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Neue Hoffnung für den Welthandel?

Artikel-Nr.: DE20091130-Art.54-2009

Neue Hoffnung für den Welthandel?

Die 7. Ministerkonferenz der WTO in Genf

Nur im Web – Immer wenn die Handelsminister zu großen internationalen Zusammenkünften aufbrechen, tauchen neue Schätzungen über die bedeutenden Wohlfahrtsgewinne auf, die ein neuer Schub der Liberalisierung des Welthandels bringen könnte. Die 7. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO), die vom 30. November bis 2. Dezember in Genf stattfindet, macht da keine Ausnahme. Von Rainer Falk.

Erst im August dieses Jahres wartete das renommierte Peterson Institut for International Economics in Washington mit einer Studie auf, die behauptete, dass sich die potentiellen Gewinne aus einem Doha-Deal auf zusätzliche 300-700 Mrd. Dollar im Jahr belaufen könnten und dass diese Vorteile „ausgewogen zwischen Industrie- und Entwicklungsländern verteilt“ sein würden. Die Meldung ließ aufhorchen, war doch der Welthandel in den ersten beiden Quartalen des Jahres 2009 gerade um 20% abgestürzt.

* Absturz des Welthandels

Der Rückgang des Welthandelsvolumens im Gefolge der globalen Finanzkrise (s. Grafik) ist in der Tat dramatisch. Es handelt sich um einen Absturz, jedoch bislang um keinen Zusammenbruch wie in der Großen Depression der 1930er Jahre. Der sechsmonatige Fall wurde zur Jahresmitte – mit den ersten Anzeichen einer Wiederbelebung der Weltkonjunktur – ebenso abrupt wieder abgebremst, wie er begonnen hatte. Dennoch ist das das ideale Klima, in dem die Heilsverkünder der Welthandelsliberalisierung auf offene Ohren stoßen.

Welthandel seit 2005 (=100)


Das Problem ist nur: Wenn der Welthandel wieder anziehen soll, braucht es vor allem wieder zahlungskräftige Nachfrage, und die entsteht durch zusätzliche Kaufkraft, durch neue Investitionen und Beschäftigung und nicht durch weiteren Abbau von Handelsschranken. Letztere können in der gegenwärtigen Situation sogar einen neuen Verdrängungswettbewerb auslösen, der letztlich allen Beteiligten zum Nachteil gereichte. Hinzu kommt: Solange für die anhaltend hohen globalen Ungleichgewichte (s. Grafik) keine Lösung gefunden ist, wird sich die Suche nach ausbalancierten Lösungen in Liberalisierungsrunden ohnehin sehr schwierig gestalten.

Globale Ungleichgewichte


Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass die handelspolitische Szene allenthalten von Verunsicherung bestimmt wird. Während Berufsoptimisten wie der WTO-Generaldirektor Pascal Lamy zu einer Beschleunigung der Doha-Verhandlungen auffordern, um sie im nächsten Jahr (2010) zum Abschluss zu bringen, verzichtet die offizielle Agenda der Ministerkonferenz gleich ganz auf den Versuch, die Verhandlungen voranzubringen. Allenfalls auf den Gängen könnten mögliche Fortschritte in der Zukunft ausgelotet werden, berichten Beobachter aus Genf.

* Doha-Runde zwischen Abbruch und Beschleunigung

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) plädieren gleich für den offenen Abbruch der Doha-Runde. Ganz wohl ist ihnen dabei jedoch nicht – schließlich wissen die meisten von ihnen, dass die bisherigen Verhandlungen auch potentielle Vorteile für die Entwicklungsländer gebracht haben. Dazu zählen insbesondere:

* die Abschaffung aller Exportsubventionen für Agrargüter bis 2013;
* die Reduzierung von internen Stützungsmaßnahmen, welche den Agrarhandel verzerren;
* die Erleichterung des Handelsaustausches durch den Abbau technischer und bürokratischer Hindernisse;
* die Möglichkeit, den Patentschutz auf Medikamenten bei Pandemien auszusetzen;
* und die Gewährung eines zoll- und kontingentfreien Marktzugangs für die ärmsten Länder.

Zu erwarten, dass die Industrieländer dies ohne Konzessionen der Entwicklungsländer beim Marktzugang für Industriegüter und im Dienstleistungsbereich akzeptieren würden, mutet jedoch eher wie ein vorweihnachtlicher Wunschzettel an. Schließlich herrscht in der WTO das Prinzip des „Single Undertaking“, wonach ein Deal in Einzelfragen erst dann unter Dach und Fach ist, wenn auch in allen anderen zur Verhandlung stehenden Fragen Übereinkunft erzielt wurde.

Entscheidend für die Beurteilung der gegenwärtigen Verhandlungen, die zu 80% abgeschlossen sein sollen (Lamy), ist jedoch, dass den diversen Vorteilen der Entwicklungsländer gravierende Nachteile gegenüberstehen. Völlig unrealistisch ist die eingangs zitierte Prognose des Peterson-Instituts (>>> Whats on the Table? The Doha Round as of August 2009), deren Kalkulationen weit über einer vergleichbaren Studie der Weltbank aus dem Jahre 2005 liegen. Die Weltbank (>>> Agricultural Trade Reform and the Doha Development Agenda) hatte damals die Gewinne des „wahrscheinlichen Doha-Szenarios“ auf unter 100 Mrd. US-Dollar pro Jahr geschätzt, wobei davon lediglich rund 16 Mrd. US-Dollar auf die Entwicklungsländer entfallen würden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich „pro Jahr“ jeweils nur auf das Jahr nach der Umsetzung der anvisierten Liberalisierungsschritte bezieht und nicht notwendigerweise auch auf die Folgejahre.

