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Staatsfonds aus entwicklungspolitischer Sicht

Artikel-Nr.: DE20080909-Art.-30-2008

Staatsfonds aus entwicklungspolitischer Sicht

Ein Prozent für selbstfinanzierte Entwicklung?

Nur im Web – Ein bemerkenswertes Charakteristikum des internationalen Finanzsystems der letzten zehn Jahre war die rasche und gewaltige Akkumulation von Devisenreserven in den Entwicklungsländern. Laut Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) verdreifachten sich die weltweiten Devisenreserven von 2,1 Billionen Dollar im Dezember 2001 auf  beispiellose 6,5 Billionen Dollar Anfang 2008. Von Stephany Griffith-Jones, José Antonio Ocampo und Pietro Calice.

In diesem Zeitraum häuften die Entwicklungsländer insgesamt über 80% der weltweiten Reserven an, wobei sich der aktuelle Bestand der Marke von 5 Billionen Dollar annähert. Die Hälfte dieser Reserven ist in den Entwicklungsländern Asiens konzentriert, aber auch Lateinamerika und Afrika haben bemerkenswert rasch internationale Vermögenswerte angesammelt. Dieser Bestand an Reserven übertrifft den unmittelbaren Liquiditätsbedarf der Entwicklungsländer und führt zunehmend zur Schaffung und Ausweitung von Staatsfonds, die über zusätzliche Vermögenswerte im Umfang von 3 Billionen Dollar verfügen.

* Wachsende Nettotransfers von Süd nach Nord

Dieser beispiellose Zuwachs bei den Devisenreserven der Entwicklungsländer ist sowohl auf deren Leistungsbilanzüberschüsse als auch auf umfangreiche Nettokapitalzuflüsse zurückzuführen. Diese Reserven der Entwicklungsländer werden praktisch zur Gänze in entwickelten Ländern investiert, wodurch es zu einem wachsenden Nettotransfer von Ressourcen aus den Entwicklungsländern in die Industriestaaten kommt, der laut Angaben der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten (DESA) allein im Jahr 2007 einen Umfang von 720 Mrd. Dollar erreichte.

Obwohl Wirtschaftswachstum und Armutsreduktion in vielen Entwicklungsländern durchaus beeindruckend verliefen, ist doch eine signifikante Erhöhung der Investitionen in Bereichen wie Infrastruktur nötig, um ein derartiges Wachstum auch in Zukunft zu sichern. Wir schlagen vor, dass ein kleiner Teil der gesamten Devisenreserven der Entwicklungsländer – etwa 1% – in die Expansion bestehender regionaler Entwicklungsbanken oder die Schaffung neuer derartiger Institutionen geleitet wird, die dann in Infrastruktur und andere maßgebliche Sektoren investieren.

* Finanzierungslücke bei der Infrastruktur

Investitionen in Infrastruktur sind als entscheidender Faktor zur Erhaltung und Beschleunigung des Wachstums bekannt. Dennoch existiert eine riesige Finanzierungslücke. Laut Weltbank geben Entwicklungsländer jährlich im Schnitt 3 bis 4% ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Infrastruktur aus, obwohl schätzungsweise 7% des BIP nötig wären, um jenen Bedarf im Bereich Infrastruktur zu decken, der zur Aufrechterhaltung des raschen Wachstums nötig ist. Daraus ergibt sich bei derzeitigen Preisen eine jährliche Finanzierungslücke von zumindest 300 Mrd. Dollar.

Die hohen Erwartungen hinsichtlich der Infrastrukturfinanzierung durch den privaten Sektor blieben großenteils unerfüllt. Private Investitionen bleiben sowohl auf gewisse Länder als auch Sektoren begrenzt und konzentriert. Für den Großteil der Finanzierung sind nach wie vor nationale Regierungen verantwortlich. Das Ausmaß offizieller Entwicklungshilfe und multilateraler Bankkredite ist, obwohl durchaus wertvoll, noch immer unzureichend. Große Defizite herrschen bei wichtigen regionalen und grenzüberschreitenden Investitionen, wie beispielsweise der Finanzierung der Energiegewinnung und des Straßennetzes.

