Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

UN-Report entwirft Klimastrategie für den Süden

Artikel-Nr.: DE20090903-Art.35-2009

UN-Report entwirft Klimastrategie für den Süden

Emissionsarmer Wachstumsschub?

Nur im Web – Trotz aller Bekenntnisse zu nachhaltiger Entwicklung gibt es nach wie vor einen tiefen Graben, der die klimapolitische Agenda von der entwicklungspolitischen trennt. Das beklagt das neue World Economic and Social Survey der Vereinten Nationen. Unter dem Titel „Promoting Development, Saving the Planet” fordert der Bericht – drei Monate vor der Klimakonferenz von Kopenhagen – einen integrierten Ansatz, der den Herausforderungen des Klimawandels und der Entwicklung gleichermaßen gerecht wird. Eine Übersicht von Rainer Falk.

Die Autoren der UN-Abteilung für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten um den obersten UN-Ökonomen Jomo Kwame Sundaram halten wenig von weiteren inkrementellen Trippelschritten in der Klimapolitik. Ihre Überlegungen zielen vielmehr auf einen großen Investitionsschub, der den Ausstoß von Treibhausgasen deutlich reduziert, zugleich die Bedürftigen beim Umgang mit den Folgen des Klimawandels unterstützt und insgesamt integraler Bestandteil einer konsistenten Entwicklungsstrategie ist.

* Wie viel Wachstumsspielraum im Süden?

Nach dem Report wird man eine aktive Teilnahme aller Länder am Kampf gegen den Klimawandel nur erreichen können, wenn die damit verbundenen Maßnahmen nicht darauf hinauslaufen, die armen Länder auf der „Entwicklungsleiter“ weiter hinabzustoßen, sondern sie widerstandsfähiger gegen externe Schocks machen, seien diese nun klimapolitischer oder ökonomischer Natur. Anders formuliert: Den Entwicklungsländern muss genügend Spielraum gelassen werden, um ein schnelles wirtschaftliches Wachstum aufrecht zu erhalten. Dies wiederum erfordere die Befriedigung ihres wachsenden Energiebedarfs, was im kommenden Jahrzehnt ein doppelt so hohes Kapazitätswachstum wie in den Industrieländern bedeuten dürfte. Für die Klimaverhandlungen werfe dies die Frage auf, wie arme Länder zur Verfolgung einer emissionsarmen, aber durch hohes Wachstum gekennzeichneten Entwicklung befähigt werden können.

Das betrifft als erstes den Technologietransfer. Wie der Bericht betont, sind die Technologien, die den Entwicklungsländern den Übergang zu einem nachhaltigen Entwicklungspfad ermöglichen würden (von energiesparenden Bauweisen über neue, trockenresistente Pflanzensorten bis hin zu fortschrittlichen, primären erneuerbaren Energiequellen), zwar vorhanden, aber oft prohibitiv teuer. Eine solche Strategie würde darüber hinaus „ein Niveau an internationaler Unterstützung und Solidarität (erfordern), das es außer in Kriegszeiten bislang kaum gegeben hat“.

Klar zurückgewiesen wird in dem Report die Auffassung, das Klimaproblem könne dadurch gelöst werden, dass alle Länder – ausgehend vom gegenwärtigen Niveau – einfach ihre Emissionen kürzen oder dass ausschließlich auf marktorientierte Lösungen gesetzt wird, um die erforderlichen Investitionen zu bekommen. Die Entwicklungsländer, so schreiben die Autoren, sehen sich „weit größeren Herausforderungen gegenüber als die Industrieländer, und dies in einem weit restriktiveren Umfeld“. Wirtschaftliches Wachstum bleibe für den Süden eine Priorität, nicht nur um die Armut zu reduzieren, sondern auch um nach und nach die ungeheuren Einkommensunterschiede zu den wohlhabenderen Ländern abzubauen. „Die Idee, den gegenwärtigen Stand der globalen Ungleichheit über die nächsten 50 Jahre oder mehr (in denen die Welt das Klimaproblem zu lösen sucht) einzufrieren, ist wirtschaftlich, politisch und ethisch unakzeptabel“, heißt es.

* Leere Worte – fehlende Taten

Die Erdtemperatur in sicheren Grenzen zu halten, ist inzwischen zu einem Wettlauf mit der Zeit geworden. Nach dem Internationalen Panel zum Klimawandel brauchen wir bis 2050 eine Kürzung der globalen Emissionen um 50-80%, was einer Reduktion der Kohlenstoffdioxidmenge von gegenwärtig rund 40 Gigatonnen pro Jahr auf 8-20 Gigatonnen entspricht. Doch die Survey-Autoren betonen, dass zunehmende wissenschaftliche Erkenntnis und höhere öffentliche Aufmerksamkeit sich nicht in entsprechende politische Antworten übersetzt haben. Das gelte besonders für die Industrieländer, deren zwei Jahrhunderte langes, kohlenstoffgetriebenes Wachstum hinter der gegenwärtigen Erderwärmung steht. Seit 1950 haben die Industrieländer mehr als drei Viertel des globalen Emissionsanstiegs verursacht, obwohl auf sie weniger als 15% der Weltbevölkerung entfällt.

