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Neuer Survey über Frauen und wirtschaftliche Macht

Artikel-Nr.: DE20091104-Art.51-2009

Neuer Survey über Frauen und wirtschaftliche Macht

Ökonomische Diskriminierung trotz Empowerment

Vorab im Web – Der neue „World Survey on the Role of Women in Development“ gibt einen Überblick, wie Frauen trotz „ökonomischem Empowerment“ beim Zugang zu wirtschaftlichen Ressourcen wie Beschäftigung und Einkommen, Landbesitz und Kredit, öffentlicher Daseinsvorsorge und sozialer Sicherheit immer noch strukturell benachteiligt sind. Er fordert von Wirtschafts- und Sozialpolitiken gerade in der Krise ein gezieltes Gegensteuern. Christa Wichterich wertet den Bericht aus.

Der alle fünf Jahre erscheinende UN-Bericht (s. Hinweis) beschäftigt sich in diesem Jahr mit der „Kontrolle von Frauen über ökonomische Ressourcen und ihrem Zugang zu finanziellen Ressourcen“. Obwohl sich die internationale Gemeinschaft bei der 4. Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking, mit den Millennium-Entwicklungszielen und bei den beiden Konferenzen zu Entwicklungsfinanzierung 2002 und 2008 zu wirtschaftlicher Geschlechtergleichstellung verpflichtete, sind makro-ökonomische Politiken immer noch weitgehend geschlechterblind und vertrauen darauf, dass Marktwachstum Armut reduzieren, Ressourcen effizient zuweisen und dabei auch die Geschlechter gleichstellen wird.

* Ambivalente Globalisierungseffekte

Weit gefehlt, sagt der World Survey und zeigt, welch unterschiedliche Auswirkungen makro-ökonomische Politiken wie Finanz-, Steuer- und Handelspolitiken auf Männer und Frauen haben. Zwar hat das Wirtschaftswachstum in vielen Ländern des Südens Frauen Fortschritte beim Zugang zu Beschäftigung und Krediten gebracht, aber viele alte Benachteiligungen strukturell verstärkt und keineswegs Gleichstellung bewirkt. So schufen Exportorientierung und ausländische Direktinvestitionen im Kontext von Handelsliberalisierung neue Jobchancen für Frauen, verstärkten aber durch verschärfte Konkurrenz den Druck auf Frauenlöhne und führten zu einem größeren Lohngefälle zwischen Männern und Frauen.

In den 1980er und 1990er Jahren machten Frauen in der Erwerbsarbeit einen großen Sprung nach vorn. Seitdem aber stagniert der Frauenanteil an der Beschäftigung weltweit bei 40%. Selbst die Jobgewinne von Frauen in der Exportwirtschaft sind nicht von Dauer, weil Investitionen zunehmend in kapitalintensive und hochqualifizierte Exportsektoren fließen, die männerdominiert sind.

Allgemein bestätigt die Handelsliberalisierung die geschlechtsspezifische Segmentierung der Märkte und damit Geschlechterstereotype. Frauen sind in „verletzlichen“ Erwerbsformen „überrepräsentiert“, arbeiten informell, Teilzeit, ungeschützt, selbstbeschäftigt und niedrig entlohnt, während sie in wirtschaftlichen Entscheidungs- und Führungspositionen von Unternehmen bis Ministerien unterrepräsentiert sind. Der Zunahme von Erwerbsarbeit durch Frauen steht keine signifikante Zunahme von Sorgearbeit durch Männer gegenüber: im Gegenteil, die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in den Haushalten verändert sich nur sehr langsam.

* Negativfaktor Privatisierung

Die Verantwortung für Kinder und Familie, für die Beschaffung von Wasser und Biomasse zum Kochen beschränkt die Möglichkeiten für Erwerbsarbeit. Ohne Arbeitserleichterung im Haushalt, ohne öffentliche Versorgung haben Frauen nur geringe Einkommenschancen. Die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen mag zwar in den Bilanzen Umsatz und Wachstum erzeugen, beschränkt aber den Zugang armer Frauen zu Gesundheitsdiensten, Wasser- und Energieversorgung. Frauen, die sich z.B. in Chile an der privaten Rentenversicherung beteiligten, haben am Ende nur ein Drittel der Männerrente in der Tasche.

Zwar sind in vielen Ländern Landreformen durchgeführt und Gesetze verabschiedet worden, die Frauen Landrechte garantieren sollen. Doch als in Afrika Besitztitel individualisiert wurden, gingen sie an den männlichen Familienvorstand. Wo Landbesitz auf dem Markt erworben werden kann, fehlen Frauen dafür die Mittel und Wege. Frauen verlieren Nutzungsrechte, wenn das Eigentum an öffentlichen Gütern wie Wasser, Wald und Weideland privatisiert wird. In dieser schwierigen Rechtslage, wo sozio-kulturelle Geschlechternormen noch stark wirksam sind, ist die Registrierung von Land im Namen beider Ehepartner - wie in Vietnam – ein Schritt hin zu Besitzrechten von Frauen.

