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Rezession und Klimakrise gemeinsam angehen

Artikel-Nr.: DE20081215-Art.50-2008

Rezession und Klimakrise gemeinsam angehen

Die Botschaft von Posen

Nur im Web – Die beiden Krisen von heute – die wirtschaftliche Rezession und die globale Klimakatastrophe – sollten gemeinsam angegangen werden. Die Billionen von Dollars, die für die wirtschaftliche Erholung bereitgestellt werden, sollten in den Kampf gegen den Klimawandel fließen. Das ist eine klare Botschaft. Sie ging von der 14. Vertragsstaatenkonferenz (COP-14) zur UN-Klimakonvention aus, die vom 2. bis 13. Dezember 2008 im polnischen Posen stattfand, schreibt Martin Khor.

Die Wirtschaftskrise sollte die Regierungen nicht davon abhalten, ernsthaft gegen den Klimawandel vorzugehen, sondern im Gegenteil als Chance genutzt werden, um klimarelevantes Handeln zu finanzieren. Die beiden wichtigsten Krisen unserer Zeit – die wirtschaftliche Rezession und die Erderwärmung – wurden in der Eröffnungssitzung des zweitägigen Ministersegments der Konferenz in Posen von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und einigen anderen führenden Politikern angesprochen.

* To big to fail

Wenn die USA und Europa binnen weniger Monate so viele Billionen Dollars zur Rettung ihrer Banken aufbringen können, wird es auch Geld geben, um die Klimakrise zu bekämpfen, die ein weitaus größeres und für das Überleben der Menschheit zentrales Problem darstellt. Dieser Aspekt wurde am engagiertesten von Bharrat Jagdeo, dem Präsidenten Guyanas, vorgetragen. Er warnte vor der um sich greifenden Stimmung, dass die Länder unter den Bedingungen einer Wirtschaftskrise in puncto Klima handlungsunfähig seien. „Wenn aus Europa jetzt das Signal kommt, dass es klimapolitische Verpflichtungen nur in Zeiten der guten Konjunktur übernehmen kann, was werden dann die Entwicklungsländer, einschließlich Indien und China, sagen?”, fragte er. „Einige deuten ängstlich auf die dafür erforderlichen finanziellen Ressourcen, aber wenn der politische Wille vorhanden ist, kann dieses Geld genauso wie die sieben Billionen US-Dollar gefunden werden, mit denen die Finanzkrise bekämpft wird. Uns wird gesagt, die Banken und Finanzinstitutionen müssen gerettet werden, weil sie zu groß sind, um zu scheitern. Doch der Klimawandel ist ein weit größeres Problem, an dem wir erst recht nicht scheitern dürfen.“

UN-Generalsekretär Ban Ki-moon sagte, die Welt sehe sich zwei Krisen gegenüber, der Finanzkrise und der Klimakrise. Er schlug vor, einen großen Teil der Konjunkturprogramme, die die Länder gegen die Rezession planen, in eine grüne Zukunft zu investieren, also gleichzeitig den Klimawandel zu bekämpfen und Arbeitsplätze zu schaffen. Er hob hervor, dass jetzt politische Führungskraft gefragt sei und verwies dabei auf Europa, die USA (wo die neue Administration Energie- und Klimafragen ins Zentrum der Politik rücken will), China (wo ein Viertel des Konjunkturpakets für die Verbesserung der Energieeffizienz und des Umweltschutzes verwendet werden soll) und Indien (mit seinem Klimaplan und der Entwicklung von Wind- und Sonnenenergie). „Das kommende Jahr ist das Jahr des Klimawandels“, sagte Ban. „Die Wirtschaftskrise ist ernst, aber beim Klima steht viel mehr auf dem Spiel, und der Klimawandel gehört ganz oben auf unsere nationalen Agenden. Einen Rückfall darf es nicht geben.“ Er rief die Länder auf, festgefahrene Positionen zu überwinden und mit Schuldzuweisungen aufzuhören oder darauf zu warten, dass sich die anderen zuerst bewegen.

