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Engendering der OECD-Entwicklungsarchitektur?

Artikel-Nr.: DE20081002-Art.36-2008

Engendering der OECD-Entwicklungsarchitektur?

Hängepartie Geschlechtergerechtigkeit

Nur im Web – Die aktive und bedeutungsvolle Beteiligung der internationalen Zivilgesellschaft an dem kürzlich in Accra zu Ende gegangenen Überprüfungsprozess zur Wirksamkeit in der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) ist durchaus als dessen herausragendes Qualitätsmerkmal anzusehen. Dabei hatten NGOs des Südens und globale Netzwerke erst spät, d.h. während des Weltsozialforums in Nairobi im Januar 2007, begonnen, ihre kritischen Positionen zur Reformagenda der Gebermodalitäten zu formulieren. Aus Accra berichtet Birte Rodenberg.

Mit der Gründung der International Civil Society Steering Group for the Accra High Level Forum (ISG) bekam ein zunächst loses Netzwerk internationaler entwicklungspolitischer Organisationen einen strategisch-klugen Kopf. Das ISG begleitete zum einen die offiziellen, von der DAC Working Party on Aid Effectiveness durchgeführten Multistakeholdertreffen kritisch, zum anderen trug es dafür Sorge, dass die von den Gebern klein gehaltene Anzahl der zivilgesellschaftlichen VertreterInnen während der offiziellen Konferenz auf ein halbwegs repräsentables Maß von rund 80 NGOs anwachsen konnte.

* Technokratische Hilfearchitektur

Vertreterinnen internationaler Frauenrechtsorganisationen waren am Accra-Prozess und an dessen Koordinierungsgremien maßgeblich beteiligt. Insbesondere die Frauenrechtsorganisation AWID, die Zusammenschlüsse von Südfrauen DAWN und FEMNET sowie das europäische Netzwerk WIDE haben immer wieder die eklatante Schwäche der Paris-Erklärung und der vorläufigen Accra-Dokumente herausgestellt. Weder war anfangs das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit hinreichend adressiert worden, noch sind die technokratischen Ansätze und makro-ökonomischen Instrumente der neuen OECD-Hilfearchitektur nur halbwegs geeignet, politische und finanzielle Handlungsspielräume von lokalen Frauenorganisationen zu erweitern, damit sie sich für verbesserte Lebensbedingungen, Chancen und Rechte effektiv einsetzen können.
Mit Blick auf die Prinzipien der Paris Agenda – die Harmonisierung von Geberprogrammen und Ausrichtung an den Prioritäten der Partnerländer (z.B. an den nationalen Armutsstrategien), die Rechenschaftspflicht und Ergebnisorientierung von EZ – haben rund 200 Frauenorganisationen im Vorfeld der Accra-Konferenz zentrale Forderungen an die Geber und nationale Regierungen aufgestellt:

* Eigenverantwortung

Erstens sollten im Sinne einer demokratischen und geschlechtergerechten Eigenverantwortung der Länder die politischen Räume und Möglichkeiten für VertreterInnen von Frauenrechten in den nationalen Frauenfördereinrichtungen gestärkt werden, um Frauen an den Prozessen zur Schwerpunktsetzung auf allen Ebenen entscheidungsrelevant zu beteiligen. Jede Art politischer Konditionalität ist zu beseitigen, da sie dem Prinzip der Eigenverantwortung und dem Recht auf Entwicklung widersprechen. Darunter fallen auch die von progressiven Gebern gern gerechtfertigten sog. „positiven Konditionalitäten“, die von den Partnerländern Bemühungen zur Gleichberechtigung der Geschlechter einfordern, bevor Kredite bewilligt werden. Stattdessen sollten sowohl eine gegenseitige Rechenschaftspflicht und Transparenz im öffentlichen Finanzmanagement als auch die Beteiligung verschiedener politischer Akteure gefördert werden, so dass Regierungen von der eigenen Zivilgesellschaft in die Pflicht genommen werden können, die von ihnen unterzeichneten internationalen Vereinbarungen und Menschenrechtsstandards einzuhalten.

* Rechenschaftslegung

Ganz in diesem Sinne zielt ein zweiter Forderungskomplex auf die unzulänglichen Mechanismen der Rechenschaftslegung ab. Anstelle der geberdominierten Monitoring-Verfahren, die auf quantitativen Indikatoren der Weltbank beruhen, sollten Entwicklungsergebnisse mit Bezug auf Menschenrechtsstandards und (völkerrechtlich) verbindliche Konventionen, allen voran der Anti-Diskriminierungskonvention CEDAW, der UN-Konvention 1325, der Pekinger Aktionsplattform, aber auch der erweiterten Indikatoren zur Umsetzung der Millenniumsziele, überprüft werden. Nur so werden auch die Fortschritte nachvollziehbar, die ein Land in Bezug auf das Ziel Geschlechtergerechtigkeit macht.

Der Trend zur Vereinheitlichung nach dem Pariser Geberschema kann jedoch für einzelne Länder auch Rückschritte bedeuten. So hat beispielsweise Kambodscha für seinen nationalen Prozess zur Umsetzung der MDGs die Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen priorisiert. Eine Überprüfung der Fortschritte nach den Vorgaben der OECD könnte aber die erfolgreichen Bemühungen des Landes und der Zivilgesellschaft in diesem für Frauenrechte und die Gesamtentwicklung zentralen Bereich gar nicht erfassen.

