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G192 in Doha: Was steht auf dem Spiel?

Artikel-Nr.: DE20081122-Art.48-2008

G192 in Doha: Was steht auf dem Spiel?

Vorschau auf die 2. FfD-Konferenz der UNO

Nur im Web – Regierungen aus der ganzen Welt werden in Doha/Katar zusammenkommen, wenn Ende dieser Woche, vom 29. November bis 2. Dezember 2008, die zweite Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung (FfD: Financing for Development) stattfindet. 40 bis 50 Staats- und Regierungschefs werden erwartet. Doch das Forum im Rahmen der Vereinten Nationen ist in Wirklichkeit eine Plattform, auf der alle 192 UN-Mitgliedsstaaten gleichberechtigt agieren können. Die Lage am Vorabend analysiert Rainer Falk.

Unter inhaltlichen Gesichtspunkten hätte die Konferenz zu keinem besseren Zeitpunkt stattfinden können. Denn in der Agenda des FfD-Prozesses ist bereits die Anerkennung der Tatsache enthalten, dass strukturelle Mängel im internationalen Finanzsystem die Menschen in vielen Entwicklungsländern um die Vorteile von Wachstum und Entwicklung bringen. Nach nunmehr über eineinhalb Jahren konkreter Erfahrungen mit einer akuten Finanzkrise, die in den Metropolen der Weltwirtschaft ihren Ausgang nahm, gilt dies umso mehr.

* Die Finanzkrise im Süden

Erst dieser Tage hat die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wieder Zahlen veröffentlicht, die verdeutlichen, wie sehr auch der Süden von dieser Krise betroffen ist. Danach werden die Finanzflüsse allein in 30 Schwellenländer, einschließlich der sog. BRICs (Brasilien, Russland, Indien, China), zwischen 2007 und 2009 um mehr als 30% zurückgehen. Die Portfolioinvestitionen (in Aktienkapital) sind bereits negativ und werden weiter (von jetzt -6 Mrd. auf -20 Mrd. US-Dollar) schrumpfen, während sich die private grenzüberschreitende Kreditgewährung 2009 gegenüber 2007 halbieren wird.

Diese hohe Empfindlichkeit gegenüber internationalen Kapitalbewegungen hängt unmittelbar mit einer dramatischen Veränderung der Zusammensetzung der internationalen Kapitalflüsse in die Entwicklungsländer zusammen (s. Grafik). Seit Anfang des Jahrzehnts sind diese nämlich nicht nur absolut gestiegen. Verschoben haben sich die Anteile vor allem zugunsten der privaten Gläubiger und der Aktienanleger. Der Anteil der ausländischen Direktinvestitionen (FDI), die 2007-2009 nach diesen Schätzungen nur um 7% abnehmen sollen, ist demgegenüber stark zurückgegangen. Zugenommen hat also vor allem die Abhängigkeit der Entwicklungsländer von – wenn nicht direkt spekulativen, so doch – hochgradig volatilen und/oder verschuldungsintensiven ausländischen Kapitalformen, was sich in der akuten Finanzkrise massiv bemerkbar macht.

Zusammensetzung der Finanzflüsse in den Süden


Die nackten Zahlen lassen nicht unmittelbar erkennen, dass sich die Zahl der arbeitenden Menschen, die mit weniger als einem Dollar pro Tag auskommen müssen, bis Ende 2009 weltweit um 40 Millionen erhöhen wird, wie die ILO prognostiziert, und die Anzahl derjenigen, die mit weniger als zwei Dollar überleben müssen, sogar um 100 Millionen.

