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Ein angebotsreguliertes, kooperatives Klimaregime

Artikel-Nr.: DE20081021-Art.38-2008

Ein angebotsreguliertes, kooperatives Klimaregime

Ein Vorschlag für Kyoto II

Nur im Web – Das 20. Jahrhundert war ein Jahrhundert der gigantischen Verschwendung fossiler Energien und einer ölbasierten Industrialisierung mit der Autoindustrie als Wachstumsmotor der (westlichen) Weltwirtschaft. Ein Rückblick in die politische Ökonomie dieses Jahrhunderts liefert wertvolle Hinweise dafür, wie und mit welchen Gegenstrategien, wenn es nicht jetzt schon zu spät ist, die Weichen für einen wirksamen Klimaschutz umgestellt werden können. Ein Vorschlag von Mohssen Massarrat.

Jenseits von Verschwendung und Konfrontation (I)

* Das Jahrhundert der Energieverschwendung und der Konfrontation

Seit der Aufnahme der Ölproduktion in Lateinamerika und vor allem im Mittleren Osten um 1915 sanken die Ölpreise in den Vereinigten Staaten von Amerika von 15–50 US-Dollar drastisch und bewegten sich – mit Ausnahme der „goldenen“ Ölpreisjahre 1975 –1985 – auf einem sehr niedrigen Niveau von 10–20 US-Dollar (beide Werte auf der Basis der Dollar Kaufkraft von 2003). Für diese Entwicklung sind mehrere sich ergänzende Vorgänge in der Geschichte spezifisch globaler Beziehungen im 20. Jahrhundert verantwortlich. Dazu gehören vor allem die regionale Ungleichzeitigkeit der Industrialisierung und die neokoloniale Machtungleichheit, deren Zusammenwirken und ökonomische, ökologische sowie politische Folgen, nachstehend näher analysiert werden:

* Die Weltnachfrage nach Öl beschränkte sich im 20. Jahrhundert im Wesentlichen auf die Industriestaaten. Mit anderen Worten: 20% der Weltbevölkerung standen 100% der Ölreserven zur Verfügung. Dank der Ungleichzeitigkeit der Industrialisierung unterlagen die Industriestaaten und ihre ökonomischen Mainstream-Theorien der paradoxen Annahme, die Weltressourcen seien grundsätzlich nicht knapp, sondern im Überfluss verfügbar.

* Euro-amerikanische Ölkonzerne schlossen mit den Herrschern des Mittleren Ostens, teils durch Verhandlungen, überwiegend jedoch durch politische und auch militärische Interventionen ihrer Heimatregierungen (Großbritannien und USA), neokolonialistische Ölnutzungsverträge, die sie für Jahrzehnte zur nahezu unbegrenzten Nutzung der Ressourcen gegen geringfügige Abfindungen ermächtigte. Die Ölkonzerne mobilisierten ihr gesamtes Know-how und Kapital mit dem Ziel, so rasch und rigoros wie möglich, das im Boden steckende Kapital herauszuholen und auf den Finanzmärkten anzulegen. Die Ölkonzerne, „die Seven Sisters“, wurden so zu den umsatz- und finanzkräftigsten Konzernen der Welt und blieben dies auch bis Ende der 1980er Jahre. Die Folge dieses ökonomischen Mechanismus waren einerseits strukturelle Überproduktion und darauf beruhend auch Dumpingpreise für alle Energieträger, somit eine gigantische Vernichtung des „Naturkapitals“, und andererseits ein verschwenderischer Energieverbrauch, die Entstehung von energieintensiven Wachstums- und Industrialisierungsmustern sowie die sukzessive und übermäßige Belastung des Klimas.

