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Der Sieg des Klimarealismus vor Kopenhagen

Artikel-Nr.: DE20091109-Art.52-2009

Der Sieg des Klimarealismus vor Kopenhagen

Internationale Klimadiplomatie in der Sackgasse

Vorab im Web – Die Wirtschafts- und Finanzkrise zwingt die Regierungen zur schonenden Regulierung des kapitalistischen Weltwirtschaftssystems. Klimaschutz besitzt in diesem Kontext nur einen geringen Stellenwert. Die nationalen Interessenlagen, die schon immer die internationale Klimapolitik bestimmt haben, treten deutlicher denn je in den Vordergrund. So wird verständlich, warum die UN-Klimaverhandlungen vor Kopenhagen so festgefahren sind, schreibt Achim Brunnengräber.

Es ist einmalig in der Geschichte, dass ein UN-Generalsekretär bereits im Vorfeld einer internationalen Konferenz deren Scheitern erwartet. Ban Ki-moon wäre schon zufrieden, wenn die Regierungen in eine „konstruktive Diskussion“ eintreten würden, die dann den Weg für Nach-Kopenhagen-Verhandlungen freimachen und zu einem rechtlich bindenden Abkommen führen würden.

Vor allem die nationalen Eigeninteressen der Industrie- und Schwellenländer sind verantwortlich dafür, dass das globale öffentlichen Gut „Atmosphäre“, das die Staatengemeinschaft mit der Klimarahmenkonvention (1992) und dem Kyoto-Protokoll (1997) angetreten ist für die ganze Menschheit zu schützen, so vernachlässigt wird. Dagegen demonstrierten auch 52 afrikanische Staaten beim Vorbereitungstreffen im November in Barcelona, die sich – ein Novum in den Klimaverhandlungen – auf einen gemeinsamen Forderungskatalog und die Entsendung einer gemeinsamen Delegation nach Kopenhagen verständigten. 67 Mrd. Dollar sollen die Industrieländer jährlich für Klimaschäden in Afrika zahlen und niedrige Reduktionsziele festlegen.

* Primat nationalstaatlicher Interessen

Es hat sich aber schon vor der Wirtschafts- und Finanzmarktkrise angedeutet: Die Regierungen vor allem der westlichen Länder wie der Schwellenländer haben sich erstens weit vom multilateralen, auf Kooperation zielenden Politikansatz entfernt. Nationalstaatliche Interessenpolitik in der globalen Konkurrenz obsiegt über weltgesellschaftliche, ökologische Notwendigkeiten. Der Rückfall der einstigen Klima-Kanzlerin Angela Merkel - so ihr durchaus geschicktes Auftreten während der EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2007 und als Gastgeberin des G8-Gipfels im Juni 2007 in Heiligendamm - zur Auto- und Industriekanzlerin à la Schröder, ist ein Beispiel dafür. Die Atompolitik Frankreichs, die Kohlepolitik Indiens und Chinas oder die verhärteten Positionen in den USA sind weitere Beispiele dafür, dass Klimaschutz vor allem Symbolpolitik ist und konkrete Gegenstrategien zur Reduktion der klimaschädlichen Emissionen noch immer fehlen.

Mit ihrem Einsatz für den Klimaschutz konnte Bundeskanzlerin Angela Merkel auch in ihrer Rede Anfang November vor dem amerikanischen Kongress Punkte sammeln. Die US-Demokraten applaudierten. Der republikanische Senator James Inhofe aber sagte: Die Rede werde die Debatte in den USA „in keiner Weise“ verändern. Und Hoffnungsträger Barack Obama kann aufgrund der innerstaatlichen US-amerikanischen Kräfteverhältnisse der Klimadiplomatie auch in schweren Zeiten nicht unter die Arme greifen. Dafür aber kann nicht nur der Kongress verantwortlich gemacht werden, der sich quer stellt und anspruchsvolle Klimagesetze verhindert. Nachdem die Obama-Regierung den Klimakiller CO2 zu einem Schadstoff erklärt hat, könnte das Umweltministerium auch unabhängig vom Kongress strenge Richtlinien erlassen.

Schließlich sind auch die geplanten Laufzeitverlängerungen der deutschen Atomkraftwerke das Gegenteil von dem, was die CDU/FDP-Regierung so gerne verkündet. Nicht Klimaschutz wird dadurch betrieben, sondern die Konservierung der herrschenden Energiepolitik und die Verhinderung des Ausbaus erneuerbarer Energien.

Aber nicht nur Deutschland, auch die Europäische Union hat sich längst von ihrer einstmaligen Vorreiterrolle in Sachen Klimaschutz verabschiedet. Sie bremst, indem sie – und ihre Mitgliedsstaaten – über die Lastenverteilung streitet und nicht bereit ist, verbindlich Finanzmittel für den Klimaschutz in den Entwicklungsländern zur Verfügung zu stellen. Die Schwellenländer aber machen Zusagen über eigene Klimaschutzmaßnahmen von eben diesen Finanzzusagen abhängig.

