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BRICs, BRICKETs oder Next-11?

Artikel-Nr.: DE20091023-Art.46-2009

BRICs, BRICKETs oder Next-11?

Die informelle Front der aufstrebenden Ökonomien

Nur im Web – Gängige Überzeugungen überstehen selten einen guten Stresstest, und wenige Tests waren so hart wie der, den die Weltwirtschaft in den letzten 24 Monaten durchgemacht hat. Eine gesunde Zeit der Neubewertung bricht an, die neues Licht auf die Vorstellungen des Booms wirft, z. B. den Wert undurchsichtiger Märkte, die Unantastbarkeit des amerikanischen Konsumenten oder die Weisheit der Deregulierung. Von Nouriel Roubini.

Doch eine „Blasenweisheit“ ist relativ unversehrt davongekommen, die Annahme, dass die sog. BRIC-Länder – Brasilien, Russland, Indien und China – in den kommenden Jahren immer mehr den Ton in der Wirtschaft angeben werden. Der Begriff der BRICs, der in einem Goldman-Sachs-Bericht von 2003 geprägt wurde, liegt nicht vollkommen daneben: Mit einer Korrektheit von 75 % schneidet er wesentlich besser ab als die meisten Wirtschaftsprognosen dieser Tage.

* Hochstapler Russland

Dennoch entlarvte die Wirtschaftskrise, die 2008 begann, eines der vier Länder als Hochstapler. Legt man die wesentlichen Statistiken der BRIC-Volkswirtschaften nebeneinander, wird wie in dem alten Spiel aus der Sesamstraße peinlich offensichtlich: „Eines von den Dingen ist anders als die anderen.“

Die Schwäche der russischen Wirtschaft – vor allem ihre hochgradig fremdfinanzierten Banken und Unternehmen –, die in den letzten Jahren durch die unerwarteten Gewinne aufgrund der hohen Öl- und Gaspreise verschleiert war, trat ganz plötzlich deutlich zu Tage, als die globale Wirtschaft schwankte. Ohnehin mit einer maroden Infrastruktur belastet, bringt Russland sich selbst weiter in Misskredit mit seiner dysfunktionalen und revanchistischen Politik und einem nahezu aussichtslos rückläufigen demografischen Trend.

Trotz der bescheidenen Erholung der Rohstoffpreise in den letzten sechs Monaten ist die Produktivität des russischen Energiesektors in den letzten Jahren gesunken, was teilweise durch die Ängste ausländischer Investoren vor Enteignung bedingt ist. Russlands Staatsfonds, der für die Stützung einer immer stärker rezentralisierten Wirtschaft unerlässlich ist, leert sich rasch. Wenn die negativen Trends anhalten, könnte schließlich Russlands Reservefonds aufgebraucht werden.

Russlands Fall zurück auf den Boden der Tatsachen hat unter Akademikern, strebsamen Außenpolitikexperten und gebildeten Investoren unterdessen eine Art Gesellschaftsspiel ins Rollen gebracht, das darauf abzielt, das Land im Klub der großen aufstrebenden Märkte zu ersetzen. Es wurden verschiedene Akronyme vorgeschlagen, vom zuckersüßen BRICET (bei dem Osteuropa und die Türkei dazukommen) über BRICKETS (letztere plus Südkorea) bis hin zu BRIMC – welches den Begriff noch weiter dehnt und auch noch Mexiko in die bunte Mischung mit aufnimmt.

* Stärkere Kandidaten: Südkorea, Türkei, Indonesien …

In all diesen Revisionen gehört Russland weiter dazu, trotz der Warnungen bezüglich seiner Wirtschaft. Obwohl Russland eines der weltweit größten (wenn auch etwas alternden) Atomwaffenarsenale besitzt und über einen Ständigen Sitz (und somit Vetorecht) im UN-Sicherheitsrat verfügt, gleicht es eher einem kranken Mann als einem aufstrebenden BRIC-Staat.

Betrachtet man die Sache allein vom Standpunkt des wirtschaftlichen Potentials und der Fundamentaldaten aus, ist Südkorea ein viel stärkerer Kandidat: eine gut entwickelte Wirtschaftsmacht, deren größte Anfälligkeit in der Gefahr besteht, dass das Regime seines gehässigen Zwillings im Norden zusammenbricht und Südkorea mit hungrigen Flüchtlingen überschwemmt.

Dasselbe gilt für die Türkei mit ihrem stabilen Bankensektor, ihrem florierenden Inlandsmarkt, ihrer wachsenden Bedeutung für die Politik im Nahen Osten und die Energiepolitik, ihrer NATO-Mitgliedschaft, ihrem Beitrittsantrag bei der Europäischen Union und ihren Beziehungen zu ethnischen „Cousins“ in Zentralasien.