Das größte Einzelhindernis bei der Bewältigung der Herausforderungen des Klimawandels liegt für die UN-Autoren in dem Unvermögen der wohlhabenden Länder, ihre langjährigen Verpflichtungen zu internationaler Unterstützung für Armutsreduzierung und adäquaten Transfer von Ressourcen und Technologie zu erfüllen.

* Unterschiedliche Ökonomien – unterschiedliche Energiepfade

Es sind die Entwicklungsländer, die die Folgen des Klimawandels am deutlichsten spüren und wo die Vorhersagen am drastischsten sind – mehr Dürren in bestimmten Regionen, intensivere Niederschläge in anderen werden die Wasserversorgung und die Agrarsysteme der Welt schwer schädigen. Das Abschmelzen der Gletscher und das sich zurückbildende Eis in den Polarregionen führen zum Anstieg des Meeresspiegels und bedrohen die schiere Existenz kleiner Inselnationen und von Küstenbevölkerungen, die über keine Ressourcen zur Anpassung verfügen.

Der Bericht führt Schätzungen an, wonach ein Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur um 1°C in den armen Ländern zu einem Rückgang des durchschnittlichen jährlichen Wachstums um 2-3% führt, das Wachstum in den reichen Ländern aber unverändert bleibt. Gleichzeitig, so stellt der Bericht fest, haben die Industrieländer Pro-Kopf-Emissionen, die immer noch sechs bis siebenmal höher sind als in den Entwicklungsländern.

Einer der am meisten übersehenen Aspekte der Klimadebatte, argumentiert der Report, bestehe darin, dass der Energiebedarf der Entwicklungsländer sich stark von dem der Industrieländer unterscheidet. Letztere haben zwar exzessive, aber funktionierende Energieversorgungs- und Infrastruktursysteme zur Verfügung. Für die meisten Entwicklungsländer hingegen ist die Basisenergieversorgung ein ständiger Kampf. Global sind 1,6 bis 2 Milliarden Menschen ohne Zugang zu Elektrizität. Diesen Menschen Elektrizität zu bringen, wird in den nächsten zwei Jahrzehnten schätzungsweise 25 Mrd. Dollar pro Jahr kosten.

Wegen dieser großen Unterschiede brauchen reiche und arme Länder auch unterschiedliche Reduktionsstrategien, um den Klimawandel anzugehen. Während Preissteigerungen bei Treibstoffen oder Veränderungen im Lebensstil in den Industrieländern zu Mehrverbauch an erneuerbaren Energien führen mögen, würde das in den Entwicklungsländern schlicht bewirken, dass sich viele Leute überhaupt keinen Treibstoff mehr leisten können. Die Kosten von Energiealternativen sind dabei immer noch niedrig, so der Report, verglichen mit den Milliarden, die vielen Industrieländer zur Rettung ihrer Finanzsektoren und Automobilindustrien aufgebracht haben. „Im Vergleich dazu wären die Kosten, um zwei Millionen Menschen in ein modernes Energieversorgungssystem zu bringen, wirklich gering“, sagen die Autoren, vor allem wenn man berücksichtigt, dass sich die Summe, die im Rahmen der Entwicklungshilfe für Energie ausgegeben wird, derzeit lediglich rund 4 Mrd. Dollar pro Jahr beträgt, während mindestens 10 Mrd. Dollar notwendig wären.

* Ein großer Investitionsschub: Was kostet der Globale New Deal?

Technologisch gesehen, wäre eine Expansion saubererer Energiedienstleistungen, um die Bedürfnisse des Südens zu befriedigen, möglich, meinen die UN-Autoren. Doch wie viel würde ein solcher „Globaler New Deal“ kosten? Dies ist das A und O, denn der Übergang zu saubereren Wachstumspfaden wäre ohne internationale Unterstützung nicht möglich. Erforderlich sei ein globales Investitionsprogramm.

