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Die Selbstinthronisierung der G20 in Pittsburgh

Artikel-Nr.: DE20090929-Art.40-2009

Die Selbstinthronisierung der G20 in Pittsburgh

Zur Neuformatierung ökonomischer Global Governance

Vorab im Web – Der Pittsburgh-Gipfel am 24./25. September 2009 hat es quasi offiziell gemacht: Die Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) tritt als zentrales Steuerungszentrum ökonomischer Global Governance an die Stelle der G8. Damit beginnt eine neue Phase in der Weltwirtschafts- und Finanzpolitik. Doch auch die neue Steuerungsstruktur hat Klubcharakter. 85% der Staaten bleiben ausgeschlossen. Von Rainer Falk.

Es hörte sich schon fast selbstverständlich an und war dennoch die Überraschung dieses Gipfels: „Wir bestimmten die G20 zum obersten Forum unserer internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit“, heißt es fast schon lapidar im ???042ae69c9114ea401??? von Pittsburgh. Doch die Bedeutung dieses Schritts kann schwerlich unterschätzt werden. Die Gastgeber ließen es sich nicht nehmen, die Transformation der G20 zu einer Dauereinrichtung auf Gipfelebene vorab zu verkünden. Von einer „historischen Vereinbarung“ war in einem Statement des Weißen Hauses die Rede.

* Anstelle von G8

Um die Ernsthaftigkeit dieses Schritts zu unterstreichen und dem neuen Forum eine über den Tag hinausweisende Perspektive zu geben, hat man den Gipfelzeitplan für die nächsten Jahre gleich mit beschlossen: Im nächsten Jahr werden zwei G20-Gipfel stattfinden, einer im Juni in Kanada und einer im November in Südkorea. Ab übernächstem Jahr will man sich dann nur noch einmal pro Jahr auf Gipfelebene treffen, beginnend 2011 in Frankreich. Dabei fällt auf, dass (mit der Ausnahme Südkoreas) in beiden Jahren Regierungen die Gastgeber sind, bei denen auch die G8-Präsidentschaft liegt bzw. liegen würde: 2010 Kanada und 2011 Frankreich.

Bis 2011 hatte sich Frankreichs Präsident Sarkozy vorgenommen, den Erweiterungsprozess der G8 zu einer G14 zum Abschluss zu bringen. Inwieweit dies jetzt noch Sinn macht, ist derzeit offen: Wenn die Fragen der wirtschaftspolitischen Koordinierung von den G20 übernommen werden, bleiben für die G8 beim jetzigen Stand der Debatte zwei Optionen: Sie könnte ein Forum zur Diskussion geopolitischer Fragen werden, wie aus der US-Administration heraus vorgeschlagen wurde. Dann würde ihre Transformation zur G14 Sinn machen, denn es ist kaum vorstellbar, wie sinnvoll über Geopolitik ohne solch schwergewichtige Länder wie China und Brasilien diskutiert werden kann. Oder aber die G8 werden zu einer Art Vorbesprechung der Industrieländer für die G20-Gipfel, wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel in diesem Sommer vorgeschlagen hat (???042ae69c3f0d9430d???). Dazu bedürfte es aber keiner Erweiterung. Ebenso ist fragwürdig, wieso dies unbedingt auf Gipfelebene geschehen müsste.

Mit der Etablierung der G20 scheint also die Stunde der G8 – auf jeden Fall in ihrer bisherigen Form – geschlagen zu haben. Somit stellt sich vor allem die Frage, wie das neue Format zu bewerten ist. Während sie in puncto internationale Wirtschaftspolitik formal an die Stelle der G8 tritt, ist längst noch nicht ausgemacht, ob die G20 die G8 wirklich hinter sich lassen wird. In gewisser Weise lässt sich die G20 durchaus als eine „erweiterte G8“ sehen, in der die alten G8-Mächte nach wie vor den Ton angeben. Durchaus bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist, dass die ersten drei G20-Gipfel in Washington, London und Pittsburgh stattfanden.