Der vielleicht überzeugendste Fall ist der von Indonesien, des größten muslimischen Staates der Welt, mit einer rasant wachsenden Mittelschicht, einer relativ stabilen demokratischen Politik und einer Wirtschaft, die trotz der globalen Rezession in Asien Spitzenleistungen erbringt. Aus amerikanischer Sicht stellt Indonesien eine attraktive Alternative zu Russland dar, das in jüngster Zeit mit Venezuela um die erste Stimme im Jubelgesang auf „Amerikas Niedergang“ gewetteifert hat.

Zudem hat Indonesien nicht nur wirtschaftlich Widerstandskraft gezeigt, sondern auch als Nation. Trotz seiner vielen verschiedenen Ethnien und seines weit ausgedehnten Inselterritoriums hat das Land einen schnellen Übergang aus der Militärdiktatur geschafft und sich von unzähligen Herausforderungen und Rückschlägen erholt, z. B. der Asienkrise 1997, dem Tsunami 2004, dem Aufkommen des radikalen Islams und inneren Unruhen. Indonesiens Pro-Kopf-BIP bleibt zwar niedrig, aber es ist das Potential eines Landes, auf das es in Wirtschaftsfragen ankommt, und hier glänzt Indonesien.

* … doch Institutionalisierung der BRICs

Es ist weniger von Exporten abhängig als andere Länder in Asien (ganz zu schweigen von Russland), und seine Anlagenmärkte (besonders Holz, Palmöl und Kohle) haben hohe ausländische Investitionen angelockt. Die Regierung in Jakarta hat unterdessen klar gegen Korruption Stellung bezogen und nimmt sich nun strukturelle Probleme vor. Selbst der demographische Trend begünstigt Indonesien, das – gemessen an der Bevölkerung – mit 230 Millionen Menschen bereits das viertgrößte Land der Welt ist; das entspricht der Bevölkerung von Deutschland (über 80 Millionen) und Russland zusammen.

Erneut Rekordzuflüsse in die BRICs


Doch sind einprägsame Ideen schwer auszumerzen, und Russland hat einiges getan, um das aktuelle Konzept der BRIC-Staaten zur unumkehrbaren Realität zu zementieren. Die Verknöcherung der BRIC-Länder in eine – de facto – globale Institution ist im Juni dramatisch vorangeschritten, als die Regierungschefs der vier Länder sich zum ersten „BRIC-Gipfel“ trafen (natürlich in Russland).

Das Treffen lieferte eine denkwürdige Breitseite gegen die Vereinigten Staaten, da jedes Mitglied seinen Wunsch erklärte, den Dollar als globale Reservewährung abzusetzen. Wenige Monate zuvor wurden die vier dazu veranlasst, ein gemeinsames Kommuniqué vor dem G20-Gipfel im April herauszugeben, in dem sie ihre gemeinsame Entschlossenheit kundtun, die Regeln des globalen Wirtschaftssystems zu ändern.

Im Privatsektor haben sich BRIC-Indexfonds stark vermehrt, obwohl Goldman Sachs seine eigenen BRIC-Spekulationen radikal abgesichert hat, indem der Finanzdienstleister einen zweiten Begriff in die Debatte eingebracht hat: die „Next-11“ oder N11. Diese Gruppe bringt Bangladesch, Ägypten, Indonesien, Iran, Mexiko, Nigeria, Pakistan, die Philippinen, Südkorea, die Türkei und Vietnam auf den wirtschaftlichen Schirm und umfasst zusammen mit den vier BRIC-Ländern wahrscheinlich eine logischere und vertretbarere „vorderste Front“ der aufstrebenden Wirtschaftsnationen.

Russland rümpft die Nase bei dem Gedanken an eine Rückstufung, und die amerikanischen Funktionäre scheinen beschlossen zu haben, sich aus der semantischen Debatte herauszuhalten. Doch sollte es niemanden überraschen, dass Russland für den BRIC-Gipfel in Jekatarinburg enorme Lobbyarbeit geleistet hat und auch die Rechnung großenteils bezahlt hat. Warum sollte man riskieren, zu früh aufzufliegen?

© Project Syndicate

Nouriel Roubini ist Vorsitzender von www.rgemonitor.com und Professor an der Stern School of Business der New York University.

Veröffentlicht: 23.10.2009

Empfohlene Zitierweise: Nouriel Roubini, BRICs, BRICKETs oder Next-11?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 23.10.2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).