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Neokoloniale Landnahme positiv gewendet?

Artikel-Nr.: DE20090607-Art.24-2009

Neokoloniale Landnahme positiv gewendet?

Neue Studie laviert zwischen Risiken und Chancen

Vorab im Web - In den vergangenen Monaten haben Berichte über ausgedehnte Landgeschäfte ausländischer Investoren in Afrika, Lateinamerika oder Südostasien weltweit Schlagzeilen gemacht (Hauptdestination Afrika: Die neue Landnahme). In einer neuen Studie, an deren Erstellung die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO beteiligt war, wird versucht, das ganze Ausmaß zumindest für Afrika zu bestimmen, aber auch Empfehlungen zu formulieren, wie „die Chancen genutzt und die Risiken verringert“ werden können. Eine Auswertung von Uwe Hoering.

Um über die Medienberichterstattung hinaus Trends und Triebkräfte der Landnahme, d.h. Käufe, Pachtverträge und andere vertragliche Vereinbarungen, in Afrika genauer zu bestimmen, gleicht die Studie die verfügbare Literatur, Regierungsangaben und Interviews mit Fachleuten in einem halben Dutzend Ländern in Afrika ab, in denen die Landnahme besonders ausgeprägt ist.

* Spitze eines Eisbergs

Obwohl die Daten über Landgeschäfte unvollständig und unzuverlässig sind, bestätigt sich, dass die Landnahme enorme Ausmaße hat. Allein in fünf Ländern (Äthiopien, Ghana, Madagaskar, Mali und Sudan) wurden demnach seit 2004 Vereinbarungen über annähernd 2,5 Mio. ha Land abgeschlossen, mit Investitionsversprechungen von knapp 1 Mrd. US-Dollar. In diesen Zahlen sind noch nicht die Geschäfte über Flächen unter 1000 ha eingeschlossen, ebenso wenig Länder wie Kongo-Brazzaville, das südafrikanischen Farmern große Ländereien angeboten hat, oder Angola, wo ebenfalls Landnahmen stattfinden.

Häufig handelt es sich dabei um Land, das bereits durch die lokale Bevölkerung genutzt oder beansprucht wird, das ein gutes Bewässerungspotenzial und Zugang zu Absatzmärkten hat. Investoren sind überwiegend private Unternehmen aus dem Ausland, insbesondere aus Korea und den Golfstaaten, eine Reihe von Investmentfonds, wie die US-amerikanische Jarch Capital in Sudan, aber z.B. in Äthiopien auch einheimische Investoren.

Auch wenn der Bericht warnt, dass es schwierig sei, die jüngsten Landnahmen zuverlässig zu quantifizieren oder einen Anstieg zu konstatieren und daran erinnert, dass es sich nicht unbedingt um ein neues Phänomen handelt, so ist angesichts der geringen Transparenz vieler Vereinbarungen und der unvollständigen Datenlage doch klar, dass es sich bei den Medienberichten eher um die Spitze des Eisbergs handelt. Viele Geschäfte werden kaum publik, wie z.B. die Übernahme von annähernd 500.000 ha durch die Investmentfirma GEM BioFuels für Jatropha-Pflanzungen in Madagaskar.

Dafür spricht auch, dass Agrarland und Wasser knapp und damit teuer werden. Angola, die DR Kongo und Sudan gehören – neben einigen Staaten in Lateinamerika – zu jenen Ländern mit den größten Landreserven. Zudem ist Land in Afrika noch ausgesprochen preiswert, zumal viele Regierungen bei Landgeschäften auf Gebühren und Steuern verzichten, um Investitionsanreize zu geben. Gestiegene Nahrungsmittelpreise, die Sorge von Ländern wie China, Korea oder den Golfstaaten um zukünftige Agrarimporte und Ernährungssicherheit und die politisch geförderten Agrartreibstoffe verbessern die Renditeaussichten von Investitionen in Land und Landwirtschaft. Während z.B. die meisten bekannt gewordenen Vorhaben in Äthiopien der Nahrungsmittelproduktion dienen sollen, wird in Mosambik und Tansania überwiegend in den Anbau für Agrartreibstoffe investiert. Trotz der augenblicklichen Entspannung bei Nahrungsmittel- und Energiepreisen erwartet die Studie mittel- und langfristig steigende Preise, weil zahlreiche strukturelle Ursachen dafür weiterhin bestehen oder sogar stärker werden.