* Umstrittene Mikrokredite

Die ökonomische Ressource von Frauen, die der World Survey am kontroversesten diskutiert, sind die Mikrokredite. Sie kompensieren die Defizite von Frauen beim Zugang zu formalen Finanzdienstleistungen. Bei der Mikrofinanzierung wird mit der hohen Rückzahlungsquote von Frauen eine umgekehrte Gender-Benachteiligung begründet: Männer bekommen keine Chance. Mikrokredite entstanden als Mittel der Armutsminderung vor allem bei Basisorganisationen wie der indischen Frauengewerkschaft SEWA, werden aber zunehmend kommerzialisiert und dem Renditeziel privater Banken untergeordnet. Die Empowerment-Wirkungen der Mikrokredite sind ebenso unterschiedlich wie umstritten.

Der Bericht nennt positive Beispiele, wo Frauen mit Hilfe der Kredite im Paket mit Ausbildung und infrastruktureller Unterstützung zu einem „Business“ und Verdienst kamen. Er bestätigt jedoch, dass die Kredite die Ärmsten nicht erreichen oder ihnen neue Schulden aufbürden. Sie brauchen andere Finanzinstrumente, um Arztrechnungen, Schulgebühren oder Mieten zahlen zu können. Wo die Kreditvergabe als Finanzmarktinstrument bis hin zu neuen Investmentfonds kommerzialisiert und formalisiert wird, expandieren die Finanzdienstleistungen, aber merkwürdigerweise sinkt dabei der Anteil von Frauen als Kreditnehmerin.

So wiederholt der World Survey die Forderung der Weltkommission für die Soziale Dimension der Globalisierung, dass die Staaten ein „soziales Fundament“ im globalen Unterbietungswettbewerb einziehen müssen. Das ist besonders notwendig in der multiplen Krise, für die Frauen aufgrund fehlender Ressourcen und Sicherheiten schlecht gewappnet sind. Außerdem droht in der Krise eine Kürzung der Mittel für Entwicklungshilfe und Geschlechtergleichstellung. Da soziale Sicherungssysteme an formale Beschäftigung gebunden sind, bleiben Frauen, die in der Mehrzahl informell arbeiten, draußen vor. Arme Frauen brauchen gezielte Grundsicherungstransfers, besonders im Alter, um die Risiken des Lebens und Krisen bewältigen zu können.

Es ist ein Verdienst des World Survey, die strukturelle Benachteiligung von Frauen in makro-ökonomische Zusammenhänge zu stellen und – unter anderem – den investitions- und renditeorientierten Wachstumsstrategien anzulasten. Doch seine Kritik an der Deregulierung der Märkte, der Inkohärenz von Politiken und der mangelnden Geschlechtersensibilität der Entwicklungspolitik bleibt in der Analyse und den Empfehlungen verhalten.

* Effizienz und Marktfunktionalität

Dagegen verweist er immer wieder auf die Absurdität, dass Politik und Märkte die „positiven Verstärkungseffekte“ eines ökonomischen Frauen-Empowerments für zentrale Entwicklungsziele wie Armutsbekämpfung und Wirtschaftswachstum nicht nutzen. Es ist vielfach nachgewiesen, dass produktive und reproduktive Tätigkeiten, Einkommen und Ressourcensicherheit von Frauen von großer Bedeutung für die Überlebensstrategien armer Haushalte in den Ländern des Südens sind. Sie sind nämlich nicht durch eine einzige ökonomische Aktivität gekennzeichnet, sondern durch eine Vielfalt: Subsistenz- und Marktarbeit, bezahlte und unbezahlte Tätigkeiten, Selbstbeschäftigung, formelle und informelle Beschäftigung sowie Migration, um die Familien durch Rücküberweisungen zu unterstützen. Ebenso ist bewiesen, dass Frauen zur Wachstums- und Effizienzsteigerung auf makro-ökonomischer Ebene beitragen bis hin zu Beispielen, die behaupten, dass Frauen in Führungspositionen die Konzernrendite steigern.

Der World Survey nutzt diese Effizienz- und marktfunktionalen Argumente neben dem Rechtsansatz, der Geschlechtergleichheit als ein Entwicklungsziel an sich betrachtet, für sein Plädoyer, Frauen mehr Kontrolle und Macht über wirtschaftliche Ressourcen zu geben. Er fordert geschlechtersensible, beschäftigungszentrierte und umverteilungsorientierte Entwicklungs- und Wachstumsstrategien, die Wirtschafts- und Sozialpolitik zu verknüpfen, sowohl die informelle Ökonomie als auch unbezahlte Arbeit anerkennen und Frauen gezielt mit ökonomischen und finanziellen Ressourcen zu empowern.

Hinweis:
* United Nations, World Survey on the Role of Women in Development 2009. Women’s control over economic resources and access to financial resources, including microfinance, UN: New York 2009. Bezug: im Internet über www.un.org/womenwatch/daw/ws2009/. Mehr zum Thema im neuen Buch von Christa Wichterich, Gleich, gleicher, ungleich. Paradoxien und Perspektiven von Frauenrechten in der Globalisierung, >>> hier.

Veröffentlicht: 3.11.2009

Empfohlene Zitierweise: Christa Wichterich, Survey über Frauen und wirtschaftliche Macht, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 11/2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).