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UN sieht Winterlandschaft statt grüne Triebe

Artikel-Nr.: DE20090528-Art.22-2009

UN sieht Winterlandschaft statt grüne Triebe

Die Weltwirtschaft zur Jahresmitte

Nur im Web - Die Vereinten Nationen haben ihre Wirtschaftsprognose für das laufende Jahr nach unten korrigiert und erwarten jetzt ein Negativwachstum der Weltwirtschaft von -2,6%. Noch im Januar war ihr pessimistischstes Szenario von -0,5% ausgegangen. Doch Ende Mai/Anfang Juni trägt die ökonomische Landschaft immer noch winterliche Züge; die viel zitierten grünen Triebe, die einen neuen Frühling ankündigen könnten, sucht man vergebens, so die Quintessenz eines UN-Reports über die globalen Wirtschaftsaussichten zur Jahresmitte. Von Rainer Falk

Der Rückgang folgt auf eine Expansion der Weltwirtschaft um 2,1% in 2008 und um fast 4% im Durchschnitt der Jahre 2004-07 (s. Tabelle). Nach Ansicht der Autoren des Updates zu „World Economic and Social Situation and Prospects“ (WESP) steckt die Weltwirtschaft in der ernsthaftesten Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem Zweiten Weltkrieg. In zunehmendem Maße stellt die Krise eine Bedrohung für die weltweite wirtschaftliche und soziale Entwicklung dar, einschließlich der Umsetzung der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs) und anderer international vereinbarten Entwicklungsziele.

* Schwerste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg

Eine bescheidene Erholung des globalen Outputs im Jahre 2010 ist nach dem Bericht zwar denkbar. Möglich sei aber auch eine verlängerte globale Rezession, wenn der Teufelskreis aus finanzieller Destabilisierung und der rückläufigen Realwirtschaft nicht durchbrochen wird und die auf globaler Ebene erforderlichen konzertierten politischen Maßnahmen nicht ergriffen werden.

Wachstum des globalen Outputs, 2004-2010


Zwischen September 2008 und Mai 2009 hat der Marktwert der Banken in den USA und Europa um 60% (bzw. um 2 Billionen US-Dollar) abgenommen. Doch trotz der enormen Abschreibungen und der massiven Rettungsaktionen der Regierungen für den Finanzsektor sind die Probleme nicht verschwunden. „Wenn die Finanzmärkte nicht bald wieder anspringen und die fiskalischen Anreize nicht ausreichend greifen, wird sich die Rezession in den meisten Ländern verlängern und die Weltwirtschaft bis weit in das Jahr 2010 auf niedrigerem Niveau stagnieren“, heißt es in dem Bericht.

Das WESP-Update halt auch ein optimistischeres Szenario bereit, nach dem die weltwirtschaftliche Erholung schon in der zweiten Hälfte des Jahres 2009 beginnen und der globale Output in 2010 um 2,3% wachsen würde. Dieses Szenario ist jedoch immer weniger wahrscheinlich, da es die Lösung der Finanzmarktprobleme in der ersten Jahreshälfte 2009 voraussetzt. Doch Ende Mai war die globale ökonomische Landschaft immer noch sehr winterlich, ohne wesentliche “grüne Triebe”, die auf einen neuen Frühling schließen ließen.

* Entwicklungsländer besonders hart getroffen

Die Krise hatte ihren Ursprung in den Industrieländern. Inzwischen ist aber offenkundig, dass die Entwicklungsländer durch die Umkehr der Kapitalströme, steigende Kreditkosten, kollabierenden Welthandel und fallende Rohstoffpreise sowie rückläufige Gastarbeiterüberweisungen unverhältnismäßig hart getroffen werden, so hebt der Bericht hervor. Besonders dramatisch war der Rückgang des Welthandels. Im ersten Quartal dieses Jahres brach er um 40% ein (im Vergleich zum selben Quartal des Vorjahres). Für 2009 als ganzes wird mit einem Rückgang des Welthandelsvolumens um 11% gerechnet – der größte Rückgang seit der Krise der 1930er Jahre.

Unverhältnismäßig stark trifft die Krise auch die Wanderarbeiter. Ihre Rücküberweisungen in die Heimatländer sind beträchtlich gefallen, was vor allem bestimmte kleine Länder mit mittlerem oder niedrigem Einkommen betrifft, die von solchen Zuflüssen stark abhängig sind, teilweise bis zu einem 20%-Anteil an ihren Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Eine wachsende Zahl von Entwicklungsländern ist mit ernsthaften Zahlungsbilanzengpässen konfrontiert. Ihre gesamte externe Finanzierungslücke könnte auf 200-700 Mrd. Dollar pro Jahr anwachsen. Die ausländischen Währungsreserven sind bei rund 30 Ländern mit niedrigem Einkommen bereits unter die kritische Grenze gesunken, die beim Gegenwert der Importe für drei Monate liegt.

* Abnahme des Pro-Kopf-Einkommens und zunehmende Arbeitslosigkeit

In ihrem Basisszenario erwarten die UN-Ökonomen, dass das weltweite Pro-Kopf-Einkommen 2009 um 3,7% sinkt. Mindestens 60 Entwicklungsländer (von 107, über die es entsprechende Daten gibt) werden voraussichtlich sinkende Pro-Kopf-Einkommen hinnehmen müssen. Nur sieben Länder – gegenüber 69 in 2007 und 51 in 2008 – dürften ein Wachstum ihres Pro-Kopf-Einkommens von 3% oder mehr verzeichnen, was das Mindestmaß ist, um eine signifikante Reduzierung der Armut zu erreichen.