* Die Doha-Agenda

Die Agenda des FfD-Prozesses beruht auf dem sog. Monterrey Consensus, der 2002 auf der ersten UN-Konferenz zur Entwicklungsfinanzierung in Monterrey/Mexiko angenommen worden war und der Verpflichtungen in folgenden sechs Bereichen enthält: Mobilisierung heimischer Ressourcen, ausländische Direktinvestitionen, internationaler Handel, Finanzielle und Technische Zusammenarbeit (Entwicklungshilfe) sowie systemische Fragen. Letztere sind jetzt natürlich noch aktueller als vor sechs Jahren. Aber auch die Bekräftigung der finanziellen Verpflichtungen im Bereich der Entwicklungsfinanzierung wäre in der gegenwärtigen Situation von nicht zu unterschätzender Bedeutung. In Doha werden die Regierungen reflektieren müssen, wie weit sie bei der Umsetzung dieser Verpflichtungen bekommen sind. In Vorbereitung ist ein Outcome-Dokument, das darüber hinaus die Orientierungen für die nächsten Jahre festlegen soll.

Bei der Doha-Agenda geht es also hochgradig um Fragen der Umverteilung und der Neujustierung der globalen Finanzstrukturen in einem entwicklungsfördernden Sinne. Die international agierenden NGOs, die in großer Zahl in Doha vertreten sein werden, sehen freilich viele Anzeichen dafür, dass die Regierungen kaum in der Lage und bereit sein werden, die entscheidenden Reformen zur Überwindung des existierenden ungerechten Finanzsystems zu beschließen. Dies hat auch damit zu tun, dass die Konferenz unter demselben Handicap steht wie der G20-Gipfel Mitte November in Washington: Die Haltung der US-Delegation wird mehr von Blockademotiven dominiert sein als von Konzessionsbereitschaft – unter diesem Aspekt also ein schlechter Zeitpunkt.

* Der Verhandlungsprozess

Insgesamt hielt sich das Engagement der Industrieländer, auch der Europäischen Union, im Doha-Vorbereitungsprozess sehr in Grenzen. Während sich die Europäer relativ schnell zusammenrauften, um auf dem G20-Gipfel mit einer eigenen Agenda aufzutreten, verabschiedeten sie verspätet, nur zwei Wochen vor der Doha-Konferenz, ihre gemeinsamen Position zu FfD. Eine Woche vor Doha noch unklar, welcher europäische Staatschef überhaupt in das arabische Emirat fahren würde. Andererseits dürften diverse Präsidenten aus den Schwellenländern, etwa Lula, die eine große Rolle in der G20 spielen, auch in Doha präsent sein.

Seit Monaten rangen die Regierungen in New York einmal pro Woche um das geplante Outcome-Dokument, ohne dass das bislang zu einem Ergebnis geführt hätte. Die Verhandlungen gingen im regelrechten Schneckentempo voran, so dass völlig unklar ist, zu welcher Übereinkunft es in Doha kommen wird. Im einzelnen:

* Japan, die USA, Kanada, Australien und Neuseeland (JUSCANZ) haben sich zu einer unrühmlichen Koalition zusammengefunden, die bislang alle substanziellen Verhandlungsfortschritte blockiert hat.

* Die Mitgliedsländer der EU sind vor allem in Steuerfragen traditionell uneins, was beispielsweise alle Initiativen in die Richtung neuer, innovativer Finanzierungsinstrumente von vorneherein erschwert. Obwohl die EU sich selbst gerne als Vermittlerin zwischen JUSCANZ und der G77 (Entwicklungsländer) gesehen hätte, hat sie sich in Wirklichkeit mehr und mehr von den Positionen der G77 entfernt.

* Die G77 lehnen es konsequenterweise ab, sich auf die halbherzigen Versprechen der Europäer einzulassen. Nachdem sie aus dem Kontext des G20-Gipfels in Washington konsequent ausgeschlossen wurden, ist es offen, ob sie diesen faktischen G192-Gipfel (von allen UN-Mitgliedsländern) als Chance ansehen und zu Kompromissen mit dem Norden bereit sind oder aber letztlich nach dem Motto „Kein Deal ist besser als ein schlechter“ verfahren werden.

