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Renaissance von Kapitalverkehrskontrollen

Artikel-Nr.: DE20091113-Art.53-2009

Renaissance von Kapitalverkehrskontrollen

Warum ist der IWF so stur?

Nur im Web – Der IWF hat seit der Krise richtig gehandelt. Er hat so schnell reagiert, wie es einer internationalen Bürokratie möglich ist, um neue Kreditlinien für angeschlagene Schwellenländer einzurichten. Er hat seine Kreditkonditionen zeitgemäß umgearbeitet. Doch warum macht es der Internationale Währungsfonds Menschen wie mir so schwer ihn zu lieben, fragt Dani Rodrik.

Unter der Leitung seines fähigen Direktors Dominique Strauss-Kahn und des ausgezeichneten Chefökonomen Olivier Blanchard hat der Fonds inmitten einer wilden Kakofonie, was die globale Stimulierung der Wirtschaft betrifft, für Vernunft plädiert. Für eine Institution, die vor nicht allzu langer Zeit an der Schwelle zur Belanglosigkeit zu stehen schien, ist das ein beachtlicher Wandel.

* Brasilien: Entscheidung mit Symbolkraft

Doch jetzt lässt Strauss-Kahn Vorschläge abblitzen, den internationalen Fluss von „Hot Money“ zu besteuern. Der Anlass war Brasiliens Entscheidung, auf kurzfristige Kapitalzuflüsse eine Steuer in Höhe von 2% zu erheben, um eine Spekulationsblase und die weitere Aufwertung seiner Währung zu verhindern. Auf die Rolle von Kapitalverkehrskontrollen angesprochen, erwiderte Strauss-Kahn, er sei in Bezug auf dieses Thema auf keine rigide Ideologie festgelegt. Dennoch, so die Financial Times, die über die Ansichten des IWF-Chefs berichtete, „würde sie der IWF auch nicht als Standardrezept empfehlen, da sie mit Kosten verbunden und normalerweise ineffizient sind“. Leider lässt das den neuen IWF allzu sehr wie den alten klingen.

Eine angemessene Beobachtung und Überwachung von Kapitalströmen ist durchaus sinnvoll. Kurzfristige Kapitalbewegungen wirken sich nicht nur verheerend auf das inländische makroökonomische Management aus, sie verstärken zudem negative Währungseffekte. Insbesondere der Zufluss „heißen“ Kapitals lässt es für finanziell offene Volkswirtschaften wie Brasilien schwierig werden, ihre Währung wettbewerbsfähig zu halten und bringt sie um das, was eigentlich die wirksamste Form von Industriepolitik ist, die man sich vorstellen kann.

Durch die unklaren Signale, die die Brasilianer an die Finanzmärkte abgegeben haben, ist ihr Versuch, die Zuflüsse abzukühlen, möglicherweise misslungen. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hatte es nur wenige Tage bevor die Kapitalverkehrskontrollen eingeführt wurden abgelehnt, über diese zu sprechen. Wenn eine sinnvolle Anstrengung unternommen werden soll, das Währungsniveau zu beeinflussen, setzt dies die Entschlossenheit voraus, Steuern und ergänzende Richtlinien anzupassen, bis diese Wirkung zeigen. Zaghaftigkeit ist kontraproduktiv, weil sie nach hinten losgehen kann.

Wichtiger ist jedoch die Symbolik, die mit Brasiliens Schritt verbunden ist, denn sie lässt darauf schließen, dass Schwellenländer möglicherweise ihre verhängnisvolle Schwäche für Geld aus dem Ausland überwinden. Wie die Ökonomen Arvind Subramanian und John Williamson geschrieben haben, verdienen Schwellenländer die Unterstützung des IWF bei der Gestaltung besserer Kontrollen von Kapitalzuflüssen und keine Zurechtweisung.

* Reflexartige Reaktion

Strauss-Kahns Antwort, dass Steuern auf Kapitalflüsse kostspielig und ineffizient seien, ist daher bedauerlich. Sie ist außerdem bezeichnend für die reflexartige Reaktion, die die Vor- und Nachteile von Kapitalverkehrskontrollen oft verschleiert. Man kann Kapitalverkehrskontrollen ablehnen, weil man davon überzeugt ist, dass Finanzmärkte im Großen und Ganzen eine Kraft des Guten sind und jegliche Einmischung deshalb Effizienzverluste erzeugen würde. Oder man kann Kontrollen ablehnen, weil man glaubt, dass sie einfach umgangen werden können und deshalb wirkungslos bleiben werden. Was man nicht kann, ist Kapitalverkehrskontrollen ablehnen, weil sie sowohl kostspielig als auch ineffizient sind.

