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UNCTAD fordert neues Wechselkursmanagement

Artikel-Nr.: DE20090907-Art.37-2009

UNCTAD fordert neues Wechselkursmanagement

Absage an das blinde Marktvertrauen

Vorab im Web – Eine striktere Regulierung und Beaufsichtigung der Finanzmärkte ist notwendig. Aber dies muss durch ein neues Wechselkursmanagement ergänzt werden, um die Spielräume für Währungsspekulation einzuschränken und große Ungleichgewichte im internationalen Handel zu vermeiden. Nur so kann die Wiederholung der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise in der Zukunft vermieden werden, argumentiert die UNCTAD in ihrem neuen Trade & Development Report, den Rainer Falk vorstellt.

Was der oberste Regulierer am Finanzplatz London, Lord Turner, kürzlich zum Ärger der britischen Bankenlobby in die Diskussion warf, dass nämlich ein großer Teil der Aktivitäten des Finanzsektors „gesellschaftlich nutzlos“ sei, belegt jetzt mit vielen Fakten und Facetten ein Bericht der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD). Der Trade & Development Reports der UNCTAD war in den letzten Jahren eine der seltenen Stimmen, die nicht nur eine Finanzkrise vorhergesagt und stets ein kritisches Bild des hypertrophen Wachstums der Finanzbranche gezeichnet haben. Die diesjährige Ausgabe (s. Hinweis), die jetzt erschienen ist, steht dem in nichts nach.

Auch die gegenwärtige globale Finanz- und Wirtschaftskrise spiegelt vor allem die Vorherrschaft wider, die reine Finanzaktivitäten über die „reale“ Ökonomie gewonnen haben, legt der Bericht dar, dessen erster, hier vorgestellter Teil sich mit den Antworten auf die globale Krise befasst (der zweite Teil behandelt ökonomische Aspekte der Bekämpfung des Klimawandels). Blindes Vertrauen in die Effizienz freier Finanzmärkte habe Regierungen und Regulierungsbehörden dazu verlockt, Risiken zu unterschätzen und eine „exzessive“ Deregulierung zu betreiben. Im Ergebnis konnten Privatakteure einen extremen Schuldenaufbau betreiben und ungeheuren Schaden in den nationalen und internationalen Finanzsystemen anrichten.

* Innovationen ohne gesellschaftlichen Ertrag

Große Teile der Finanzmärkte haben sich völlig von den Aktivitäten im „realen“ Sektor abgelöst. Die Verbriefung und andere „Finanzinnovationen“ haben das Verhältnis zwischen Kreditgebern (vor allem Banken) und Schuldnern aufgelöst. Wie in dem Bericht ausgeführt wird, „ist der Anteil der Finanzindustrie am Bruttoinlandsprodukt zwischen 1983 und 2007 in den USA von 5 auf 8% gestiegen, während ihr Anteil an den Konzernprofiten von 7,5 auf 40% gewachsen ist. Die Politiker sollten wachsam gegenüber einer Industrie sein, die kontinuierlich zweistellige Gewinne in einer Volkswirtschaft anstrebt, die insgesamt eine viel langsamere Wachstumsrate aufweist.“

Viele dieser neuen Finanzinstrumente haben die Fähigkeit der Finanzinstitutionen zum Risikomanagement geschwächt und die Entwicklung eines nichttransparenten, lax regulierten und unterkapitalisierten Schattenfinanzsystems begünstigt. Den Beitrag solcher Finanzmärkte zum sozialen Wohlergehen halten die TDR-Autoren für „äußerst fragwürdig“. In der Tat zeigt ihr Bericht, dass wachsende Finanzen nicht immer zu einem schnelleren Wachstum des Outputs führen; vielmehr gibt es eine Schwelle, ab der sich expandierende Finanzsysteme negativ auf das Produktionswachstum auswirken können.