* Kernforderungen der Zivilgesellschaft

Inzwischen wird es immer unwahrscheinlicher, dass die Regierungen, wie ursprünglich gehofft, noch vor Doha einen Konsens erreichen, so dass die Verhandlungen auf der Konferenz selbst weitergehen dürften. Geht es nach den NGOs, so sollten die Regierungen in Doha mindestens folgende Beschlüsse fassen:

* Bekräftigung der Entwicklungshilfe-Versprechen durch die Industrieländer und Festlegung auf Zeitpläne, wie die Erhöhung der ODA bis 2015 auf 0,7% des Bruttonationaleinkommens erreicht werden soll. Gezügelt werden muss in jedem Fall die große Versuchung, die Entwicklungshilfe unter dem Eindruck der Finanzkrise zurückzufahren.

* Bekämpfung illegaler Finanzflüsse und Steueroasen, aufgrund derer den Entwicklungsländern pro Jahr Finanzmittel in Höhe von 500 bis 1.000 Mrd. US-Dollar entzogen werden. Konkrete Beschlüsse in diesem Zusammenhang könnten sein:
- Ein Verhaltenskodex zur Zusammenarbeit im Kampf gegen internationale Steuerflucht und –vermeidung;
- Einrichtung eines Berichtssystems für Transnationale Unternehmen, die die Transparenz zu steigern und das Transferpricing zurückzudrängen;
- Stärkung des Steuerausschusses der UN und Aufwertung zu einer zwischenstaatlichen Instanz.

* Anerkennung, dass die Verschuldung immer noch ein Problem für die Entwicklungsländer ist, das sich im Zuge der aktuellen Krise sogar verschärft hat. Die Regierungen sollten die Einrichtung eines internationalen fairen und transparenten Lösungsmechanismus für verschuldete Länder auf den Weg bringen, der von einer geteilten Verantwortung zwischen Gläubigern und Schuldnern ausgeht.

* Übereinkommen über die Ingangsetzung eines inklusiven und transparenten Prozesses zur Überholung der globalen Finanzarchitektur, der Schnellschüsse à la G20-Gipfel vermeidet und eine wirkliche Reform der internationalen Finanzinstitutionen im Sinne voller Teilhabe der Entwicklungsländer bringt. Neue Finanzmarktregulierungen sollten darauf abzielen, dass die Finanzmärkte künftig im Interesse aller funktionieren.

* Fazit:

Für viele ist die Doha-Konferenz vor dem Hintergrund der aktuellen Finanzmarktentwicklungen so etwas wie ein „Fenster der Gelegenheiten“. Wenn die Regierungen in der Lage waren, in kürzester Zeit das Geld für Bailout-Pakete in Höhe von 3 Billionen Dollar zu mobilisieren – 30 mal so viel wie 2007 an Entwicklungshilfe floss – müssten substanzielle Fortschritte auch auf dem Gebiet der Entwicklungsfinanzierung möglich sein. Andererseits sind Krisenzeiten auch immer Zeiten, in denen vielen das Hemd näher als der Rock ist.

Auf der anderen Seite ist inzwischen hinlänglich klar, dass ein bloßes Wachstum der Kapitalflüsse nicht notwendigerweise zu Wachstum für die Armen führt, sondern im Gegenteil mit wachsender Ungleichheit einhergehen kann oder sogar wird. Entwicklungshilfe wird in wachsendem Maße nur als ein Weg zur Lösung der Entwicklungsprobleme gesehen – wichtiger jedoch wäre ein umfassenderer, systemischer Wandel der globalen ökonomischen Governance-Strukturen. Gerade das ist die vielleicht wichtigste Chance der Doha-Konferenz, deren Ansatz über einen engen entwicklungspolitischen Blickwinkel weit hinausgeht.

Veröffentlicht: 22.11.2008

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, G192 in Doha: Was steht auf dem Spiel? Vorschau auf die 2. FfD-Konferenz der UNO, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), 22.11.2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)