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Migration als Beitrag zur menschlichen Entwicklung

Artikel-Nr.: DE20091009-Art.43-2009

Migration als Beitrag zur menschlichen Entwicklung

Human Development Report 2009

Vorab im Web – Der diesjährige Human Development Report (HDR: „Bericht über die menschliche Entwicklung“) des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) ist der erste mit dem Schwerpunkt Migration und trägt das Motto „Barrieren überwinden“. Ein solcher Schwerpunkt war überfällig, leben doch bis zu einer Milliarde Menschen als Migranten innerhalb oder außerhalb ihres Landes. Eine Übersicht von Frank Kürschner-Pelkmann.

740 Millionen Menschen sind sog. Binnenmigranten, sind also in einen anderen Teil ihres Landes gezogen, um dort eine besser bezahlte Arbeit zu finden. Besonders in Indien und China gibt es eine große Zahl solcher MigrantInnen. Daneben gibt es mindestens 200 Millionen Migranten, die im Ausland leben und arbeiten. Nur 3% aller Afrikanerinnen und Afrikaner leben außerhalb ihres Heimatlandes und davon wiederum nur ein Drittel in Europa.

* Ungleiche Lebenschancen

Überraschend ist die folgende Erkenntnis des Berichtes: „Die mittlere Migrationsquote eines Landes mit niedriger menschlicher Entwicklung liegt unter 4%, verglichen mit über 8% in Ländern mit einem hohen menschlichen Entwicklungsstand.“

Die HDR-Autoren arbeiten heraus, dass ungleiche Lebenschancen innerhalb von Ländern und zwischen Ländern einen Anlass für Migration darstellen. Nicht nur zwischen Norden und Süden der Welt gibt es große Unterschiede, sondern auch innerhalb des Südens. Als Beispiel wird angeführt, dass ein Mensch, der in Thailand geboren wird, voraussichtlich sieben Jahre länger lebt, eine dreimal längere Ausbildung erhält und achtmal so viel Geld verdient wie ein Bewohner des Nachbarlandes Burma (Myanmar).

Jeni Klugman, Hauptautorin des Berichtes, betont: „Menschen migrieren, um für sich und ihre Familien ein besseres Leben aufzubauen. Doch Migration ist kaum Ausdruck einer einfachen Entscheidung. Für zu viele Menschen ist Migration das Nachspiel von Konflikten, Naturkatastrophen oder großer wirtschaftlicher Not.“ Angesichts solcher Erkenntnisse überrascht es, dass im UNDP-Bericht den Umweltfaktoren wie der Klimawandel nur ein knapp zweiseitiger Abschnitt gewidmet wird.

Migration lohnt sich...


... trotz hoher Kosten


Oft ist Migration mit hohen Kosten und nicht selten auch mit großen Risiken verbunden. So müssen Migranten aus Kambodscha und Laos vier bis fünf Montagsgehälter als Vermittlungsgebühr zahlen, wenn sie legal in Thailand arbeiten wollen. Schmuggler verlangen hingegen nur einen Monatslohn. Wer ohne Papiere nach Thailand oder in andere Länder migriert, ist erhöhten Risiken ausgesetzt, angefangen mit einer Abschiebung. Die hohen Kosten legaler Migration und die Einreisebarrieren vieler Zielländer führen dazu, dass es heute etwa 50 Millionen Menschen gibt, die irregulär im Ausland leben.

* Migration lohnt sich

Für die meisten Migranten, so ein Ergebnis des Berichts, lohnt es sich, in einem anderen Teil ihres Landes oder im Ausland zu leben. Migranten aus ärmeren Ländern, die in ein Land mit höheren Chancen können ihr Einkommen im Durchschnitt auf das 15-fache steigern, die Einschulungsquote verdoppelt sich, und die Kindersterblichkeit vermindert sich um das 16-fache. Der Bericht stellt deshalb fest: „Menschliche Mobilität kann ein äußerst effektives Mittel sein, um die Aussichten eines Menschen auf höheres Einkommen, bessere Gesundheitsfürsorge und Bildung zu erhöhen. Aber ihr eigentlicher Wert ist noch viel höher: Entscheiden zu können, wo man leben möchte, ist ein Schlüsselelement menschlicher Freiheit.“

* Frauen mobiler als Männer

Fast die Hälfte der Menschen, die in ein anderes Land migrieren, sind Frauen. Interessanterweise ist unter qualifizierten Arbeitskräften in Entwicklungsländern die Emigrationsquote von Frauen deutlich höher als die von Männern. In Ländern wie Ghana, Guatemala und Malawi ist es mindestens 40% wahrscheinlicher, dass Frauen mit Hochschulabschluss in ein entwickeltes Land auswandern als männliche Absolventen. Aber besonders Frauen, die in Haushalten oder als angelernte Kräfte in Fabriken beschäftigt sind, sind wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung ausgeliefert.