Vor allem proklamieren die Schwellenländer erheblichen wirtschaftlichen Nachholbedarf. Indien und China wollen auf die Verbrennung ihrer Kohlevorräte nicht verzichten. Sie benötigen die billige Energie, um auch weiterhin im globalen Standortwettbewerb konkurrenzfähig zu sein. China pocht vehement auf sein Recht, den CO2-Ausstoß noch mindestens zwei Jahrzehnte weiter zu erhöhen. Schließlich liege der Pro-Kopf-Ausstoß noch weit unter dem Niveau westlicher Industrieländer, die die historische Hauptverantwortung für den Klimawandel tragen würden, so Chinas Klimasonderbeauftragter Yu Qingtai. Die Industrieländer sollen erst mit gutem Beispiel voran gehen.

* Keine Vorbilder für den Süden

Doch davon kann zweitens keine Rede sein. Ein Plus des CO2-Ausstoßes von 50% von 1990 bis 2007 in Spanien, plus 40% in Portugal, plus 22% in Kanada, plus 16% in den USA – und auch plus 6% in dem Land, dem das Protokoll seinen Namen verdankt: Japan. Deutschland hat seinen CO2-Ausstoß um 20% reduziert und steht damit zusammen mit Großbritannien (minus 18%) relativ gut da. Insgesamt aber ist das Kyoto-Protokoll dennoch den Beleg schuldig geblieben, einen wirksamen Beitrag zur Lösung des Klimaproblems leisten zu können. Das ständige Gefeilsche um neue Reduktionsziele bis zum Jahr 2050 wirkt vor diesem Hintergrund wie ein Scheingefecht, das von den eigentlichen Problemen ablenkt und das Problem - symbolisch zumindest - in die Zukunft verlagert. Weltweit sind die Emissionen zwischen 1990 und dem Jahr 2007 um mehr als ein Drittel angestiegen.

Die ernüchternde Bilanz der Emissionsentwicklung führt drittens zur Infragestellung der Wirksamkeit der marktwirtschaftlichen Instrumente. Eine Wirkanalyse der Implementierung zeigt, wie eine kreative Kohlenstoffbuchführung die Reduktion der klimaschädlichen Gase gar nicht erforderlich macht. Da vor allem Transformationsländer wie etwa Polen über viele zugewiesene, aber nicht genutzte Emissionen verfügen, drohen die Kyoto-Ziele ausgehöhlt zu werden. Spanien etwa, das hohe Emissionszuwächse hat, ist an einem billigen Zukauf an Emissionsrechten aus Polen interessiert. Dann stimmt die Bilanz.

Der Emissionshandel kann aber im Sinne einer Emissionsreduktion nur funktionieren, wenn die Zertifikate knapp und nicht wie derzeit im Überschuss vorhanden und die Preise hoch sind. Auch der EU-Emissionshandel erfüllte dies nicht. Die kostenlose Ausgabe der Zertifikate, die Überallokation in der ersten Handelsperiode - der reale Bedarf der Industrie im Jahr 2005 wurde um satte 44 Mio. Tonnen überschritten – stellen nicht nur die Kinderkrankheiten dar, die es nur mal eben zu beseitigen gilt. Sie sind in die Kyoto-Struktur eingeschrieben. Das Vertragswerk ist das kristallisierte Produkt nationaler Interessen, die verhindert haben, dass damit die notwendigen Einschnitte in die fossilistisch gespeiste Wirtschaftskraft verbunden werden.

* Klimabuchhaltung im Norden

Dieses Argument wird vor allem plausibel, wenn ein weiteres Instrument des Kyoto-Protokolls, der Clean Development Mechanism (CDM), berücksichtigt wird. Mittels dieses Instruments können ebenfalls die erforderlichen Emissionsreduktionen im Ausland generiert und in das europäische Emissionshandelssystem eingespeist werden. Die ursprüngliche Logik des Instruments besteht darin, die Kosten von Klimaschutzmaßnahmen zu senken, indem sie dort umgesetzt werden, wo die Realisierungskosten am niedrigsten ausfallen und möglicherweise noch profitable Gewinne abwerfen. Bei einem hohen Anteil an registrierten CDM-Projekten wird jedoch deren Nutzen im Sinne einer zusätzlichen Reduktion von CO2-Emissionen angezweifelt. Auf diesem Weg gelangen auch „faule Zertifikate“ in die EU, was dann global betrachtet einen Mehrausstoß von C02-Emissionen zur Folge hat.

Die bisherige Bilanz des CDM zeigt schließlich, dass vor allem die Möglichkeit verbessert wird, die Emissionen rechnerisch in den Industrieländern bzw. in Unternehmen nicht unbedingt senken zu müssen. So werden auch die meisten EU-Staaten ihre Kyoto-Ziele nicht durch inländische Reduktionen, sondern nur durch den Zukauf von Zertifikaten erfüllen können. Die Bilanz stimmt wieder.

