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Warum die Nahrungsmittelkrise nicht vorbei ist

Artikel-Nr.: DE20090419-Art.18-2009

Warum die Nahrungsmittelkrise nicht vorbei ist

Weltwirtschaftskrise und Welthunger

Vorab im Web - Die globale Wirtschaftskrise hat die Aufmerksamkeit von den hohen Nahrungsmittel- und Ölpreisen abgelenkt. Doch ist die globale Nahrungsmittelkrise nach wie vor virulent. Die internationalen Nahrungsmittelpreise liegen immer noch über dem Durchschnittsniveau der letzten Jahre, und die heimischen Nahrungsmittelpreise hielten sich in vielen Ländern hartnäckig auf hohem Niveau. Die Armen haben viele Gründe zur Sorge, da viele der Faktoren, die zu den hohen und volatilen Preisen betrugen, nicht angegangen wurden, argumentieren Pedro Conceição und Ronald U. Mendoza.

Wie stark sind die internationalen Lebensmittelpreise seit Mitte letzten Jahres wieder gefallen? Die internationalen Preise der für die Ernährung wichtigsten Getreidearten gingen fast so dramatisch zurück wie sie gestiegen waren. In US-Dollars pro Tonne und zum Zeitpunkt, als dieser Artikel verfasst wurde, fielen die Preise
* für Reis um 59% seit Mai 2008 (jeweils der Spitzenmonat),
* für Mais um 43% seit Juni 2008,
* für Soja um 77% seit Juli 2008 und
* für Weizen um 53% seit Februar 2008.

Auch die Ölpreise rutschten dramatisch nach unten. In US-Dollar pro Barrel gerechnet, fielen sie seit Juli 2008 um 65% (auf der Basis des Preises für Brent-Rohöl).

* Nahrungsmittelpreise immer noch über historischem Durchschnitt

Nichtsdestotrotz bleiben die internationalen Getreidepreise - verglichen mit dem historischen Durchschnitt - auf hohem Niveau, So kostete
* Reis im März 2009 49% mehr als im zehnjährigen Durchschnitt,
* Mais im April 2009 43% mehr als im zehnjährigen Durchschnitt,
* Soja im März 2009 36% mehr als im zehnjährigen Durchschnitt und
* Weizen im April 2009 31% mehr als im zehnjährigen Durchschnitt.

Globale Nahrungsmittelpreise


Der Rückgang der internationalen Getreidepreise geht einher mit dem dramatischen Fall der internationalen Rohstoffpreise im Ergebnis des sich entwickelnden globalen wirtschaftlichen Abschwungs. Zwar verbesserten sich die Getreideernten im letzten Teil des Jahres 2008 wieder etwas, doch lassen vorläufige Analysen vermuten, dass sich ein großer Teil des zusätzlichen Angebots auf die Produzenten der Industrieländer konzentriert. Die FAO (2009a) berichtet, dass „die Expansion des Getreideoutputs in den Entwicklungsländern gerade mal 2,3% betrug, während sie in den entwickelten Ländern auf 12,3% geschätzt wird. Das spiegelt vor allem eine schwache Angebotssteigerung in Asien wider, auf das rund zwei Dritteln der Gesamtproduktion der Entwicklungsländer entfallen und wo der Getreideoutput nahezu gleich blieb.” Es ist keine Überraschung, dass die Asiatische Entwicklungsbank (ADB 2008) kürzlich davor warnte, dass Asien nicht weit entfernt ist von einer weiteren Nahrungsmittelpreisspirale.

* Wie verlief die Entwicklung der internen Lebensmittelpreise?

Die Übersetzung der internationalen Nahrungsmittel- und Getreidepreise auf die internen Preise variiert von Land zu Land, in Abhängigkeit von Faktoren wie Währungsschwankungen (also auch der Wechselkurs- und Währungspolitik), der heimischen Infrastruktur, der Marktsituation und der Politik, die die Regierung in Bezug auf die Preisstabilisierung verfolgt. Insbesondere intervenierten die Regierungen auf unterschiedliche Weise in die Lebensmittelmärkte – durch Exportkontrollen, Reduzierung von Importzöllen und Subvention der Lebensmittelpreise – um zu versuchen, die Konsequenzen der internationalen Preisausschläge abzudämpfen. Die internationalen Steigerung bei Nahrungsmittelpreisen von 2008 schlugen daher nicht vollständig nach innen durch. Gleichwohl zogen die heimischen Lebensmittelpreise alleine schon wegen des großen Umfangs der internationalen Preissteigerungen stark an (Dawe 2008).

Die Zahlen und Berichte aus vielen Teilen der Welt verweisen darauf, dass die Preise von Nahrungsmitteln (und sogar von Dünge- und Transportmitteln) in vielen Ländern „klebrig“ blieben und vermuten lassen, dass gerade die Nahrungsmittelpreise für Arme und KonsumentInnen mit niedrigem Einkommen immer noch relativ hoch sind. Im ländlichen Sambia beispielsweise schwenken die Bauern auf Früchte um, die wenig bis gar keine Düngemittel brauchen, etwa Cassava, Süßkartoffeln und Erdnüsse. Die Bauern fürchten jetzt, dass diese Sorten, verglichen mit Früchten wie Mais, für die eine bessere Marktinfrastruktur zur Verfügung steht, geringere Erträge abwerfen (Hossain 2009). Wie die die FAO (2009b) berichtet, zeigen die bislang gesammelten Informationen zu nationalen Lebensmittelpreisen, dass die Lebensmittelpreise in ärmeren Ländern in den letzten Monaten weniger stark fielen als im Durchschnitt. Viele Arme und Menschen mit niedrigem Einkommen – vor allem Kinder und Frauen – sind weiterhin sehr negativ von hohen Nahrungsmittelpreisen betroffen.

