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Entwicklungshilfe 08: Lichtblick vor dem Absturz?

Artikel-Nr.: DE20090330-Art.15-2009

Entwicklungshilfe 08: Lichtblick vor dem Absturz?

Die neuen ODA-Zahlen der OECD

Nur im Web - In 2008 sind die Ausgaben der Geberländer für öffentliche Entwicklungszusammenarbeit (ODA) deutlich gestiegen. Doch 2008, das war bevor die Weltwirtschaftskrise wirklich startete, die Bewährungsprobe unter erschwerten Bedingungen steht den Gebern noch bevor. Ein Überblick über Stand und Perspektiven der ODA von Bodo Ellmers.

Die vorläufigen Daten für die öffentliche Entwicklungshilfe (ODA: Official Development Assistance) für 2008 sehen rosig aus. Die im Entwicklungshilfe-Ausschuss (DAC) der OECD vereinigten Geberländer steigerten ihre Ausgaben um 10,2% auf 119,8 Mrd. US-Dollar und damit auf den höchsten Dollarbetrag, der je für ODA ausgegeben wurde. Wichtigster Geber bleiben die USA mit 26,01 Mrd. US-Dollar, Deutschland hält sich mit 13,91 Mrd. Dollar auf dem zweiten Platz, vor dem Vereinigten Königreich (11,41 Mrd.) und Frankreich (10,96 Mrd.). Bis auf Österreich und Italien haben alle 22 Geberländer des DAC ihre Ausgaben in 2008 gesteigert.

* ODA in der Krise – Krise der ODA?

Etwas weniger rosig sieht die Betrachtung der ODA-Quote aus, also des Anteils der Ausgaben für ODA am Bruttonationaleinkommen (BNE) der Geberländer. Diese beträgt für alle Geber 0,30%. Damit ist sie im Vergleich zu den 0,28% im Vorjahr zwar gestiegen, erreicht jedoch weiterhin nicht das Niveau von 2005, als größere Schuldenerlasse die Quote auf 0,33% getrieben hatten (s. Grafik). Lediglich fünf kleinere Geber erreichten das Jahrzehnte alte 0,7%-Ziel der Vereinten Nationen (Dänemark, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen und Schweden). Die EU-Geber konnten ihre Quote von 0,39 auf 0,42% steigern, liegen damit aber auch weiterhin ein gehöriges Stück von ihrem kollektiven Ziel entfernt, im Jahr 2010 0,56% des BNE zur Verfügung zu stellen. Deutschlands ODA-Quote ist mit 0,38% des BNE im Vergleich zum Vorjahr (0,37%) praktisch unverändert geblieben.

ODA 1990-2008 (bis 2010: Projektion)


Gar nicht mehr so rosig sieht es jedoch um die Zukunft der ODA in Zeiten der Weltwirtschaftskrise aus. Der DAC gibt in seinen Erläuterungen zwar an, dass weitere Steigerungen in die Haushalte der Geberländer einprogrammiert seien und die meisten ihre Steigerungsziele erreichen oder „beinahe erreichen“ werden. Dagegen stehen jedoch Prognosen der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), die darauf verweist, dass vergangene Finanzkrisen in den betroffenen Geberländern stets zu teils massiven Kürzungen der ODA geführt haben.

Jüngere Nachrichten scheinen der UNCTAD Recht zu geben:
* Bereits für 2009 haben einige Länder Kürzungen angekündigt. Besonders drastisch Italien (derzeitige G8-Präsidentschaft!), das den Posten im Kernhaushalt des Außenministeriums um 55% reduziert hat und damit in 2009 auf eine ODA-Quote von kaum mehr 0,1% kommen dürfte.
* Auch das von der Krise besonders stark betroffene Irland hat sein Entwicklungsbudget in einem Nachtragshaushalt gekürzt, dieses sogar überproportional im Vergleich zu anderen Haushaltsposten.
* Lettland, das unter dem Druck eines IWF-Programms steht, hat sein Entwicklungsbudget komplett gestrichen.
* Bei anderen Ländern, besonders Großbritannien, wird der Nutzen der ODA in 2009 stark sinken, weil die Währung durch die Krise stark an Wert verloren hat und damit die Kaufkraft der ODA in den Empfängerländern zurückgegangen ist.

Immerhin hat die Bundesregierung für 2009 eine weitere solide Steigerung der ODA in den Haushalt eingestellt, und zumindest die rhetorischen Bekenntnisse von Merkel und Wieczorek-Zeul weisen in die Richtung, dass man in Deutschland auch in Zukunft die Verpflichtungen zur Steigerung der ODA aus dem Stufenplan der EU ernst zu nehmen gedenkt. Die Bewährungsprobe dafür steht allerdings noch bevor, denn der Entwicklungshaushalt für 2009 wurde in Deutschland wie in anderen Geberländern bereits Anfang 2008 entworfen, also bevor die Krise wirklich ausbrach.

Erst im gerade erst anlaufenden Haushaltsprozess für den „Krisenhaushalt“ 2010 wird sich also zeigen, ob die Bundesregierung ihre Rhetorik in Realität umsetzt. Laut Prognosen des DAC müsste Deutschlands ODA dann inflationsbereinigte 17,69 Mrd. US-Dollar betragen, um das Mindestziel von 0,51% zu erreichen, zu dem sich Deutschland im Rahmen des Stufenplans verpflichtet hat. Das ist eine solide Steigerung in Höhe von 3,78 Mrd. US-Dollar gegenüber 2008.