Die Zertifikatepreise sind zugleich höchst volatil und erheblich von konjunkturellen Entwicklungen oder von Spekulationen abhängig. Bei der bisherigen Preisentwicklung verpuffen die erhofften Lenkungseffekte auch auf diese Weise. Vor allem die momentane Krise sorgt für eine vorübergehende Entspannung in der Tendenz, dass die CO2-Emissionen weiter dramatisch ansteigen werden.

Dass die Menge der zugeteilten CO2-Zertifikate auf Druck der EU-Kommission in der zweiten Handelsperiode (2008-2012) etwas stärker begrenzt wurden, hat hingegen keinen entsprechenden Effekt. Die Instrumente sind so flexibel, dass sie es nicht zulassen werden, die Emissionen stärker zu senken, als es der Rhythmus des Wirtschaftswachstums erlaubt. Sie schaden niemandem und Schränken das Handeln kaum ein; nur so lässt sich die beispiellose Kritiklosigkeit ihnen gegenüber erklären.

* Energiesicherheit statt Klimaschutz

Ein anspruchsvoller Klimaschutz ist aber nur zu haben, wenn die Reduzierung der Verbrennung fossiler Energieträger gelingt. Damit ist die vierte Beobachtung angesprochen, weshalb die internationale Klimapolitik vor einem Scherbenhaufen steht. Vor dem Hintergrund der Endlichkeit fossiler Ressourcen rückt Energiesicherheit immer stärker in den Fokus nationaler Politik. Eine günstige Energieversorgung ist zwingend erforderlich, wenn im internationalen Standortwettbewerb mitgehalten und eine neuerliche Wachstumsphase eingeleitet werden soll. Alleine auf erneuerbaren Energien kann eine solche Politik des Wachstums nicht basieren. Gerade auch deshalb sind die Vorverhandlungen von Kopenhagen festgefahren. Es wird alles vermieden, was die Energiepreise verteuern oder falsche Marktsignale setzen könnte.

* Eine neue Protestgeneration?

Vor dem Hintergrund der Misserfolge, von denen die UN-Klimapolitik geprägt ist, formiert sich im Widerstreit mit der offiziellen Politik eine neue Generation global vernetzter, ziviler Protestkampagnen. Diese kritisieren auch das bisherige, zu sehr auf die Regierungen hoffende und angepasste Verhalten zahlreicher NGOs. Dem Climate Action Network (CAN) aus über 350 Organisationen, das die Verhandlungen nunmehr 20 Jahre kooperativ und mittels Lobbying begleitet, wird vorgeworfen, die zentralen Klimaprobleme wie das ungerechte Nord-Süd-Gefälle und die ungerechten Weltwirtschaftsbeziehungen vernachlässigt zu haben. Stattdessen sei beim Klein-klein der marktwirtschaftlichen Ausgestaltung der Klimainstrumente fleißig mitgearbeitet worden.

Viele NGOs wiederum warnen vor einer allzu radikalen Kritik: Die fragilen Verhandlungen sollten nicht noch von außen unnötig gestört werden. Das aber scheint gar nicht möglich bzw. nötig zu sein. Die so genannte Weltgemeinschaft legt sich selbst die Steine in den Weg, weil sie heillos zerstritten ist.

Das wirft die Frage auf, ob die internationale Klimapolitik überhaupt die richtige Arena darstellt, in der um den richtigen Weg zum Klimawandel gerungen werden soll. 12 Jahre nach Unterzeichnung des Kyoto-Abkommens und 17 Jahre nach Unterzeichnung der Klimarahmenkonvention sollte jedenfalls deutlich geworden sein, dass die internationalen Maßnahmen langwierig und bisher auch wenig zielführend sind. Viele Industrieländer haben ihre Minderungsziele zum Teil weit verfehlt, zu groß sind die Schlupflöcher, die Ausweichmöglichkeiten und die interessenbedingten Spielräume in der Buchführung.

In Zeiten der Finanz- und Wirtschaftskrise, eines Wirtschaftsabschwungs und eines in den kommenden Jahren erhöhten Finanzbedarfs für Krisenbewältigungsmaßnahmen sind niedrige Energiepreise, der Erhalt von Arbeitsplätzen und nationale Wettbewerbsfähigkeit – und zwar in den Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländern – wichtiger als die Reduktion von produktions- und konsumbedingten Emissionen. Die weiteren Verhandlungen und zu erwartenden Ergebnisse auch der Klimakonferenzen nach Kopenhagen werden diesem ökonomischen Primat nicht widersprechen.

Dr. Achim Brunnengräber ist Privatdozent an der FU Berlin. Zuletzt erschien von ihm: Die politische Ökonomie des Klimawandels, oekom: München 2009. Bezug: Buchhandel

Veröffentlicht: 8.11.2009

Empfohlene Zitierweise: Achim Brunnengräber, Der Sieg des Klimarealismus vor Kopenhagen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 11/2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).