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Verschont uns mit der Litanei alter Versprechen!

Artikel-Nr.: DE20090630-Art.26-2009

Verschont uns mit der Litanei alter Versprechen!

Vor dem G8-Gipfel in L'Aquila

Nur im Web - Die Krise, die in den Hauptfinanzzentren der Welt ihren Ursprung hatte, ist jetzt eine globale geworden, mit ernsten sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verwerfungen. Wie Amnesty International warnt, sitzt die Welt auf einem sozialen Pulverfass. Da reicht es nicht, wenn die G8 auf ihrem kommenden Gipfel in Italien (8.-10. Juli) gebetsmühlenartig ihre alten, gebrochenen Versprechen bekräftigen, schreibt Eveline Herfkens.

Die Entwicklungsländer, die am wenigsten für die Krise verantwortlich waren, tragen jetzt ihre Hauptkonsequenzen. Die menschlichen Kosten sind dramatisch, da die öffentlichen Haushalte um soziale Investitionen gekürzt wurden und die Arbeitslosigkeit weiter steigt, da die Produzenten lokale und internationale Märkte verlieren. Rückläufige Einkommen der privaten Haushalte übersetzen sich in schlechtere Ernährung, rückläufigen Schulbesuch von Mädchen und sich verschlechternde Gesundheit, da Besuche beim Arzt und in Kliniken verschoben werden. Ein neuer UN-Bericht stellt fest, dass die Anzahl der Kinder mit Untergewicht bis 2010 von 121 auf 125 Millionen gestiegen sein wird, und selbst dies ist zu optimistisch, da dabei das negative Wachstum der Weltwirtschaft noch nicht in Rechnung gestellt ist. Und die Frauen leiden am meisten, wie derselbe Report feststellt: Sie profitieren gewöhnlich als letztes von steigenden Einkommen, leiden aber zuerst, wenn sich die finanzielle Situation verschlechtert.

* Die MDGs vor und nach Ausbruch der globalen Krise

Vor der Krise war die Welt dabei, mindestens das erste Millennium-Entwicklungsziel, die Halbierung der Zahl der extrem Armen, zu erreichen und sich an mehrere andere anzunähern. Jetzt steht dieser hart erkämpfte Fortschritt wieder auf dem Spiel. 2009 werden schätzungsweise 100 Millionen Menschen mehr in extremer Armut leben als vor der Krise, und hunderttausende mehr Kinder werden jedes Jahr sterben.

Unverzügliches Handeln könnte jetzt also Millionen von Leben retten. Nur sechs Jahre vor der Zielmarke der MDGs, dem Jahr 2015, können wir es uns nicht leisten, dass das gegenwärtige wirtschaftliche Klima droht die erreichten Fortschritte zurückzudrehen.

Obwohl sie nicht für die Krise verantwortlich sind, schulden die Regierungen der Entwicklungsländer ihrer Bevölkerung alle Anstrengungen, heimische Ressourcen zu mobilisieren und transparente, armutsorientierte Politiken und Ausgaben zu gewährleisten. Sie müssen die Armen und Verwundbaren durch bessere soziale Sicherung schützen und aufwerten. Dazu müssen sie die Transparenz verbessern, die Korruption ausrotten und die Governance-Strukturen stärken.

* Neue Schuldenkrise vermeiden: Zuschüsse statt Kredite

Doch die Hauptanstrengung sollte von den reichen Ländern kommen. Gerade jetzt spricht moralisch am meisten für Entwicklungszusammenarbeit, da Solidarität in harten Zeiten mehr wert ist und schwerer wiegt. Entwicklungszusammenarbeit ist eine Investition in unsere eigene Zukunft und Sicherheit, da Not im Ausland auch das Wohlergehen zu Hause bedroht.

Die jüngsten G20-Maßnahmen zur Steigerung der Ressourcen über den Internationalen Währungsfonds und die Weltbank sind willkommen, aber sie betreffen nur Darlehen und Kredite. Sie stellen keine Verpflichtung zu zusätzlichen Zuschüssen dar. Und die ärmsten Länder, vor allem die in Subsahara-Afrika, brauchen Zuschüsse, nicht Kredite, wenn sie die MDGs erreichen sollen, d.h. sie brauchen Öffentliche Entwicklungshilfe (ODA). Denn arme Länder können Lehrer und Krankenschwestern nicht mit Krediten, die zurückgezahlt werden müssen, bezahlen. Das würde auf die nächste Schuldenkrise hinauslaufen.

Die Regierungen der reichen Länder haben sich im Prinzip bereits vor rund 40 Jahren verpflichtet, das ODA-Ziel von 0,7% zu realisieren und vor ein paar Jahren auch zu konkreten Zeitplänen. Dennoch halten viele Geber ihre Versprechen nicht ein. Und selbst die Erfüllung dieser Verpflichtungen, die sich nach einem Prozentsatz am Bruttonationaleinkommen bemessen, würde inzwischen in absoluten Zahlen weniger Entwicklungshilfe bedeuten, da die meisten OECD-Ökonomien in der Rezession sind.

