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Frauen in der Globalisierung: Vom Boom zur Krise

Artikel-Nr.: DE20090320-Art.14-2009

Frauen in der Globalisierung: Vom Boom zur Krise

Ein Überblick über neuere Untersuchungen

Anfang März tagt jedes Jahr in New York die UN-Frauenrechtskommission. Den Internationalen Frauentag am 8. März nehmen außerdem viele Institutionen zum Anlass, neue Globaldaten und Erkenntnisse über die Lebens-, Arbeits- und Problemsituationen von Frauen vorzulegen. In diesem Jahr rangierte die globale Krise ganz oben auf der Agenda, vor allem in ihren Auswirkungen auf die Erwerbsmärkte. Einen Überblick gibt Christa Wichterich.

Die Krise beendet eine Phase weltweiten Beschäftigungswachstums, von der Frauen stark profitierten. Laut Internationaler Arbeitsorganisation (ILO) stieg die Beschäftigungsrate von Frauen jahrelang an, während die von Männern stagnierte oder gar rückläufig war. 2007 arbeiteten weltweit allerdings 52% der weiblichen Erwerbstätigen höchst prekär oder „verletzlich“, so die ILO, nämlich 24% in Familienbetrieben und 28% selbstbeschäftigt. 46% waren formell beschäftigt und nur 2% Arbeitgeberinnen. Die Jobgewinne von Frauen lagen in den letzten Jahren vor allem in flexiblen und informellen Arbeitsformen. Dies ist auch der Schlüssel dafür, dass eine Verringerung des Beschäftigungsgefälles zwischen den Geschlechtern – mit Ausnahme einiger EU-Länder – nicht zu einem geringeren Lohngefälle führte. 60% der working poor sind Frauen. In Sub-Sahara Afrika und Südasien sind – trotz z.B. in Indien steigender Wachstumsraten – vier Fünftel aller Beschäftigten working poor.

* Enorme Einkommensschere

Die ILO stellt fest, dass sich mit der Marktöffnung und den globalen Kapitalstrategien die Einkommensschere enorm geöffnet hat, prototypisch in den USA. Zwischen 2003 und 2007 stiegen dort die Direktorengehälter um 45%, die der Manager um 15% und durchschnittliche Arbeitslöhne um 3%. Frauen sind in den beiden oberen Einkommensgruppen immer noch eine Minderheit. 2003 verdienten die Direktoren der führenden US-Firmen das 300-fache von durchschnittlichen Beschäftigten, 2007 das 500-fache. Gleichzeitig sind Steuern auf hohe Einkommen reduziert worden, wodurch die Umverteilungseffekte der Fiskalpolitik abnehmen. Ethnische Herkunft (race) ist neben dem Geschlecht ausschlaggebend für die soziale Situation. Mehr Subprime-Kredite wurden an Männer als an Frauen verkauft, wobei afro-amerikanische und Latina-Frauen vor Weißen rangierten. Schwarze Alleinerziehende sind häufiger erwerbslos als weiße.

Ende 2008 zeigte sich die Krise bereits auf allen Erwerbsmärkten mit deutlich steigenden Zahlen von Erwerbslosigkeit, von working poor und informell Arbeitenden. Frauen sind die Mehrzahl in diesen drei prekären Bereichen tätig und damit schlecht für Krisenzeiten gewappnet. Die ILO erwartet, dass 2009 weitere 22 Millionen Frauenjobs verloren gehen.

* Gender und Handelsliberalisierung

Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), deren Expert Meeting anlässlich des Internationalen Frauentags sich mit dem Zusammenhang von Gender und Handelsliberalisierung beschäftigte, folgt dagegen der Position des neoliberalen Ökonomen Jagdish Bhagwati. Er behauptet, dass die globale Verflechtung und Handelsliberalisierung Geschlechterunterschiede auf den Märkten verringern. UNCTAD setzt auf neue Chancen durch Marktöffnung und Freihandel: Frauen würden vom Wechsel von food crops zu cash crops in der Landwirtschaft, von Beschäftigung in Exportsektoren, selbstständigem Unternehmertum und der Migration, sowohl als Migrantin als auch als Empfängerin von Rücküberweisungen, auf jeden Fall profitieren. Handelsliberalisierung wird als Anreiz zur Effizienzsteigerung betrachtet, die dann Diskriminierung beseitigen soll.

Die bei der UNCTAD-Konferenz vorgestellten Fallstudien widersprechen jedoch dem Gleichstellungsoptimismus: Die Lohnspreizung zwischen hoch- und geringqualifizierter Arbeit nimmt zu; bestenfalls nähern sich die Löhne von Männern und Frauen auf demselben Qualifikationsniveau an. Frauenbeschäftigung ist überwiegend temporär, niedrigqualifiziert und schlechtbezahlt. Kleine frauengeführte Unternehmen stehen unter existenziellem Konkurrenzdruck durch Importprodukte sowie große und ausländische Unternehmen. Migrantinnen lassen eine Versorgungslücke im Gesundheits-, Bildungs- und privaten Haushaltssektor in ihren Heimatländern zurück.

Das britische Overseas Development Institute (ODI) bestätigt, dass die Risiken des globalen Wettbewerbs für Frauen besonders hoch sind. ODI sieht riskante Auswirkungen der Handelsliberalisierung auf Frauen in drei Bereichen: Beschäftigung und Einkommen, Preisentwicklung und öffentliche Dienste. Um Armut und soziale Ungleichheiten zu reduzieren und Frauendiskriminierung zu verhindern, müssten nationale Politiken, Gesetzgebung und Regulierung vermittelnd intervenieren. Solche Eingriffe zugunsten von ökonomisch Schwachen und von Frauen blieben jedoch bisher weitgehend aus und sind auch in den Rettungspaketen in der Krise nicht vorgesehen.