* Die Marktmechanismen des Weltenergiemarktes waren somit außer Kraft gesetzt. Nicht symmetrische Beziehungen zwischen Marktakteuren (die Ölkonzerne einerseits und die Öleigentümerstaaten in Lateinamerika und im Mittleren Osten) andererseits, sondern asymmetrische Machtbeziehungen bestimmten das Marktgeschehen. Durch ihre geballte Verhandlungsmacht diktierte die Konsumentenseite (Ölkonzerne und Industriestaaten) über beinahe acht Dekaden die Ölpreise zu ihren Gunsten, während der Anbieterseite eine demokratisch gefestigte Legitimität und Marktsouveränität fehlte, um die nationalen Ölreserven nach marktökonomischen Knappheitsregeln zu veräußern anstatt sie dem Ausverkauf preiszugeben. Hierauf beruhten die dauerhaft sinkenden Preise aller Rohstoffe (also nicht nur des Öls) und die Verschlechterung der Terms of Trade für alle Rohstoffexporteure des Südens. Die neoklassischen Ökonomen unterschlugen systematisch die wahren machtpolitischen Gründe für die anhaltende Überproduktion und die Dumpingpreise und führten sie lapidar und im Gleichklang auf eine „insgesamt zu geringe Nachfrage“ auf den Weltmärkten zurück.

Im 20. Jahrhundert entschieden sich die Industriestaaten für diesen konfrontativen Weg, für die Konfrontation gegen die machtschwachen und despotisch regierten Öl (und andere Ressourcen) besitzenden Staaten einerseits und für die Konfrontation gegen die Natur und das Klima andererseits. Dadurch schufen sie irreversible ökologische Vorgänge, ökonomisch nicht nachhaltige Fehlentwicklungen ihrer eigenen Gesellschaften (Lebensstile, Konsummuster, Mobilitäts- und Siedlungsstrukturen etc.) und Abhängigkeitsstrukturen mit dramatischen sicherheitspolitischen Folgen, militärischen Verstrickungen und Motiven, gerade um die historisch entstandenen Abhängigkeiten und Engpässe hegemonialpolitisch zu instrumentalisieren. Die im 20. Jahrhundert konfrontativ geschaffenen Menschheitsprobleme im 21. Jahrhundert nur durch globale Kooperation angegangen und gelöst werden. Das Klimaproblem ist zudem ein globales Problem und kann deshalb auch nur durch global abgestimmte und nach Gerechtigkeitskriterien konsistent durchdachte und allseits akzeptanzfähige Strategien abgebremst werden. Daher sind alle Wege und Strategien, die die Interessen eines Teils der Menschheit ignorieren, zum Scheitern verurteilt - sie sollten daher tunlichst unterbleiben.

* Vom nachfrage- zum angebotsregulierten und kooperativen Klimaschutzregime

Eigentlich ist es ein umweltpolitischer Skandal, bei einem derart folgenreichen Problem wie dem Klimawandel die umweltpolitischen Steuerungsmechanismen an der Nachfrageseite anzusetzen und darauf zu hoffen, dass sich die Anbieter fossiler Energieträger an die Nachfrage anpassen. Die Industriestaaten haben sich im 20. Jahrhundert jedenfalls nicht auf die eigene Nachfrage nach Öl und die Marktmechanismen verlassen. Sie haben, wie oben dargelegt, massiv in das Marktgeschehen eingegriffen und versucht, die Ölanbieterstaaten politisch bzw. militärisch zu beherrschen, aufmüpfige Marktakteure zu beseitigen, mit dem einzigen Ziel, diese Marktakteure zu selektieren, mit ihnen separate Knebelverträge zu schließen, ihre eigenen Ökonomien langfristig mit Billigöl zu versorgen und das Angebot an fossilen Energien im Überfluss aufrechtzuerhalten. Diese Form der „Marktregulierung“ wurde angewandt, weil sie die effektivste Form war, den wachsenden Energiehunger westlicher Industrieländer zu stillen und den Wohlstand in diesen Ländern anzuheben.

Nun dürfte es nur recht und billig sein, einen ähnlich effektiven Weg, allerdings in umgekehrter Richtung, zu gehen und das Gesamtangebot der fossilen Energien weltweit und sukzessive zu reduzieren, um den im 20. Jahrhundert verursachten Schäden wenigstens im 21. Jahrhundert Einhalt zu gebieten. Dazu bedarf es allerdings weder militärischer Gewalt, noch einem wie auch immer geartetem Diktat. Vielmehr muss für ein dem Klimaschutz dienenden Regulierungsregime der Weg des Dialogs und der Kooperation zwischen Energieanbietern und Verbraucherstaaten gegangen werden.