* Mehr Nachteile als Vorteile für den Süden

Zwei Wissenschaftler von der Tufts University, Kevin P. Gallagher und Timothy A. Wise, haben jetzt einmal die minimalen Wohlfahrtgewinne des Südens den Nachteilen aus einem Abschluss der Doha-Runde beim gegenwärtigen Stand (der immer noch der von 2008 ist) gegenüber gestellt (>>> Is Development Back in the Doha Round). Dabei zeigt sich, dass die voraussichtlichen Nachteile aus dem Wegfall der Zolleinnahmen infolge der Liberalisierung beim Handel mit nicht-agrarischen Gütern (NAMA) und infolge der Verschlechterung der Terms of Trade die Vorteile der Entwicklungsländer fast überall deutlich übertreffen (s. Tabelle).

Kurz vor dem Genfer Ministerial ist jetzt noch eine Studie von Carnegie Endowment for International Peace in Zusammenarbeit mit der UN-Wirtschaftskommission für Africa (ECA) und dem UN-Entwicklungsprogramm (UNDP) erschienen, die die Effekte der Doha-Runde beim gegenwärtigen Verhandlungsstand auf Kenia untersucht (>>> The Impact of the Doha Round on Kenya). Ihr Ergebnis: Die Vorteile für das subsaharische Afrika wären minimal; im Falle Kenias würde das Bruttoinlandsprodukt mit Doha-Deal um 0,18% höher liegen als ohne Doha-Deal. Zusammenfassend stellen die Autoren fest: „Die Reduzierung der weltweiten Zölle, der heimischen Stützung und Kenias eigene Zollsenkungen würden die Performance von Kenias Ökonomie insgesamt nicht wesentlich verändern… Doch im Unterschied dazu hätte der Abbau der Exportsubventionen durch die Industrieländer eine weit größere Bedeutung für Kenia.“

Doha-Deal: Vor- und Nachteile


Insgesamt gesehen spräche also doch viel für einen schnellen Übergang zu einer neuen WTO-Agenda, die mit den Asymmetrien der bisherigen Verhandlungsstrategie bricht und die Strukturen und die Funktionsweise der WTO reformiert, demokratisiert und stärker auf die Bedürfnisse der Entwicklungsländer ausrichtet. Vorschläge dazu haben jetzt das in Genf ansässige International Centre for Trade and Sustainable Development (ICTSD) und das Global Economic Governance Programme der Universität Oxford zusammengestellt. Die Autoren der Studie unter dem Titel Strengthening Multilateralism: A Mapping of Proposals on WTO Reform and Global Trade Governance wollen damit eine lebhafte Diskussion auslösen. Sie wünschen sich bis 1. Februar 2010 viele Kommentare (>>> http://strengtheningmultilateralism.wikispaces.com/), die in die Endversion einfließen können. Hoffen wir, dass das 7. Ministertreffen mit seinen zahlreichen Side-Events wenigstens die Debatte in dieser Richtung beflügelt.

* Hoffnungsträger Süd-Süd-Handel

Unterdessen ruht die Hoffnung vieler Beobachter in den Entwicklungsländern auf der weiteren Ausweitung der Süd-Süd-Kooperation. Fast parallel zum WTO-Treffen in Genf findet in der kenianischen Hauptstadt Nairobi vom 1.-3. Dezember das seit Jahrzehnten wichtigste und hochrangigste Treffen der UNO zur Süd-Süd-Zusammenarbeit statt. Zwar blieb der Süd-Süd-Handel von der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise nicht unberührt. Doch handelt es sich um die eigentliche Erfolgsgeschichte des Welthandels, die das neue Gewicht des Südens in der Weltwirtschaft wesentlich mitbegründete. Wichtige Eckdaten der schnellen Entwicklung des Süd-Süd-Handels und der Intra-Süd-Investitionen finden sich in zweiBerichten, die der UN-Generalsekretär rechtzeitig zur Konferenz in Nairobi vorlegte:

* Danach ist der Güterhandel innerhalb des Südens seit 1995 jahresdurchschnittlich um 13,4% gewachsen und hatte bis 2007 einen Umfang von 2,4 Billionen Dollar bzw. einen Anteil von 20% am Welthandel erreicht. Die Exporte der Schwellen- und Entwicklungsländer machen inzwischen rund 40% der gesamten Weltexporte aus.

* Im selben Zeitraum wuchs der Süd-Süd-Anteil an den afrikanischen Exporten um 7% pro Jahr; die gesamtafrikanischen Exporte allein nach China und Indien belaufen sich inzwischen auf rund 40 Mrd. Dollar jährlich.

* Die aus Entwicklungsländern stammenden ausländischen Direktinvestitionen (FDI) erreichten 2007 den Rekordwert von 253 Mrd. Dollar, was einem Achtel der weltweiten Direktinvestitionen entspricht. Mehr als 40% aller FDI aus Entwicklungsländern fließen in die am wenigsten entwickelten Länder (LDCs).

* Schließlich werden vor allem die wirtschaftlich potenteren Entwicklungsländer auch zu einer immer wichtigeren Quelle von Entwicklungshilfe. Wenn die Zusagen eingehalten werden, könnten diese Finanzflüsse im nächsten Jahr bereits 15 Mrd. Dollar erreichen.

Veröffentlicht: 29.11.2009

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Neue Hoffnung für den Welthandel? Die 7. Ministerkonferenz der WTO, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 29.11.2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).