Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

G20: Der eigentliche Sieger ist der IWF

Artikel-Nr.: DE20090403-Art.17-2009

G20: Der eigentliche Sieger ist der IWF

Die Ergebnisse des Londoner Gipfels

Nur im Web - Beim Londoner G20-Gipfel ist mehr herausgekommen, als ich erwartet hatte, aber weniger, als angesichts des dramatischen Versagens der alten Ordnung, die eigentlich eine deregulierte Unordnung war, notwendig wäre. Klar ist, dass den ersten Schritten von London weitere Schritte folgen müssen. Welche das sein sollten, kann ohne eine gründlichere Analyse der Abschlussdokumente nicht beantwortet werden. Von Rainer Falk.

Bedeuten „die ersten Bausteine für eine neue Weltordnung“, die der Leitartikler der Financial Times entdeckte, bereits, dass wir „auf gutem Wege“ sind, wie die taz kommentierte? Oder reflektiert der Gipfel vor allem eine bemerkenswerte Machtverschiebung, angesichts derer die Wortführer des Südens nicht mehr am Katzentisch Platz nehmen müssen, wie Petra Pintzler in der Zeit und unser Gastblogger Duncan Green aus London fast unisono schreiben?

* Das neue Finanzpaket

Unmittelbar ins Auge sticht die tiefe Kluft zwischen den großen Zahlen und den weniger konkreten Absichtserklärungen, welche die künftige Kontrolle der Finanzmärkte betreffen und die en detail erst ausgearbeitet und umgesetzt werden müssen. Der eigentliche Sieger von London ist klar der IWF. Er soll 500 Mrd. Dollar neue Mittel bekommen, um den in Zahlungsschwierigkeiten geratenen Schwellen- und Entwicklungsländern zu helfen, so dass sich seine „Kriegskasse“ von derzeit 250 auf 750 Mrd. Dollar verdreifacht. Zwar waren Teile dieser Aufstockung bereits vor dem G20-Gipfel zugesagt (100 Mrd. Dollar von Japan, 70 Mrd. Dollar von den EU-Ländern) und der Rest muss im Rahmen des „General Agreement to Borrow“ noch mobilisiert werden. Aber bei künftigen Rettungsaktionen dürfte es dem IWF, dem kürzlich noch die Irrelevanz drohte, nicht an Geld mangeln.

* Abkehr von der prozyklischen Politik?

Die große Frage ist, welche Konditionen künftig mit dieser Geldvergabe verknüpft sein werden. Einen Hinweis darauf gibt das Kommuniqué: Die neuen Finanzmittel sollen „das Wachstum in Schwellen- und Entwicklungsländern unterstützen, indem sie helfen, antizyklische Ausgaben, die Rekapitalisierung der Banken, die Infrastruktur, Handelsfinanzierung, Unterstützung der Zahlungsbilanz, Umschuldungen und soziale Hilfe zu finanzieren“. Das verträgt sich nicht mit der alten krisenverschärfenden Auflagenpolitik, wie wir sie aus der Zeit der Asienkrise noch in unangenehmer Erinnerung haben und wie sie auch bei den jüngsten Osteuropa-Krediten noch sichtbar ist.

Die Gipfeldokumente

Eine kleine Überraschung ist, dass die G20 auch den Weg für die Neuausgabe von Sonderziehungsrechten (SZR) in Höhe von 250 Mrd. Dollar freigemacht haben. Dieses vom IWF selbst geschaffene Kunstgeld wird zunächst nach den bestehenden Quoten zugeteilt, weshalb allein die G7-Länder 44% davon bekommen. Doch die Erweiterung dieses Überziehungskredits der Mitgliedsländer bedeutet auch für die ärmeren Staaten eine Erhöhung ihrer Liquidität. Das besondere daran ist, dass die Mittel in Höhe der eigenen IWF-Quote ohne wirtschaftspolitische Konditionalität zur Verfügung stehen, weshalb die Maßnahme auch lange von Ländern wie Deutschland blockiert wurde.


Die beiden anderen Teile des neuen finanziellen Kuchens, der in verschiedenen Medien oft auch als globales Konjunkturpaket beschrieben wurde, bestehen aus 250 Mrd. Dollar für die Handelsfinanzierung und 100 Mrd. Dollar für die multilateralen Entwicklungsbanken. Während das Gros der 250 Mrd. bestehende Zusagen im Rahmen der jeweiligen außenwirtschaftlichen Bürgschaftssysteme betrifft, handelt es sich bei den 100 Mrd. Dollar noch am ehesten um „fresh money“. Da ein Großteil davon wohl auf die Weltbank und ihr rechtzeitig geschaffenes „Vulnerability Framework“ (einschließlich einer „Infrastructure Crisis Facility“ und eines „Rapid Social Response Fund“) entfällt. Die Weltbank ist deshalb der vielleicht zweite Sieger von London.