Das Rückgrat eines derartigen Regimes bilden 18 Staaten mit über 70 % der Weltreserven an Öl, Erdgas und Kohle. Der Sichtwechsel, d. h. die Umorientierung von der Nachfrage- zur Anbieterseite, impliziert die vertragliche Einbindung dieser Staaten (8 Staaten aus der OPEC-Gruppe, USA, Kanada, Mexiko, Australien, Norwegen, China, Indien, Südafrika, Polen), später aber auch der Newcomer (beispielsweise Brasilien, Sudan etc.) in das Kyoto-Vertragssystem und damit die völkerrechtliche Verpflichtung dieser Staaten, ihre Produktion an die Vorgaben des UN-Klimarates anzupassen.

Statt also das Klimaziel CO2–Reduktion um 25 % bis 2025, um 50 % bis 2050 und um 80 % bis 2100 (Vergleichsbasis 1990) über den unsicheren und teureren Umweg des Verbrauchs zu erreichen, statt also ein völkerrechtliches Abkommen zwischen 200 Staaten (und mit ihnen Hunderttausende von Großverbrauchern und Milliarden von Endkonsumenten), sollte das Kyoto-Vertragssystem fortan (nach dem Motto: das Übel an der Wurzel packen) darauf hin konzipiert werden, dass CO2–Reduktionen durch sukzessive Produktionsdrosselungen erreicht werden. Eine moderate Senkung um weltweit und durchschnittlich weniger als 1% im Jahr reichte aus, um am Ende des Jahrhunderts das Endziel von 80 % und mehr CO2–Reduktion zu erreichen, und das mit 100%iger Sicherheit.

Ein angebotsbasiertes Kyoto-System ist keineswegs unrealistisch und hat m. E. gute Chancen auf Realisierung. Denn die OPEC-Staaten, die zusammen mit den USA im gegenwärtigen Kyoto-System als Hauptbremser von vertraglichen Vereinbarungen gelten, werden im Rahmen eines neuen, das Angebot reduzierenden Klimaregimes für weitere Jahrzehnte in doppeltem Sinne Gewinner: zum einen steigen auf Grund sukzessiver Verknappung die Ölpreise und daher auch die Ölumsätze aller Ölexportierenden Staaten. Und zum anderen verlängert sich die Lebensdauer ihrer Reserven. Ungeachtet dessen kämen auch die OPEC-Staaten bei der Lösung eines für die gesamte Menschheit existenziellen Problems um eine völkerrechtliche Einbindung ohnehin nicht herum. Umso vernünftiger und auch in ihrem Interesse wäre es, sie schon jetzt und sofort in ein wirksames Regulierungsregime einzubeziehen und an dessen Mitgestaltung teilhaben zu lassen. Dies ermöglicht den OPEC-Staaten den stufenweisen Ausstieg als Ölproduzenten bei Vermeidung von sonst zu erwartenden ökonomischen Zusammenbrüchen durch den Aufbau eigener und langfristig angelegter ökonomischer und energiepolitischer Alternativen.

Genau hier und für die Vermittlung der kooperativen Idee und die Moderation eines New Deal von epochaler Bedeutung auf dem internationalen Klimaschutzparkett sind Kompetenzen gefragt. Statt Scheinerfolge bei längst bekannten normativen Zielen vorzutäuschen und gescheiterte Instrumente gebetsmühlenartig als Wunderwaffe zu preisen, hätten hier Politiker und Politikerinnen wie Angela Merkel ein hervorragendes Betätigungsfeld, ihr diplomatisches Geschick unter Beweis zu stellen.

Eine UN-Klimaagentur mit Ausgleichsfond (II)

Ein angebotsbasiertes Kyoto-Vertragssystem bedarf allerdings für die Koordination und die Verhandlungen über die Reduktionsmodalitäten und eine gerechte Verteilung der Lasten einer UN-Organisation, die durchaus auch nicht neu gegründet werden müsste, sondern durch Zusammenfassung bestehender UN-Klimabezogener Einrichtungen entstehen könnte. Im Rahmen der Klimaagentur sollen drei interdependente Aufgabenkomplexe zusammengefasst werden: Erstens in Kooperation und Abstimmung mit dem UN-Weltklimarat (IPCC) ein globaler Reduktionsplan des fossilen Angebots, zweitens Koordination des Ausbaus der erneuerbaren Energiesysteme und drittens ein
globaler Ausgleichsfonds für gerechte Verteilung der Lasten zur Transformation der Welt in das solare Zeitalter.

