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Tödliche Hilfe oder wirksamere Therapie?

Artikel-Nr.: DE20090603-Art.23-2009

Tödliche Hilfe oder wirksamere Therapie?

Dambisa Moyos Abrechnung mit der Entwicklungshilfe

Vorab im Web - Das Buch “Dead Aid” von Dambisa Moyo (s. Hinweis) hat in der entwicklungspolitischen Gemeinde einen wahren Sturm ausgelöst. Die Suche nach einer angemessenen Antwort ist noch im Gang. Doch die bisherigen Reaktionen waren zu defensiv, meint Eveline Herfkens, die in Moyos Buch eine große Chance sieht, die Themen wirksame Entwicklungshilfe und Handel, für die es bislang kaum Aufmerksamkeit gab, öffentlich zu diskutieren.

Natürlich lässt sich einfach erwidern, dass Moyos Rezept – mehr ausländische Investitionen und Zugang zu den internationalen Kapitalmärkten –, das zum Zeitpunkt der Abfassung des Buches praktikabel gewesen sein und auch funktioniert haben mag, derzeit keine Alternative darstellt: Aufgrund der Wirtschaftskrise haben sich die ausländischen Finanzflüsse umgekehrt, und im Jahre 2008 wurden von afrikanischen Ländern keine internationalen Anleihen mehr aufgelegt. Tatsächlich haben Kenia, Nigeria, Tansania und Uganda ihre Pläne aufgegeben, Finanzmittel auf den Kapitalmärkten zu mobilisieren. Unterdessen werden auch in leistungsstarken afrikanischen Ökonomien die Pläne neu bewertet, aus der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) auszusteigen.

* Die Afrikaner schalten sich in die Diskussion ein

Doch was Moyos Kritik an der Entwicklungshilfe betrifft, finde ich, offen gesagt, dass das „Aid Business“ zu defensiv reagiert hat. Die Praktiken, die die Autorin verurteilt, sind exakt diejenigen, die der Entwicklungshilfe-Ausschuss (DAC) der OECD und aufgeklärtere Geberländer reformieren wollen. Ich sehe Moyos Buch als eine große Chance für eine öffentliche Debatte über wirksame Entwicklungshilfe und Handel – Themen, für die es immer schwer war, öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Diese Aufmerksamkeit kann zu der Unterstützung und dem politischen Willen führen, um letztlich die Reformen der Entwicklungshilfe umzusetzen, die von allen Gebern 2005 in der Erklärung von Paris und im letzten Jahr in der Aktionsagenda von Accra beschlossen wurden (>>> W&E-Hintergrund August 2008).

Besonders erfreut bin ich darüber, dass sich jetzt die Afrikaner in die Debatte einschalten, die zu lange durch Vertreter des Westens beherrscht wurde, die die Afrikaner nur allzu oft als inkompetent und hilflos portraitierten. Es war an der Zeit, dass Afrikaner gegen den beleidigenden Paternalismus von Teilen der internationalen Entwicklungsgemeinde aufstanden, die suggeriert, es sei ihre Sache, die globale Armut zu bekämpfen und damit die vorrangige Verantwortung der Entwicklungsländer untergräbt, sich selbst zu helfen, wie es in den Millennium-Entwicklungszielen vorgesehen ist. Es ist höchste Zeit, den zugrunde liegenden Mythos der westlichen Überlegenheit anzugreifen, der da lautet: Wir lehren – Ihr hört zu; wir geben – Ihr empfangt; wir wissen – Ihr lernt; wir kümmern uns, weil Ihr’s nicht könnt. Erst unterminieren wir das Selbstvertrauen der Afrikaner und dann übernehmen wir… Ich nenne das Neokolonialismus. Oder wie ein afrikanischer Freund mir einmal sagte: „Wenn Ihr nach Afrika kommt, seid Ihr per definitionem ein ausländischer Experte. Wenn wir nach Europa kommen, sind wir nur Einwanderer.“

* Entwicklungshilfe und Rechenschaftspflicht

Die Überwindung dieser Perzeptionsmuster ist wesentlich, damit die öffentliche Meinung versteht, was den in der Erklärung von Paris und der Aktionsagenda von Accra beschlossenen Reformen zugrunde liegt: die Anerkennung, dass wir, die Geber, nicht sie, die Afrikaner, entwickeln, sondern diese sich selbst. Nur wenn die Afrikaner – nicht die Geber – ihre eigene Entwicklungsstrategie entwerfen, können sie die Entwicklungshilfe produktiv nutzen.

