Was die Geber den Nehmern so alles zumuten
Artikel-Nr.: DE20080818-Art.-26-2008
Was die Geber den Nehmern so alles zumuten
Die Verbesserung der Entwicklungshilfe stagniert
Internationale Hilfe ist zur Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) notwendig. Doch die Hilfe einfach nur zu erhöhen, ist von begrenztem Wert, wenn diese nicht wirksam genutzt wird. Ein großer Teil der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) wird aufgrund der Praktiken der Geber nicht sinnvoll ausgegeben – nicht wegen der Korruption oder Inkompetenz der Empfänger. Die Verbesserung der Geberpraktiken, vor allem durch Harmonisierung, kann deshalb einen wichtigen Beitrag zur Erreichung der MDGs leisten. Von Eveline Herfkens.
* Hilfe für wen und wofür?Ein großer Teil der Hilfe fließt in Länder mit mittlerem Einkommen, die keine konzessionären Mittel von außen brauchen, um die MDGs zu erreichen. Deutschland gibt fast die Hälfte seiner ODA an Länder mit mittlerem Einkommen. Ein substantieller Teil der Hilfe wird innerhalb der Geberländer ausgegeben. Ein Beispiel dafür ist die Finanzierung von Studienplatzkosten für Studierende aus Entwicklungsländern aus den Entwicklungshilfeetats an die Universitäten der Geberländer – ein Milliardenzuschuss Jahr für Jahr und ein Beitrag zu Brain Drain aus den Entwicklungsländern.
Von der verbleibenden ODA wiederum wird ein erheblicher Teil auf nicht eine Weise geleistet, die die Ländern ermöglichen würde, sie effektiv zu nutzen, da sie zeitlich nicht vorhersagbar ist oder nicht programmierbar ist. „Programmierbare Hilfe“ (CPA: „country programmable aid“) ist ein neues Konzept des Entwicklungshilfe-Ausschusses (DAC) der OECD, um das Niveau der Hilfe zu messen. Dabei handelt es sich um die Hilfe, die übrig bleibt, nachdem all das abgezogen wurde, was im Geberland selbst verbleibt, was unvorhersagbar ist und/oder anderweitig von den Nehmern im Rahmen ihrer Entwicklungspläne nicht programmiert werden kann. Nach Berechnungen der OECD können 2005 gerade mal 48,8% der bilateralen ODA-Leistungen als CPA gelten. Bei Deutschland liegt der Wert mit 30% sogar darunter.
Die Wirksamkeit der Hilfe zu steigern läuft darauf hinaus sicherzustellen, dass diese den Entwicklungsländern dabei hilft, jene öffentlichen Dienstleistungen und wirtschaftliche Chancen bereitzustellen, die den Menschen gestattet, dem Griff der Armut zu entkommen. Doch selbst die Hilfe, die die CPA-Kriterien erfüllt, ist oft eine Herausforderung für die Empfängerländer, da die Gebergemeinschaft sich nur schwer von ihren schlechten alten Gewohnheiten trennt.
* Lehren aus einem halben Jahrhundert
Ein prototypisches Hilfeprogramm der Geber bestand in der Vergangenheit aus einer Reihe von Einzelprojekten, die nach Prioritäten und Präferenzen der Geber entwickelt, umgesetzt und gemanagt wurden. Diese Projekte entsprachen nicht notwendigerweise den Bedürfnissen und Prioritäten, die im Land von lokalen Akteuren identifiziert worden waren.
Darüber hinaus zierten sich die Geber oft, die laufenden Kosten, wie Instandhaltungskosten und Löhne, zu übernehmen. Sie bevorzugten ‚investive‘ Ausgaben wie neue Krankenhausbauten, um das Engagement der Geber besser zu demonstrieren. Doch solche neuen Investitionen brachten in der Regel einen Anstieg der laufenden Kosten mit sich, die von den finanziell ohnehin strapazierten Nehmern geschultert werden mussten, lange nachdem die Geber das Land schon verlassen hatten.
Unterdessen beseitigen diese Einzelprojekte nicht die Ursachen der schlechten Versorgung mit Dienstleistungen: Ein einzelnes Projekt (oder Dorf) wird nicht Entwicklung auslösen, wenn es die Gesamtpolitik und –verantwortung der Regierung des Landes umgeht und ignoriert. Der geberorientierte Projektansatz führte zu einer Fülle keiner, unkoordinierter Projekte, die – selbst wenn sie erfolgreich waren – der Gesamtentwicklung kaum einen Stempel aufdrücken konnten; sie waren kleine Inseln der Perfektion in einem Meer der Verzweiflung, die in dieses Meer zurückfielen, kaum hatten die Geber das Land wieder verlassen.