* Erweiterte Exklusivität

Fraglos ist die G20, gemessen am Anteil der Beteiligten an der globalen Wirtschaftsleistung (85%) und an der Weltbevölkerung repräsentativer als die alte G7/G8. Dennoch hat sie ein formelles Legitimationsproblem. Dies zeigt bereits der Umstand, dass sie nicht von einem universellen Gremium – etwa einer Weltkonferenz oder der UN-Vollversammlung – ins Leben gerufen wurde, sondern dass sie sich selbst inthronisiert hat. Diese Selbstinthronisierung fand in Pittsburgh ihren Abschluss und wird auch in Zukunft von vielen als der eigentliche Geburtsfehler der G20 angesehen werden. Dazu gehören alle diejenigen – immerhin 85% der Staaten –, die in ihr nicht vertreten sind.

Es ist also unabweisbar, dass die G20 mit den G8 den Klubcharakter teilt, mit dem notgedrungen der Ausschluss der Nicht-Klubmitglieder einher geht. Zur Verdeutlichung: In einen Klub kann man nicht einfach hingehen – man wird eingeladen. Unter diesem Aspekt ist es bemerkenswert, dass zu der ursprünglichen Gruppe der 20 zusätzlich zwei Industrieländer (Spanien und die Niederlande) hinzu geladen wurden, aber kein einziges zusätzliches Land aus dem Süden. Oder dass die Chefs von IWF, Weltbank, OECD und WTO wie selbstverständlich mit am Tisch sitzen, der UN-Generalsekretär jedoch eher am Rande eine Rolle spielt und die Sprecher traditioneller Gruppierungen des Südens, etwa die Gruppe der 77, überhaupt nicht vertreten sind.

Immerhin haben die in der G20 vertretenen Entwicklungsländer den Aufstieg der G20, ebenso wie die Erweiterungsversuche der G8, zielstrebig genutzt, um die eigene Abstimmung und Positionsfindung untereinander voranzutreiben. Dies gilt beispielsweise für die G5 aus China, Brasilien, Mexiko, Südafrika und Indien, die im Rahmen des sog. Heiligendamm-Prozesses ihre eigenen Vorstellungen einer demokratischeren Global Governance deutlich gemacht haben. Ein weiteres Beispiel sind die BRIC-Staaten (mit Brasilien, Russland, Indien und China), die sich am Vorabend des G20-Finanzministertreffens in London (Anfang September) trafen, um ihre Forderung nach einer angemesseneren Vertretung im IWF zu konkretisieren (was jetzt immerhin in das Pittsburgh-Statement Eingang gefunden hat). Zu erwähnen wäre auch IBSA (Indien, Brasilien, Südafrika), deren Zusammenarbeit parallel zum Aufstieg der G20 an Format gewonnen hat.

* Die neue Dreiteilung der Welt…

Während der G20-Aufstieg somit auch im Süden neue Formierungsprozesse ausgelöst und/oder verstärkt hat, erscheint aber ein anderer Aspekt der neuen Konstellation noch wesentlicher: Mit der Selbstetablierung der G20 kommt auch eine neue Dreiteilung der Welt zum Ausdruck. Einst war von der Ersten, Zweiten und Dritten Welt die Rede, womit man die Industrieländer, die Welt des Realsozialismus und die Entwicklungsländer meinte. Heute lautet die Sprachregelung zusehends: die Industrieländer (developed countries), die Schwellenländer (emerging economies) und die armen (poor) Länder. Letztere sind exakt diejenigen, die aus der G20 und damit auch zukünftig aus den wesentlichen internationalen ökonomischen Entscheidungsprozessen ausgeschlossen sind.

Die neue Dreiteilung der Welt hat Implikationen, die sich derzeit in vollem Umfang noch gar nicht absehen lassen. Sie impliziert eine faktische Spaltung der bisherigen G77, deren Profil jetzt bereits bedenklich abgenommen hat. Sie wirft die Frage nach der Tragfähigkeit der neuen, pragmatischen Bündnisse des „???53168697df0fa2a01???“ auf, z.B. in der WTO, wo Schwellen- und Entwicklungsländer bislang oft gemeinsam agieren. Und sie beinhaltet für die Schwellenländer den inneren Konflikt zwischen einem Interessenausgleich mit den Industrieländern und der Solidarität mit der „neuen dritten Welt“.