Der Bericht geht davon aus, dass die Arbeitslosigkeit seit 2008 schnell zugenommen hat und 2009/10 weiter steigen wird. Die ursprüngliche Projektion von zusätzlich 50 Millionen Arbeitslosen in den nächsten beiden Jahren könnte sich leicht verdoppeln, wenn sich die Situation weiter verschlechtert. „Lehren aus vergangenen Finanzkrisen zeigen, dass es nach Einsetzen der wirtschaftlichen Erholung typischerweise vier bis fünf Jahre dauert, bis die Arbeitslosigkeitszahlen auf das Vorkrisenniveau zurückgekehrt sind“, warnt der Bericht.

* Scharfer Einbruch des Handels in Asien

Die globale Krise trifft auch die Entwicklungsländer in Asien hart – nach einer langen Periode hohen Wachstums. Der schärfste Rückgang im internationalen Handel fand zwischen den asiatischen Ökonomien statt; in einigen Fällen betrug er 50% und mehr. China (23% allein im April 2009) und Indien (2%) haben zum ersten Mal seit Jahrzehnten einen Jahresrückgang ihrer Exporte zu verzeichnen. Insgesamt wird erwartet, dass sich das Wachstum der asiatischen Entwicklungsländer 2009 auf rund 3% halbiert, mit unausweichlichen Konsequenzen für Beschäftigung und Armutsreduzierung. Auch weist der Report darauf hin, dass es bereits eine Verschiebung von Arbeitskräften aus den dynamischen, exportorientierten Sektoren in die Arbeitslosigkeit oder in Bereiche niedrigerer Produktivität gibt, d.h. eine Rückwanderungsbewegung von städtischen in ländliche Gegenden. Allein in China waren Ende 2008 in diesem Sinne 20 Millionen Arbeitskräfte entwurzelt.

* Afrika und Lateinamerika trifft es noch härter

Die Volkswirtschaften Afrikas sowie Lateinamerikas und der Karibik trifft es sogar noch härter. Für 2009 sagt der Bericht eine Verlangsamung des BIP-Wachstums in Afrika auf 0,9% (gegenüber 4,9% 2008) voraus. Die südamerikanischen Ökonomien dürften 2009 um fast 1% schrumpfen, während das Wachstum in Mexiko und Zentralamerika voraussichtlich um mehr als 4% fallen wird.

Der Rückgang von Beschäftigung und Einkommensmöglichkeiten in den Entwicklungsländern wird mit Sicherheit zu einer beträchtlichen Verlangsamung der Fortschritte bei der Armutsminderung und beim Kampf gegen den Hunger führen. Geschätzt wird, dass zwischen 73 und 105 Millionen Menschen zusätzlich in die Armut gestoßen werden. „Der Rückschlag wird hauptsächlich Ost- und Südasien treffen, wo zwischen 56 und 80 Millionen Menschen betroffen sein werden, rund die Hälfte davon in Indien. Die Krise könnte zusätzlich 12-16 Millionen Menschen in Afrika und weitere 4 Millionen in Lateinamerika und der Karibik in Armut halten”, führt der Report aus.

* Vorteile globaler Politikkoordination

Die Autoren des Berichts erkennen an, dass auf internationaler Ebene “präzedenzlose Schritte getan wurden, um der Finanzkrise zu begegnen” – einschließlich währungs-, finanz- und fiskalpolitischer Maßnahmen zur Stabilisierung der Finanzmärkte und zur Wiederbelebung des globalen Wachstums. Sie warnen aber vor schweren Konsequenzen für die globale Sicherheit und Stabilität, sollte die Krise anhalten. Die von der G20 beschlossene zusätzliche Liquidität sei zwar “signifikant”, aber zu wenig, um den Entwicklungsländern die finanziellen Ressourcen für eine antizyklische und entwicklungsgerechte Politik zu geben.

Erholung mit oder ohne globale Politikkoordination


Nach einem Globalen Politik-Simulationsmodell der UN-Abteilung für Wirtschaftliche und Soziale Entwicklung (UN-DESA) kann vermutet werden, dass ein (zwischen Nord und Süd) ausgewogeneres und besser koordiniertes globales Konjunkturpaket zu einem deutlich höheren globalen Wachstum führen würde als die gegenwärtigen, unkoordinierten Bemühungen nationaler Regierungen. Derzeit sind 80% der Konjunkturmaßnahmen auf die Industrieländer konzentriert, während den meisten Entwicklungsländern der fiskalische Spielraum für soziale Schutzmaßnahmen und Gegensteuern in der Krise fehlt. In einem ausgewogeneren globalen Programm müssten rund 500 Mrd. Dollar an zusätzlicher Entwicklungsfinanzierung für antizyklische Maßnahmen in den Entwicklungsländern mobilisiert werden.

In einem koordinierten, entwicklungsorientierten politischen Szenario, so der Bericht, könnte sich die Weltwirtschaft schneller erholen und zwischen 2010 und 2015 ein jährliches Wachstum von 4-5% erreichen (s. Grafik), das von einem robusten durchschnittlichen Wachstum von jährlich 7% pro Jahr in den Entwicklungsländern angeführt wird. Kommt es nicht zu der erforderlichen globalen Koordination, wäre das Wachstum in den Entwicklungsländern nur halb so stark. Aber den Industrieländern, die die internationalen konjunkturpolitischen Bemühungen dominieren, ist das Hemd in der Krise natürlich wieder einmal näher als der Rock.

Hinweis:
* UN-DESA, World Economic Situation and Prospects 2009. Update as of mid-2009, 28 pp, United Nations: New York 2009. PDF-Download: >>> hier.

Veröffentlicht: 28.5.2009

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, UN sieht Winterlandschaft statt grüne Triebe. Die Weltwirtschaft zur Jahresmitte, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 28. Mai 2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).