Tausende von separaten Projekten brachten darüber hinaus einen massiven und verschwenderischen Administrationsaufwand für die ohnehin schwachen lokalen Regierungen mit sich, vor allem weil die verschiedenen Geber alle ihre eigenen Vorschriften und Prozeduren hatten, z.B. für die Rekrutierung von Personal, die Auftragsvergabe, das Monitoring, das Berichtswesen und die Evaluierung. Die Empfänger müssen buchstäblich tausende komplizierter Vorschriften befolgen und haufenweise Berichte für verschiedene Geber schreiben, die alle dasselbe wissen wollen.
Die Anzahl der Entwicklungsländer mit über 40 öffentlichen Gebern ist von Null 1990 auf heute über 30 gestiegen. Nach OECD-Angaben ist die Anzahl der Hilfeaktivitäten von 20.000 im Jahre 1997 auf 60.000 im Jahre 2004 nach oben geschnellt. Die durchschnittliche finanzielle Größenordnung der Projekte fiel zwischen 1997 und 2004 von rund 2 Mio. Dollar auf 1,5 Mio. Dollar. Und zu dieser verwirrenden Vielfalt von Gebern kamen noch neue Länder (wie China) und neue Typen von Gebern (wie private Stiftungen oder kommunale Behörden aus reichen Ländern hinzu.
Hilfe zu bekommen bedeutet für die Empfänger ein lächerliches Ausmaß an Arbeit, das für Länder mit ohnehin überstrapazierten lokalen Kapazitäten verheerend sein kann. Lokale Beamte sind ständig damit beschäftigt, die Forderungen der Geber zu erfüllen, so dass sie sich um die normalen Verwaltungsaufgaben oder um die wirklichen Belange und Förderung ihrer Bürger kaum noch kümmern können.
Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) hat 2006 in dem Bericht "Economic Development in Africa, Doubling Aid: Making the ‘Big Push’ work" treffend zusammengefasst: “Es gibt die reale Gefahr eines Teufelskreises, der entsteht, wenn schwache staatliche Institutionen die Geber ermutigen, sie zu umgehen, was sie die staatlichen Kapazitäten im Gegenzug weiter untergräbt und dazu führt, das mehr und mehr Hilfe über Projekte und Nichtregierungsorganisationen geleitet wird. Das ergibt zugleich ein Umfeld, in dem die Korruption in großem wie im kleinen Maßstab blühen kann… Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand, dass die Verfielfachung unterschiedlicher geberfinanzierter Projekt die Governance, die Eigenverantwortung und die Pflicht zur Schwerpunktsetzung in der Ausgabenpolitik unterminiert.“
Good Governance, Rechenschaftspflichtigkeit und Transparenz der Regierung sind für nachhaltige Entwicklung von zentraler Bedeutung. Durch die Finanzierung von Projekten stellen die Geber Finanzmittel außerhalb des Budgets der Empfängerregierungen bereit, unterminieren die Rechenschaftspflicht vor Ort, darunter auch des mächtigsten Instruments der Parlamente, das jährliche Budgetrecht.
* Hartnäckige alte Gewohnheiten
Die Geber haben die Projektfinanzierung nicht nur bevorzugt, weil mit ihnen ein größerer Demonstrationseffekt einher geht. Grundlegender noch ist, dass sie meinen, sie hätten bei Projekten die Kontrolle und seien so besser in der Lage, ihrer Rechenschaftspflicht gegenüber den eigenen Parlamenten und Steuerzahlern nachzukommen. Doch indem sie Finanzmittel außerhalb der nationalen Haushalte zur Verfügung stellen, wiegen die Geber nur sich selbst in einem trügerischen Gefühl von Sicherheit.
Ein Argument der Geber für die Finanzierung außerhalb der Haushalte lautete immer, sie könnten auf diese Weise sicherstellen, dass Ausgaben ‚richtig‘ getätigt werden, z.B. für die medizinische Grundversorgung statt für Militärausgaben. Aber indem sie Finanzmittel für die ‚richtigen‘ Ausgabenbereiche bereitstellen, entlassen sie die Regierungen aus ihrer Verantwortung, diese Dienstleistungen bereitzustellen, dafür Ressourcen innerhalb des Haushalts aufzubringen, die ansonsten für andere Dinge ausgegeben werden. Der Versuch, die Entwicklungshilfe einzuzäunen, indem man sie in ein Projekt statt in den Haushalt fließen lässt, schafft für die Geber einfach nur ein falsches Sicherheitsgefühl. Keine externe Intervention kann in Isolation vom Gesamtkontext vorgenommen werden.
