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UNIFEM-Fortschrittsbericht zu Frauenrechten

Artikel-Nr.: DE20081104-Art.41-2008

UNIFEM-Fortschrittsbericht zu Frauenrechten

Die Krise der Verantwortlichkeit

Vorab im Web - Zur Halbzeit der Millennium-Entwicklungsziele hat der UN-Entwicklungsfonds für Frauen (UNIFEM) seinen Bericht „Progress of the World´s Women 2008/9” mit dem Titel “Who answers to women? Gender and accountability” (s. Hinweis) vorgelegt. Zentrales Thema ist die Kluft zwischen den Verpflichtungen, die die Regierungen zu Frauenrechten und Geschlechtergleichheit eingegangen sind, und deren Umsetzung. Kernfrage ist, wie anerkannte Ansprüche und Rechte von Frauen in tatsächliche Verbesserungen übersetzt werden können. Ein Bericht über die „Krise der Verantwortlichkeit“ (UNIFEM) von Christa Wichterich.

Der 4. Fortschrittsbericht von UNIFEM geht von einem doppelten frauenpolitischen Erfolg aus: Der erste war in den 1990er Jahren die Selbstverpflichtung internationaler Organisationen, Regierungen, verschiedenster gesellschaftlicher Institutionen und Akteure, Frauenrechte und Geschlechtergleichheit pro-aktiv umzusetzen. Der zweite Erfolg ist, dass seitdem tatsächlich Fortschritte in verschiedenen Bereichen zu verbuchen sind. Noch nie saßen so viele Frauen in nationalen Parlamenten wie heute, nämlich im globalen Durchschnitt 18,4%. Eine Vielzahl von Gesetzesreformen wurde durchgeführt, um Frauen vor Gewalt zu schützen und mehr Rechtsgleichheit in der Familie und am Arbeitsplatz zu sichern.

* Unten kommt wenig an

Solchen Fortschritten stehen jedoch weiterhin Skandale von Verantwortungslosigkeit gegenüber, wie der, dass die Müttersterblichkeit in den ärmsten Regionen der Welt und bei den ärmsten Frauen kaum gesenkt werden konnte. Um das MDG 5 zu erreichen, müsste sie bis 2015 um jährlich 5,5% reduziert werden, derzeit liegt die Reduktionsrate jedoch bei nur 0,4%. Gerade bei den Ärmsten und den Marginalisierten, die Verbesserungen am nötigsten brauchen, kommen Fortschritte nur selten und wenn, dann viel zu langsam an. Gleichzeitig ist es für die machtschwächsten Gesellschaftsmitglieder am schwierigsten, Rechenschaft von den Macht- und Entscheidungsinhabern zu verlangen.

Der Bericht bilanziert in fünf Bereichen sowohl Umsetzungslücken als auch Versuche, Verantwortung einzufordern: Politik, Services, Märkte, Justiz und im Komplex Entwicklungshilfe und Sicherheit. Wer ist Pflichtenträger gegenüber den Frauen als Rechtsträgerinnen? Wer ist ihnen eine Antwort schuldig? Wie können sie Institutionen und Akteure zur Rechenschaft ziehen? Mit der Kernfrage nach der Verantwortlichkeit („accountability“) stellt sich der Bericht einerseits in den Kontext von Diskursen zu good governance und demokratischer Verantwortung, andererseits knüpft er an aktuelle Debatten zur Wirksamkeit entwicklungspolitischer Programme an. Rechenschaftspflicht wird sowohl als politisches als auch ein technisches Projekt gesehen.

* Kein Automatismus

So wie im parlamentarischen Bereich die Fortschritte dort am größten und nachhaltigsten sind, wo vorübergehend Quoten eingeführt wurden, gibt es auch in anderen Bereichen keinerlei Automatismus der Pflichterfüllung. Druck durch die Betroffenen ist ebenso notwendig wie Instrumente der Überprüfung und Kontrolle, damit erstens auf normativer bzw. legislativer Ebene, zweitens auf der Verfahrensebene und drittens auf kultureller bzw. Einstellungsebene im Öffentlichen und Privaten Wort gehalten wird.


Die öffentliche Daseinsvorsorge ist für arme Frauen der Lackmustest dafür, ob die Regierungen zu dem Wort stehen, dass sie bei der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking und in nationalen Gesetzen gegeben haben. Mangel an öffentlicher Versorgung trifft arme Frauen besonders, weil sie nicht in der Lage sind, Defizite durch Bezahlung von Leistungen wettzumachen. Räumliche und soziale Distanzen, Fahrkosten und Unsicherheit bei weiten Wegen sind für Mädchen und Frauen dauerhafte Barrieren für den Zugang zu öffentlichen Bildungs- und Gesundheitsangeboten.

