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Ein New Deal gegen die globale Unsicherheit

Artikel-Nr.: DE20080713-Art.-19-2008

Ein New Deal gegen die globale Unsicherheit

UN für Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik

Der Optimismus weicht der Angst, und die Hoffnung schwindet, dass es Dank des beschleunigten Wachstums im Süden einen Durchbruch bei der Zurückdrängung der Armut geben könnte. Auch in den fortgeschrittenen Industrieländern wird wirtschaftliche Unsicherheit mehr und mehr mit Ungleichheit, Verschuldung und Sozialabbau assoziiert – so das neue World Economic and Social Survey (WESS) der UNO (s. Hinweis). Rainer Falk stellt den Bericht vor.

Die diesjährige Ausgabe des WESS behandelt ein großes Spektrum globaler Unsicherheiten, darunter die zunehmenden Wetterunbilden und Naturkatastrophen oder den Klimawandel. Gegenstand des Reports ist auch die Unsicherheit, die sich für das Leben in von Bürgerkriegen heimgesuchten Ländern ergibt, die im historischen Vergleich länger und zerstörerischer werden. Doch das Schwergewicht des Surveys liegt auf der zunehmenden wirtschaftlichen Unsicherheit und wie ihr begegnet werden kann.

Sich selbst überlassen, so argumentieren die Ökonomen der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (DESA), liefern die Märkte nicht das wünschenswerte Niveau an wirtschaftlicher Sicherheit. Notwendig seien daher Maßnahmen, die die Ausschläge des Konjunkturverlaufs dämpfen, die Abhängigkeit des wirtschaftlichen Wachstums von Verschuldung und Finanzinstrumenten reduzieren, die makroökonomische Politik an entwicklungspolitischen Prioritäten ausrichten und dem Multilateralismus neues Leben einhauchen. Die Reparatur des Gesellschaftsvertrags ist eine Herausforderung für die Politiker in allen Teilen der Welt, heißt es in dem Bericht.

* Eine neue Welt der Angst

Ein Beispiel für fehlgeleitete Politik sei der Agrarsektor in den Entwicklungsländern, wo der Druck zur Öffnung der Waren- und Finanzmärkte Vorrang vor dem Aufbau einer produktiven Landwirtschaft und der ländlichen Infrastruktur hatte. Dieser Mangel schlage sich nun in wachsender persönlicher und sozialer Unsicherheit nieder, bis hin zu der mangelnden Fähigkeit der Länder, ihre Bürger zu ernähren.

Die UN-Ökonomen empfehlen strategische Interventionen und öffentliche Investitionen für die Landwirtschaft und rufen zugleich zu einer Neubewertung der Industrialisierung auf sowie zu einem ausgewogeneren Verhältnis zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wie dieser Mix gestaltet werden sollte, könne an Hand des bemerkenswerten Erfolgs der Regierungen in Ostasien studiert werden.

Wie Meinungsumfragen kürzlich gezeigt haben, beunruhigt die wachsende Unsicherheit die Öffentlichkeit in Entwicklungs- und Industrieländern gleichermaßen. Und die Angst der Menschen macht sich nun auch in Demonstrationen auf der Straße bemerkbar – angetrieben durch steigende Nahrungsmittel- und Brennstoffpreise. In den Vereinigten Staaten wurde sowohl die finanzielle als auch die öffentliche Unsicherheit durch den Zusammenbruch zweitklassiger Immobilienkredite gespeist, der vor fast einem Jahr begann. Doch die immobilien- und anlagenbesicherten Finanzinstrumente und ihre Vulnerabilität sind nach den UN-Ökonomen nur ein Symptom dafür, dass die Instabilität der Investitionen im Vergleich zum Output schon seit den 1990er Jahren relativ hoch ist, vor allem in Entwicklungsländern, wo sie sich oft negativ auf das Wachstumsmuster auswirke.

* Der Triumph exotischer Finanzinstrumente

„Schulden, Fremdfinanzierung, Beleihungswerte und erwartete Anlagenpreise sind zu den beherrschenden Triebkräften des Wirtschaftszyklus‘ geworden“, heißt es in dem Bericht. Mechanismen, die eigentlich dazu dienen sollten, das Risiko durch Streuung unter den Finanzakteuren zu managen, dienten stattdessen dazu, das Risiko weiter zu verbreiten und führten zur Krise des Immobilien- und Kreditsektors in den Industrieländern, wobei die globalen Aspekte immer deutlicher werden.

Der Triumph der exotischen Finanzinstrumente über produktive Investitionen, so argumentieren die Autoren, wurde auch unterstützt durch das Konzept der sich selbst regulierenden Märkte – „eine fixe Idee des späten 20. Jahrhunderts“. Da diese Idee weitgehend automatisches Wachstum verspricht, wirke sie wie eine verführerische Obsession. Doch bei näherem Hinsehen stelle man fest, das sich Märkte nicht selbst regulieren, so das Survey. Notwendig sei vielmehr neue Aufmerksamkeit für das ganze Spektrum von Institutionen, Regeln, Regulierungen und Normen, von dem effektive Märkte abhängig sind.

