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Ausblick auf die Entwicklungspolitik Europas

Artikel-Nr.: DE20090811-Art.31-2009

Ausblick auf die Entwicklungspolitik Europas

Von Präsidentschaft zu Präsidentschaft

Vorab im Web – Schweden übernimmt die EU-Präsidentschaft in einer für die Erneuerung der EU-Institutionen und die entwicklungspolitische Führungsrolle der EU kritischen Phase. Die Agenda der vorhergehenden tschechischen Präsidentschaft war bereits vor dem Sturz der eigenen Regierung durch die Finanzkrise stark angeschlagen. Die schwedische Präsidentschaft beginnt nun ebenfalls im Zeichen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Hinzu kommt der Klimawandel als zentrales Thema. Aus Brüssel berichtet Denise Auclair.

Die gemeinsame Position für den Londoner G20-Gipfel bereitete die EU unter der Führung der großen Mitgliedsstaaten Frankreich und Deutschland vor. Da das Treffen der Entwicklungsminister erst für Mai geplant war, bemühte sich die tschechische Präsidentschaft auf informellem Weg, entwicklungspolitische Belange in den G20-Positionen zu bekommen. Gleichwohl hatte man allgemein den Eindruck, dass die Entwicklungsminister Schwierigkeiten hatten, ihre Finanzminister-Kollegen zu beeinflussen, die sich regelmäßig trafen und die Führung im G20-Prozess übernahmen.

* Auch die EU hinkt hinterher

Dank des konstruktiven Dialogs der tschechischen Präsidentschaft mit der Zivilgesellschaft trafen die NGOs im Rahmen des Rats mit Regierungsvertretern zusammen und drängten sie, die Chance der Krise zur Durchsetzung notwendiger Veränderungen in der EU-Finanzpolitik zu ergreifen. Letztere verursachen – durch Bankgeheimnis und Steueroasen, die Steuer- und Kapitalflucht erleichtern – einen signifikanten Abfluss von Einkommen aus Entwicklungsländern, die andernfalls für die Entwicklung genutzt werden könnten. Die NGOs schlugen vor, die Lücke in der Arbeit der EU über entwicklungspolitische Kohärenz dadurch zu schließen, dass die Finanzpolitik ebenfalls unter entwicklungspolitischen Aspekten überwacht wird.

Dennoch waren die Schritte der EU zur Milderung der Auswirkungen der Finanzkrise auf die Entwicklungsländer und der Ungerechtigkeiten in den der Krise zugrunde liegenden Ursachen äußerst zaghaft. Etwas Schwung gab es bei den Bemühungen um die Schließung von EU-Steueroasen, aber der Druck schien nicht groß genug zu sein, um bestimmte Mitgliedsländer daran zu hindern, die Veränderungen auf ein Minimum zu begrenzen (s. W&E 03-04/2009).

Auf die Nachricht von der Kürzung der Entwicklungshilfe-Budgets in mehreren Mitgliedsstaaten folgte die Veröffentlichung der offiziellen Zahlen für die gesamte EU. Sie zeigte, dass derzeit etwa 20 Mrd. € hinter ihren Versprechen zurückliegt (gemessen an den Zielen für 2010). Der jährliche AidWatch-Bericht des NGO-Zusammenschlusses CONCORD, der auch „inflationierte“ Hilfe – also Gelder, die nicht entwicklungspolitischen Zielen dienen – in Rechnung stellt, kalkuliert, dass die Lücke zweimal so hoch ist und bei 39 Mrd. € liegt. Auch der Fortschritt bei der Umsetzung der Accra-Agenda zur Wirksamkeit der Hilfe war minimal.