Die aktuelle Situation erfordert in Reaktion auf die Krise mehr, nicht weniger ODA. Stattdessen muss die Krise als Entschuldigung für ein Abrücken oder Verzögern der Einlösung existierende Hilfeverpflichtungen herhalten. Diesmal wird es nicht genug sein, wenn die G8 lediglich „die Bedeutung der Erfüllung unserer Versprechen bekräftigen“. Diese Verpflichtungen wurden immer wieder bekräftigt, aber von diversen G8-Mitgliedern nie eingelöst. Das bloß noch einmal zu wiederholen, wird niemand mehr Ernst nehmen. Es ist an der Zeit, transparente, vorhersagbare Zeitpläne, die überprüfbar sind, zeitliche Fristen und Schritte für jährliche Erhöhungen auf dem Weg zum 0,7%-Ziel, Land für Land, zu vereinbaren. Es ist auch an der Zeit, die wiederholte Verpflichtung umzusetzen, mindestens die Hälfte des ODA-Zuwachses an Subsahara-Afrika zu geben, wo er am meisten gebraucht wird.

* Kontraproduktiv: Neue Aufgaben erfinden ohne die alten zu erledigen

Die G8 diskutiert gegenwärtig intensiv über innovative Finanzierungsmechanismen, Ernährungssicherheit, Wasser und Hygiene, globale Gesundheitsversorgung, Bildung, Peace Keeping und Infrastruktur. Indessen werden diese Diskussionen nur produktiv sein, wenn sie in Verpflichtungen münden, die zusätzlich zu den bislang unerfüllten hinzu kämen. ODA-Mittel für diese Dinge zu binden – im Rahmen einer insgesamt stagnierenden oder rückläufigen Entwicklungshilfe – wäre sinnlos und würde sogar der beschlossenen Agenda über die Wirksamkeit der Hilfe entgegenlaufen, die verlangt, die ODA stärker an die Prioritäten und Programme der Entwicklungsländer anzupassen.

Unterdessen hinkt die Umsetzung der bestehenden Verpflichtungen zur Verbesserung der Wirksamkeit der Hilfe immer noch hinterher. Unverzügliche Umsetzung, unterstützt von konkreten Indikatoren und Zeitplänen – Land für Land – ist auch hier dringend notwendig, da dies in der Tat den Wert der ODA verdoppeln und ihr gestatten würde, eine Katalysatorrolle bei der MDG-Umsetzung in den Entwicklungsländern zu spielen.

Schließlich – auch die Doha-Handelsverhandlungen stecken fest, und der Protektionismus ist trotz wiederholter anderslautender Zusagen auf dem aufsteigenden Ast. Die Folgen des rückläufigen Handels treffen die Ärmsten: Die Importe der Industrieländer aus Subsahara-Afrika fielen letztes Jahr um 12%. Während die meisten Entwicklungsländer keinen fiskalischen Spielraum für ihre eigenen Rettungs- und Konjunkturpakete haben, werden sie durch die Lend-local- und Spend-local-Konditionen der Stimulus-Pakete der OECD-Länder systematisch ausgeschlossen.

Die Bedürfnisse der Entwicklungsländer gehören ins Zentrum der Doha-Runde, wie es anfangs auch versprochen wurde. Insbesondere ist es Zeit, die handelsverzerrenden Agrarexportsubventionen einzustellen, da die Mehrheit der Armen der Welt in ländlichen Gebieten lebt und von der Landwirtschaft abhängt. Nach Ansicht der Weltbank wurzelte die Nahrungsmittelpreiskrise von 2008 in jahrzehntelanger handelsverzerrender Politik, die die effiziente Produktion in den Entwicklungsländern entmutigt hat. Diese Politik zu ändern – das muss im Zentrum jeglicher internationaler Anstrengungen zur Verbesserung der Ernährungssicherheit stehen. Die Finanzminister und SteuerzahlerInnen der Industrieländer sollten erfreut über diese Gelegenheit zur Kürzung verschwenderischen Geldausgaben in dieser Zeit der explodierenden Haushaltdefizite sein.

Die Armen der Welt brauchen nicht noch weitere internationale Treffen, die hochtrabende Erklärungen produzieren. Sie brauchen unsere Regierungen, damit diese schleunigst alle Aktionen in Angriff nehmen, die sie immer wieder versprochen haben, um die Millennium-Entwicklungsziele zu erreichen.

Eveline Herfkens ist ehemalige Entwicklungsministerin der Niederlande und Gründerin der UN-Millenniumskampagne.

Veröffentlicht: 1.7.2009

Empfohlene Zitierweise: Eveline Herfkens, Verschont uns mit der Litanei alter Versprechen! Vor dem G8-Gipfel in L'Aquila, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 1. Juli 2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).