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Wie die Finanzkrise jetzt auch im Süden ankommt

Artikel-Nr.: DE20081029-Art.39-2008

Wie die Finanzkrise jetzt auch im Süden ankommt

… und der IWF plötzlich wieder da ist

Nur im Web - Die globale Finanzmarktkrise hat ihren Ausgangspunkt im Westen. Doch sie trifft jetzt mehr und mehr auch die Entwicklungsländer. Auch dort fallen die Aktienkurse, und die Währungen stehen unter starkem Druck. Ein wesentlicher Faktor dabei ist „Carry Trade“. Nach dieser Methode nahmen Spekulanten in großem Stil Kredite auf, z.B. in Japan, und legten diese in Ländern mit höheren Zinssätzen an. Jetzt – mit steigenden Yen-Kursen – werden die Gelder zurückgeholt. Über welche Kanäle die Finanzkrise den Süden und auch Osteuropa sonst noch trifft, beschreibt Rainer Falk.

Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass die Entkoppelungsthese falsch ist, dann ist er in durch die erneuten Turbulenzen auf den Finanzmärkten seit der ersten Oktoberwoche erbracht worden. Die Behauptung, in der aktuelle Krise zeige sich, dass es den Ländern des Südens gelungen sei, sich von der weltwirtschaftlichen Entwicklung gleichsam abzukoppeln, war auch vorher schon widerlegt, selbst wenn es zunächst den Anschein hatte, dass die Konsequenzen für die Entwicklungswelt diesmal weniger gravierend seien als in der Vergangenheit. Um einen naheliegenden Indikator zu nehmen: Die Aktienkurse sind auch im Süden abgestürzt. So verlor der Aktienindex für die aufstrebenden Ökonomien, der MSCI, zwischen Anfang des Jahres und Oktober 2008 rund die Hälfte seines Wertes. Doch dies ist nur eine Ebene der Betroffenheit.

Als Kreditkrise („credit crunch“) hatte die aktuelle Finanzkrise unmittelbar zur Folge, dass Banken und andere Finanzmarktakteure schon bald Kapital aus den vergleichsweise risikoreichen Volkswirtschaften der Schwellenländer abzogen, um die im Norden aufgerissenen Löcher zu stopfen. Die Länder auf der südlichen Halbkugel, sofern sie überhaupt als Anlageziele für kurzfristiges Kapital interessant waren, konnten dies zunächst allerdings recht gut verkraften; nicht zuletzt deshalb, weil sie nach der Asienkrise erhebliche Leistungsbilanzüberschüsse aufgehäuft hatten, um sich gegenüber spekulativen Attacken zu schützen.

Stichwort "Carry Trade"

Der Yen steht nicht erst seit gestern im Mittelpunkt des Interesses von Devisenhändlern und Finanzanlegern. Seit Jahren haben sich Anleger in Japan, wo die Zinsen ausgesprochen niedrig sind, günstig Yen geborgt und das Geld umgehend in Ländern mit wesentlich höheren Zinserträgen angelegt. Den Ertrag aus der Differenz streicht der Anleger ein. Dieser sog. Carry Trade ist also eine Form der Währungsspekulation, bei der die Zinsdifferenzen zwischen Ländern ausgenutzt werden. So beträgt der Leitzins in Japan nur 0,5%, in Australien aber 6%. Neben Australien und Neuseeland sind bzw. waren Osteuropa und Island besonders beliebte Anlageziele für Carry Trade.

Doch im Zuge der Finanzkrise erscheinen diese Carry-Trade-Deals plötzlich alles andere als sicher. Japanische und andere Investoren transferieren das Geld lieber wieder nach Hause, da Yen-Anlagen als solide gelten. Dieser Zufluss treibt den Kurs des Yen nach oben, was seinerseits den Carry Trade verteuert. Denn irgendwann muss das geliehene Geld ja in japanischer Währung zurückgezahlt werden.

