Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Das Potential der Sonderziehungsrechte

Artikel-Nr.: DE20090518-Art.21-2009

Das Potential der Sonderziehungsrechte

Weißer Fleck auf der G20-Agenda

Vorab im Web - Kürzlich sprach sich die G20 für die Ausgabe von Sonderziehungsrechten (SZR) des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Höhe von 250 Milliarden US-Dollar aus. Dabei wurde allerdings nicht vereinbart, dass die reichen Länder ihre Zuteilungen an die armen Länder transferieren. Dieser Gedanke wurde noch nicht einmal erwähnt. Aber gerade darin würden die eigentlichen Vorteile der neuen SZR liegen. Denn damit könnten zwei eklatante Lücken in der aktuellen Finanzarchitektur geschlossen werden. Ein Memorandum von George Soros.

Der IWF steht vor einer neuen Aufgabe: Er muss die Länder an der Peripherie des globalen Finanzsystems vor einem verheerenden Sturm schützen, der seinen Ursprung im Zentrum hat. Die Peripherieländer brauchen Hilfe, (1) damit die dauerhafte Verfügbarkeit von Krediten sichergestellt ist, und (2) damit sie eine antizyklische Fiskalpolitik betreiben können. Eine SZR-Ausgabe, bei der die reichen Länder ihre Zuteilungen in arme Länder transferieren, würde beiden Bereichen zugute kommen.

* Die absehbare Kreditklemme des Südens

Was die Verfügbarkeit von Kredit betrifft, so wurden bereits erhebliche Fortschritte erzielt. Die Mittel des IWF werden aufgestockt, so dass er in der Lage sein wird, einzelnen Ländern zu helfen, die in Schwierigkeiten geraten sind. Aber die IWF-Programme sind stigmatisiert und bieten daher keine systemische Lösung. Der IWF hat die sog. Flexible Credit Facility eingerichtet, die Gelder konditionsfrei zur Verfügung stellt. Das ist hilfreich, genügt aber volumenmäßig nicht. Schätzungen zufolgen müssen die Peripherieländer allein im Jahr 2009 Kredite in Höhe von 1,5 Billionen US-Dollar umschulden. Da die Bankenaufsicht bei nationalen Behörden liegt, deren primäres Interesse die finanzielle Gesundheit der Banken in ihrer Jurisdiktion ist und deren Fähigkeit, Kredite im jeweiligen Inland zu vergeben, wird das sehr schwer werden. Auch wenn man die Banken überreden könnte, ihre Kreditpipelines offen zu halten, wäre dies nur ein Teilerfolg, denn viele der Kredittitel werden von Nicht-Banken gehalten, über die die Bankenaufsicht keine Kontrolle hat. Daher werden Kreditverlängerungen gebraucht, um den Verpflichtungen nachkommen zu können. Mit Hilfe von Swap-Linien könnten die Zentralbanken der Peripherieländer unter Umständen das Währungsrisiko übernehmen, aber das Kreditrisiko können sie nicht absorbieren.

Genau hier könnte der positive Effekt eines SZR-Transfers der reichen auf die armen Länder ansetzen. Länder, die ihre SZR-Zuteilungen nicht brauchen, zahlen sie in einen Pool ein und gehen damit keine weiteren Verpflichtungen ein. Wenn die Kreditbürgschaften tatsächlich zu Verlusten führen, werden sie Verbindlichkeiten des Empfängerlandes. Dieses System müsste vom IWF entwickelt und verwaltet werden.

Was die Frage betrifft, den Peripherieländern eine antizyklische Fiskalpolitik zu ermöglichen, so sind praktisch keinerlei Fortschritte zu verzeichnen. Da der amerikanische Verbraucher nicht mehr der Motor der Weltwirtschaft ist, ist es sowohl für die betroffenen Länder als auch für die Weltwirtschaft insgesamt wichtig, dass diejenigen Peripherieländer, die eine grundsätzlich gesunde Haushaltslage aufweisen, die Binnenkonjunktur ankurbeln können. Die Länder im Zentrum tun das, warum also nicht die an der Peripherie? SZR waren ursprünglich dazu gedacht, Liquidität zu schaffen, aber mit den im Folgenden beschriebenen Modifikationen könnten sie auch als Konjunkturstimulus fungieren.