* Multilaterale, regionale und lokale Finanzinstitutionen unverzichtbar

Multilaterale Finanzinstitutionen müssen ihre zentrale Funktion in der internationalen Entwicklungsarchitektur, vor allem bei der Finanzierung von Infrastrukturinvestitionen, beibehalten. Dennoch können und sollten regionale und lokale Finanzinstitutionen im Besitz der Entwicklungsländer eine wichtige und wertvolle ergänzende Rolle spielen. In diesen Institutionen haben die Entwicklungsländer mehr Mitspracherechte und Mitverantwortung, sie arbeiten mehr mit Appellen als mit Bedingungen und profitieren von kleineren Informationsasymmetrien.

Außerdem sind regionale und lokale Entwicklungsbanken besonders prädestiniert, regionale öffentliche Güter zur Verfügung zu stellen. Die wachsende Bedeutung der Handelsintegration und regionaler Handelsflüsse macht die Bereitstellung regionaler Infrastruktur zu einem dringlichen Anliegen. Die Erfahrungen Europas bieten in dieser Hinsicht wertvolle Lehren. Die Handelsintegration wurde ursprünglich durch massive Investitionen in regionale Infrastruktur unterstützt, die überwiegend von einer großen, speziell dafür geschaffenen Institution, der Europäischen Investitionsbank (EIB), finanziert wurden.

* Der 1-%-Vorschlag

Würden Entwicklungsländer nur 1% ihrer Devisenreserven dem einbezahlten Kapital regionaler und lokaler Institutionen zuweisen, wäre dies beim gegenwärtigen Bestand an Reserven eine Summe von 50 Mrd. Dollar. Bei einem Verhältnis zwischen Bankkapital zu Krediten von 2,4 – eine Schätzung, die auf den Werten der erfolgreichen und finanziell gesunden Andean Development Corporation beruht – könnten die erweiterten regionalen und lokalen Entwicklungsbanken oder neuen Institutionen eine zusätzliche Kreditkapazität von etwa 120 Mrd. Dollar schaffen.

Mit der Zeit wären sie in der Lage, ihre einbehaltenen Gewinne nutzen, um ihr Kreditpotenzial ohne zusätzliches einbezahltes Kapital zu erhöhen. Damit könnten sie einen wichtigen Teil der noch nicht realisierten Infrastrukturfinanzierung zu übernehmen.

Ausgehend von diesen Berechnungen wäre die zusätzliche Kreditkapazität beträchtlich höher als die derzeitigen Auszahlungen bestehender multilateraler Entwicklungsbanken. Selbstverständlich sind neben Gesprächen mit Regierungen, bestehenden Institutionen, Rating-Agenturen und anderen Akteuren noch eingehendere Berechnungen und Analysen erforderlich.

Durch die Erweiterung und Schaffung neuer regionaler und lokaler Finanzinstitutionen könnten die Entwicklungsländer die Grundlage für ihre eigene gegenwärtige und zukünftige Kreditkapazität schaffen, die ihnen letztlich helfen würde, ihre Entwicklungsziele zu erreichen. Angesichts ihrer enormen Devisenreserven glauben wir, dass der Zeitpunkt für die Lancierung einer derartigen Initiative nun gekommen ist.

© Project Syndicate 2008

Stephany Griffith-Jones ist geschäftsführende Direktorin der Initiative for Policy Dialogue (IPD) an der Columbia University; José Antonio Ocampo war stellvertretender UNO-Generalsekretär und ist nunmehr Vizepräsident des IPD; Pietro Calice ist strategischer Berater bei der britischen Hilfsorganisation Christian Aid.

Hinweis:
* Stephany Griffith Jones/José Antonio Ocampo, Sovereign Wealth Funds: A Developing Country Perspective, Working Paper, 34 pp, Initiative for Policy Dialogue: Columbia University, February 2008. Bezug: über www.policydialogue.org

Veröffentlicht: 9.9.2008

Empfohlene Zitierweise: Stephany Griffith-Jones/José Antonio Ocampo/Pietro Calice, Staatsfonds aus entwicklungspolitischer Sicht. Selbstfinanzierte Entwicklung?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 9.9.2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)