Ringen um den UN-Anpassungsfonds

Erneut gab es in Posen ein Gezerre um den unter dem Kyotoprotokoll vorgesehen Anpassungsfond. Die G77 übten wieder scharfe Kritik an der Rolle der Weltbank und der Globalen Umweltfazilität (GEF) in diesem Fond und verzögerten damit zunächst die Verabschiedung wichtiger Dokumente, um den Fond im nächsten Jahr arbeitsfähig zu machen. Hintergrund war der Streit um die Umsetzung des direkten Zugangs zu Geldmitteln aus diesem Fond. Dies ist ein zentrales Anliegen vieler Entwicklungsländer, die seit Jahren Kritik an den Zugangskriterien zu GEF-Mittel üben.

Der Anpassungsfond wurde bereits 2001 in Marrakesch beschlossen und ist eine neue Institution für Finanztransfers, in der die Entwicklungsländer - anders als bei der GEF - eine Mehrheit haben. Für die Umsetzung des direkten Zugangs zu Finanzen aus diesem Fonds fanden die Vertragsstaaten jetzt eine Einigung. Der Fonds soll einen eigenen Vorstand bekommen, der rechtlich unter dem Dach des Klimasekretariats steht und in dem die Entwicklungsländer Sitz und Stimme bekommen. Dem Ziel, im nächsten Jahr bereits Finanztransfers leisten zu können, ist man damit einen Schritt näher gekommen.

Keine Einigung konnte allerdings hinsichtlich der Aufstockung der Finanzierung sowie der Generierung von Finanzen für den Anpassungsfonds erzielt werden. Inwieweit Schwellen- und Entwicklungsländer sich auf Klimaschutzmaßnahmen einlassen werden, hängt allerding maßgeblich hiervon ab.

RF

Der Premierminister von Tuvalu, Apisai Ielemia, dessen Inselstaat im Pazifik sich mit dem drohenden Untergang infolge des ansteigenden Meeresspiegels konfrontiert sieht, attackierte den Mangel an Fortschritt in Bezug auf den unter dem Kyotoprotokoll vorgesehenen Anpassungsfonds (s. Box). „Wir brauchen diese Gelder jetzt, weil uns der Klimawandel heute schon betrifft“, sagte er. „Doch einige wichtige Industrieländer machen den Anpassungsfonds unzugänglich für die Entwicklungsländer. Das ist völlig inakzeptabel.“

Während die Verhandlungen in Posen noch liefen, kam die schlechte Nachricht vom EU-Gipfel in Brüssel. Dort wurde entschieden, die zulässigen Obergrenzen für die Treibhausgas-Emissionen der europäischen Industrie heraufzusetzen. Unter dem ursprünglichen Schema wurde von den Unternehmen verlangt, ihre Emissionen auf einem bestimmten Level zu halten oder bei dessen Überschreitung im Rahmen des Zertifikatehandels dafür zu bezahlen. Der Brüsseler Gipfel letzte Woche beschloss nun, viele der verschmutzungsintensivsten Industrien von der Zahlungsverpflichtung auszunehmen, nachdem sich Autokonzerne und andere Firmen beklagt hatten, wie schwer sie ohnehin von der Rezession betroffen seien (s. Box).

EU-Gipfel: Kapitulation der Politik

Der Brüsseler Klimabeschluss ist ein Dokument der Kapitulation der Politik vor den Sachwaltern gut organisierter Wirtschaftszweige. Fast die gesamte Schwerindustrie soll noch bis 2020 für die von ihr erzeugten Treibhausgase nichts bezahlen. Zwei Drittel der versprochenen Minderung der Emissionen dürfen durch - zumeist wirkungslose und nicht überprüfbare - Projekte in Entwicklungsländern erbracht werden. In ganz Osteuropa erhalten die längst europaweit tätigen Stromkonzerne einen Freibrief für den Betrieb und Ausbau der extrem klimaschädlichen Kohleverstromung. Und selbst in der Alt-EU darf auf Drängen der deutschen Klimakanzlerin der Bau neuer Kohlekraftwerke mit der Vergabe kostenloser Emissionslizenzen auch nach 2013 subventioniert werden. Damit werden genau jene industriellen Strukturen konserviert, für deren Umbau nach Erkenntnis der Experten des UN-Klimarats nur noch ein Jahrzehnt Zeit ist, wenn der Klimawandel die Menschheit nicht in ein weltweites Chaos stürzen soll.