Mit einer geschwächten tschechischen Präsidentschaft an der Spitze versuchte die EU, die UN-Konferenz zu den Auswirkungen der Finanzkrise auf die Entwicklungsländer im Juni herunterzuspielen – die erste Gelegenheit für alle betroffenen Länder, über die erforderlichen Maßnahmen zu diskutieren. Glücklicherweise weist das Konferenzergebnis einige Fortschritte auf, insbesondere weil es durch die Etablierung eines Follow-Up-Mechanismus die Rolle der UN in globalen Wirtschaftsfragen stärkt und die Notwendigkeit eines Schuldenmoratoriums sowie eines verbesserten Umschuldungsmechanismus für Länder in einer Schuldenkrise anerkennt (s. Beitrag von Klaus Schilder in dieser Ausgabe).

* Wachsende Spannungen zwischen Entwicklungs- und Finanzleuten

Die schwedische Präsidentschaft beginnt nun im Zeichen der Finanz- und Wirtschaftskrise und des Klimawandels, die ganz oben auf ihrer Agenda stehen. Gleichwohl wird sie an dem finanzorientieren Herangehen an die Krise festhalten und den Entwicklungsministern keine deutliche Rolle bei der Festlegung der EU-Position für den G20-Gipfel im kommenden September einräumen. Ein hoher EU-Beamter sagte neulich im informellen Kreis, dass die Spannungen zwischen denen, die für Entwicklung und denen, die für Wirtschaft und Finanzen zuständig sind, sowohl innerhalb der EU-Mitgliedsstaaten als auch innerhalb der Europäischen Kommission wachsen.

Bereits beim Juli-Rat der Finanzminister wurde entschieden, dass eine einheitlichere Vertretung der EU beim Internationalen Währungsfonds und der Weltbank als Betrag zur Reformagenda dieser Institutionen nicht infrage komme. Dies obwohl die EU mit ihrem Stimmenanteil von 34% das Haupthindernis für eine fairere Vertretung der Schwellen- und Entwicklungsländer in diesen Institutionen ist.

Und während die EU noch im Mai ankündigte, den Dialog mit den Entwicklungsländern über Steuersysteme und die Mobilisierung einheimischer Ressourcen zu entwickeln, blieb dieser Dialog bislang eine Einbahnstraße und konzentriert sich auf die heimische Steuerpolitik und –verwaltung in den Entwicklungsländern statt anzuerkennen, dass auch die EU-Steuerpolitik einen Einfluss auf die Mobilisierung von Ressourcen durch die Entwicklungsländer hat. Dies steht im Widerspruch zu der Prioritätensetzung der schwedischen Präsidentschaft auf entwicklungspolitische Kohärenz, wozu im September der zweite Zweijahresbericht der Kommission erwartet wird. Die Schweden erkennen an, dass in Wirklichkeit wenig Fortschritt innerhalb des Rats erreicht wurde, wenn es darum geht, andere Minister dahingehend zu sensibilisieren, welche Auswirkungen ihre politischen Entscheidungen auf die Entwicklungsländer oder die entwicklungspolitischen Ziele der EU haben.

* Topthema Klimapolitik

Auf den ersten Blick scheinen die Schweden mehr Einflussmöglichkeiten bei der Integration von Entwicklungsbelangen in die Position der EU zum Klimawandel für die UN-Verhandlungen Ende des Jahres in Kopenhagen zu haben. Sie haben bereits eine unabhängige Kommission über Klimawandel und Entwicklung gesponsort, die im Frühjahr ihren Bericht vorlegte. Dennoch fehlt auch hier ein formaler Mechanismus, über den die Entwicklungsminister die EU-Position für Kopenhagen beeinflussen könnten – auch wenn allgemein anerkannt wird, dass die armen Gemeinschaften unter den Folgen des Klimawandels am meisten zu leiden haben. Ein Bericht einer Organisation unter Leitung des früheren UN-Generalsekretärs Kofo Annan zitiert bereits die Zahl von 300.000 Toten jährlich in diesem Zusammenhang.

