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Schaulaufen in L'Aquila: Ein Gipfel für Berlusconi

Artikel-Nr.: DE20090706-Art.27-2009

Schaulaufen in L'Aquila: Ein Gipfel für Berlusconi

Oder: Abgesang auf G8

Nur im Web - Am Vorabend ihres Gipfels, der in diesem Jahr vom 8.-10. Juli in L’Aquila/Italien stattfindet, ist die Gruppe der 8 (G8: USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Japan, Kanada und Italien plus Russland) an ihrem bisherigen Tiefpunkt angekommen. Auf diesen Niedergang kann eigentlich nur noch ihre Auflösung folgen. Doch die italienischen Gastgeber suchen lieber die Flucht nach vorn. Eine Vorschau von Rainer Falk.

Am Niedergang der G8 sind soziale Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nicht ganz unschuldig. Seit Ende der 1980er haben sie Jahr für Jahr nicht nur Proteste organisiert, sondern auf Gegengipfeln immer auch nach Alternativen zu einer Global Governance-Struktur gefragt, in deren Zentrum für allzu lange Zeit – gleichsam wie die Spinne im Netz – ein exklusiver Klub von Regierungen stand (???50018896840e70901???). Die G8 verfügten zwar stets über einen großen Teil des Weltreichtums, aber nie über die Legitimität, für die große Mehrheit der Weltbevölkerung zu sprechen oder gar Entscheidungen zu fällen.

Seit Anfang des neuen Jahrtausends ist auch die globale wirtschaftliche Dominanzposition der G7/G8 angekratzt. Die neuen, aufstrebenden Wirtschaftsmächte, wie China und Indien, sind politisch zwar immer noch unterrepräsentiert. Aber aufgrund ihres wachsenden ökonomischen Gewichts ist eine Regelung vieler globaler Probleme ohne ihre Beteiligung nicht mehr möglich. Wie etwa soll über den Abbau der globalen Ungleichgewichte geredet werden, wenn das Land mit dem größten Leistungsbilanzüberschuss nicht mit am Tisch sitzt?

* G8: Angekratzte Wirtschaftsdominanz

Wie sehr sich die Verhältnisse geändert haben, macht vielleicht nichts so deutlich wie die Umkehr der Schuldner-Gläubiger-Positionen zwischen China und den USA. Als Land mit den größten Devisenreserven der Welt hat China begonnen, schon mal Alternativen zur Leitwährungsrolle des US-Dollars zu ventilieren. Änderungen auf diesem Feld sind zwar nur langfristig denkbar. Aber eine Signalwirkung hat es schon, wenn chinesische Zentralbanker die Sonderziehungsrechte des IWF (wesentlich aufgestockt und neu zusammengesetzt) als neue globale Reservewährung ins Gespräch bringen.

Inzwischen jedenfalls kämpft die G8, die in den 1970er Jahren just nach der Auflösung des Bretton-Woods-System (mit seiner festen Dollar-Bindung) auch als währungspolitisches Koordinierungsgremium ins Leben gerufen worden waren, um ihr Überleben. Doch die gegenwärtige italienische G8-Präsidentschaft unter Sylvio Berlusconi macht ihr dies nicht gerade leichter, wie die Financial Times kürzlich süffisant bemerkte.

Kurz vor dem G8-Treffen in L‘Aquila ist sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel in den „Abgesang auf G8“ eingestimmt. Das zukünftige Entscheidungszentrum seien die G20, meinte sie, und die G8-Treffen würden mehr und mehr in das Format einer „Vorbesprechung“ hineinwachsen.

In der Tat sind die G20, der neben den G8-Staaten, Australien, Spanien und der Europäischen Kommission auch die zehn wirtschaftlich potentesten Länder mit aufstrebenden Ökonomien („emerging economies“) angehören (Brasilien, Argentinien, Mexiko, China, Indien, Südafrika, Indonesien, Malaysia, Saudi-Arabien, Südkorea), so etwas wie der neue Stern am Firmament der informellen Global-Governance-Architektur. Unter Effizienzkriterien betrachtet, haben die G20 die G8 als zentrales Gremium zur Bearbeitung der Finanzkrise bereits abgelöst – ein Aufstieg übrigens, den wir an dieser Stelle seit fünf Jahren vorhergesagt haben. Ob die G20 auf Gipfelebene auch für andere globale Fragen der Weisheit letzter Schluss ist, muss sich noch zeigen. Unter dem Aspekt der Repräsentanz teilt die G20 mit der G8 ein zentrales Legitimitätsproblem: Auch dort sind die Mehrheit der Länder und vor allem die Ärmsten der Armen nicht vertreten.

* Schönheitslauf Berlusconis

Wenn wir uns die Vorbereitungen auf das aktuelle G8-Treffen in Italien ansehen, sind allerdings Zweifel angebracht, ob es sich wirklich nur um die Anberaumung einer „Vorbesprechung“ handelt. Eher könnte von einem einseitigen Schönheitswettbewerb Berlusconis die Rede sein. Dieser will offensichtlich den größten G8-Gipfel aller Zeiten ausrichten, jedenfalls gemessen an der Teilnehmerzahl. Die G8 tagen jetzt nur noch am ersten Gipfeltag unter sich. Danach kommen die G5 (Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika – die Länder des sog. Heiligendamm-Prozesses) plus Ägypten hinzu, sodann Australien, Indonesien und Südkorea als Vertreter des maßgeblich noch von Bush initiierten „Major Economies Forum“. Am dritten Tag werden die Beratungen dann um diverse afrikanische Regierungen erweitert, so dass die italienischen Gastgeber insgesamt auf 39 teilnehmende Staaten kommen.