Mit anderen Worten koordiniert diese UN-Institution mit den drei Aufgabenbereichen: die Umsetzung der Vereinbarungen eines angebotsbasierten Kyoto-Vertragssystems zur Transformation globaler Energiesysteme, und zwar auf der Grundlage von klimaschutzpolitisch ermittelten Vorgaben des IPCC unter Berücksichtigung einer Lastenteilung zwischen den Regionen der Welt und den Generationen.

* Koordination der globalen Reduktion fossiler Energien.

In einem angebotsbasierten Kyoto-Vertragssystem bleibt der Markt das zentrale Steuerungsmedium. Mehr noch: In diesem Modell werden sogar alle bürokratischen Kontrollmechanismen und damit entsprechende Transaktionskosten überflüssig. Dies gilt auch für ordnungspolitische Maßnahmen, für Verbote, Gebote und finanzielle Anreiz- bzw. Strafprogramme. Die fossilen Energie-Weltmarktpreise, und damit die Märkte, werden so zum entscheidenden Instrument der Allokation und der Transformation, weg von fossilen, hin zu effizienterer Energienutzung und zu erneuerbaren Energiesystemen.

Das einzig Interventionistische ist dabei eine vertragliche Festsetzung von globalen Obergrenzen für fossile Energiemengen, und zwar so, dass im Ergebnis die verfügbaren fossilen Energiemengen weltweit um ca. 1% im Jahr sinken. Die so erreichten Angebotsverknappungen führen in den ersten Jahren freilich zunächst zu steigenden Energiepreisen. Dadurch würden sie sowohl die Energieeffizienz wie die Wettbewerbsfähigkeit bei erneuerbaren Technologien in einer Beschleunigung und einem Ausmaß verstärken, wozu alle sonst zeitraubenden und kostspieligen Steuerungsmechanismen und Programme zusammen nie in der Lage wären.

Fortan entscheiden nicht mehr Ministerien und Lobbygruppen mit mächtigen Eigeninteressen, welche Technologien in welchem Teil der Welt die Energieeffizienz steigern und welche erneuerbaren Energietechnologien in den Regionen mit so unterschiedlicher Ausbeutekapazität der Wind-, Sonnen- und Biomassenenergie die günstigsten sind, sondern allein der Markt durch doppelte Wirkung der Preisentwicklung bei fossilen Energien einerseits und durch Kostensenkung bei Effizienztechnologien und erneuerbaren Energietechnologien andererseits.

Mit anderen Worten: Anstelle von sehr viel Staat, der überall wie jetzt aktionistisch mit etlichen selektiven Einzelmaßnahmen zur Stelle ist und statt dass Politiker sich mit immer neuen Vorschlägen, wie Klimatickets, CO2-Pass für Neuwagen und Gebäude, Wärme-Cents, Strom-Cents u.a.m., und mit viel Wirbel als die wahren Klimaschützer und Menschheitsretter jeden Tag in Szene setzen und Wahlkampf betreiben. Anstelle von zahlreichen kostspieligen und ineffizienten staatlichen Reglementierungen und umfangreichen Subventionen, soll in Kyoto II der Staat bzw. global die Weltgemeinschaft einzig und allein den Energiemärkten den Mengenrahmen vorgeben und ihre gesamte Energie darauf fokussieren, dass immer weniger fossile Energien auf die Märkte kommen und dass dadurch die Transformation zu Klima konformen Energiesystemen tatsächlich stattfindet. Im übrigen soll es den Marktakteuren überlassen werden, welche Technologie bzw. welchen Mix aus Effizienz- und erneuerbaren Technologien sich in Abhängigkeit von sonstigen Nationalen Rahmenbedingungen am besten bewähren.