* Chancen und Risiken

Der Bericht sieht zahlreiche makroökonomische Vorteile der Investitionen, wie Wirtschaftswachstum, höhere Staatseinnahmen und Entwicklungsperspektiven in ländlichen Gebieten. In manchen Vereinbarungen werden Investitionen, Beschäftigungsmöglichkeiten und der Ausbau der Infrastruktur, einschließlich Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, zugesagt. Außerdem machen Investoren vereinzelt Zusagen, einen Teil der Produktion im Land selbst zu vermarkten, etwa um die Versorgung mit Nahrungsmittel zu verbessern. Insgesamt allerdings, so der Bericht, sind solche Zusagen selten und vage, und es fehlen die Möglichkeiten, sie wirklich durchzusetzen.

Umgekehrt sieht der Bericht die größten Risiken in der verbreiteten Neigung der Investoren, großflächige Monokulturen anzulegen, mit nachteiligen Folgen für die Umwelt und die kleinbäuerliche Landwirtschaft. Dabei fehlt ihnen oft die Erfahrung mit Landwirtschaft im Allgemeinen und in Afrika im Besonderen. Vor allem ist die Gefahr unabweisbar, dass die lokale Bevölkerung vertrieben wird, umso mehr, als ihre Landrechte ungesichert und nicht registriert sind und ihre politische Verhandlungsmacht gering ist. So sind nach Schätzung der Weltbank in Afrika insgesamt nicht mehr als 10% der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche unter formalen Nutzungstiteln erfasst – mehr in Ländern wie Kenia, weniger in vielen anderen.

* Empfehlungen

Nichtsdestotrotz hält es die Studie für möglich, durch Vorschläge für Politik und Praxis Nachteile zu verringern und den Nutzen zu mehren. Investoren sollten demnach vor allem die Zustimmung der lokalen Bevölkerung (Free, prior, and informed consent - FPIC) suchen und sie als Vertragsbauern einbinden. Außerdem appelliert sie an Investoren, sich ihrer Verantwortung für die Respektierung der Menschenrechte bewusst zu sein, ebenso wie der Gefahr, als neokoloniale Landräuber in Ländern mit unzureichender Nahrungsmittelversorgung einen erheblichen Imageschaden zu erleiden – und sich dementsprechend zu verhalten.

Regierungen sollten in den Verträgen Mindestanforderungen an Beschäftigung, den Ausbau der Infrastruktur, Verbesserungen für die lokale Bevölkerung und Umweltschutzmaßnahmen durchsetzen sowie Entscheidungen transparent machen, Bodenspekulation unterbinden und lokale Landrechte sichern, vorzugsweise als kollektive Landrechte. Flankierend müssten nichtstaatliche Entwicklungsorganisationen und internationale Institutionen durch Beratung von Regierungen und einheimischen NGOs, durch Capacity buildung, Unterstützung bei Reformmaßnahmen usw. aktiv werden.

* Auf der G8-Agenda

Die Schlagzeilen über die Landnahme haben nicht nur die FAO auf den Plan gerufen. Auch die Weltbank und die Afrikanische Union arbeiten an Richtlinien für Agrarinvestitionen. Aufgrund „wachsender Sorge“ will zudem Japan auf dem bevorstehenden G8-Gipfel im Juli im italienischen l'Aquila, wo die Ernährungssicherung eine wichtiger Punkt der Tagesordnung sein soll, einen Vorschlag machen, wie „verantwortungsbewusste Investitionen in die Landwirtschaft“ sichergestellt und ein Anstieg der globalen Nahrungsmittelproduktion gefördert werden können. Durch Prinzipien wie größere Transparenz bei den Verträgen, die Anerkennung bestehender Landrechte, die Beteiligung der lokalen Bevölkerung und die ökologische Nachhaltigkeit sollen sowohl die Interessen der Gastländer als auch der Investoren „harmonisiert und maximiert“ werden.

Um die Aussichten auf ihre Akzeptanz zu erhöhen, sollen diese Richtlinien allerdings weder zu restriktiv sein noch verbindlichen Charakter haben. Auch die Vorschläge der FAO stellen zum einen auf Freiwilligkeit ab, zum anderen sind in vielen Ländern die Voraussetzungen, sie umzusetzen, nicht gegeben. Und es kann auch bezweifelt werden, dass sie sichzügig herzustellen lassen.

Hinweis:
* Lorenzo Cotula/Sonja Vermeulen/Rebeca Leonard/James Keeley, Land grab or development opportunity? Agricultural investment and international land deals in Africa, 150 pp, iied/FAO/IFAD: London-Rome 2009. Bezug: über www.iied.org

Empfohlene Zitierweise: Uwe Hoering, 2009: Neokoloniale Landnahme positiv gewendet?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg (W&E), Nr. 06 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

Veröffentlicht: 8.6.2009