Vor Kopenhagen müssen noch wichtige Fragen gelöst werden, nicht zuletzt das schwierige Problem, wie die Industrieländer dazu gebracht werden können, die für die Anpassungsprobleme der Entwicklungsländer notwendige Finanzierung aufzubringen (einschließlich der angemessenen Anpassungstechnologien) und wie der Klimawandel durch CO2-arme Entwicklungspfade abgemildert werden kann, ohne das Recht des Südens auf Entwicklung zu opfern. Die NGOs rufen die EU dazu auf, selbst rund 35 Mrd. € beizusteuern, um ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Die EU schiebt diese Frage jetzt seit vielen Monaten vor sich her, da sich viele Mitgliedsländer erst noch selbst festlegen müssen, bevor eine EU-Position gefunden werden kann. Es wird jetzt erwartet, dass die Kommission im September mit einem Vorschlag herauskommt. Doch die Debatte unter den Entwicklungsministern im November (im Rahmen des Rats für allgemeine Fragen und Außenbeziehungen) wird auf der Basis von zwei verschiedenen Papieren geführt werden – eines von der Kommission und eines von der Präsidentschaft – und sich hauptsächlich auf Fragen der mittelfristigen Anpassung an den Klimawandel konzentrieren.

Die schwedische Präsidentschaft entschied sich gegen die Abhaltung eines Informellen Treffens der Entwicklungsminister in der ersten Hälfte ihrer Präsidentschaft, aber sie wird die EU-Entwicklungstage vom 22.-24. Oktober in Stockholm ausrichten. Es wird erwartet, dass viele Entwicklungsminister daran teilnehmen werden. Das könnte eine Gelegenheit für ein gemeinsames Statement zur EU-Position für Kopenhagen sein. Ein anderer Weg zur Integration von Entwicklungsbelangen in die Klima-Agenda wäre die Teilnahme der schwedischen Entwicklungsministerin Gunilla Carlsson an wichtigen Diskussionen auf den Treffen der EU-Finanz- bzw. Umweltminister.
Die Zusammenhänge zwischen EU-Entwicklungs- und Agrarpolitik werden erneut zu Thema werden, wenn im November der Welternährungsgipfel in Rom tagt. Die G8 im Juli haben ja Zusagen über 20 Mrd. € für Ernährungssicherheit gemacht. Doch die Entscheidungen darüber, wie diese Mittel aufgebracht und ausgegeben werden sollen, müssen noch getroffen werden.

* Zeiten institutioneller Unsicherheit

Zu dieser umfangreichen Agenda kommt hinzu, dass die Schweden in einer Zeit der institutionellen Unsicherheit an der Spitze der Europäischen Union stehen werden. Das neue Europäische Parlament hat seine Arbeit aufgenommen, einschließlich eines starken Vorsitzes des Entwicklungsausschusses, den die grüne französische Abgeordnete Eva Joly stellt. Doch das EP hat sich gegen eine schnelle Erneuerung des Mandats für Kommissionspräsident José Manuel Barroso gestellt. Dadurch wurde auch das Datum des Arbeitsbeginns der neuen Kommission insgesamt in Frage gestellt, während alle Augen auf das zweite irische Referendum über den Lissabon-Vertrag gerichtet sind. Der Ausgang dieses Referendums wird entscheidend sein für die Debatte über die Reform der EU-Institutionen – mit einem neuen Auswärtigen Dienst der EU, der aus Beamten der Kommission und der Mitgliedsstaaten zusammengesetzt sein wird, während der Platz der Entwicklungspolitik noch in der Schwebe ist. Wahrlich aufregende Zeiten.

Denise Auclair ist Referentin für EU-Entwicklungspolitik bei CIDSE, einer Allianz aus 16 katholischen Entwicklungsorganisationen, die gemeinsam für die Ausrottung der Armut und für soziale Gerechtigkeit arbeiten.

Veröffentlicht: 26.7.2009

Empfohlene Zitierweise: Denise Auclair, Ausblick auf die Entwicklungspolitik Europas, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 07-08/2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).