Insbesondere sollte Moyos Argument nicht einfach abgetan werden, dass „es ohne Entwicklungshilfe für die Bürger einfacher wäre, von ihren Regierungen Rechenschaft zu verlangen“. In der Tat führt die Attitüde des „Wir (synonym für Experten und Geld) retten Afrika“ oder des „Wir werden die Armut beenden“ dazu, dass die Anreize für die armen Leute nachlassen, von ihrer eigenen Regierung zu fordern, besser zu regieren, die Korruption zu bekämpfen und sicherzustellen, dass die Ressourcen – nicht bloß die Entwicklungshilfe, sondern auch die weit umfangreicheren heimischen Ressourcen – transparent und sinnvoll ausgegeben werden. Das impliziert, dass die Geber die Hilfe auf eine Weise zur Verfügung stellen müssen, die den Regierungen der Entwicklungsländer nicht erlaubt, sich vor dieser Verantwortung zu drücken oder die Erwartungen der Bürger an ihre eigene Regierung auf die Geber umzulenken. In der Tat verewigt jener Typ von Entwicklungshilfe, der das Rechenschaftsverhältnis zwischen den Politikern und ihren Wählern auflöst, letztlich schlechte Regierungsführung und Armut. Die Entwicklungshilfe muss über die Haushalte der Nehmer laufen, damit Rechenschaftslegung innerhalb des Landes möglich wird.

Ich stimme mit Moyos Beobachtung überein, dass zu viel Hilfe durch eigene wirtschaftliche und geopolitische Interessen der Geber motiviert war. Wo die „Hilfe“ wegen geopolitischer Ziele oder zur Exportförderung gegeben wird, ist ihre Intention niemals Armutsminderung; also sollten wir auch nicht überrascht sein, wenn sie dazu nichts beiträgt.

Schließlich hat Moyo auch Recht, was die Bedeutung des Handels im Vergleich zu Entwicklungshilfe und die Notwendigkeit betrifft, die Regeln des Handels fairer zu machen. Während die EU jetzt seit über 15 Jahren mehr Kohärenz der Handelspolitik mit den entwicklungspolitischen Zielen verspricht, gewähren wir den ärmsten Ländern immer noch keinen echten Marktzugang und versagen kläglich bei der Reform unserer Agrarpolitik.

* Das Kind nicht mit dem Bade ausschütten

Doch ich widerspreche energisch Moyos Schlussfolgerung, dass wir das ganze Unternehmen Entwicklungshilfe aufgeben sollten, wenn die Hilfe nicht funktioniert. Wir sollten das Kind nicht mit dem Bade ausschütten, sondern die Lehren aus entwicklungspolitischen Fehlschlägen und Erfolgen ziehen. Und das ist genau das, was wir in der letzten Dekade getan haben. Zum ersten Mal in der Geschichte der Entwicklungshilfe verfügen wir heute über eine ernsthafte und breit getragene Agenda von Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Hilfe wirklich zur Entwicklung beiträgt. Die Übereinkünfte von Paris und Accra sind nicht einfach Slogans oder Schlagworte – sie beruhen auf einer Reihe praktischer Reformen, die tief in der Realität wurzeln und Antworten auf die Fehler der Vergangenheit sind, von denen auch Moyo viele aufzählt.

Was mir bei Moyo am meisten zu denken gibt ist, dass sie nicht viel Neues sagt. Das meiste wurde schon in den 1960er und 1970er Jahren von Peter Bauer gesagt (sie war so ehrlich, ihm ihr Buch zu widmen) und von William Easterly in den letzten Jahren. Bis heute haben wir es in der Entwicklungsgemeinde jedoch nicht geschafft, einfach zu sagen, die Botschaft ist angekommen, und jetzt diskutieren wir die Konsequenzen im Detail.

Es ist Zeit, Paris und Accra umzusetzen, damit die Entwicklungshilfe den wirklichen Bedürfnissen vor Ort gerecht wird, die lokalen entwicklungspolitischen Managementkapazitäten stärkt und die Regierungen verantwortlich und rechenschaftspflichtig macht. Doch die Umsetzung hinkt hinterher, weil es an politischer Führungsstärke und an Verständnis für die Ratio der Paris/Accra-Reformen mangelt, sowohl in der öffentlichen Meinung generell wie insbesondere auch in den Parlamenten.

Moyo hat uns einen großen Gefallen getan, weil sie uns eine Plattform bietet, auf der wir auch in den Mainstream-Medien Interesse für diese Fragen wecken und die richtigen Argumente für die längst überfälligen Reformen vorbringen können.

Hinweis:
* Dambisa Moyo, 2009: Dead Aid. Why Aid is Not Working and How There is Another Way for Africa, 188 S., Penguin: London. Bezug: >>> Buchhandel.

Eveline Herfkens war Entwicklungsministerin der Niederlande und koordiniert derzeit die Millenniumskampagne der Vereinten Nationen.

Empfohlene Zitierweise: Eveline Herfkens, 2009: Tödliche Hilfe oder wirksamere Therapie? Dambisa Moyos Abrechnung mit der Entwicklungshilfe, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg (W&E), Nr. 06 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)

Veröffentlicht: 3.6.2009