Das kommt jetzt zusammen mit fallenden Haushaltseinkommen im Gefolge der Übertragung des wirtschaftlichen Abschwungs durch niedrigere Heimatüberweisungen, Verlust von Arbeitsplätzen und niedrigere Investitionen (Mendoza 2009). Hinzu kommt, dass die Faktoren, die 2008 zu den Nahrungsmittelpreisschocks führten, nach wie vor weitgehend wirksam sind. Die Biosprit-Problematik, die geringe Auffüllung globaler Lager und die Knappheitsverhältnisse auf den internationalen Getreidemärkten gehören zu den Problemen, die gelöst werden müssen. Die kritischste Herausforderung ist der Mangel an Investitionen in den Agrarsektor (Conceição/Mendoza 2009).

Volatilität der Ölpreise


* Die Volatilität der Rohstoffpreise

Die scharfen Ausschläge der Rohstoffpreise in kurzer Zeit kommen zu den Herausforderungen hinzu, mit denen sich Regierungen und Haushalte konfrontiert sehen. Stabile Preise erleichtern investive und konsumtive Entscheidungen. So bestand beispielweise ein Silberstreifen der hohen Nahrungsmittel- und Energiepreise darin, dass es einen stärkeren Angebotsanreiz gab. Das schloss im Falle der Nahrungsmittel Investitionen in die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität und Produktion ein, im Falle der hohen Öl- und Brennstoffpreise Investitionen in sauberere Energiequellen. Doch mit einer Volatilität wie seit Jahren nicht mehr (siehe Grafik zur Ölpreisentwicklung) entsteht Unsicherheit, durch die Investitionen und Veränderungen im Konsumverhalten, die bei stabileren Preisen wahrscheinlicher wären, verzögert werden oder unterbleiben.

* Wirtschaftskrise erschwert Ernährungssicherheit

Die globale Wirtschaftskrise könnte die Bearbeitung vieler dieser Faktoren verkomplizieren. Ganz unmittelbar nährt der Kontext der Unsicherheit die Preisvolatilität. Kurzfristige Volatilität bei Nahrungsmittel- und Brennstoffpreisen wird die Unsicherheit auf den Getreidemärkten erhöhen und die Anreize zur Steigerung der Nahrungsmittelproduktion abschwächen. Knappere Liquidität und schwache wirtschaftliche Bedingungen werden es viel schwerer machen, die erforderlichen Investitionen in die Landwirtschaft zu finanzieren, die in vielen Ländern, vor allem in Subsahara-Afrika, zur Steigerung der Ernährungssicherheit notwendig sind. Härtere Kreditkonditionen werden vor allem Bauern mit niedrigem Einkommen davon abhalten, ihre Produktion auszuweiten. Folglich sinkt sogar die Wahrscheinlichkeit von kleinen Gewinnen für ärmere Produzenten.

Die Herausforderung für die Politik besteht darin, sich vieler verschiedener Herausforderungen – vor allem derer, die mit der Gewährleistung der Ernährungssicherheit zu tun haben – gleichzeitig anzunehmen, selbst wenn die globale Wirtschaftskrise dies komplizierter und schwieriger macht. Tatsächlich wurde die Bearbeitung vieler globaler Herausforderungen viel zu lange aufgeschoben, und die jüngste Flut von Krisen ist eine überfällige Erinnerung daran, dass Untätigkeit die Saat für künftige Krisen darstellt.

Hinweise:
* ADB (Asian Development Bank) 2008, Asian Development Outlook: September 2008 Update, ADB: Manila
* Conceição, Pedro/Ronald U. Mendoza (forthcoming), Anatomy of the Global Food Crisis, in: Third World Quarterly
* Dawe, David, 2008, Have recent increases in international cereal prices been transmitted to domestic economies? The experience of 7 large Asian countries, ESA Working Paper 08-03
* FAO 2009a, Crop Prospects and Food Situation 2009, 1, FAO: Rome
* FAO 2009b, National basic food prices: Data and analysis tool, FAO: Rome
* Hossain, Naomi, 2009, Accounts of Crisis: Poor People’s Experiences of the Food, Fuel and Financial Crises in Five Countries, Report on a pilot study in Bangladesh, Indonesia, Jamaica, Kenya and Zambia, January-March 2009, Institute of Development Studies: London
* Mendoza, Ronald U., 2009, Aggregate income shocks, poor households and children: Transmission channels and policy responses, UNICEF Social Policy Working Paper, UNICEF: New York

Pedro Conceição und Ronald U. Mendoza sind Mitarbeiter des UN-Entwicklungsprogramms (UNDP) bzw. des UN-Kinderhilfswerks UNICEF. Ihr Beitrag erschien auch auf www.voxEU.org.

Veröffentlicht: 19.4.2009

Empfohlene Zitierweise: Pedro Conceição/Ronald U. Mendoza, Warum die Nahrungsmittelkrise nicht vorbei ist. Weltwirtschaftskrise und Welthunger, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, W&E-Hintergrund, Luxemburg, April 2009.