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Mit Arcandor auf Du und Du?

Artikel-Nr.: DE20080828-Art.-29-2008

Mit Arcandor auf Du und Du?

Die CSR-Rhetorik auf dem Prüfstand

Vorab im Web - Manche Konzerne müssen von Zeit zu Zeit ihren Namen und ihr Image wechseln. Ein Dossier der Arcandor AG (früher: KarstadtQuelle) und der entwicklungspolitischen Zeitschrift welt-sichten schilderte im letzten Juni auf 24 Seiten in leuchtenden Farben die Sichtweise des Konzerns auf seine Politik der weltweiten Sozialverantwortung (CSR) und des Umweltschutzes. Das rosige Bild steht in schroffem Gegensatz zu den Erfahrungen der Kampagne für Saubere Kleidung und anderer Initiativen. Eine Bilanz von Ingeborg Wick.

Der „Blick hinter die Kulissen“ (welt-sichten-Dossier 6/2008) vermittelt idyllische Eindrücke von der verantwortungsvollen und erfolgreichen Tätigkeit der Arcandor-MitarbeiterInnen, die sie mit den unterschiedlichsten PartnerInnen – etwa der Näherin auf dem Titelfoto – harmonisch zusammenführt. Leider hat die Redaktion darauf verzichtet, zu diesem brisanten gesellschaftspolitischen Thema Gegenstimmen zu Wort kommen zu lassen – ein nicht nur journalistisch, sondern auch politisch fragwürdiges Vorgehen. Dabei mangelt es nicht an fundierter Kritik an Konzept und Praxis einer freiwilligen sozialen Selbstverpflichtung von Unternehmen wie Arcandor.

* Textilunternehmen in den Schlagzeilen

Durch die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen des Hongkonger Asia Monitor Resource Centers und des deutschen SÜDWIND-Instituts für Ökonomie und Ökumene über Arbeitsrechtsverletzungen bei einem chinesischen Bekleidungslieferanten geriet Karstadt erstmalig im Jahr 1997 in die Schlagzeilen. Als führender deutscher und europäischer Textileinzelhändler war Karstadt seit den 1970er Jahren dem globalen Trend einer wachsenden Beschaffung aus Entwicklungsländern gefolgt. Die Internationalisierung der Textil- und Bekleidungsproduktion, die durch das Quotenregime des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) beschleunigt wurde, war von einer systematischen Außerkraftsetzung von Arbeits- und Sozialrechten begleitet, da diese vor allem in Freien Exportzonen und in der informellen Wirtschaft angesiedelt wurde.

Seit Anfang der 1990er Jahre hatten multinationale Unternehmen wie Nike, Reebok, H&M und C&A auf öffentliche Kritik von NGOs und Gewerkschaften in den USA, in Australien und Europa an ihrer Beschaffungspraxis mit der Verabschiedung von Verhaltenskodizes reagiert. Mit diesen Selbstverpflichtungen erklärten sie sich generell für Arbeitsbedingungen bei globalen Zulieferern verantwortlich. Anhaltende Kampagnen führten dazu, dass einige Unternehmen die inhaltliche Substanz, die Reichweite in weltweiten Beschaffungsnetzen und Kontrollverfahren von Kodizes fortentwickelten.

* Knackpunkt unabhängige Kontrolle

Nicht so jedoch Karstadt, das weniger im Fokus der Aktivitäten der Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign = CCC) stand als z.B. die Markenunternehmen adidas und Nike, die als Einkäufer in Zulieferbetrieben leichter identifizierbar und dadurch angreifbarer waren. Dennoch kam es zu weiteren Veröffentlichungen über Missstände bei Textilzulieferern von Karstadt in Indonesien, China und Bangladesch sowie zu Gesprächen mit Karstadt, denen jedoch keine konkreten Pilotprojekte mit der CCC wie in anderen europäischen Ländern folgten. Wohl wurde das Unternehmen in der Behandlung einzelner Konfliktfälle gelegentlich aktiv: So sagte es nach einer monatelangen weltweiten Kampagne die Summe von 100.000 € für einen Entschädigungsfonds zu, aus dem die Opfer der eingestürzten Fabrik Spectrum in Bangladesch – eines Lieferanten von KarstadtQuelle – unterstützt werden sollen, bei der 2005 insgesamt 64 Menschen getötet und 80 verletzt worden waren.

Der im Jahr 2000 veröffentlichte Verhaltenskodex von Karstadt blieb jedoch inhaltlich hinter den Standards anderer Unternehmen und Kontrolleinrichtungen zurück. Auch weigert sich das Unternehmen bis heute, in einer unabhängigen Kodex-Überprüfungsorganisation Mitglied zu werden. Stattdessen schloss es sich 2004 der Business Social Compliance Initiative (BSCI) an, der heute 159 Unternehmen aus Europa und Hongkong angehören. Diese Initiative will in den Beschaffungsmärkten ihrer Mitgliedsunternehmen auf die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards achten, ohne jedoch eine unabhängige Verifizierung und Partizipation zivilgesellschaftlicher AkteurInnen in den Entscheidungsgremien zu akzeptieren.

