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Offshore-Verluste des Südens ungebrochen

Artikel-Nr.: DE20090320-Art.13-2009

Offshore-Verluste des Südens ungebrochen

Trotz OECD und "deutscher Kraftmeierei"

Vorab im Web – Im Vorfeld des G20-Gipfels am 2. April in London haben eine Reihe Steueroasen und Finanzzentren eine gewisse Lockerung ihres Bankgeheimnisses angekündigt. Der Schritt mag den reichen Ländern die Verfolgung ihrer Steuerflüchtlinge erleichtern. Doch an den jährlichen Steuerverlusten in dreistelliger Milliardenhöhe, die den Entwicklungsländern durch „offshore“ geparkte Vermögenswerte entstehen, ändert sich (vorerst) nichts, schreibt Rainer Falk.

Auf der Suche nach politischen Erfolgen vor dem G20-Fipfel sprach der britische Premierminister Gordon Brown vom „Anfang vom Ende der Steueroasen“. Einen „extrem wichtigen Durchbruch“ in Zeiten der globalen Krise konstatierte der Generalsekretär der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), Angel Gurria.

* Anerkennung des OECD-Standards

Die Rede ist von der Ankündigung der Schweiz, Luxemburgs und Österreichs, in ihre jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen künftig die OECD-Standards über den Austausch von steuerlich relevanten Informationen aufnehmen zu wollen. Singapur und Hongkong, Liechtenstein und Andorra gaben Erklärungen in derselben Richtung ab. Belgien will sogar auf das in der Zinssteuerrichtlinie des EU verbriefte Recht verzichten, eine Quellensteuer auf die Sparerträge von Nichtgebietsansässigen zu erheben, und – nach einem entsprechenden bilateralen Vertrag mit den USA im letzten Jahr – zum automatischen Informationsaustausch auch in der EU übergehen. Selbst der Operettenstaat Monaco schloss sich der neuen Kooperationsbereitschaft an, während die Kanalinseln Guernsey und Jersey sowie die Cayman-Inseln schon Anfang des Jahres Steuer-Kooperationsabkommen mit London bzw. mit den skandinavischen Staaten geschlossen hatten.

Die neue Bewegung in Sachen Bankgeheimnis und Steuerkooperation ist sicherlich auf den politischen Druck zurückzuführen, den führende Industrieländer im Vorfeld des G20-Gipfels entwickelt haben. So ist u.a. die Aufstellung einer Schwarzen Liste von Steuerparadiesen bzw. von in Steuersachen kooperationsunwilligen Juristiktionen im Gespräch. Doch die jetzt gegebenen Ankündigungen der Adressaten dieser Drohungen beziehen sich – den OECD-Standards entsprechend – lediglich darauf, bei begründetem Verdacht im Einzelfall Kontoinformationen an das anfragende Land herauszugeben. Es müssen den betreffenden Steuerbehörden also bereits konkrete Anhaltspunkte über Steuervergehen vorliegen, bevor sie gegenüber anderen Ländern aktiv werden können. So heißt es denn auch in einer Pressemitteilung der OECD vom 13. März 2009: „Gleichwohl erkennen die (die OECD-Standards; R.F.) auch die Rolle des Bankgeheimnisses an, das den extensiven Schutz der Vertraulichkeit der ausgetauschten Informationen sicherstellt und sog. ‚fishing expeditions‘ nicht erlaubt.“

* Verunsicherung an den Finanzplätzen

Damit liefert die OECD den betroffenen Finanzplätzen eine neue Rückfalllinie gleichsam frei Haus – einmal abgesehen davon, dass die Zusagen bislang über ihren Ankündigungscharakter nicht hinausgekommen sind. So hat die Schweiz bereits durchblicken lassen, dass die Neuaushandlung Dutzender von Doppelbesteuerungsabkommen Jahre dauern kann und die neuen Abkommen gegebenenfalls Volksabstimmungen passieren müssen. In Luxemburg dagegen wird der neue Kurs der Öffentlichkeit teilweise als so selbstverständlich verkauft, dass sich selbst das Leitmedium des Landes, das Luxemburger Wort, fragte, „warum Luxemburg erst zu diesem Zeitpunkt auf die OECD-Linie einschwenkt, wenn damit nur Vorteile verbunden sind“.


Überhaupt ist unverkennbar, dass die Verunsicherung hinsichtlich der Zukunft des Finanzplatzes bis in die meinungsbildenden Kreise des hiesigen Großherzogtums reicht. So erschien unmittelbar nach der Bekanntgabe des Luxemburger Einschwenkens durch Budgetminister Luc Frieden ein Kommentar auf der Website des Luxemburger Worts, der dieses als „geordneten Rückzug“ beschrieb. Die Luxemburger hätten sich bislang „wie Kinder an ihre Spielsachen“ an das Bankgeheimnis geklammert. Zugleich spekulierte der Kommentator darüber, welche dubiosen Geschäfte wohl ans Licht kämen, wenn das Bankgeheimnis fiele. – Doch über Nacht war der Kommentar spurlos von der wieder Website verschwunden.