Denken wir darüber nach. Wenn Kapitalverkehrskontrollen einfach umgangen werden können – sagen wir, indem man das Timing von Transaktionen manipuliert oder Handelsabläufe falsch fakturiert – wird das den tatsächlichen Umfang von Kapitalzuflüssen kaum beeinträchtigen. Den Märkten werden durch die Kontrollen nur geringe Kosten entstehen (obgleich für die Regierung wohl einige Verwaltungskosten anfallen würden).

Wenn Marktteilnehmer andererseits aber tatsächlich erhebliche Kosten tragen – entweder aufgrund der Steuern, die sie zahlen, oder wegen der Ausgaben, die für eine Umgehung derselben anfallen – werden die Kontrollen Zuflüsse wirksam beschränken. Wenn man versucht beides zu haben, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass man sich entschieden hat, bevor man wirklich ernsthaft darüber nachgedacht hat.

* Die französischen Sozialisten und die Kapitalmärkte

Es mag eigenartig erscheinen, dass Strauss-Kahn mit seinem Instinkt in Bezug auf Kapitalverkehrskontrollen so daneben liegt. Man sollte meinen, dass ein Sozialist, ein französischer Sozialist noch dazu, eher zu Skepsis gegenüber der Finanzwirtschaft neigt.

Doch das Paradox ist mehr Schein als Sein. Die Finanzmärkte stehen tatsächlich tief in der Schuld französischer Sozialisten. Im Allgemeinen ist man der Auffassung, dass das US-Finanzministerium und Wall Street für den Anstoß zur Entfesselung der globalen Finanzwirtschaft verantwortlich sind. Wesentlich einflussreicher war jedoch möglicherweise der Sinneswandel, der unter französischen Sozialisten Anfang der 1980er Jahre infolge ihres fehlgeschlagenen Experiments mit einer Reflation à la Keynes stattgefunden hat. Als Kapitalflucht François Mitterrand 1983 zum Abbruch seines Programms zwang, vollzogen Frankreichs Sozialisten eine abrupte Kehrtwende und begrüßten die finanzielle Liberalisierung auf globaler Ebene.

Rawi Abdelal von der Harvard Business School zufolge war dies das Schlüsselereignis, das die Entwicklungen in Gang setzte, die die Freiheit des Kapitalverkehrs letztlich als globale Norm festschreiben würden. Die erste Etappe war die Europäische Union Ende der 80er Jahre, wo zwei französische Sozialisten – Jacques Delors und Pascal Lamy (der Präsident der Europäischen Kommission und sein Kabinettschef) – den Weg bereiteten. Dann war die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) an der Reihe. Schließlich sprang der IWF unter Michel Camdessus, einem weiteren Franzosen, der als Präsident der französischen Zentralbank unter Mitterrand gedient hatte, auf den fahrenden Zug auf.

* Hartnäckiger Finanzfetischismus

Die Reaktion des IWF auf Brasiliens Finanzsteuer spiegelt wider, wie tief sich der Finanzfetischismus verwurzelt hat und wie schwierig es ist, wieder etwas Ausgewogenheit in die Debatte über Kapitalflüsse zu bringen – sogar in der Folgezeit der größten Finanzkrise, die die Welt seit der Großen Depression erlebt hat. Das Problem sind nicht nur radikale Marktfundamentalisten. Die mangelnde Vorstellungskraft erstreckt sich über das gesamte politische Spektrum.

Es gibt einen berühmten Ausspruch von John Maynard Keynes in Bezug auf Kapitalverkehrskontrollen: „Was einst als Häresie galt [Beschränkungen des Kapitalverkehrs], wird jetzt als Lehrmeinung bestätigt.“ Das war zu Beginn der Bretton-Woods-Ära im Jahr 1945. Welch eine Ironie, dass wir unser Denken über 60 Jahre später der gleichen Veränderung unterziehen müssen.

Dani Rodrik ist Professor für Politische Ökonomie an der John F. Kennedy School of Government der Universität Harvard und erster Preisträger des vom amerikanischen Sozialwissenschaftlichen Forschungsrat vergebenen Albert O. Hirschman-Preises. Sein jüngstes Buch trägt den Titel One Economics, Many Recipes: Globalization, Institutions, and Economic Growth.

© Project Syndicate

Veröffentlicht: 13.11.2009

Empfohlene Zitierweise: Dani Rodrik, Renaissance von Kapitalverkehrskontrollen: Warum ist der IWF so stur?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 13.11.2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).