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Nach Kopenhagen: Die Welt vor dem Abgrund?

Artikel-Nr.: DE20091224-Art.58-2009

Nach Kopenhagen: Die Welt vor dem Abgrund?

Obama als Klimabösewicht

Nur im Web – Zwei Jahre Klimaverhandlungen sind nun in Kopenhagen in einer Farce geendet. Anstatt sich mit komplexen Fragen herumzuschlagen, entschied sich Präsident Barack Obama dafür, in einer unkonkreten Absichtserklärung, die mit vier weiteren Ländern abgestimmt worden war, den Erfolg zu verkünden. Die restlichen Länder wurden vor vollendete Tatsachen gestellt, die einige akzeptierten und andere verurteilten. Danach nahmen die Vereinten Nationen das Dokument lediglich „zur Kenntnis“. Ein Kommentar von Jeffrey Sachs.

Die Verantwortung für dieses Desaster ist sehr weit verteilt. Fangen wir bei George W. Bush an, der den Klimawandel in den acht Jahren seiner Präsidentschaft ignorierte und damit die wertvolle Zeit der Welt verschwendete. Dann kommt die UNO, weil sie den Verhandlungsprozess zwei Jahre lang so miserabel führte. Dann kommt die Europäische Union, weil sie unermüdlich auf eine verbohrte Vision eines globalen Emissionshandelssystems drängte, auch wenn ein solches System für den Rest der Welt nicht passte.

Dann kommt der Senat der Vereinigten Staaten, der den Klimawandel 15 Jahre lang ignoriert hat, seit er die UN-Klimarahmenkonvention ratifizierte. Und schließlich ist da Obama, der eine systematische Vorgehensweise im UN-Rahmen aufgab, da sie sich als lästig für die Macht- und Innenpolitik der USA erwies.

* Gegen geltendes Völkerrecht

Obamas Entscheidung, einen angeblichen Verhandlungserfolg zu deklarieren, untergräbt den UN-Prozess, da er damit signalisiert, dass die reichen Länder das tun werden, was sie wollen, und nicht länger auf die „nervtötenden“ Bedenken vieler kleinerer und ärmerer Länder hören müssen. Einige werden dies als pragmatisch ansehen und auf die Schwierigkeit zurückführen, eine Vereinbarung unter 192 UN-Mitgliedsstaaten zu erreichen. Aber es ist schlimmer als das. Das Völkerrecht, so kompliziert es ist, wurde durch die unaufrichtigen, inkonsequenten und nicht überzeugenden Worte einiger weniger Mächte ersetzt, vor allem der USA. Amerika hat darauf bestanden, dass andere zu seinen Bedingungen unterzeichnen, und damit den UN-Prozess am seidenen Faden hängen lassen. Es hat der Welt in dieser Frage jedoch nie seinen guten Willen gezeigt und auch nicht die Fähigkeit oder das Interesse, die notwendig wären, um dabei die Führungsrolle zu übernehmen.

Was die tatsächliche Reduktion der Treibhausgasemissionen angeht, wird dieser Akkord wahrscheinlich nicht wirklich etwas erreichen. Es ist nicht bindend und wird vermutlich die Kräfte stärken, die gegen eine Senkung der Emissionen sind. Wer wird die zusätzlichen Kosten für die Verringerung der Emissionen ernst nehmen, wenn offensichtlich wird, wie lax die Versprechen anderer sind?

In Wirklichkeit wird die Welt jetzt abwarten, ob die USA ihre Emissionen
ernsthaft reduzieren. In dieser Frage sind arge Zweifel angebracht. Obama hat im Senat nicht genügend Stimmen, er hat keine Bereitschaft gezeigt, politisches Kapital aufzuwenden, um einen Konsens im Senat zu erzielen, und könnte 2010 vielleicht noch nicht einmal eine Senatsabstimmung zu diesem Thema erleben, wenn er nicht viel stärker darauf drängt als bisher.