* Einige technische Probleme

Wenn reiche Länder, die in der Lage sind, ihre Konjunkturprogramme problemlos zu finanzieren, ihre SZR-Zuteilungen an arme Länder transferieren, die keinen finanziellen Spielraum für die Ankurbelung der Konjunktur haben, ist beiden Zwecken gedient. Obwohl dies die reichen Länder nichts kosten würde, wirft ein SZR-Transfer einige technische Probleme auf, die hier kurz erläutert werden müssen.

Einfach ausgedrückt handelt es sich bei SZR um eine internationale Währungseinheit, die der IWF selbst schafft. SZR können aber nicht direkt für den Ankauf von Waren und Dienstleistungen verwendet werden, sondern müssen in eine konvertierbare Währung umgewandelt werden. Das Problem dabei ist die Tatsache, dass mit den SZR Zinsen verbunden sind. Der IWF führt ein Konto für jedes Land, das SZR-Zuteilungen erhalten hat, sowie für andere genehmigte SZR-Empfänger. Einem Konto, das über seine SZR-Zuteilungen hinaus ein SZR-Guthaben aufweist, werden Zinsen gutgeschrieben. Für ein Konto mit einem Minus werden Zinszahlungen fällig. Der Zinssatz ist sehr niedrig: der gemittelte Zinssatz für kurzfristige Schuldverschreibungen in vier konvertierbaren Währungen plus einer Verwaltungsgebühr. Derzeit beläuft sich der Zinssatz auf weniger als 0,5%, aber er kann auch erheblich höher sein. Das ist die Ursache der Schwierigkeiten.

Da ein Zinsaufwand fällig ist, müssen die SZR budgetiert werden, wofür jedes Land seine eigenen Vorschriften und Verfahren hat. Einige reiche Länder können ihre Zuteilungen problemlos transferieren1). Aber in mindestens zwei führenden Ländern, den USA und Großbritannien, gilt der Transfer von SZR als Ausgabe, auch wenn ihm ein Erlös gegenüber steht. Sie fügen die SZR einfach ihren internationalen Reserven hinzu, wo sie keinerlei Zweck erfüllen - außer dem Aufhübschen des Budgets. Dies die Vorteile der geplanten SZR-Ausgabe ungemein.

Für dieses scheinbar unüberwindliche Hindernis gibt es jedoch eine einfache Lösung. Der IWF selbst könnte mit Hilfe seiner Goldreserven die Zinszahlungen übernehmen. Die Beträge sind gering: Wenn z.B. 80% der SZR in Höhe von 250 Milliarden US-Dollar von reichen an arme Länder transferiert und der gesamte Betrag tatsächlich ausgegeben würde, dann beliefen sich die Kosten auf ein Milliarde US-Dollar pro Jahr. Das Problem dabei ist: Wenn die Beträge, die tatsächlich ausgegeben wurden, nicht zurückgezahlt werden, fallen die Zinszahlungen permanent an. Das ist buchhalterisch unsolide, auch wenn die Beträge vernachlässigbar sind.

* Antizyklische Spielräume und öffentliche Güter

Eine Lösung könnte wie folgt aussehen: Es wird beschlossen, dass die SZR-Transfers zurückgenommen werden, wenn sich die Weltwirtschaft erhitzt, was an dem gemittelten Zinssatz der Schuldverschreibungen abzulesen ist. Dadurch würden die SZR wirklich zu einer antizyklischen Maßnahme. Der Zeitpunkt der Rücknahme sollte jedoch nicht im Voraus festgelegt werden, denn Puristen in den USA und in Großbritannien würden auf einer sofortigen Budgetierung bestehen.