Die Teilnahme der Präsidenten und Direktoren von IWF, Weltbank, WTO und OECD ist hier noch nicht eingerechnet. Aber offensichtlich sind sich letztere nicht zu schade, dem Spektakel beizuwohnen, obwohl sie erst kürzlich dem Finanzgipfel der Vereinten Nationen, für die sich jetzt immer mehr der Begriff G192 einbürgert, ihre Teilnahme verweigert haben.

Was steht inhaltlich-politisch in L’Aquila auf dem Spiel? Nicht viel, fürchte ich: Dem Vernehmen nach werden die G8 in Italien vor dem Hintergrund der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise Ethik und Moral (neu) entdecken. Dies soll einem über Managergehälter, Bonuszahlungen und Zockermethoden empörten Publikum in den Herkunftsländern der G8 wie eh und ja deutlich machen: „Seht her, wir kümmern uns!“ Verabschiedet werden soll ein „Kodex gemeinsamer Prinzipien und Standards des Anstands, der Integrität und der Transparenz“, nach dem sich künftig das Handeln auf den globalen Märkten bemessen soll. Der Kodex wurde auf dem letzten G8-Finanzministertreffen in Lecce/Italien vorbereitet, weshalb gelegentlich schon vom „Lecce Framework“ die Rede ist. Doch es fragt sich natürlich, warum sich der Rest der Welt von denen, die für die aktuelle Krise verantwortlich sind, in Sachen Anstand und Moral belehren lassen soll.

* Entwicklungspolitische Scheinaktivität

Gleiches gilt für die vielen Scheinaktivitäten, die die italienische G8-Präsidentschaft in puncto Entwicklungspolitik um den Gipfel herum entfaltet. Sogar von innovativen Finanzierungsmechanismen ist die Rede, weil die Italiener die nicht gerade mehr neue Idee haben, mit internationalen Banken und Finanzfirmen über die schrittweise Absenkung der Gebühren für Gastarbeiter-Rücküberweisungen zu reden. Und ein Jahr nach dem Ausbruch der globalen Nahrungsmittelkrise werden jetzt auch die G8 über Ernährungssicherheit reden.

Doch erstens hat Eveline Herkens, die ehemalige niederländische Entwicklungsministerin und heutige Koordinatorin der UN-Millenniumskampagne, Recht, wenn sie feststellt: Es macht keinen Sinn in der Entwicklungspolitik, immer wieder neue Aufgaben zu erfinden, wenn man die alten Zusagen und Versprechungen nicht einlöst (???042ae69c3a10ab30f???). Und zweitens ist Italien gerade auf diesem Gebiet ein besonders trauriges Beispiel. Tatsache ist nicht nur, dass Italien – wie andere G8-Länder auch – bei der Einhaltung der Versprechen, die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit schrittweise auf 0,7% des Bruttonationaleinkommens zu erhöhen, weit hinterher hinkt. Für das Jahr 2009 hat Rom sogar drastische Kürzungen in diesem Ausgabenbereich eingeplant. Da macht es keinen Sinn, die Zusagen von Gleneagles gebetsmühlenartig erneut zu bekräftigen, wenn nicht gleichzeitig konkrete Beschlüsse zu ihrer praktischen Umsetzung gefasst werden.

Es gibt also nach wie vor aktuelle politische Gründe, gesellschaftlichen Druck auf die G8 auszuüben und nach Alternativen zur ihrer Rolle und Weltwirtschaftspolitik zu fragen. Längst geht es nicht mehr nur um Alternativen zur alten G8-Struktur. Das Tableau der Debatte könnte die Rolle der G20 und anderer G-Gruppen umfassen und über die Reform von IWF, Weltbank und WTO bis hin zu einer reformierten und aufgewerteten UNO reichen. Nicht zu kurz kommen sollten in dieser Diskussion aber auch die sog. Off-Box-Initiativen, d.h. eigenständige regionale Initiativen im Süden außerhalb der etablierten institutionellen Strukturen, wie die Banco del Sur in Lateinamerika, die Chiang Mai-Initiative in Ost- und Südostasien oder generell der Prozess der Süd-Süd-Integration, um nur einige Stichworte zu nennen. Letztere dürften in dem Maße, wie sich Reformanstrengungen als vergeblich erweisen, sogar wichtiger werden. Wenn sich die politischen Kräfte im Süden des Globus wieder verstärkt eigenständig organisieren, verstärkt das ihrerseits den Druck auf die Herausbildung einer demokratischeren Global Governance. Zu diesem Prozess wird das Schaulauf von L’Aquila freilich keinen Beitrag leisten.

Veröffentlicht: 5.7.2009

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Schaulaufen in L'Aquila: Ein Gipfel für Berlusconi. Oder: Abgesang auf G8, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 5. Juli 2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).