Für viele Frauen beginnen die Diskriminierungen sogar schon vor der Ausreise, weil es ihnen in mehr als 20 Ländern verboten ist, eigenständig einen Reisepass zu beantragen. Andere Länder haben Ausreisebeschränkungen für Frauen verhängt. Angesichts vielfältiger Benachteiligung zahlreicher Migrantinnen und der ihnen drohenden Ausbeutung fordert Jeni Klugman: „Chancengleichheit und die Rechte und der Schutz der Frauen müssen Teil der migrationspolitischen Reformen in entwickelten Ländern wie auch in Entwicklungsländern sein.“

* Zugangsrestriktionen

Als ein Migrationsproblem wird im Bericht genannt, dass die Zielländer Interesse am Zuzug hochqualifizierter Fachkräfte haben, während die Barrieren für Menschen mit geringerer beruflicher Qualifikation immer höher werden. Dabei gibt es in den betreffenden Ländern durchaus einen Bedarf an der Übernahme einfacherer Arbeiten durch Migranten. Eine weitere Restriktion ergibt sich daraus, dass es für Migranten oft schwierig ist, ihre Schul-, Hochschul- und Berufsabschlüsse in den Zielländern anerkannt zu bekommen. Im Bericht wird außerdem erläutert, dass der ärmste Teil der Bevölkerung im Süden der Welt meist überhaupt keine Möglichkeit zur Migration in ein weiter entferntes Land hat, weil dies schon an den Kosten der Migration scheitert. Das Klischee, dass die Armen der Welt sich auf den Weg in den reichen Norden machen, hat also nicht viel mit der Wirklichkeit zu tun.

Im Bericht wird betont, dass Migration kein Ersatz für Entwicklung ist. Es besteht die Chance, dass der Geldtransfer der Migranten eine eigenständige Entwicklung fördert und dass die Zurückgekehrten in die Heimat neue Ideen, Wissen und Ressourcen einbringen. Aber die Regierungen der Länder müssen Migration und Migranten gezielt in Entwicklungskonzepte einbeziehen und alles unternehmen, um die Entfaltungsmöglichkeiten der Zurückgekehrten zu fördern. Im Bericht heißt es außerdem: „Migration ist bestenfalls ein Weg, der größere lokale und nationale Anstrengungen zur Armutsbekämpfung und zur Verbesserung der menschlichen Entwicklung ergänzt.“

* Migrationspolitischer New Deal

Die Autoren des Berichts schlagen im Rahmen eines „New Deal“ sechs Säulen für ein migrationspolitisches Reformpaket vor:

* Öffnung von bestehenden Zuzugsmöglichkeiten für mehr Arbeitskräfte, insbesondere für solche mit geringerer Qualifikation;
* Wahrung der grundlegenden Menschenrechte der Migranten;
* Senkung der Transaktionskosten;
* Suche nach gemeinschaftlichen Lösungen, die sowohl der Bevölkerung der Zielländer als auch den Migranten nutzen;
* Erleichterung der Migration innerhalb der einzelnen Länder;
* Einbeziehung von Migration in die Entwicklungsstrategien der Herkunftsländer.

UNDP-Administratorin Helen Clark stellte anlässlich der Präsentation des Berichtes fest: „Migration kann eine positive Kraft darstellen und einen wesentlichen Beitrag zur menschlichen Entwicklung leisten. Doch wie dieser Bericht nahe legt, braucht es ein unterstützendes politisches Umfeld, um ihre Vorteile zur Geltung zu bringen.“

Hinweis:
* UNDP, Bericht über die menschliche Entwicklung 2009: Barrieren überwinden. Migration und menschliche Entwicklung, 252 S., DGVN: Berlin 2009. Bezug: über www.dgvn.de oder Buchhandel.

Veröffentlicht: 5.10.2009

Empfohlene Zitierweise: Frank Kürschner-Pelkmann, Migration als Beitrag zur menschlichen Entwicklung, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 10/Oktober 2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).