* Noch viel zu erledigen

* Mehr Gewicht für den Süden:
Natürlich wirft dieser neue Geldsegen für die internationalen Finanzinstitutionen die Frage auf, wie Ernst die im Kommuniqué gemachten Ankündigungen zu nehmen sind, das Gewicht der Schwellen- und Entwicklungsländer in diesen Einrichtungen zu erhöhen. Ein Zeichen des guten Willens ist, dass die nächste Runde der Quoten- und Stimmrechtsreform vorfristig bis Ende 2010 abgeschlossen werden soll. Ob dies wirklich ein Durchbruch zur Fixierung neuer Machtverhältnisse sein wird, muss sich erst zeigen. Aber klar ist, dass die Forderung nach einer besseren Repräsentation von Seiten des Südens nicht mehr verstummen wird, vor allem wenn es richtig ist, dass China sich bereits heute mit 40 Mrd. Dollar an der Mittelaufstockung für den IWF beteiligt.

* Umsetzung der Finanzmarktkontrolle: Gründlich beobachtet werden muss auch, was aus der im Kommuniqué angekündigten Kontrolle von Hedge-Fonds, Schattenbanken und Rating-Agenturen in der Zukunft werden wird. Am konkretesten unter den in London gefassten Beschlüssen ist noch die Aufwertung des Financial Stability Forum zu einem Financial Stability Board (FSB) und seine Erweiterung um Vertreter aus nunmehr allen Schwellenländern. Zusammen mit dem IWF soll der FSB u.a. überwachen, dass die noch ausstehende Einrichtung von Aufsichtskollegien für international tätige Banken bis Juni 2009 abgeschlossen wird (derzeit gibt es bereits 28 solcher Kollegien), sowie dafür sorgen, dass Marktrisiken künftig frühzeitiger aufgespürt werden („Frühwarnsystem“) und die Arbeit an internationalen Standards im Finanzsektor künftig besser koordiniert wird. Alles dies deutet darauf hin, dass – auch wenn man das jetzt noch nicht so sagt – die Entwicklung künftig vielleicht doch in die Richtung einer globalen Regulierungs- und Aufsichtsbehörde geht.

* Steueroasen verschwunden? Fast schon peinlich ist der Ausgang des Streits über den künftigen Umgang mit Steueroasen und Finanzzentren. Hier passt wirklich einmal der Spruch von dem kreißenden Elefanten, der eine Maus gebar. Hier verweist das Kommuniqué einfach auf eine neue dreigliedrige Liste, die von der OECD noch am Tag des Gipfels veröffentlicht wurde. Danach gibt es jetzt nur noch vier Länder, die zu den eigentlich "bösen Buben" gehören: Costa Rica, Malaysia (Labuan), die Philippinen und Uruguay. Alle anderen haben die "international (d.h. im Klub der OECD) vereinbarten Steuerstandards" entweder vollständig umgesetzt oder ihre Umsetzung angekündigt. Zu letzteren gehören Juristiktionen wie Liechtenstein oder Monaco, aber auch "andere Finanzzentren" wie Österreich, die Schweiz und Luxemburg. Und da sage noch einer, der G20-Gipfel sei nicht "der Anfang von Ende der Steuerparadiese" (Gordon Brown). Dass sein Land jetzt auf einer „grauen Liste“ steht, sei für Luxemburg „keine Katastrophe“ und nicht rufschädigend für den Finanzplatz, erklärte umgehend Premierminister Jean-Claude Juncker.

* Ein Prozess – kein „Big Bang“

Wenn Verlauf und Ergebnisse des G20-Gipfels in London etwas zeigen, dann dieses: Anders als die Liberalisierung am Londoner Finanzmarkt vor etlichen Jahren, ist die Schaffung einer Neuen Internationalen Finanzarchitektur nicht als „Big Bang“ denkbar, sondern nur in einem längeren Prozess. Als nächstes in diesem Prozess sind nicht die G20, sondern die G192, also die Vereinten Nationen, am Zuge. Sie kommen vom 1.-4. Juni diesen Jahres zu dem in Doha beschlossenen (W&E 12/2008) UN-Gipfel über die Weltfinanzkrise und ihre Auswirkungen auf die Entwicklungsländer in New York zusammen. Die Mehrheit der Länder der Welt hat dort die Chance, neue Maßstäbe in der Debatte um die Konsequenzen aus der globalen Krise zu setzen. Wenn diese Chance genutzt wird, werden sich die Rahmenbedingungen wieder ein Stück verändert haben, wenn die G20 ihr nächstes Gipfeltreffen im September in New York abhalten. Die Karawane zieht also weiter, nach New York an den Sitz der Vereinten Nationen. Geografisch jedenfalls stimmt die Richtung.

Veröffentlicht: 3.4.2009

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, G20: Der eigentliche Sieger ist der IWF, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 3.4.2009.