Der IWF hat bereits einen Teil seines Goldes zur Finanzierung der Entschuldung der hoch verschuldeten armen Länder (HIPC) verwendet. Dasselbe könnte mit den SZR-Transfers geschehen. Das hätte einen wesentlich massiveren Effekt als eine Entschuldung. Die SZR-Transfers könnten dann für zwei Zwecke verwendet werden:

1. Für Kreditbürgschaften zur Verlängerung von Krediten, die 2009 fällig werden. Damit wäre eine akute Gefahr für die Weltwirtschaft gebannt. Sind 250 Milliarden US-Dollar nicht ausreichend, könnte der Betrag durch Ausgabe weiterer SZR, wie in der IWF-Satzung vorgesehen, ergänzt werden.

2. Für die Bereitstellung öffentlicher Güter, insbesondere für Länder in einer Armutsfalle. Mit öffentlichen Gütern meine ich Gesundheit, Bildung, Klimaschutz, Subsistenzlandwirtschaft, Mikrokredite und ähnliches. Für den Gesundheitsbereich gibt es bereits einen internationalen Mechanismus, der dringend weitere Mittel benötigt, der Globale Fonds für ansteckende Krankheiten. Was die Bildung betrifft, haben Brasilien und Mexiko mit der Bolsa Escola und der Bolsa Social eine Vorreiterrolle übernommen. Diese Länder vergeben Stipendien an Familien, deren Kinder regelmäßig die Schule besuchen und die einige andere Bedingungen erfüllen. Solche Programme könnten erweitert werden, auch auf andere Länder, die sich verpflichten, diese Programme Schritt für Schritt zu übernehmen. Im Bereich Klimaschutz wären Programme zum Schutz des Regenwaldes oder zur Aufforstung nützlich und relativ einfach umsetzbar. Das Projekt der Millennium-Dörfer und ähnliche Initiativen zur Förderung der Subsistenzlandwirtschaft könnten erweitert werden. Ähnliches gilt für Mikrokredite.

Der erste Anwendungsbereich passt sehr gut in die aktuellen Arrangements. Das einzige, was benötigt würde, wäre ein Übereinkommen der IWF-Mitglieder, ihre SZR zu transferieren und ein entsprechender Beschluss des IWF-Vorstands. Er könnte Teil der beabsichtigten SZR-Ausgabe in Höhe von 250 Mrd. US-Dollar sein. SZR zur Bereitstellung öffentlicher Güter müssten dagegen speziell konzipiert werden, was nicht ganz einfach ist. Zunächst müsste die globale Zivilgesellschaft den nötigen politischen Willen schaffen. Unter Umständen wäre ein Zusatz zur IWF-Satzung vonnöten, aber die Anstrengung würde sich auf jeden Fall lohnen. Eine solche SZR-Ausgabe würde nicht nur die Weltwirtschaft genau dort ankurbeln, wo ein Stimulus am dringendsten gebraucht wird, sie würde auch wichtigen humanitären Zwecken dienen – und das wäre ein überaus motivierender Erfolg.
______
1) Europäische Länder werden voraussichtlich Osteuropa bevorzugen. Wenn sie z.B. 10 Mrd. Dollar für das IWF-Programm für die Ukraine geben, hätte das eine enorme Wirkung: Das Programm, das derzeit lediglich den Kollaps des ukrainischen Finanzsystems verhindert, würde dann zu einem Programm werden, das tatsächlich Mittel für antizyklische öffentliche Investitionsprogramme zur Verfügung stellt.

George Soros ist Vorsitzender von Soros Fund Management.

Veröffentlicht: 17.5.2009

Empfohlene Zitierweise: George Soros, Das Potential der Sonderziehungsrechte, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E-Hintergrund Mai 2009.