Auch die verbreitete Korruption in der Verwaltung und den Versorgungsstrukturen - ein weiterer Indikator für mangelnde Verantwortlichkeit bei der Umsetzung von Verpflichtungen - trifft Frauen in besonderer Weise. Für die Auszahlung von Transferleistungen, vom Krankengeld bis zur Witwenrente, oder beim Zugang zu subventionierten Lebensmitteln erpressen Beamte und Mittelsmänner „Beschleunigungszuschläge“ auch von den Armen. Sexuelle Dienstleistungen sind eine informelle Währung der Bestechung, bei der Polizei, in Schulen und an Grenzen.

Interessenvertretung („voice“), öffentliche Proteste, das Einfordern von Transparenz, z.B. in Indien und Argentinien unter Berufung auf das gesetzlich verbriefte „Bürgerrecht auf Information“, oder Gender Budgets, die Einnahmen und Ausgaben geschlechterdifferenziert aufschlüsseln, haben sich als Methoden bewährt, bei Regierungen und Behörden Rechenschaftspflicht einzufordern. Sie zeigen, dass das Versagen von Verwaltungen und sozialen Diensten nicht allein mit Finanznot erklärt werden kann. Wo der politische Wille vorhanden ist, war es auch in armen Ländern möglich, z.B. die Grundschulquote für Mädchen zu verbessern. Als in Honduras eine schockierende Studie über die Müttersterblichkeit zum Politikum gemacht wurde, gelang es, Mittel zu mobilisieren, die Infrastruktur auszubauen und die Müttersterblichkeit in sieben Jahren um 40% zu senken.

* Der Markt als Verantwortlichkeitslücke

Im Gegensatz zum „Voice“-Ansatz als politischer Strategie propagiert die Weltbank seit Jahren den „Choice“-Ansatz als Marktstrategie und die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen als „Abkürzung“ der Konsumenten auf dem Weg zur Einlösung ihrer Rechte. Doch Privatisierung mag die Wahlmöglichkeiten erhöhen, löst aber keines der Zugangsprobleme für arme Frauen, nämlich Mangel an Kaufkraft, soziale und physische Distanz sowie systemimmanente Frauendiskriminierung.

„Voice“-Strategien haben sich als erfolgreiches Druckmittel gegenüber der Politik, die auf Grundlage von „Sozialverträgen“ funktioniert, erwiesen. Wie aber können Marktkräfte, die auf Basis individueller Verträge agieren, zur Rechenschaft gezogen werden? Zwar war die Integration in die globalen Wertschöpfungsketten für viele Frauen ein emanzipatorischer Schritt. Doch die Feminisierung der Beschäftigung geht einher mit der (Lohn-)Diskriminierung von Frauen in informellen, flexiblen und prekären Jobs. Die Versuche, Unternehmen durch freiwillige Verhaltenscodices in die Pflicht zu nehmen und auf Frauendiskriminierung als Gewinnstrategie zu verzichten, sind äußerst selten erfolgreich. Außerdem bedrohen neue Freihandelsabkommen Jobs, Arbeitsrechte und soziale Sicherheiten. So fallen gerade schwache Marktakteurinnen in die Verantwortlichkeitslücke, die sich zwischen den Regierungen, einheimischen und transnationalen Unternehmen und der WTO auftut.

Durchgängig sieht der UNIFEM-Bericht die Regierungen als zentrale Pflichtenträger gegenüber Frauen. Die Politik müsste auch die Märkte gezielt im Interesse eines Geschlechterausgleichs regulieren. Doch sie stellt im Wettbewerbsrausch der neoliberalen Globalisierung oder unter dem Druck des Krisenmanagements Geschlechtergleichheit und Frauenrechte wieder einmal hintan. Diesem Sog können sich auch Frauen in der Politik nicht entziehen. Zwar bleibt die Einlösung von Partizipations- und Gleichheitsrechten eine stehende Forderung. Doch eine größere Zahl von Frauen in politischen und wirtschaftlichen Macht- und Entscheidungspositionen allein ist ebenfalls nicht die Lösung. In der komplexen „Krise der Verantwortlichkeit“ brauchen Frauen Bündnispartner, institutionelle Reformen und ein geschlechtersensibles Instrumentarium für Rechenschaftspflichten, damit Versprechen eingelöst werden.

Hinweis:
* United Development Fund for Women: Progress of the World's Women 2008/9: Who answers to women? Gender and accountability, 162 pp, UNIFEM: New York 2008. Bezug: über www.unifem.org/progress/2008/

Veröffentlicht: 4.11.2008

Empfohlene Zitierweise: Christa Wichterich, UNIFEM-Fortschrifttsbericht zu Frauenrechten. Die Krise der Verantwortlichkeit, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E 11/November 2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)