* Finanzen: Leere Versprechen wie üblich

Der Gipfel in Kopenhagen enttäuschte auch bei der Finanzhilfe der reichen Länder für die armen Länder. Es wurde mit vielen Zahlen hantiert, doch waren die meisten davon, wie üblich, leere Versprechen. Neben der Ankündigung bescheidener Ausgaben in den nächsten Jahren, die zusammengenommen vielleicht – aber auch nur vielleicht – tatsächlich ein paar Milliarden Dollar ergeben, war die große Neuigkeit die Verpflichtung zur Zahlung von 100 Mrd. US-Dollar jährlich an die Entwicklungsländer ab 2020. Doch war diese Zahl von keinerlei Details begleitet, wie sie erreicht werden sollte.

Die Erfahrung mit finanzieller Entwicklungshilfe lehrt uns, dass es sich bei Ankündigungen von Geld, das erst in zehn Jahren fließen soll, meistens um leere Versprechen handelt. Sie sind für die reichen Länder überhaupt nicht bindend. Hinter ihnen steht kein politischer Wille. So hat Obama kein einziges Mal mit dem amerikanischen Volk über seine in der UN-Rahmenkonvention festgelegte Verantwortung diskutiert, armen Ländern dabei zu helfen, sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen. Sobald US-Außenministerin Hillary Clinton das „Ziel“ von 100 Mrd. Dollar erwähnte, prangerten viele Kongressabgeordnete und konservative Medien dies an.

Eines der auffallendsten Merkmale des unter Federführung der USA entstandenen Dokuments ist, dass es keinerlei Absicht erwähnt, die Verhandlungen 2010 weiterzuführen. Das wurde höchstwahrscheinlich bewusst so gemacht. Obama hat der UN-Klimarahmenkonvention die Beine weggerissen, indem er im Grunde erklärte, dass die USA so handeln werden, wie sie es für richtig halten, sich aber 2010 nicht weiter in den lästigen UN-Klimaprozess verwickeln lassen.

* Den UN-Klimaprozess sterben lassen?

Diese Haltung könnte auf die 2010 bevorstehenden Halbzeitwahlen zum US-Kongress zurückzuführen sein. Wenn die Wahlsaison kommt, will Obama nicht mitten in unpopulären internationalen Verhandlungen gefangen sein. Vielleicht hat er auch das Gefühl, dass derartige Verhandlungen nicht viel bringen würden. Egal, ob er in diesem Punkt Recht hat oder nicht, die Absicht scheint zu sein, die Verhandlungen sterben zu lassen. Wenn dies der Fall ist, nehmen die USA an keinen weiteren Verhandlungen teil und Obama wird sich als noch schädlicher für das internationale System des Umweltrechts erweisen, als George Bush es war.

Für mich bleibt folgendes Bild von Kopenhagen: Obama erscheint auf einer Pressekonferenz, um eine Vereinbarung zu präsentieren, die bis dahin erst fünf Länder zu Gesicht bekommen haben, und rauscht dann ab zum Flughafen, um nach Washington DC zurückzufliegen, damit er zu Hause nicht in einen Schneesturm gerät. Er hat eine schwere Verantwortung in der Geschichte übernommen. Wenn sich sein Handeln als unwürdig erweist, wenn sich die freiwilligen Verpflichtungen der USA und anderer als unzureichend herausstellen und wenn zukünftige Verhandlungen gekippt werden, wird es Obama gewesen sein, der das Völkerrecht im Alleingang Gegen Großmacht-Politik beim Klimawandel eingetauscht hat.

Vielleicht wird sich die UNO zusammenraufen und besser organisieren. Vielleicht wird Obamas Schachzug funktionieren, der US-Senat wird das Gesetz durchwinken, und andere Länder werden auch ihren Teil tun. Oder vielleicht wurden wir soeben Zeuge eines schwerwiegenden Schritts in Richtung globaler Untergang, ausgelöst durch unser Unvermögen, bei einer komplexen und schwierigen Herausforderung zusammenzuarbeiten, für die Geduld, Fachwissen, Goodwill und die Achtung des Völkerrechts notwendig sind – alles Eigenschaften, die in Kopenhagen Mangelware waren.

Copyright: Project Syndicate 2009

Jeffrey D. Sachs ist Professor für Wirtschaftswissenschaften und Leiter des Earth Institute an der Columbia University.

Veröffentlicht: 23.12.2009

Empfohlene Zitierweise: Jeffrey Sachs, Kopenhagen: Die Welt am Rand des Abgrunds. Obama als Klimabösewicht, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 23. Dezember 2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).