Die Schätzungen darüber, wie hoch die zusätzlichen Finanzierungskosten für Minderung und Anpassung an den Klimawandel wären, variieren sehr stark, je nachdem, welche Faktoren und Reduzierungsziele zugrunde gelegt werden. Sie reichen von 0,2% bis 2% des Weltsozialprodukts (WSP) bzw. von 180 Mrd. bis 1,2 Billionen Dollar pro Jahr. Die meisten Ausgaben würden jedoch erst nach 2030 anfallen. Der Bericht widerspricht dieser Behauptung und plädiert dafür, signifikante zusätzliche Ausgaben eher früher als später zu tätigen – in der Größenordnung von 1% des WSP bzw. zwischen 500 und 600 Mrd. Dollar pro Jahr. Alles andere würde das Risiko beinhalten, verschmutzungsintensive Investitionen noch über Jahrzehnte hinaus beizubehalten.

Wie dem auch sei – der Report unterstreicht, dass die Summen, die derzeit aus bi- und multilateralen Quellen für den internationalen Klimaschutz zur Verfügung stehen, in jeder Hinsicht unzureichend sind. Mehr als die Hälfte der zusätzlichen Kosten der Bekämpfung des Treibhauseffekts entfallen erwartungsgemäß auf die Entwicklungsländer, deren Energieinvestitionen in den nächsten Jahrzehnten viel schneller als die der Industrieländer wachsen werden. Derzeit werden schätzungsweise 21 Mrd. Dollar an öffentlicher Entwicklungshilfe für Klimaschutzzwecke, vornehmlich für seine Minderung, ausgegeben. Gebraucht wird aber ein Vielfaches dieser Summe. Wenn die internationale Gemeinschaft es wirklich ernst meint mit eine Globalen New Deal, dann sollten wirklich finanzielle Ressourcen in derselben Höhe wie bei der Bekämpfung der Finanzkrise zur Verfügung gestellt werden.

* Wie könnte es weitergehen?

Der Kampf gegen den Klimawandel verlangt nach Ansicht der Autoren des Flaggschiff-Reports der UN für Kopenhagen also unterschiedliche Ansätze in Industrie- und Entwicklungsländern. Marktorientierte Lösungen, darunter die Entwicklung eines CO2-Marktes, Obergrenzen und Handelsmechanismen oder auch Besteuerungsmodelle wie in den Industrieländern taugen dem Bericht zufolge nicht in den Entwicklungsländern. „Vielleicht wird der Kohlenstoffmarkt weiter expandieren, aber die Geschwindigkeit und der Umfang werden nicht ausreichen, um die finanziellen Probleme der Entwicklungsländer auf dem Weg zu einem emissionsarmen Entwicklungspfad zu lösen“, heißt es in dem Bericht.

Stattdessen empfehlen die Autoren den Entwicklungsländern, die Option einer Kombination von großen Investitionen und aktiver politischer Intervention in den Markt zu ergreifen. Notwendig dazu seien ein starkes und nachhaltiges Engagement der Regierungen des Südens und eine entschlossene, fassbare und effektive multilaterale Unterstützung mit Blick auf Finanzierung und Technologietransfer. Interessant ist hier, dass also auch die Klimapolitik als treibender Faktor für eine Neubewertung der Rolle des „Entwicklungsstaats“ gesehen wird (s. zu diesem Konzept auch W&E-Hintergrund August 2009).

Der WESS entwickelt ein Spektrum an möglichen multilateralen Maßnahmen zur Unterstützung eines globalen Investitionsprogramms, darunter ein globaler Fonds für saubere Energie, ein globales Anreizsystem für erneuerbare Energiequellen, ein Klimatechnologie-Programm und ein ausgewogeneres Regime für Patente, um den Transfer sauberer Technologien zu unterstützen.

Der neue UN-Bericht ist sicherlich ein weiterer Baustein in den Bemühungen, Wachstumspolitik und Umsteuern in Richtung Nachhaltigkeit zusammenzubringen und damit Grundlagen für einen Globalen New Deal zu schaffen. So nachvollziehbar seine Vorschläge im Einzelnen aber auch sein mögen und so konsistent derartige Konzepte inzwischen gedacht werden können, so deutlich ist auch: Bislang muss jede Klimastrategie für den Süden in diesen Ländern auf einen aktiven politischen Umsetzungswillen und im Norden auf die Bereitschaft zur tatkräftigen und vor allem finanziellen Unterstützung stoßen. Wirksame internationale Klimapolitik ist also immer auch eine Anfrage an die Regierungen des Südens und zugleich Umverteilungspolitik zwischen Nord und Süd.

Hinweis:
* UN-DESA, World Economic and Social Survey 2009: Promoting Development, Saving the Planet, 242 pp, United Nations: New York 2009. Bezug: über http://www.un.org/esa/policy/wess/wess2009files/wess09/wess2009.pdf


Veröffentlicht: 24.8.2009

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, UN-Report entwirft Klimastrategie für den Süden. Emissionsarmer Wachstumsschub?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 2.9.2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).