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Neuer UNCTAD-Report: Kontrapunkte aus Genf

Artikel-Nr.: DE20090331-Art.16-2009

Neuer UNCTAD-Report: Kontrapunkte aus Genf

Krisenanalyse und Alternativen zum Kasino

Vorab im Web - Die Finanzmarktkrise belegt auf dramatische Weise, dass Wirtschaftspolitik sich nicht an einzelwirtschaftlichen Zielen orientieren darf. Was für einzelne Unternehmen vernünftig sein mag, kann gesamtwirtschaftlich in die Katastrophe führen. Ein neuer Bericht der UNCTAD zur globalen ökonomischen Krise zeigt, warum der Marktfundamentalismus der letzten 20 Jahren versagt hat, und plädiert für die Stärkung der Rolle der Regierungen in einem global abgestimmten System öffentlicher Wirtschaftspolitik. Dabei müssen die Vereinten Nationen eine zentrale Rolle spielen. Von Jörg Goldberg.

Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) ist jenes Mitglied der UN-Familie, das den marktradikalen „Washington Consensus“ immer kritisiert hat. Ihre langjährigen Warnungen vor blindem Vertrauen in die Märkte und für mehr und bessere Regulierung der internationalen Finanzsysteme finden heute eine dramatische Bestätigung. Trotzdem ist nicht sicher, dass ihre Vorschläge zur Errichtung einer stabilen, an gesamtwirtschaftlichen Wohlstandseffekten orientierten Weltfinanzordnung heute Gehör finden. Dies würde einen tiefgreifenden wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel erfordern; vor allem müsste die fatale Orientierung staatlicher Wirtschaftspolitik an den Interessen von Einzelunternehmen aufgegeben werden.

Der Bericht analysiert die Krisenursachen und entwickelt Alternativen für drei Felder, die ihrerseits eng zusammenhängen: dem System der Finanzmärkte, der Rohstoffhandel und das Weltwährungssystem.

* Das Kasino schließen

Der Bericht zeigt, warum der einzelwirtschaftliche Ansatz der Regulierung der Finanzmärkte das Gesamtsystem nicht schützen konnte. „Das gegenwärtige Regelwerk geht davon aus, dass die Sicherung gesunder Banken gleichzeitig die Gesundheit des gesamten Bankensystems garantiert.“ (16) Das aber sei falsch, denn in bestimmten Situationen führt gerade das einzelwirtschaftlich vernünftige Verhalten zum Systemversagen. Es gibt keinen Mechanismus, der einzelwirtschaftliche und gesamtwirtschaftliche Rationalität verbindet. Dieser Grundgedanke durchzieht alle Vorschläge des Berichts, der sich allerdings auf den Finanzsektor beschränkt. Dass dies auch für die Produktion zutrifft, wird nicht thematisiert.

Die Annahme, „Märkte wissen es am besten“ (11), man solle ihnen daher freie Hand lassen, reflektiert einen wirtschaftspolitischen Grundirrtum. „Vom Standpunkt des Regulierers (des Staates; J.G.) ist allein die soziale (oder funktionale) Effizienz relevant, wenn es um die Effizienz des Finanzsystems geht.“ (12) Dies haben die Regulierer übersehen. Sie haben die Entwicklung immer neuer Finanzinstrumente zugelassen in der Annahme, die damit verbundene Verminderung der Risiken für einzelne Finanzinstitute mache auch das Gesamtsystem sicherer. Noch 2006 meinte der IWF, die Banken seien wegen der neuen Finanzprodukte „heute besser gegen Kreditrisiken und wirtschaftliche Schocks gerüstet“ (14).

Trotz dieser Erfahrungen konzentrieren sich die im Umfeld der G20 entwickelten Vorschläge für eine Reform der Finanzarchitektur weiter auf einzelwirtschaftliche Vorschriften. Dagegen meint die UNCTAD, dass ein ausschließlich an gesamtwirtschaftlicher Rationalität und Logik ausgerichtetes Regulierungssystem notwendig sei, in dem allein die systemische Nützlichkeit von Finanzprodukten Kriterium für deren Zulassung ist.

* Rohstoffhandel und Finanzspekulation

Für die Entwicklungsländer schienen die Auswirkungen der Finanzmarktkrise u.a. wegen der relativen Schwäche ihrer Finanzsysteme zunächst begrenzt zu sein. Diese Annahme hat sich inzwischen als falsch herausgestellt. Vor allem über den Rohstoffhandel wird die Krise vom „Norden“ in den „Süden“ transportiert. Der Vervierfachung der Rohstoffpreise zwischen 2002 und Mitte 2008 folgte ein scharfer Einbruch ab Juli 2008.

Die UNCTAD zeigt, dass die in Spekulation mit Futures und Optionen, d.h. in rohstoffbasierten Finanzoperationen, investierten Mittel sich parallel zu den Preisen entwickelt haben (38). Die Spekulation hat die Volatilität der Rohstoffmärkte verstärkt und so die Probleme der Entwicklungsländer vergrößert. Da vor allem arme Entwicklungsländer von wenigen Exportprodukten abhängen, machen stark schwankende Preise eine nachhaltige Entwicklungsplanung unmöglich.