Dabei sind die Argumente, die diesen Verrat an den kommenden Generationen rechtfertigen sollen, reine Propaganda. Diese läuft darauf hinaus, dass wegen der Wirtschaftskrise im Jahr 2009 der Klimaschutz in der Zeit nach 2013 für mindestens sieben Jahre aufgeschoben wird. Weil damit die Chance auf die rechtzeitige Gestaltung eines nachhaltigen Wirtschaftsmodells verspielt wird, das auch von den Schwellenländern übernommen werden kann, erfährt die Menschheit dann spätestens ab 2050 einen Niedergang, der gut ein Fünftel der gesamten Weltwirtschaft zerstören wird. Das jedenfalls war das Ergebnis der von dem Ökonomen Nicholas Stern im vergangenen Jahr vorgelegten Studie, deren Aus sagen sich fast alle EU-Regierungen ausdrücklich zu eigen machten.

So bahnt sich an der Klimafront das gleiche Politikversagen an, das schon die verheerende Finanzkrise verursacht hat. Wieder ist völlig klar, dass die Fortsetzung des bisherigen Kurses geradewegs in die Katastrophe führt. Und wieder gelingt es den transnationalen Konzernen, die jeweiligen nationalen Regierungen perfekt gegeneinander auszuspielen. Erneut triumphiert so das private, kurzfristige Interesse an der Fortsetzung längst überholter Geschäftsmodelle über den Schutz des langfristigen Gemeinwohls und der Lebenschancen unserer Kinder und Enkel.

Harald Schumann im "Tagesspiegel"

Wichtige Gruppen wie Friends of the Earth, Greenpeace und Oxfam haben diese Entscheidung unverzüglich als Verrat an der klimapolitischen Führungsrolle Europas attackiert. Obwohl Europa bei seinem Reduktionsziel von 20% bis 2020 bleibt, schätzten diese Gruppen, dass die Entscheidung des Gipfels den Unternehmen gestatten wird, bis zu zwei Drittel ihrer gesamten Emissionsverringerungspflicht durch die Finanzierung von Projekten außerhalb der EU zu ersetzen. So wird es auf der heimischen Ebene kaum eine nennenswerte Emissionsreduktion geben.

Die hochtrabende Rhetorik in Posen wurde also durch die politischen Entscheidungen in Brüssel konterkariert. Einen kleinen Schub erhielt das Treffen allerdings durch die Anwesenheit einiger Persönlichkeiten aus dem Umfeld des neuen US-Präsidenten Barack Obama, etwa von Senator John Kerry, der versprach, die neue Administration werde schon bald zu Hause und global klimapolitisch aktiv werden. Gleichwohl kommt der Appetit beim Essen, und wir werden schon bald sehen, ob diese Rhetorik dem realen Handeln der USA entspricht oder nicht und der schlimmste klimapolitische Skeptizismus von Präsident Bush, der jegliches Handeln ablehnte, der Vergangenheit angehört.

Die Verhandlungen von Posen endeten am Samstagmorgen, und viele weitere Treffen werden im nächsten Jahr folgen, darunter ein Treffen des Weltklimarats (IPCC) im Juni in Bonn. Bis zur 15. Vertragsstaatenkonferenz (COP-15) im Dezember in Kopenhagen will man dann einen globalen Deal in der Klimapolitik entscheidungsreif haben.

Martin Khor ist Direktor des Third World Network in Penang/Malaysia.

Veröffentlicht: 15.12.2008

Empfohlene Zitierweise: Martin Khor, Rezession und Klimakrise gemeinsam angehen. Die Botschaft von Posen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), 15.12.2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)