Ein spezifisches Merkmal aufgeblähter Finanzmärkte besteht dem Bericht zufolge darin, dass die meisten Marktteilnehmer stets auf das gleiche Bündel von „Nachrichten“ mit sehr ähnlichen Mustern der Risikobereitschaft reagieren. Im Ergebnis solcher Spekulationen kommt es zum „Überschießen“ der Preise nach oben und unten oder sogar zu Preisentwicklungen, die zu den sog. Fundamentaldaten in keinerlei Verhältnis mehr stehen.

Wie der Bericht zeigt, hat die Spekulation insbesondere die Preisschwankungen auf den Rohstoffmärkten angeheizt und Instabilität und Fehlanpassungen der Wechselkurse verursacht. Dies kann zur anhaltenden Schädigung der Realökonomie und des internationalen Handelssystems führen. „Die Erfahrung mit der gegenwärtigen Krise stellt die konventionelle Sicht in Frage, dass die Beseitigung aller Hindernisse für grenzüberschreitenden private Kapitalflüsse das beste Rezept sei, mit dem die Länder ihre wirtschaftliche Entwicklung voranbringen können“, schreiben die Autoren. Doch gerade die Liberalisierung der Finanzflüsse sei in den letzten Jahren das Credo der orthodoxen Ökonomie und der internationalen Finanzinstitutionen gewesen.

In Abgrenzung dazu plädiert der Bericht für ein proaktives Management des Kapitalverkehrs, das den Ländern ausreichende Flexibilität in der heimischen makroökonomischen Politik lässt und ihre Aussicht auf wirtschaftliche Stabilität verbessert. Ein solcher Ansatz wäre auch ein Beitrag zur Eindämmung der Volatilität von Kapitalflüssen und zur Zurückdrängung der Wechselkursvolatilität. Zugleich würde er zu verlässlicheren Preissignalen auf den heimischen Märkten führen und die Bedingungen für effiziente Ressourcenallokation und dynamische Investitionen verbessern.

* Plädoyer für eine Reform des Gesamtsystems

Der neue TDR verweist darauf, dass die Schwäche des aktuellen internationalen Reservesystems nicht zuletzt darin besteht, dass es eine nationale Währung, den US-Dollar, als Reservewährung nutzt. Ein solches System tendiere immer zur Abhängigkeit von den währungspolitischen Entscheidungen der Zentralbank des betreffenden Landes. Dessen politische Bedürfnisse und Präferenzen seien aber nicht unbedingt deckungsgleich mit den Bedürfnissen des internationalen Zahlungssystems und der Weltwirtschaft.

Ein anderer Nachteil eines solchen Systems besteht darin, dass in Zeiten von Zahlungsbilanzungleichgewichten die gesamten Anpassungslasten den Defizitländern auferlegt werden. Der Internationale Währungsfonds (IWF) habe diesen deflationären Bias nicht zuletzt dadurch verschärft, das er den Defizitländern im Rahmen seiner Konditionalität eine restriktive Politik aufzwang, statt Überschussländer zu einer expansiveren Politik zu drängen. Nur Defizitländer, die wie die USA über eine Reservewährung verfügen, stehen nicht unter dem Zwang, ihr wachsendes Zahlungsbilanzungleichgewicht anzupassen.

* Hauptproblem Wechselkursmanagement

Allerdings sind aus der Sicht der TDR-Autoren weder Kapitalverkehrskontrollen noch eine neue internationale Reservewährung, etwa aufgewertete bzw. aufgestockte Sonderziehungsrechte beim IWF, dazu in der Lage, das Hauptproblem zu lösen, dem sich viele Länder und insbesondere die Ökonomien der Schwellenländer in einer Welt mit hochgradig integrierten Finanzmärkten gegenübersehen: das Problem des Wechselkursmanagements.

Wie in dem Bericht argumentiert wird, ist es unmöglich für ein einzelnes Land, externe Schocks wirksam zu absorbieren, weder durch die Einführung völlig flexibler Wechselkurse noch durch strikte Fixkurse. Vorgeschlagen wird deshalb ein System der gemanagten flexiblen Wechselkurse. Dieses müsste in internationalen Verhandlungen zwischen den Ländern ausgestaltet werden, wäre aber im Kern auf einen realen Wechselkurs gerichtet, der mit einer nachhaltigen Zahlungsbilanzposition konsistent wäre. Da der Wechselkurs eine Variable ist, an der immer mindestens zwei Währungen beteiligt sind, wären die Chancen, ein stabiles Wechselkurssystem zu erreichen, in einem multilateral ausgehandelten Rahmen des Wechselkursmanagements viel besser.