Das Sekretariat der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) hat seit längerer Zeit vor den Folgen des Carry Trade gewarnt, zum erst Mal im Trade & Development Report (TDR) 2004 und dann erneut im TDR 2007. Der Chefökonom von UNCTAD, Heiner Flassbeck, ist der Auffassung, dass Währungsschwankungen in hohem Maße durch die verbreitete Spekulation via Carry Trade verursacht werden, der die Wechselkurse in die falsche Richtung treibt. Indem die Carry-Trade-Positionen nun aufgelöst werden, gibt es eine beträchtliche Kapitalflucht aus Währungen, die als weniger sicher eingeschätzt werden. Die gegenwärtig einsetzende Serie von Währungskrisen war deshalb vorhersehbar. Die dramatische Entwicklung der Situation in Island und teilweise auch in Ungarn ist so gesehen lediglich die Spitze eines Eisbergs, dem in der bisherigen Diskussion um die Finanzmarktkrise zu wenig Beachtung geschenkt wurde.

Festzuhalten ist auch, dass sich das Zentrum der Krise diesmal in den Kernlanden des globalen Kapitalismus befindet, also vornehmlich in den USA, Westeuropa und Japan, und nicht wie vor zehn Jahren in den Hochburgen eines angeblichen „crony capitalism“ am Rande des globalen Finanzsystems. Dies bedeutet per se, dass die systemische Bedeutung der aktuellen Krise wesentlich größer ist als die der Asienkrise, die sich regional begrenzen ließ. Betrachtet man die quantitativen Dimensionen der Krise, so beliefen sich die finanziellen Verluste im Falle der Asienkrise auf rund 400 Mrd. US-Dollar – das entsprach etwa 35% des Bruttoinlandprodukts (BIP) der betroffenen Länder. In der aktuellen Finanzkrise liegen die Verluste allein der Subprime-Krise in den USA bei geschätzten 1.400 Mrd. Dollar – das sind allerdings nur rund 10% des US-BIP.

Interessant ist nicht zuletzt folgender Unterschied: In der Asienkrise agierte bekanntlich der Internationale Währungsfonds (IWF) mit seinen umstrittenen Rettungspaketen als Finanzfeuerwehr des Nordens gegenüber dem Süden. Die aktuelle Finanzkrise übersteigt schon von ihren Dimensionen her die finanzielle Interventionskapazität des IWF, einmal abgesehen davon, dass die großen Anteilseigner den Fonds immer nur als Disziplinierungsinstrument gegenüber dem Süden wollten und niemals gegenüber sich selbst. Die großen, koordinierten Rettungspakete, die im Nachgang zur letzten Jahrestagung von IWF und Weltbank beschlossen wurden, sind deshalb unter den USA und den Europäern selbst und außerhalb des IWF ausgehandelt worden.

* Notleidende Entwicklungshilfe und Exporteinbrüche

Den Süden betrifft dies alles dennoch, vielleicht sogar in wesentlich erheblicherem Maße, als es zunächst den Anschein hat. Dabei sind mindestens zwei Ebenen zu unterscheiden, zum einem die künftigen Finanztransfers von Nord nach Süd und zum anderen die Exportposition des Südens angesichts immer stärkerer Rezessionsgefahren in den Industrieländern. Vielfach ist inzwischen darauf hingewiesen worden, dass die Entwicklungshilfe-Versprechen des Nordens angesichts der aktuellen Rettungsprogramme für die Finanzmärkte wirklich nur „Peanuts“ sind. Und doch ist denkbar, dass diese Versprechen gegenüber dem Süden künftig noch weniger eingehalten werden als heute schon. Wie sich auf dem UN-Notstandsgipfel zu den Millenniumszielen im letzten September zeigte, steht jedenfalls fest: Ein „Bailout“ für die Entwicklungsländer findet nicht statt.