Statt sich nur eng auf die Nutzung von Entwicklungsfonds oder von einzelnen Projekten zu konzentrieren, sollten sich die Geber gemeinsam für die entwicklungspolitische Gesamtstrategie eines Landes engagieren. Der einzige Weg, wie die Geber sicherstellen können, dass ihr Geld sinnvoll ausgegeben wird, besteht darin, das Budget der Nehmer insgesamt zu überwachen und das System des Managements öffentlicher Finanzen im Nehmerland aktiv zu verbessern. Dies ist umso wichtiger angesichts der Tatsache, dass die Entwicklungshilfe meistens nur ein kleiner Anteil der Gesamtressourcen ist, die den Entwicklungsländern zur Verfügung stehen.
Die Pariser Erklärung zur Wirksamkeit der Hilfe
2005 beschlossen über 100 Länder und Geberorganisationen in der Pariser Erklärung zur Wirksamkeit der Hilfe eine Reihe spezifischer Maßnahmen zur Umsetzung und Messung des Fortschritts ihrer Leistungsfähigkeit. Mit der Erklärung wurde eine praktische, handlungsorientierte Roadmap vorgelegt, um die Qualität der Hilfe und ihre entwicklungspolitische Bedeutung zu verbessern. Ihre 56 Partnerschaftsverpflichtungen sind um fünf grundlegende Prinzipien herum organisiert. |
Die Besorgnis um die Wirksamkeit der Hilfe ist Jahrzehnte alt. Neu ist der breite Konsensus darüber, was die Geber tun müssen, um sie zu verbessern. Dieser Konsens basiert auf gut dokumentierten Schlussfolgerungen, die aus Fehlern und Fehlschlägen des letzten halben Jahrhunderts gezogen wurden. Im September 2008 werden Minister, Leiter von Entwicklungsagenturen und zivilgesellschaftliche Organisationen in Accra zum 3. Hochrangigen Forum über die Wirksamkeit der Hilfe zusammenkommen.
Das gerade fertiggestellte OECD-Survey von 2008 unterstreicht, was getan werden muss, um die Ziele der Pariser Erklärung bis 2010 zu erreichen. Doch die Ergebnisse des Survey zeigen, dass die Fortschritte nicht bei allen Ländern und Gebern gleich sind, und bei vielen Indikatoren zeigt sich gegenüber dem Ausgangsjahr 2005 überhaupt keine Veränderung.
Es gibt etwas Fortschritt: Vor allem die neuen EU-Leitlinien zur Komplementarität und Arbeitsteilung zwischen den Mitgliedsstaaten in der Entwicklungszusammenarbeit sind vielversprechend. Die generelle Umsetzung der Pariser Agenda scheint gleichwohl zu stagnieren: Das Survey zeigt keine Zunahme der Nutzung lokaler Systeme, während die Vorhersagbarkeit der Hilfe (nur zwei Drittel der Hilfe kommt rechtzeitig an) und die Nutzung gemeinsamer Arrangements rückläufig sind.
Die Geber klammern sich daran, ihre Flagge an ihre Beiträge zu heften, und an illusionäre Kontrollmechanismen, das sie zu risikoscheu sind, um sich auf ein anderes Land oder ein anderes Gebersystem zu stützen und reale Macht an ihre Personal vor Ort zu delegieren. Wichtiger noch ist, dass sie es nicht schaffen, ihre Parlamente und die öffentliche Meinung über die wichtigsten Aspekte der Wirksamkeit der Hilfe aufzuklären. Auf diese Weise schränken sie ihren eigenen Handlungsspielraum ein. Die Botschaft ist klar: Um die versprochenen Ergebnisse zu bekommen, muss politischer Wille in ernsthaftes Handeln umgesetzt werden, und aus Prinzipien müssen Aktionen werden. Es ist höchste Zeit, dass aus Rhetorik Handeln wird. Denn die Glaubwürdigkeit der Debatte über die Wirksamkeit – ja, die Entwicklungshilfe selbst – steht auf dem Spiel.
Eveline Herfkens leitet die Millenniumskampagne der Vereinten Nationen und war u.a. Entwicklungsministerin der Niederlande. Übersetzung: Rainer Falk.
Veröffentlicht: 19.8.2008
Empfohlene Zitierweise: Eveline Herfkens, Die Verbesserung der Entwicklungshilfe stagniert: Was die Geber den Nehmern so alles zumuten, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E-Hintergrund August 2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).