Auch wenn ODA-Mittel gegenüber privaten Kapital- und Devisenströmen nur noch einen kleinen Teil am Nord-Süd-Transfer ausmachen, sind sie für die Haushalte und damit für die Förderung von Geschlechtergerechtigkeit in armen Ländern von großer Bedeutung. In den Jahren 2005/2006 belief sich die OECD-Fördersumme von Gender-Projekten bei 16 DAC-Mitgliedern auf jährlich 8,5 Mrd. US-Dollar (gegenüber einem Gesamtaufkommen der ODA aller DAC-Länder von knapp 54 Mrd. US-Dollar). Dabei entfallen zwei Drittel der bilateralen Hilfe für Gender auf Gesundheits- und Bildungsprojekte. Hingegen ist seit einigen Jahren weltweit ein substantieller Rückgang finanzieller Ressourcen a) für genderspezifische und Frauenrechtsmaßnahmen und b) für die oft marginalisierten nationalen Frauenfördereinrichtungen (national machineries) zu verzeichnen.

* Modalitäten

Vor diesem Hintergrund zielt ein dritter Forderungskomplex auf die Vergabemodalitäten der Geber und das öffentliche Finanzmanagement der Regierungen ab, so dass die programmierbare Entwicklungshilfe auch für das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit wirksam werden kann. Frauenorganisationen fordern anstelle einer vollständigen Ausrichtung auf direkte Budgethilfe weiterhin eine Mischung verschiedener Finanzierungsmechanismen, mit denen nicht nur die Querschnittsaufgabe Gender Mainstreaming, sondern auch spezifische Maßnahmen zur Förderung von Frauenrechten und Empowerment unterstützt werden. Dies sollte auch über eine verlässlichere Geberfinanzierung von multilateralen Programmen und den UN-Kernfonds geschehen. Darüber hinaus ist die Finanzierung der öffentlichen Hand die wichtigste Quelle für eine geschlechtergerechte Entwicklung im Land. Um sicherzustellen, dass das Geld auch dort ankommt, wo es für eine geschlechtergerechte Entwicklung benötigt wird, müssen Gender Responsive Budget-Initiativen gestärkt werden. Als derzeit effektivstes Policy-Instrument einer transparenten öffentlichen Finanzverwaltung sollte ihre Unterstützung in nationale Entwicklungspläne verbindlich aufgenommen werden.

* Gender in der AAA unterbelichtet

Auch wenn der Selbstorganisationsprozess der Frauen- und anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen in Accra Früchte getragen hat und ihre Stimmen von den Regierungen gehört wurden – im Ergebnis entspricht die Accra Agenda for Action (AAA) nicht dem Anliegen einer geschlechtergerecht wirksamen Entwicklungszusammenarbeit.

Zwar waren die zivilgesellschaftlichen Organisationen, Frauen eingeschlossen, dahingehend erfolgreich, dass sich Geber und nationale Regierungen nunmehr verpflichten, ihre Politiken und Hilfsprogramme in Übereinstimmung zu internationalen Verpflichtungen zu gestalten. Menschenrechte und die Gleichberechtigung der Geschlechter werden darin als wesentliche Pfeiler einer armutsorientierten Entwicklungshilfe anerkannt – ein wichtiger Schritt in Richtung einer wirksamen Entwicklungsagenda (development effectiveness), die sich an der Achtung internationaler Menschenrechtsstandards, sozialer Gerechtigkeit und politischer Transparenz orientiert.

Mit direktem Gender-Bezug findet sich in der AAA konkret nur noch die Ankündigung, für Entwicklungsstrategien zukünftig geschlechtsspezifisch disaggregierte Daten einzubeziehen – eine alte, schon in der Aktionsplattform von Peking festgelegte Selbstverpflichtung, die nichts darüber aussagt, ob diese Daten auch für das Anliegen Geschlechtergerechtigkeit ausgewertet werden.
Auch bringen die wenigen anderen Errungenschaften in der AAA nur sehr begrenzt Fortschritte für Geschlechtergerechtigkeit. So bedeuten z.B. die Aufwertung der Parlamente durch Ausweitung ihrer Kontrollfunktion und der Vorrang der demokratischen Rechenschaftspflicht gegenüber Parlamenten und Bürgern bei der Verwendung öffentlicher Ressourcen nicht „automatisch“, dass auch Geschlechterinteressen vertreten werden – so lange allein der Anteil von Frauen an nationalen Parlamenten im weltweiten Durchschnitt bei rund 18 % liegt (Stand: Juli 2008).

* Finanzierung

Im Accra-Prozess waren sich alle zumindest in einem grundlegenden Punkt einig: Die Erhöhung der Entwicklungshilfe ist ohne Wert, wenn die Verteilungsstrukturen nicht wirksamer genutzt werden können. Für die internationalen und lokalen Frauenorganisationen, deren Forderungen in Accra nicht erfüllt wurden, aber auch weit über Accra hinausweisen, kommt es nun, auf dem Weg nach Doha, darauf an, den Umkehrschluss zu vertreten: Ohne eine verlässliche Finanzierung von Geschlechtergerechtigkeit kann Entwicklungshilfe die Lebensbedingungen von Frauen und Männern nicht wirkungsvoll verbessern.

Dr. Birte Rodenberg ist Soziologin und freie entwicklungspolitische Gutachterin. In Accra war sie als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats von terre des hommes.

Hinweis:
* Women’s Forum Statement: Recommendations for Action on Development Effectiveness in Accra and beyond, Accra, 30. August 2008. Dokument im Wortlaut unter: www.aefgh.org/.

Veröffentlicht: 2.10.2008

Empfohlene Zitierweise: Birte Rodenberg, Engendering der OECD-Entwicklungsarchitektur? Hängepartie Geschlechtergerechtigkeit, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 20.10.2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).