* Testfall Runder Tisch Verhaltenskodizes

Am Runden Tisch Verhaltenskodizes, der 2001 in Deutschland von Regierung, Unternehmen, Gewerkschaften und NGOs mit dem Ziel gegründet wurde, Sozialstandards in Entwicklungsländern zu verbessern, und hierfür in Anlehnung an die britische Ethical Trading Initiative (ETI) gemeinsame Projekte durchzuführen, waren u.a. Karstadt und die CCC vertreten. Ein Vorschlag der CCC zu einem Pilotprojekt des Runden Tisches in Indonesien wurde zweieinhalb Jahre lang von den beteiligten Unternehmen hinausgezögert. Auch Karstadt zeigte keine Bereitschaft, seine Zulieferer in das Projekt einzubeziehen. Zudem stellte der Karstadt-Vertreter die Öffentlichkeitsarbeit der CCC als unvereinbar mit deren Mitgliedschaft im Runden Tisch dar. Da die CCC in einem unverbindlichen Austausch über CSR-Aktivitäten von Unternehmen wenig Sinn sah, verließ sie den Runden Tisch mit einer öffentlichen Bilanzierung ihrer vierjährigen Arbeit im November 2004.

* Karstadt räumt Probleme ein

In seinem zweiten Nachhaltigkeitsbericht aus dem Jahr 2005 nennt KarstadtQuelle als Hauptbeschaffungsländer Bangladesch, Bulgarien, China, Indien, Philippinen, Rumänien, Thailand, Türkei und Vietnam. Von 1000 untersuchten Zulieferfabriken, so der Bericht, wurden 446 Fabriken aufgrund von Arbeitsrechtsverletzungen als kritisch eingestuft, und nur in 132 Fällen wurde die Situation als positiv bezeichnet.

* Wettbewerb und soziale Spaltungen

Untersuchungen von Gewerkschaften und NGOs bei globalen Zulieferern von multinationalen Handels- und Markenunternehmen aus den letzten Jahren zeigen neben einigen Verbesserungen eine steigende Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen und eine Schlechterstellung von Beschäftigten. Gründe hierfür sind die Umstrukturierungen des Einzelhandels auf dem liberalisierten Weltmarkt. Im internationalen Wettbewerb sind Einkaufspraktiken der Global Players mit knallhartem Preisdruck und immer kürzeren Lieferfristen, die auf Kosten der Beschäftigten gehen, an der Tagesordnung.

KarstadtQuelle hatte im Herbst 2006 seine gesamte Beschaffung an das Hongkonger Unternehmen Li&Fung ausgelagert, wodurch sich u.a. die Einkaufspreise für Waren um 5-10% verbilligen sollten. Bereits im Mai 2005 hatte KarstadtQuelle im Zuge eines Sanierungsplans Rabatte von seinen Lieferanten verlangt. Bis heute bleibt das Unternehmen Arcandor/Karstadt den Nachweis schuldig, wie seine Einkaufspraktiken mit einer sozialverträglichen Beschaffung verbunden werden.

* Ambivalenz von Verhaltenskodizes

Eine Wirkungsanalyse der ETI von 2006 über Verhaltenskodizes von Unternehmen hat die Ambivalenz dieses Instruments deutlich unterstrichen. Während die Studie einige kodexbezogene Fortschritte in Fabriken – beispielsweise bei Gesundheitsstandards, dem Verbot von Kinderarbeit und betrieblichen Zuschlägen – feststellt, meldet sie keine Erfolge bei der Durchsetzung von Gewerkschaftsrechten und der Nicht-Diskriminierung am Arbeitsplatz. Als ein Hauptergebnis hält die Studie fest, dass Verhaltenskodizes als bewusstseinsstärkendes Instrument erfolgreich waren, eine Veränderung der Arbeitssituation jedoch über eine wirksamere Regierungskontrolle erreicht werden muss.

Während die CSR-Debatte aus der weltweit zunehmenden Kritik an den sozialen Auswirkungen der neoliberalen Globalisierung entstand, zeigt ihre Entwicklung jedoch immer deutlicher in eine andere Richtung. Unternehmen und Regierungen nutzen sie offensiv zu einer Privatisierung von Arbeitsrechten. Neben einer Entzauberung der CSR-Rhetorik setzen sich heute deshalb zivilgesellschaftliche Kräfte wie das Bündnis Corporate Accountability (CorA) oder European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) für eine Stärkung von VerbraucherInnenrechten, des Wettbewerbs- und Kartellrechts oder eine Revision der OECD-Leitsätze für Multinationale Unternehmen ein.

Ingeborg Wick ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin des SÜDWIND-Instituts und Mitglied der Kampagne für Saubere Kleidung.

Veröffentlicht: 27.8.2008

Empfohlene Zitierweise: Ingeborg Wick, Mit Arcandor auf Du und Du? CSR-Rhetorik auf dem Prüfstand, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Nr. 09, Luxemburg, September 2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).