Betrachten wir zum Abschluss in einer kurzen Skizze, ob und wie sich das neue G20-Tableau der Global Governance in den inhaltlichen Beschlüssen des Gipfels niedergeschlagen hat. Was Pittsburgh anlangt, so sticht ins Auge, dass gewisse Fortschritte bei der Regulierung der nach wie vor vom Norden dominierten Finanzmärkte gemacht wurden, wenn man die Bindung von Managerboni an den langfristigen Geschäftserfolg der Finanzindustrie und die schärferen Rücklagevorschriften und die geplanten Krisenpuffer für die Banken einmal als Fortschritte werten will. In der zentralen Frage, wie mehr Liquidität für die Länder des Südens für die Bewältigung der Krisenfolgen (und diese betreffen vor allem die armen Länder außerhalb der G20) aufgebracht werden kann, gab es jedoch keinen Millimeter Fortschritt.

* …und wie sie sich in den G20-Beschlüssen widerspiegelt

Bemerkenswert ist, dass die Proklamation der G20 zum zentralen wirtschaftspolitischen Forum im Zusammenhang mit der Verabschiedung des neuen „Rahmenwerks für starkes, nachhaltiges und ausbalanciertes Wachstum“ vorgenommen wurde. Hinter dieser etwas hölzernen Formulierung verbirgt sich ein erneuter Anlauf zur Bearbeitung der globalen Ungleichgewichte, die sich ökonomisch in hohen Defiziten (vor allem der USA) und exzessiven Überschüssen (vor allem China, Deutschland und Japan) niederschlagen. Diese Ungleichgewichte sind inzwischen – rezessionsbedingt – etwas zurückgegangen, dürften sich bei einem wirklichen Anspringen der Weltkonjunktur jedoch schnell wieder aufbauen. Es ist evident, dass der hier bestehende Regelungsbedarf vor allem die Industrie- und die Schwellenländer betrifft. Ob aber der neue Anlauf erfolgreicher als sein Vorgänger – der Versuch, eine multilaterale Surveillance im IWF zu etablieren – sein wird, steht in den Sternen.

Auch in einer etwas längerfristigen Perspektive geben die Ergebnisse des neuen Zentrums ökonomischer Global Governance kaum Anlass zu hoffnungsfroher Stimmung (???042ae69c8e09ca003???). Man kann die bisherigen G20-Beschlüsse in fünf Versprechen zusammenfassen:

1. Wiederherstellung von Wachstum und Arbeitsplätzen: Es dürfte Jahre dauern, bis davon wirklich wieder die Rede sein kann. Was den Arbeitsmarkt betrifft, steht die große Krise noch vor uns.
2. Rückkehr der Banken zu normaler Kreditvergabe: Auch darauf warten wir noch, während die Banken das Geld horten und die staatlichen Stützungen profitabel neu verwerten.
3. Stärkung der Finanzmarktregulierung: Bislang lassen sich nur sehr wenige neue Regulierungen ausmachen; das neue regulatorische Umfeld ist weitgehend das alte.
4. Reform der Banken und gefährlicher Finanzprodukte: Da kaum etwas geschehen ist, hat die Lust der Banken am Risiko wieder erheblich zugenommen.
5. Zurückhaltung beim Protektionismus: Hier gab es zwar keine ausgesprochene neue protektionistische Welle. Aber die Anzahl der nichttarifären Handelshindernisse hat weiter zugenommen und der finanzielle Protektionismus der vorwiegend national organisierten Konjunkturpakete ist unübersehbar.

Die globale Wirtschafts- und Finanzkrise hat die G20 also zum zentralen wirtschaftlichen Steuerungs- und Koordinierungsgremium werden lassen. Die andernorts gerne diskutierten Effizienzprobleme sind auch in dem neuen Gremium erheblich. Erstaunlicherweise sind sie aber nicht größer als im alten G8-Kontext. Eher ist das Gegenteil der Fall. Der Schritt zur G20 war zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung. Eine Ideallösung ist sie aber nicht. Auch in der neuen Konstellation werden die Maximierung globaler Teilhabe und ein besseres Management der Globalisierung zentrale Herausforderungen bleiben.

Veröffentlicht: 29.9.2009

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Die Selbstinthronisierung der G20 in Pittsbergh. Zur Neuformatierung ökonomischer Global Governance, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 29.9.2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).