Schwieriger zu beurteilen sind die künftigen Exportaussichten der Dritten Welt. Diese hängen unmittelbar davon ab, wie schwer der wirtschaftliche Rückgang im Norden ausfallen wird. Unabhängig davon, ob die globale Rezession, wie etwa der US-Starökonom Nouriel Roubini prognostiziert, zwei Jahre dauern wird oder nur bis Ende 2009, wie der IWF meint, werden vor allem die Entwicklungsländer, die sich wie China auf den Export arbeitsintensiver Güter orientiert haben, mit Exportrückgängen rechnen müssen. In seiner letzten Prognose hat der IWF jetzt jedenfalls auch die Wachstumserwartungen für die Schwellenländer und die Entwicklungsländer insgesamt nach unten korrigiert, nicht nur die der Industrieländer.

Dabei bleibt allerdings trotz (oder gerade wegen der Finanzkrise im Norden) das bisherige Wachstumsmuster, bei dem der Süden insgesamt deutlich höhere Raten aufweist als der Norden, im Prinzip erhalten, wenn auch auf niedrigerem Niveau als in den letzten fünf Jahren. Dieses Wachstumsmuster verdeckt aber die großen regionalen Unterschiede innerhalb des Südens, wo sich echte Aufholerfolge immer mehr mit realen Rückwärtsentwicklungen paaren. Vor allem die Länder Subsahara-Afrikas dürften mit erheblichen Konsequenzen aus der aktuellen Finanzkrise zu rechnen haben, da dort die Verknüpfungseffekte mit den Konsequenzen der anderen globalen Krisen, der Nahrungsmittelkrise, der Energiepreiskrise und der Klimakrise am stärksten zu Buche schlagen. Afrika mag für das global vagabundierende Kapital (von den Bodenschätzen abgesehen) uninteressant sein. Um die Opfer, die in der Vierfach-Krise des globalen Kapitalismus zu erbringen sind, wird es nicht herumkommen. Auch so gesehen ist die Abkoppelungsthese falsch.

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Insgesamt ergibt sich derzeit ein ideales Aktionsfeld, auf dem der Internationale Währungsfonds (IWF) erneut als Krisenmanager in Erscheinung treten kann. Tatsächlich ist der Fonds spätestens seit seiner Jahrestagung Anfang Oktober dabei, nach dem aus früheren Krisen bestens bekannten Motto zu verfahren: „Wir sind bereit!“ Und seit kurzem stehen auch die Länder wieder Schlange. Eine Übersicht über die neueren IWF-Kreditvereinbarungen im Zeichen der Finanzmarktkrise vermittelt unsere Tabelle.


Mit Island hat erstmals seit 1976 (als England den Fonds um Hilfe ersuchte) wieder ein westliches Land ein Stand-by-Abkommen mit dem IWF abgeschlossen. Innerhalb weniger Tage kamen aus dem Kreis der „Emerging Economies“ die Ukraine und Ungarn hinzu – mit Ungarn das erste Mitgliedsland der EU. Mit Weißrussland und Pakistan wird noch verhandelt. Darüber hinaus werden derzeit als besonders krisenanfällige Länder gehandelt: Südafrika, Argentinien, Rumänien, Bulgarien und die drei baltischen Länder Litauen, Estland und Lettland (???042ae69b4110e740a???). Sogar über Südkorea wurde bereits wieder gemunkelt, es könnte sich erneut auf den Canossa-Gang zum IWF begeben.

Ist der Fonds also wieder „back in business“? Mit Einschränkungen: Erstens gilt nach wie vor, dass viele Länder den Gang nach Washington scheuen wie der Teufel das Weihwasser. So haben die aktuellen Neukunden des IWF zunächst andere Hilfsquellen ausgelotet – von der Europäischen Zentralbank bis zu den Chinesen. Der Fonds hat also Konkurrenz bekommen. Und zweitens bauen gerade die Asienkrisen-Länder dieses Mal lieber selbst vor. So gaben die ASEAN-plus-3-Länder (ASEAN-Mitglieder plus China, Japan und Südkorea) kurz vor dem ASEM-Gipfel in Peking bekannt, die Chiang-Mai-Initiative in einen multilateralen Mechanismus – einen Beistandsfonds in Höhe von 80 Mrd. Dollar – ausbauen zu wollen – allerdings erst bis Mitte 2009.

