländer eine Wachstumsrate von 0,2% erreichen und die Entwicklungsländer mehr als 5%. Angesichts der großen Unsicherheiten zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist dieses optimistischere Szenario nicht unmöglich. Wenn allerdings die aktuelle Kreditklemme anhält und das Vertrauen in den Finanzsektor in den nächsten Monaten nicht wiederhergestellt werden kann, werden die Industrieländer 2009 in eine tiefe Rezession rutschen, verbunden mit einem weltweit rückläufigen Output und einer Verlangsamung des Wachstums in den Entwicklungsländern um 2,7%. Das wäre eine gefährliche Bedrohung für die Fähigkeit dieser Länder, ihre Anstrengungen in der Armutsreduzierung und der sozialen und politischen Stabilisierung beizubehalten.

* Die Krise im Süden: Wie ein Tropensturm

Die Politiker der Entwicklungsländer standen in den ersten drei Quartalen von 2008 unter erheblichem Inflationsdruck, vor allem aufgrund der steigenden Preise für Rohstoffe wie Nahrungsmittel und Brennstoffe. Sie waren völlig überrascht, als die Finanzkrise und der Wirtschaftsabschwung im Oktober so schnell und stark zuschlug wie ein tropischer Sturm.

Die Kosten der externen Kreditaufnahme sind für die Entwicklungsländer seither stark gestiegen, und die Kapitalzuflüsse verkehrten sich ins Gegenteil. Die Aktienmärkte brachen stark ein, während die Währungs- und Rohstoffmärkte extrem volatil wurden, wobei die Wechselkurse in mehreren Ländern extrem schnell nachgaben und die Preise von Primärrohstoffen nach ihrem Höhenflug im Sommer ins Taumeln gerieten. Das Exportwachstum verlangsamt sich jetzt auch, und die Leistungsbilanz vieler Länder ist nun negativ.

Der von den Industrieländern – inzwischen mehrheitlich in der Rezession – ausgehende Ansteckungsmechanismus wirkt in die Richtung eines „global synchronisierten Anschwungs, möglicherweise der erste seiner Art in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg“, schreibt der WESP 2009.

* Zögerliches Krisenmanagement

Die USA verfolgten im ersten Halbjahr 2008 eine aggressive und expansive Geldpolitik in dem Versuch, eine Rezession abzuwehren. Die europäischen Zentralbanken hielten demgegenüber angesichts der Inflationsgefahr an einer straffen und restriktiven Position fest (s. Grafik). Dieser politische Mischmasch ist typisch für den Mangel an Koordination während der Boomjahre, als das Wachstum hoch und die Kreditvergabe in den USA überdehnt war und die Überakkumulation von Ersparnissen in den Überschussländern hätte genutzt werden können, um die Entwicklung weniger schmerzhaft zu machen und mehr Manövrierspielraum zu bekommen. Entsprechend plädierten der WESP 2007 und 2008 dafür, die Konsolidierung der US-Ökonomie mit Konjunkturpaketen in Überschussländern wie China, Japan oder Deutschland zu kombinieren.


Doch erst im Oktober 2008 wurden die Antworten zur Abwehr der Krise innerhalb dieser Länder umfassender und weniger bruchstückhaft, und die unilateralen, nationalen Ansätze wurden teilweise durch wachsende internationale Zusammenarbeit und Koordination abgelöst. Weltweit wurden rund 4 Billionen US-Dollar in Maßnahmen zur Wiederbelebung der Geld- und Kreditmärkte investiert. Zinssatzsenkungen folgten zügig in den Industrie- und auch einigen Entwicklungsländern. „Doch angesichts des darniederliegenden Vertrauens bei Konsumenten und Geschäftsleuten und der Zurückhaltung der Banken ist auch eine weitere Senkung der Zinsen durch die Zentralbanken zu wenig, um das Kreditangebot und die privaten Ausgaben zu stimulieren“, warnen die UN-Ökonomen.