In einem System mit einer politisch klar definierten Regelung, die fossile Energieproduktion systematisch zu drosseln, ist für Trittbrettfahrer kein Platz, gibt es für veraltete Energiepfade und Technologien kein Entrinnen mehr, so dass die besten Effizienz- und erneuerbaren Energietechnologien das Rennen machen. Selbst eine Technologie wie die sog. CO2-freien Kohlekraftwerke hätte im Wettbewerb mit CO2-freien erneuerbaren Energietechnologien möglicherweise eine Zukunft und könnte, so sie denn preiswerter als jene angeboten würde, darauf hinwirken, dass beispielsweise die Drosselung der Kohleproduktion wieder zurückgenommen wird. Umgekehrt wäre es jedoch absurd und auch klimapolitisch fahrlässig, die Kohleproduktion nicht zu begrenzen, nur weil irgendjemand die Hoffnung hegt, in 20 oder 30 Jahren eine CO2-freie Kohletechnologie zu entdecken.

Die umfassenden Aufgaben dieser UN-Einrichtung gehen weit über die
Energieversorgung hinaus und umfassen alle Aspekte einer ganzheitlichen Klimastrategie, so dass sich die Bezeichnung Klimaagentur dafür besser eignet als der Begriff Energieagentur. Die so strukturierte Klimaagentur kann zahlreiche andere Parallelstrukturen, Regulierungsinstanzen und Finanzierungsinstrumente, die inzwischen innerhalb des US-Systems und anderswo entstanden sind, entweder ganz überflüssig machen oder sie synergetisch zusammenführen. Um das Modell erlebbar zu machen und auch die Skeptiker von seiner Effizienz zu überzeugen, könnten vorerst nationale Klimaagenturen als Pilotprojekte geschaffen werden. Vorreiter hätten hier ein zukunftsfähiges Terrain.

Eine politische Festlegung von Obergrenzen für fossile Energien ist historisch vergleichbar mit der gesetzlichen Festschreibung des Achtstundentages. Erst auf dieser Grundlage konnte das Zeitalter der technologischen Revolution eingeläutet und die Überausbeutung menschlicher Arbeitskraft durch technische Innovation auf breiter Front ersetzt werden. Der Achtstundentag war eine demokratisch durch die Arbeiterbewegung durchgesetzte politische Vorgabe und hat einem permanenten Substanzverzehr menschlicher Arbeitskraft, so auch dem Fundament der Gesellschaft, Grenzen gesetzt. Er hat gleichzeitig auch der Wirtschaft neue Entfaltungsmöglichkeiten ungeahnten Ausmaßes eröffnet. Genauso wären auch Befürchtungen unbegründet, eine politisch definierte und moderate Begrenzung der fossilen Energieproduktion könne zu einem Kollaps der Wirtschaft führen. Dies zu behaupten, ist ökonomisch falsch und politisch reaktionär. Die planmäßige Drosselung dieser Energieträger dient der Erhaltung menschlicher Lebensgrundlagen, und sie eröffnet zugleich eine weitere Entfaltung der Ökonomie auf ökologischer Grundlage, genau so wie die Einführung des Achtstundentages eine neue, sozial stabilere Grundlage geschaffen hat.

Übergang von fossilen zu regenerativen Energien


(Die Graphik illustriert schematisch den Zusammenhang zwischen der Ölpreisentwicklung, der Transformation von fossilen zu erneuerbaren Energien und der weltweiten Entwicklung der Energienachfrage. Die Energienachfrage steigt in Anlehnung an das Stockholm Environment Institute-Szenario von 1993 von ca. 9 Gtoe in 2000 bis zum Jahrhundertende als Folge wachsender Weltbevölkerung und Industrialisierung in Entwicklungsländern um das Dreifache. Die Ölpreise steigen zunächst bei wachsender Nachfrage und sukzessiver Mengenverknappung fossiler Energien an, sinken jedoch in dem Maße, wie die Kosten erneuerbarer Energien im Zuge der weiteren drastischen technologischen Entwicklung abnehmen. Ein Systemwechsel zu erneuerbaren Energien muss daher trotz wachsender Nachfrage nicht zwangsläufig mit steigenden Energiepreisen einhergehen.)