Prägend ist derzeit aber offensichtlich eine gewisse Einigelung in der Selbstverteidigung, die sich zuweilen mit einer gehörigen Portion Festungsdenken paart. Unbotmäßige Angriffe deutscher Politiker sind daran gewiss nicht unschuldig. So ruft die Äußerung des SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering, „früher hätte man in ein Steuerparadies Soldaten geschickt“, zu Recht einhellige Empörung hervor, ebenso die nassforsche Bemerkung des bundesdeutschen Finanzministers Steinbrück, bei der Diskussion um Schwarze Listen gehe es darum, „die Indianer in Angst und Schrecken zu versetzen“.

Ungleich wichtiger als die „deutsche Kraftmeierei“ (Jean-Claude Juncker) und der Streit darüber, ob ein Land nach der OECD-Definition als „Steuerparadies“ zu gelten hat oder nicht, oder auch die Frage, wie lange die derzeitige Regelung der EU-Zinssteuerrichtlinie (wonach ein Mitgliedsland zwischen der Erhebung einer Quellensteuer auf Sparerträge und dem automatischen Informationsaustausch wählen kann) noch aufrecht erhalten werden kann, ist jedoch die Tatsache, dass fast alle Regelungen, über die derzeit diskutiert wird, im Klub der reichen Länder verbleiben. Weder die neuen bilateralen Steuerabkommen, um die es jetzt im OECD-Kontext geht, noch der neu entfachte Streit um die Zinssteuerrichtlinie der EU ändern etwas an dem skandalösen Umstand, dass den Entwicklungsländern jährlich Steuereinnahmen in dreistelliger Milliardenhöhe verloren gehen, weil deren Reiche oder transnational agierende Konzerne horrende Vermögenswerte „offshore“ geparkt haben.

* Aderlass des Südens

Die Schätzungen variieren je nach Studie, aber der finanzielle Aderlass, den der Süden Jahr für Jahr erleidet, ist beträchtlich. Gerade erst veröffentlichte Oxfam International neue Zahlen, die von James Henry, dem früheren Chefökonom von McKinsey & Co., ermittelt wurden. Danach beläuft sich das Vermögen von Einzelpersonen aus Entwicklungsländern, das derzeit an Offshore-Finanzplätzen angelegt ist, auf mindestens 6,2 Billionen US-Dollar. Je nach Steuersatz bedeutet dies einen jährlichen Steuerverlust von 64-124 Mrd. Dollar. Der Verlust wäre viel höher, wenn auch das von Privatunternehmen ins Ausland verbrachte Geld mit einbezogen würde. Er wäre in jedem Falle höher als das was den Entwicklungsländern heute an öffentlicher Entwicklungshilfe (103 Mrd. Dollar) pro Jahr zufließt. Und während die Entwicklungshilfe derzeit wieder fällt, ist die Kapitalflucht mit 200-300 Mrd. Dollar zusätzlich pro Jahr nach wie vor auf dem aufsteigenden Ast.

Zu weit höheren Ergebnissen kam das internationale Tax Justice Network (TJN) bereits 2005 in einer Studie mit dem Titel „The Price of Offshore“ (s. Hinweis). Danach hielten wohlhabende Einzelpersonen aus dem Süden bereits 11,5 Billionen Dollar in Offshore-Zonen, was pro Jahr etwa 255 Mrd. Dollar an Steuerausfällen für die Herkunftsländer zu Folge hatte. Eine weitere, von Global Financial Integrity/Center for International Policy im Januar 2009 veröffentlichte Studie (s. Hinweis) kommt zu dem Ergebnis, dass die Entwicklungsländer im Jahre 2006 – dem letzten Jahr, das untersucht wurde – aufgrund illegaler Finanzabflüsse zwischen 858,6 Mrd. und 1,06 Billionen Dollar an Steuereinkünften verloren.

Hinweise:
* Dev Kar/Devon Cartwright-Smith, Illicit Financial Flows from Developing Countries: 2002-2006, 42 pp, Global Financial Integrity/Center for International Policy: Washington DC 2009. Bezug: über www.gfip.org
* Weitere Info: www.taxjustice.net

Veröffentlicht: 19.3.2009

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Offshore-Verluste im Süden ungebrochen. Steueroasen in der Defensive, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 03-04/März-April 2009.