* Auswirkungen der Krise auf Erwerbsarbeit

Die Krise betrifft die Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen sektoral und regional sehr unterschiedlich. Aufgrund der Auftragseinbrüche im Exportsektor sind im Süden massive Jobeinbrüche in arbeitsintensiven frauendominierten Industrien wie Textilien, Spielzeug und sogar Elektronik zu beklagen. In China haben geschätzte 10 Millionen Wanderarbeiterinnen im vergangenen Jahr ihren Job in der Exportproduktion verloren. Im Norden verlieren vor allem Männer in den kapitalintensiven Schlüsselindustrien wie Automobil und Maschinen ihre Jobs.

Weltweit arbeiten 46,3% aller weiblichen Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor (zum Vergleich: 41,2 % der Männer), und dort vor allem in Gesundheits- und Bildungsbereichen im öffentlichen Sektor. Ihre Jobs sind im Augenblick noch krisensicher. Wenn allerdings die Regierungen die öffentlichen Dienste aus Spargründen weiter verschlanken, sind auch dort Entlassungen zu befürchten.

In einigen Industrienationen verschlechterte die Krise bisher die Erwerbssituation von Männern mehr als die von Frauen. Männerjobs in der Produktion sind konjunkturabhängiger als Frauenjobs im Service-Sektor. In den USA wurden seit dem Beschäftigungshöhepunkt Mitte 2007 fast doppelt so viele Männer wie Frauen erwerbslos, und zwar vor allem in der Verarbeitungsindustrie und im Baugewerbe. Nach Angaben des Center for American Progress entfallen derzeit 82 % aller Stellenstreichungen auf Männer.

Ironischerweise sind zwei Sektoren, in denen Frauen in den USA in der Vergangenheit stark an Boden gewannen, stark krisengebeutelt, nämlich Finanzdienstleistungen und Immobilien. Dort verloren nun mehr Frauen als Männer ihre Jobs.

* Sorgearbeit

Die UN-Frauenrechtskommission thematisierte in diesem Jahr nicht nur die Krise, sondern auch die andere, unterbelichtete Seite von Frauenarbeit, nämlich soziale Reproduktion und Sorgearbeit. Ihr Schwerpunkt war die „Teilung von Verantwortung zwischen Männern und Frauen bei Versorgungs- und Pflegearbeit im Kontext von HIV/AIDS“.

Das UN-Forschungsinstitut für Soziale Entwicklung (UNRISD) stellte eine Reihe von Studien über unbezahlte Pflege- und Sorgearbeit vor, die zeigen, dass weltweit ein gerechtes Teilen von Versorgungsarbeiten noch nicht in Sicht ist. Während Frauen immer mehr bezahlte Arbeit leisten, hat sich die Beteiligung von Männern an der unbezahlten Arbeit nicht wesentlich erhöht. Dadurch arbeiten Frauen insgesamt länger und sind „zeitärmer“ als Männer. Wegen der Versorgungsarbeiten für Kinder, Kranke und Alte haben viele Frauen wenig Spielräume für Erwerbsarbeit, entscheiden sich für Teilzeitarbeit oder den informellen Sektor und haben geringere Verdienst- und Karrierechancen und weniger – falls überhaupt – Pensionsansprüche.
Regierungen haben im Rahmen neoliberaler Politiken öffentliche Betreuungsangebote reduziert und einen Markt für private Anbieter geschaffen. Im von HIV/AIDS geplagten Tansania ist der Staat nicht in der Lage, die Qualität des öffentlichen Gesundheitswesens oder privater Anbieter zu regulieren. Die Armen können weder „informelle“ Gebühren noch Marktpreise für die Versorgung zahlen. Frauen übernehmen deshalb notwendige Sorgearbeit in Privathaushalten oder durch Selbsthilfe in den lokalen Gemeinschaften. Gemeinnützige Initiativen, im Norden Ehrenamt oder Freiwilligenarbeit genannt, sind im Süden aus der schieren Not geboren.

Die ohnehin schon bestehende Versorgungskrise wird durch die globale Krise noch einmal verstärkt. Wie bei der HIV/AIDS-Pflege wird davon ausgegangen, dass Frauen Krisensituationen und Versorgungsengpässe auch in Zukunft durch unbezahlte Mehrarbeit auffangen oder durch die Kombination mehrerer Mini-Jobs abfedern werden. Bizarrerweise führt die Krise zu einer neuen Form der Diskriminierung: Die Frauen übernehmen noch mehr Verantwortung und Arbeit zur Existenzsicherung der Familien.

Hinweise:
* ILO, Global Employment Trends for Women 2009, Geneva 2009. Bezug: über www.ilo.org
* Overseas Development Institute, Untangling links between trade, poverty and gender, London 2009. Bezug: über www.odi.org.uk
* UNCTAD, Mainstreaming gender in trade policy. Expert meeting on mainstreaming gender in trade policy, Geneva, 10-11 March 2009. Info: über www.unctad.org
* UN Economic and Social Council, 2008, The equal sharing of responsibilities between women and men, including caregiving in the context of HIV/AIDS, New York 2009 (for the Commission on the Status of Women, 2-13 March 2009
* UNRISD, Political and social economy of care, Geneva 2009. Bezug: über www.unrisd.org

Veröffentlicht: 19.3.2009

Empfohlene Zitierweise: Frauen in der Globalisierung: Vom Boom zur Krise. Ein Überblick, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 03-04/März-April 2009.