Die Festsetzung von nötigen Reduktionszielen bei Offenheit für alle technologischen und organisatorischen Umsetzungsoptionen - diese Kombination verfügt über das größte Potential an Flexibilität, Anpassung und Effizienz für einen Klima konformen Strukturwandel. Die anfänglichen, zugegeben hohen Energieknappheitspreise nach Beginn einer globalen Angebotsverknappung, wie in der Abbildung veranschaulicht, dürften in dieser Perspektive von kurzer Dauer sein. Nach der Logik der Skaleneffekte, also Kostensenkung durch Massenproduktion, kann davon ausgegangen werden, dass nach ein oder zwei Dekaden die Energiepreise sich durch Kostensenkung bei erneuerbaren Energietechnologien auf ein deutlich niedrigeres Niveau einpendeln, wie bei allen übrigen reproduzierbaren Gütern auch. In derselben Abbildung wurde auch illustriert, dass die Transformation in das solare Zeitalter in diesem Jahrhundert stattfinden wird und dass erneuerbare Energien die um ca. 300 % gestiegene globale Energienachfrage zu Kostenbedingungen decken können, welche nicht länger durch steigende Knappheit und dadurch bedingt steigende Knappheitsrenten, sondern ausschließlich von der Produktivität menschlicher Arbeitskraft abhängig sein und deshalb sinken werden.

* Das Öl in der Erde lassen

An dieser Stelle sollte der kluge Vorschlag des ekuadorianischen Präsidenten Rafael Correa, „das Öl soll in der Erde bleiben“, diskutiert werden, der sich gut in das Konzept globaler Mengenregulierung einfügt. Der Vorschlag verfolgt mehrere innovative Ziele: Ekuador wird auf den Ausbau der eigenen Ölproduktion in Yasuni, einer Region mit besonders reichhaltiger Artenvielfalt, gegen eine angemessene finanzielle Kompensation freiwillig verzichten und damit erreichen, dass erstens CO2-haltige Rohstoffe für immer in der Erde bleiben, zweitens Ekuador dabei selbst finanziell keine Verluste erleiden wird und drittens die für Ekuador und die Welt insgesamt wichtige Ressource Artenvielfalt der Ölproduktion nicht zum Opfer fällt.

Die Grundidee dieses Vorschlags, nämlich wenige fossile Stoffe zu produzieren, geht in diese selbe Richtung wie die Idee der globalen Angebotsreduzierung. Doch ist der Vorschlag aus mehreren Gründen nicht verallgemeinerbar: Erstens reicht es für eine global sukzessive Reduktion der fossilen Energien nicht aus, die Reduktion auf den Sonderfall von ökologisch besonders sensiblen Standorten zu beschränken. Zweitens entstehen neue Probleme bei der Bewertung der erforderlichen Kompensation. Drittens kämen die Einnahmen durch den Verzicht auf Produktion nur einigen wenigen Produzentenstaaten zu Gute, während bei dem Vorschlag globaler Angebotsreduzierung von der Kompensation für Produktionsverzicht durch steigende Ölpreise und Ölumsätze über zwei bis drei Dekaden alle Anbieterstaaten profitierten. Dennoch hat der Vorschlag insofern einen besonderen Charme, da er den Anbietern mit ähnlich ökologisch wichtigen Standorten im Rahmen eines globalen Reduktionsmodells die Möglichkeit eröffnet, ihren Reduktionsanteil zu allererst durch Förderverzicht in entsprechenden Regionen zu erbringen. Auf jeden Fall wäre der Verhandlungsort derartiger Sonderfälle die global orientierte UN-Klimaagentur.