* Frage des politischen Willens und der Prioritätensetzung

Was zunächst nach einer enormen Herausforderung aussieht, ist tatsächlich nur eine Frage des politischen Willens und der Prioritätensetzung. Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat jüngst in einer Note an die G20 errechnet, dass die fortgeschritten G20-Länder bereits bis Mitte Februar Zuschüsse, Liquidität und Garantien zur Rettung ihrer Finanzinstitutionen in Höhe von 43,12% ihres BNE bereitgestellt hatten. Im Vergleich zur aktuellen ODA-Quote der DAC-Geber von 0,30% des BNE stehen diese Rettungspakete im Verhältnis von 143:1, entsprechen also der Entwicklungshilfe von 143 Jahren. Regierungen reicher Länder haben in den letzten Monaten eindrucksvoll bewiesen, dass sie fern aller politischen und haushaltsrechtlichen Zwänge kurzfristig gigantische Summen an Geld mobilisieren können – wenn sie das für nötig halten.

* Entwicklungshilfe nötiger denn je

In Zeiten der Krise benötigen viele Entwicklungsländer die ODA als vergleichsweise stabile Quelle der Entwicklungsfinanzierung dringender als jemals zuvor. In den Boom-Jahren war ODA nur eine Quelle unter vielen, wurde in den meisten Entwicklungsländern von Exporteinnahmen, Rücküberweisungen von Arbeitsmigranten und privaten Kapitalzuflüssen weit in den Schatten gestellt. Jetzt jedoch sind private Kapitalflüsse in den Süden nahezu zum Stillstand gekommen, in einigen Ländern sind die Nettoflüsse sogar negativ, weil Privatkapital sich in die sicheren Häfen des Nordens zurückzieht. Für den Welthandel wird erstmals seit vielen Jahrzehnten mit einem Rückgang gerechnet, besonders Rohstoffexporteure sind vom Rückgang der Nachfrage und gleichzeitigem Verfall der Rohstoffpreise stark betroffen.

Spitzenfunktionäre internationaler Organisationen sparen daher derzeit nicht mit Aufrufen an die Regierungen reicher Länder, ihr finanzielles Engagement in der Entwicklungszusammenarbeit zu steigern. So wirbt etwa Weltbank-Präsident Robert Zoellick vehement um Beiträge für den neuen Vulnerability Fund, dessen Ausschüttungen die Folgen der Krise auf besonders betroffene arme Länder abfedern sollen. UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bezifferte den Finanzbedarf der Entwicklungsländer, um die Krise zu überstehen und die Millennium-Entwicklungsziele noch zu retten, auf eine Billion US-Dollar und forderte reiche Länder in einem Brief an die Regierungschefs der G20 dazu auf, diese Summe in Form von Zuschüssen und konzessionären Krediten in 2009 und 2010 zur Verfügung zu stellen.

Derartige Aufrufe zu neuem Engagement treffen die Geber jedoch offensichtlich in einer Situation, in der sie bereits bei der Einlösung ihrer alten Verpflichtungen zu scheitern drohen. Diese Nichteinlösung führt dazu, dass auch die ODA keine wirklich stabile und langfristig vorhersehbare Quelle der Entwicklungsfinanzierung ist. Die Folgen mangelnder Vorhersehbarkeit sind besonders für stark von Entwicklungshilfe abhängige Empfängerländer fatal. Fallen Einnahmen aus der ODA in der Praxis geringer aus, als es von Gebern zugesagt und von Empfängern im Haushalt eingeplant wurde, dann heißt das, dass entweder geplante Programme zur Armutsbekämpfung nicht aufgeführt werden können oder dass laufende Programme abgebrochen werden müssen, oder aber das geplante Armutsbekämpfungsstrategien zwar planmäßig ausgeführt werden, jedoch vom Empfängerland durch kurzfristige Schuldenaufnahme finanziert werden müssen. Derart ungeplante und ungewollte Schuldenaufnahme gehört zu den Hauptgründen für Überschuldung in vielen Entwicklungsländern. Geberländer und internationale Finanzinstitutionen sind regelmäßig nicht in der Lage, ihren Anteil an der Finanzierung genau jener Armutsbekämpfungsstrategien zu leisten, an deren Entwurf sie maßgeblich beteiligt waren und deren Existenz sie zur Voraussetzung von Entwicklungszuschüssen und Kreditvergabe machen.

* Platz für innovative Ideen

Ein Vorteil der Weltwirtschaftskrise ist, dass sie Platz für innovative Ideen von großer Tragweite geschaffen hat. Jüngst hat sich auch die UNCTAD in diese Debatte eingeschaltet. Sichtlich verärgert von der permanenten Nichteinlösung von Geberversprechen und der daraus resultierenden Unvorhersehbarkeit der ODA schlägt sie vor, ein Stiftungsmodell zur ODA-Finanzierung einzuführen. Das Kapital dieser Stiftungen würde aus einem Mix an Staatsanleihen bestehen, die Kapitalsumme würde nicht angetastet, lediglich die Erträge würden die Entwicklungszusammenarbeit finanzieren. Die Kapitalsumme, die in diesen Stiftungsfonds eingezahlt werden müsste, wäre sicherlich immens, vor allem wenn die Ausschüttungen das 0,7%-Ziel der UN erreichen sollen. Allerdings wird derzeit viel mit immensen Summen hantiert, und meist für niedere Zwecke als für die Überwindung der Armut.

Bodo Ellmers ist Mitarbeiter des Europäischen Netzwerks zu Schulden und Entwicklung (EURODAD) und europäischer Vertreter im Management Committee von Reality of Aid.

Veröffentlicht: 30.3.2009

Empfohlene Zitierweise: Bodo Ellmers, Entwicklungshilfe 08: Lichtblick vor dem Absturz?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 30. März 2009.