Ein sichereres wirtschaftliche Umfeld erfordere deutlich mehr produktive Investitionen, doch trotz aller Rede über das verbesserte Investitionsklima, das mit deregulierten Finanzmärkten und explodierenden grenzüberschreitenden Kapitalflüssen einher gehe, sei der gewünschte Trend nicht eingetreten. Die Investitionsmuster seien – bei steigenden Profiten – einseitig auf den Kauf und Verkauf existierender Anlagen ausgerichtet gewesen.

Nach den WESS-Autoren besteht eines der hervorstechendsten Merkmale ungezügelter Finanzmärkte in ihrer einseitig prozyklischen Ausrichtung. In guten Zeiten mit starker Markttätigkeit nimmt die Aktivität der Investoren zu. Während ein bestimmtes Maß an Finanzinvestitionen Wachstumsprozesse unterstützen und die Entwicklung fördern können, geht mit quantitativ umfangreichen Transaktionen die Gefahr der Inflation, der Marktverzerrung und der Destabilisierung einher. Wenn sich einmal ein negativer Trend eingestellt hat, fließt das Kapital genau so schnell (oder sogar noch schneller) wieder ab, wie es gekommen ist.

Die DESA empfiehlt, dass die Regierungen generell stärker auf antizyklische Maßnahmen zurückgreifen und in Boomzeiten Rücklagen bilden, mit denen sie die Wirtschaftstätigkeit in Zeiten des Rückgangs stimulieren können. Solche Maßnahmen erfordern effektive institutionelle Unterstützung und zusätzliche Regeln für Haushaltsdisziplin und Schuldenmanagement. Prozyklische Finanzflüsse neigen ebenfalls dazu, die Volatilität der Rohstoffpreise zu verstärken. Ein Beispiel dafür ist der jüngste Preisanstieg bei Rohstoffpreisen im Ergebnis der starken Nachfrage aus China, der den exportierenden Ländern, vor allem in Afrika und Lateinamerika geholfen hat, ihr Wachstum zu steigern. Dennoch bleibe die Preisvolatilität bei Rohstoffen eine Quelle der Instabilität, heißt es in dem Bericht.

Das Management von Rohstoffbooms halten die Autoren für besonders schwierig, wobei Abschwünge dauerhafte Schäden anrichten können. Darüber hinaus übe der jüngste Anstieg bei Treibstoff- und Nahrungsmittelpreisen Druck auf die Inflation aus und schränke das Einkommen der Haushalte ein. In dem Maße, wie die globale ökonomische Integration voranschreite, hänge die Maximierung von Vorteilen und die Minimierung von Risiken von der Fähigkeit der Länder ab, eine dynamische, auf Innovation, Upgrading und Diversifikation basierende Wettbewerbsposition zu entwickeln.

* Zurück in die Zukunft: Neubewertung des Multilateralismus

Eine Maßnahme, die viele Entwicklungsländer ergriffen haben, um sich selbst vor der Volatilität der Finanzflüsse und Rohstoffmärkte zu schützen, besteht in der Ansammlung ausländischer Währungsreserven als eine Art Selbstversicherung. Da diese Ersparnisse jedoch zu einem großen Teil brach liegen, sind damit nach Schätzungen des Berichts für die Länder Kosten von rund 100 Mrd. Dollar jährlich verbunden. Die Autoren empfehlen, die ausländischen Reserven stärker in produktiveren Staatsfonds (SWF) anzulegen und diese Fonds für direkte Investitionen in Entwicklungsprojekte in anderen Entwicklungsländern zu nutzen.

Während heimische Regierungen nach Wegen suchen, Schocks zu vermeiden und Sicherheit zu gewährleisten, kann die internationale Zusammenarbeit das effektivste Mittel sein, um die wirtschaftliche Sicherheitsagenda voranzubringen. Der Bericht ruft u.a. zu verstärkten Anstrengungen in folgenden Bereichen auf:

* Erneuerung des Bretton-Woods-Systems: Verbesserung der Ausgleichsmechanismen, um externen Schocks zu begegnen; Unterstützung für antizyklische makroökonomische Maßnahmen und stärkere globale Finanzregulierung; partizipativere Politikkoordination.

* Neubewertung der Marshall-Plan-Idee: Eine effektivere Entwicklungshilfe-Architektur, die das nationale Ownership Ernst nimmt und die Prioritäten und Kapazitäten vor Ort unterstützt.

* Wiederbelebung des New Deals auf globaler Ebene: Die Weltbank hat zu einem New Deal für die Landwirtschaft aufgerufen und will eine Handelsliberalisierung für Agrarprodukte und mehr Investitionen in die Landwirtschaft. Doch wie bei der politischen Antwort auf die Große Depression des 20. Jahrhunderts ist heute Handeln gefragt, um den Missbrauch von Marktmacht zu stoppen und die Last externer Schocks besser zu verteilen.
R.F.

Hinweis:
* UN Department of Economic and Social Affairs, World Economic and Social Survey 2008: Overcoming Economic Insecurity, 202 pp, United Nations: New York 2008. Available at: www.un.org/esa/policy/wess/

Veröffentlicht: 13 Juli 2008

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Ein New Deal gegen die globale Unsicherheit. UN für Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Hintergrund Juli 2008, Luxemburg, (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)