Die UNCTAD-Ökonomen um Heiner Flassbeck argumentieren, dass ein neues Währungssystem auf der Basis multilateral vereinbarter Prinzipien und Regeln notwendig für die makroökonomische Stabilität in einer globalisierten Wirtschaft sei und ebenso zur Herstellung gleicher Bedingungen im internationalen Handel. Um zu einem solchen System und der damit verbundenen Zurückdrängung spekulativer Kapitalbewegungen zu kommen, wäre es zwar noch ein langer Weg. Ein stabiler und zugleich wettbewerbsfähiger realer Wechselkurs könnte jedoch mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen und damit die Spekulation und das Problem der destabilisierenden Kapitalflüsse an ihren Wurzeln packen:

* Es würde die Spekulation zurückgedrängt, weil der Hauptauslöser für Währungsspekulation in der Inflation und in Zinssatzdifferenzen besteht.
* Es würden Währungskrisen verhindert, weil der Hauptanreiz zur Spekulation mit Währungen von Ländern mit hoher Inflation verschwinden würde und weil die Überbewertung von Währungen, einer der wichtigsten destabilisierenden Faktoren für Entwicklungsländer während der letzten 20 Jahre, nicht mehr vorkäme.
* Es würden grundlegende und andauernde globale Ungleichgewichte verhindert und daraus folgende Schuldenfallen für Entwicklungsländer vermieden.
* Es würde eine prozyklische Konditionalität vermieden, wie sie mit dem Stabilisierungsprogrammen des IWF verbunden ist, etwa die Kürzung von Regierungsausgaben und die Anhebung der Zinssätze. Länder mit starkem Abwertungsdruck könnten im Rahmen von Swap-Abkommen oder durch Länder mit starkem Aufwertungsdruck automatische finanzielle Unterstützung bekommen.
* Es würde die Notwendigkeit reduziert, internationale Devisen anzuhäufen, um die Wechselkurse zu verteidigen, und dies könnte mit einer stärkeren Rolle für die Sonderziehungsrechte kombiniert werden, sofern die Allokation im Lichte der Liquiditätsbedürfnisse eines Landes vorgenommen wird.

* Jenseits der G20-Ansätze

Viele dieser Vorschläge liegen sicherlich jenseits dessen, was derzeit auf G20-Treffen diskutiert wird. Selbst die Maßstäbe, nach denen die Finanzmärkte reguliert werden müssen, um ein Desaster vom Typ der Lehman-Pleite künftig zu verhindern, differieren erheblich: Während die Diskussion im Vorfeld des Pittsburgh-Gipfels um die Fragen der Manager-Boni und der Rücklagevorschriften für Banken kreist, postuliert der UNCTAD-Bericht: „Ein Kernziel der Reform der Regulierung sollte darin bestehen, Finanzinstrumente ohne gesellschaftlichen Ertrag auszumerzen und Anreize für Investitionen mit hohem gesellschaftlichen Ertrag zu schaffen.“

So gesehen scheinen die UNCTAD-Ökonomen ihrer Zeit wieder einmal weit voraus zu sein. Aber die inhärente Instabilität der finanziellen Globalisierung könnte das Bild auch diesmal wieder schneller verändern als wir denken. Genau dafür werden Überlegungen wie diese gebraucht.

Hinweis:
* UNCTAD, Trade & Development Report 2009: Responding to the global crisis – Climate change mitigation and development, 218 pp, United Nations: Geneva-New York 2009. Bezug: über www.unctad.org

Veröffentlicht: 7.9.2009

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, UNCTAD fordert neues Wechselkursmanagement. Absage an das blinde Marktvertrauen, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung
, Luxemburg, 7.9.2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).