Wie dies in Zukunft verhindert werden kann, scheint aber auch bei der UNCTAD nicht ganz klar zu sein. Während die Alternativen für das internationale Finanzsystem und für das Weltwährungssystem recht gut ausgearbeitet sind, erscheinen sie im Rohstoffbereich reichlich vage. Zwar heißt es: „Eine bessere Regulierung dieser Märkte und direkte Interventionen im Falle destabilisierender Spekulationen sind notwendiger denn je.“ (39) Konkrete Vorschläge, außer einer „Verbesserung der Datenbasis“, fehlen aber.

* Ein neues Weltwährungssystem

Der Bericht zeigt, dass Finanzmarktkrise und Ungleichgewichte des Weltwährungssystems eng zusammenhängen. Es begann 2007 mit einem heftigen Aufwertungsdruck auf den japanischen Yen, der die japanische Exportwirtschaft schwächte. Ab Mitte 2008 folgte eine massive Abwertung der Währungen von Schwellen- und Entwicklungsländern. Mehrere Länder mussten gestützt werden, die Risikoaufschläge für Kredite vervielfachten sich (s. Graphik). Ursache war der Versuch der Finanzoperateure, internationale Zinsdifferenzen profitabel auszunutzen, d.h. Geld in Ländern mit niedrigen Zinsen zu leihen und in Ländern mit hohen Zinsen anzulegen. Die Wechselkurse verloren jede Beziehung zum internationalen Handel. Wie bei den Rohstoffen wurden für die produzierende Wirtschaft entscheidende Preisrelationen Opfer von Finanzoperationen.

Risikoaufschläge in Emerging Economies


In diesem Zusammenhang wird die aktuelle Interventionspolitik des Internationalen Währungsfonds kritisiert: Der IWF verbindet seine Hilfsoperationen weiterhin mit den klassischen Auflagen, d.h. Zugang zu IWF-Krediten erhält nur das Land, das Zinsen erhöht und Staatsausgaben kürzt. Dies aber wird „die Finanzspekulation anreizen und die Probleme der produzierenden Wirtschaft vergrößern“ (52/53). Damit unterstreicht die UNCTAD, dass sie die Bretton-Woods-Institutionen für ungeeignet hält, die notwendigen Regulierungsaufgaben zu übernehmen.

* Irregeleitete Standortpolitik

Der Bericht entwickelt das Konzept eines Weltwährungssystem, das nicht mehr auf einer Leitwährung (dem Dollar) gründet und dessen institutionelle Form grundlegend verändert werden müsse: „Die gegenwärtigen Bretton-Woods-Institutionen müssen entweder grundlegend reformiert werden oder es muss eine neue globale Einrichtung geschaffen werden, die Beratungs- und Überwachungsbefugnisse hat und die das neue Finanzsystem praktisch steuern kann.“ (52) Hier gibt es Übereinstimmungen mit den Vorschlägen der von Nobelpreisträger Joseph Stiglitz geleiteten UN-Kommission zur Reform des internationalen Währungs- und Finanzsystems, die in ihren Mitte März veröffentlichten Empfehlungen ebenfalls ein vom Dollar losgelöstes Währungssystem vorschlägt.

In diesem Zusammenhang schreibt die UNCTAD den Regierungen, besonders Deutschlands und Japans, einen wichtigen Grundgedanken globaler Wirtschaftspolitik ins Stammbuch: Die Vorstellung, einzelne Länder könnten durch Interessenpolitik internationale Wettbewerbsvorteile erlangen, indem sie ihre Marktanteile durch Manipulation der Wechselkurse, der Lohnkosten, der Steuern oder Subventionen steigern, „ist ein nutzloses und gefährliches Konzept“ (57). Diese Idee des „Standortwettbewerbs“ aber ist bis heute das Mantra der deutschen Wirtschaftspolitik bei der Verteidigung der Position des Exportweltmeisters. „Wenn Nationen auf Kosten anderer Nationen gewinnen, dann können Katastrophen kaum verhindert werden.“ (57)

Nicht alle Nationen können gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern, Leistungsbilanzüberschüsse erzielen und Marktanteile gewinnen: Der Gewinn des einen ist der Verlust des anderen. Obwohl dies ja eigentlich eine Binsenweisheit ist, wird hierzulande nach wie vor für niedrigere Sozialstandards und Lohnzurückhaltung mit dem Argument der internationalen Konkurrenzfähigkeit geworben. In einer globalisierten Wirtschaft aber führt eine solche „Standortpolitik“, d.h. die Verpflichtung der Wirtschaftspolitik auf den Kampf um „nationale“ Wettbewerbsvorteile, direkt in die Katastrophe.

Hinweis:
* United Nations Conference on Trade and Development, The Global Economic Crisis: Systemic Failures and Multilateral Remedies, Report by the UNCTAD Secretariat Task Force on Systemic Issues and Economic Cooperation, 80 pp, United Nations: New York and Geneva 2009. Bezug: über www.unctad.org

Veröffentlicht: 31.3.2009

Empfohlene Zitierweise: Jörg Goldberg, Neuer UNCTAD-Report: Kontrapunkte aus Genf, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, W&E-Hintergrund April, Luxemburg 2009.