* Transformation in das solare Zeitalter

Hohe Energieweltmarktpreise sind vor allem in der Übergangsphase entscheidende ökonomische Hebel der Transformation zum solaren Zeitalter. Doch bedarf dieser Prozess einer institutioneller Koordination. Dazu wird vorgeschlagen, eine International Renewable Energy Agency (IRENA) zu bilden. Der Vorschlag geht auf Eurosolar und den Weltrat für Erneuerbare Energien (WCRE) zurück, der mittlerweile zum offiziellen Initiativprogramm der Bundesregierung gehört. IRENA soll als eine neue UN-Organisation als Gegengewicht zu der Internationalen Atomenergie-Agentur (IAEA) und der durch die OECD gegründeten Internationalen Energie-Agentur (IEA) entstehen, der die Aufgabe zukommt, die Förderung erneuerbarer Energien in den Bereichen Wissenschaft, Forschung, Finanzierung und Einführung zu koordinieren. Die Konzentration der Koordinierung aller Aufgaben für die Transformation in das solare Zeitalter ist so umfassend, dass IRENA ohne Frage einen entscheidenden Beitrag zum Klimaschutz leisten würde, sofern sie nicht als eine selektive Einrichtung, sondern als eine in das Gesamtgefüge einer Internationalen Klimaagentur eingebundene Einrichtung konzipiert wäre. Denn
als eine selektive Maßnahme liefe IRENA der für das Gelingen einer konsequenten Klimaschutzstrategie unabdingbaren Kooperation zwischen allen entscheidenden Akteuren, die Gewinner und Verlierer der Klimaschutzpolitik sein werden (s. o.), zuwider. Als solche folgte sie einem nichtkooperativen Nullsummenspiel-Modell, da die OPEC in diesem Modell geneigt sein würde, den Ölanteil im Wettbewerb mit erneuerbaren Energien durch Produktionssteigerung und Dumpingpreisen für eine oder gar mehrere Dekaden zu halten und den Transformationsprozess zu Lasten des Klimas um weitere Jahrzehnte hinauszuschieben. Zu einer derartigen Politik ist die OPEC angesichts ihrer beachtlichen Ölreserven allemal in der Lage. Eine systematische Nichtbeachtung der OPEC, womöglich in der illusionären Annahme, diese sei angesichts des erreichten Fördermaximums ohnehin Geschichte, triebe sie – wie
es bisher durchgängig der Fall war – unweigerlich in den Schoß der US-Neokonservativen und hülfe der Fortexistenz einer mächtigen Anti-Klimaallianz aus USA und den meisten OPEC-Staaten, allen voran Saudi Arabien.

* Klima-Ausgleichsfonds

Das angebotsbasierte Kyoto II wäre genau so wie Kyoto I auch ohne eine gerechte Verteilung der Lasten schwer denkbar. Hier darf wie jetzt in Kyoto I auch um Quoten gerungen werden. Anstelle einer Quotenregelung zwischen den 200 Staaten und mit ihnen etliche weitere Quotenregelungen von oben nach unten träte in Kyoto II mit angebotsbasiertem Vertragssystem die Quotenregelung zwischen den wenigen Produzentenstaaten, die bei Bedarf sogar jedes Jahr flexibel veränderbar ist. Auch eine gerechte Verteilung der zulässigen Emissionsmengen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern bedarf, genau so wie in Kyoto I, einer im Konsens zu erreichenden Regelung. Beispielsweise kann ein globaler Ausgleichsfonds eingerichtet werden, der gezielt die Effizienzsteigerung und den Ausbau der erneuerbaren Energien in finanzschwachen und fossilarmen Entwicklungsländern genauso wie die einkommensschwachen Gruppen innerhalb einzelner Länder bezuschusst.

Das Hauptziel des Ausgleichsfonds sollte darin bestehen, mit der Finanzierung des Technologietransfers in die Länder des Südens die Energieeffizienz zu steigern und vor allem den Anteil der erneuerbaren Energiesysteme in Kooperation mit IRENA drastisch zu erhöhen. Dies ist der direkte Weg, um sowohl dem Klima wie auch der globalen Gerechtigkeit Genüge zu tun. Die gegenwärtig propagierte "Kohlenstoffgerechtigkeit" ist dagegen klimaschutzpolitisch kontraproduktiv, da sie eine Erhöhung des fossilen Energieverbrauchs in Entwicklungs- und Schwellenländern und damit eine nachholende Industrialisierung nach dem Muster der Industrieländer eben gerechtigkeitshalber zulässt. Intelligenter wäre sicherlich, diesen Weg von gestern erst gar nicht zu gehen. Beispielsweise kann die gesamte Stromproduktion und die Produktion von Wärme und Kühle von vornherein auf die Grundlage erneuerbarer Energiequellen, Sonne Wind, Biomasse und Wasserenergie gestellt werden. So blieben den Entwicklungsländern durch den herbeigeführten Technologiesprung die folgenreichen Fehlentwicklungen der Industrialisierungsmuster der Industrieländer weitgehend erspart.