Angesichts des begrenzten Spielraums für geldpolitische Stimuli werden haushaltspolitische Optionen gebraucht, um die Weltwirtschaft wiederzubeleben. China hat bereits ein Konjunkturpaket von 586 Mrd. Dollar (15% des BIP) aufs Gleis gesetzt, das in zwei Jahren umgesetzt werden soll und möglicherweise global wie als nationale Nachfrage zu Buche schlägt. In den USA entsprach das Konjunkturpaket im ersten Halbjahr 2008 1,1% des BIP und hat die Rezession wahrscheinlich um ein Quartal hinausgezögert. Südkorea hat kürzlich ein Paket in einer vergleichbaren relativen Größenordnung angekündigt.

Um aber eine tiefer gehende Rezession abzuwehren, sind nach Ansicht der WESP-Autoren umfangreichere und international koordinierte Konjunkturprogramme erforderlich. Denn in einer globalisierten Ökonomie werden haushaltspolitische Stimuli in einem Land durch Importschlupflöcher und andere Effekte untergraben, während Konjunkturprogramme, die in den wichtigsten Volkswirtschaften gleichzeitig durchgeführt werden, sich gegenseitig verstärken können.

* Ernsthafte Reformen zur Vorbeugung gegen künftige Krisen

Allerdings gibt es einen Mangel an institutionalisierten und glaubwürdigen Mechanismen der Koordination in der Konjunktur- und Währungspolitik. Angesichts der immer noch wachsenden Nettoverschuldung der USA – von 2,5 Billionen 2007 auf rund 2,7 Billionen Dollar Ende 2008 – bleiben eine ungeordnete Anpassung der globalen Ungleichgewichte und eine harte Landung des Dollars die Hauptrisiken der konjunkturellen Entwicklung. In diesem Fall könnten die Investoren eine „Flucht in die Sicherheit“ antreten, und zwar weg von Dollaranlagen, und so die US-Wirtschaft und damit die globale Ökonomie weiter nach unten drücken.

Die UN sieht Möglichkeiten, die haushaltspolitischen Konjunkturpakete mit dem Ziel einer langfristig nachhaltigen Entwicklung zu verknüpfen. So könnten die massiven finanziellen Ressourcen, die für die Stimuli erforderlich sind, teilweise in öffentliche Infrastrukturinvestitionen, in die Nahrungsmittelproduktion, das Bildungs- und Gesundheitswesen, in erneuerbare Energien fließen oder den Entwicklungsländern helfen, die Millennium-Entwicklungsziele zu erfüllen.

Um eine Wiederholung vergleichbarer Krisen zu vermeiden, empfehlen die UN-Ökonomen eine breite Palette von Reformen, u.a.
* eine grundlegende Revision der Governance-Strukturen und Funktionen des IWF und der Weltbank, um die international Politikkoordination zu verbessern und das Gewicht der Entwicklungsländer in diesen Institutionen zu erhöhen;
* eine grundlegende Reform des bestehenden Systems der finanziellen Regulierung und Aufsicht, um Exzesse wie in der Vergangenheit unmöglich zu machen;
* eine Reform des derzeitigen internationalen Reservesystems, die weg von der exklusiven Stützung auf den Dollar und hin zu einem multilateralen Multiwährungsstandard führt;
* eine Reform der Liquiditätsversorgung und der kompensatorischen Finanzierungsmechanismen, u.a. durch ein besseres multilaterales und regionales Pooling nationaler Währungsreserven und eine Vermeidung übermäßiger Konditionalität.

Hinweis:
* UN, World Economic Situation and Prospects 2009 (Pre-Release: Chapter 1: Global Outlook 2009), United Nations: New York 2009. Bezug über: www.un.org/esa/policy/wess/wesp.html. Der völlständige Bericht erscheint Anfang 2009.

Veröffentlicht: 5.12.2008

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Die weltwirtschaftlichen Aussichten 2009: Bedrückende Szenarien als Konsequenz der Finanzkrise, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), 22.11.2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)