Eine dritte Grenze für die neuerliche Krisenmanageraktivität des Fonds gegenüber Schwellenländern (aus den ärmeren Entwicklungsländern war er nie verschwunden) ergibt sich aus seinen begrenzten Ressourcen. Derzeit verfügt der IWF über rund 200 Mrd. US-Dollar, die im Rahmen von Notkrediten vergeben werden könnten. Weitere 50 Mrd. Dollar könnte der Fonds bei seinen Mitgliedsländern mobilisieren. Doch diese Mittel könnten schnell erschöpft sein, wenn die Anzahl der Bailout-Länder zügig zunimmt, und vor allem wenn wirklich mehrere große Schwellenländer gleichzeitig auf Beistandskredite des IWF angewiesen sein sollten. Die westlichen Regierungen erhöhen deshalb gegenwärtig den Druck auf Länder mit hohen Devisenreserven, etwa China und die arabischen Golfstaaten, diese Mittel für einen Nothilfefonds beim IWF zur Verfügung zu stellen.

Die freudige Bereitschaft des Fonds, den Opfern der Finanzmarktkrise beizuspringen, entspricht grundsätzlich seinem Mandat, die Zahlungsbilanzprobleme der durch exogene Schocks in Not geratenen Mitgliedsländer zu überbrücken. Die entscheidende Frage ist allerdings, wie dies geschieht, auf antizyklische Weise oder in einer krisenverschärfenden Manier, wie vor zehn Jahren in Ostasien. Man wird also genau beobachten müssen, was an dem Versprechen einer gelockerten Konditionalität, mit der der IWF um neue Kunden wirbt, wirklich dran ist. Ob es sich um einen Neuanfang handelt oder um bloßes „Streamlining“, werden wir erst sehen, wenn die ersten neuen Kreditverträge im Wortlaut vorliegen.

Fest steht jedenfalls: „Streamlining“ von Konditionalität bedeutet nicht „keinerlei Konditionalität“. Die Anhebung des Zinssatzes in Island von 12 auf 18% fand klar auf Anordnung des Fonds im Rahmen des Stand-by-Kredits statt. Auch mit Ungarn einigte sich die IWF-Mission, die in den letzten Tagen vor Ort war, auf „ein umfassendes Maßnahmenpaket, das die kurzfristige Stabilität der Ökonomie stärken und ihr langfristiges Wachstumspotential verbessern wird“, so der Geschäftsführende Direktor des Fonds, Dominique Strauss-Kahn in einer Stellungnahme. „Zugleich geht es darum, das Vertrauen der Investoren wiederherzustellen und die Anspannung der letzten Wochen auf den ungarischen Finanzmärkten zu mildern“. Wichtige Maßnahmen im Bereich dr Haushaltspolitik beträfen die „Reduzierung des Finanzbedarfs der Regierung und die Sicherstellung der längerfristigen Schuldennachhaltigkeit“. Letzteres nannte man früher „Schuldendienstfähigkeit“. Und was die „Reduzierung des Finanzbedarfs der Regierung“ betrifft, fand die Financial Times deutlichere Worte: Ausgabenkürzungen von bis zu 300 Mrd. Forint (1,4 Mrd. US-Dollar seien wahrscheinlich der Preis, den das Land für das Beistandsabkommen bezahlen müsse.

Veröffentlicht: 29.10.2008 (Der erste Teil des Artikels erscheint zeitgleich als Kommentar im Wiener Südwind-Magazin.

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Wie die Finanzkrise jetzt auch im Süden ankommt. ... und der IWF plötzlich wieder da ist, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 29. Oktober 2008 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)