Für die Finanzierung des globalen Klimaausgleichsfonds kommen grundsätzlich zwei ethisch begründbare Hauptquellen in Frage: Erstens Zahlungen aus den Industriestaaten als Ausgleich für ihre übermäßige Nutzung der Atmosphäre nach einem durchaus gerecht ermittelbaren Schlüssel. Die Ausgleichszahlungen können sogar ziemlich genau auf der Basis der bisher durch einzelne Industriestaaten erzeugten Emissionen anteilig ermittelt und die moralischen Verpflichtungen dieser Staaten auf eine reale Grundlage gestellt werden. Und zweitens aus beträchtlichen Renteneinnahmen aller Öl- und Gas produzierenden Staaten, weil die Quelle dieser Einnahmen Differenzialrenten sind, die ausschließlich durch natürliche Produktivität der Ressourcen entstehen, auf die ein Anspruch für die gesamte Menschheit grundsätzlich moralisch begründet und politisch im Konsens- und Kooperationsprozess erstritten werden kann.

* Politische Umsetzung

Je konsequenter ein Reformprojekt, desto stärker der Wind, der den Reformprotagonisten ins Gesicht blasen wird. Alle Akteure, die tatsächlich oder vermeintlich dadurch an Einnahmen, Einflussmöglichkeiten und Macht verlieren und auch alle, denen es schwer fällt, den bequemen, weil bisher praktizierten Weg zu verlassen und sich auf die neue Situation einzustellen, alle diese Akteure werden sicherlich nicht untätig bleiben. Somit muss auch und gerade bei der hier vorgeschlagenen Strategie mit vielen Hindernissen gerechnet werden. Andererseits sind die Vorzüge des Konzepts, angesichts dessen hoher Wirksamkeit und ökologischer Gerechtigkeit, der niedrigen Transaktionskosten, der Akzeptanzfähigkeit und Sozialverträglichkeit, der Sicherheit und Konfliktverträglichkeit, der Marktkonformität und Anschlussfähigkeit, so beträchtlich, dass sie für die Mobilisierung einer breiten Allianz von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Gruppen, Unternehmen und Gewerkschaften hinreichend mit kooperativ erzielbaren Win-win-Anreizen eine durchaus realistische Perspektive eröffnen dürfte. Die Staaten mit den größten ökonomischen Anreizen und dem stärksten moralischen Pflichtbewusstsein im Menschheitsinteresse müssten daher die Vorreiterrolle übernehmen. Die kurzfristigen Verlierer können sich, trotz anfänglichen Widerstandes, unter dem wachsenden Legitimationsdruck der Weltgemeinschaft und auch dem der eigenen Bevölkerung einem in Gang gekommenen Klimaschutzprozess langfristig nicht verschließen. Zu der ersten Ländergruppe gehören vor allem die kleinen Inselstaaten und Entwicklungsländer ohne fossile Rohstoffe, EU, Japan, einige OPEC-Staaten und Russland. Und zu der zweiten Ländergruppe gehören vor allem die USA und Saudi Arabien. Der durch Barak Obama herbeigeführte Stimmungswechsel in den USA belegt, dass selbst in diesem schwerfälligen Staat Überraschungen durchaus möglich sind.

Prof. Dr. Mohssen Massarrat war bis zu seiner Emeritierung 2007 Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der Universität Osnabrück. Letzte Buchveröffentlichung: Kapitalismus, Machtungleichheit, Nachhaltigkeit. Perspektiven Revolutionärer Reformen, VSA: Hamburg 2006.

Veröffentlicht: 19.10.2008 und 22.10.2008.

Hinweis: Es handelt sich um den gekürzten und für W&E erneut bearbeiteten Auszug aus einem Aufsatz des Verfassers, der erschienen ist in: Elmar Altvater/Achim Brunnengräber (Hg.), Ablasshandel gegen Klimawandel? Marktbasierte Instrumente in der globalen Klimapolitik und ihre Alternativen, VSA: Hamburg 2008. Bezug: Buchhandel.

Empfohlene Zitierweise: Mohssen Massarrat, Ein angebotsreguliertes, kooperatives Klimaregime (I+II). Ein Vorschlag für Kyoto II, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 19.10.2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)