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Was die deutsche EZ von Dirk Niebel erwarten kann

Artikel-Nr.: DE20091025-Art.47-2009

Was die deutsche EZ von Dirk Niebel erwarten kann

Frischer Wind oder Rückfall?

Nur im Web – „Besser, wir haben ihn im Zelt und er pisst raus, als dass er draußen steht und rein pisst“, soll Lyndon B. Johnson (US-Präsident, 1963-66) über seinen FBI-Chef Edgar J. Hoover gesagt haben. Daran mögen sich dieser Tage Praktiker (und BMZ-Bürokraten) der Entwicklungszusammenarbeit (EZ) erinnern. Denn die FDP, die seit Jahren in EZ-Kreisen als notorische “Reinpisserin” verschrien ist, steht nun mittendrin im “BMZ-Zelt”. Von Oliver Schmidt.

Den frisch berufenen Minister für wirtschafliche Zusammenarbeit und Entwicklung kann man allerdings mit solchen Herbheiten keinesfalls in Verbindung bringen. Denn zur Entwicklungspolitik sind von Dirk Niebel (47, MdB seit 1998) praktisch keine Stellungnahmen bekannt. Eine schnelle Durchsicht seiner Webseite am 25. Oktober – 2 Nächte nach seiner Nominierung - lässt keinerlei entwicklungspolitische Schwerpunkte oder Initiativen entdecken. Ähnliches gilt fuer die kuenftige Staatssekretaerin Gudrun Kopp (59, MdB seit 1998), deren wichtigstes Online-Interesse zum selben Zeitpunkt dem Sinn und Unsinn der Sommerzeit gilt; auch auf Twitter. Dirk Niebel scheint dem Schnellmedium Twitter nicht verbunden, jedenfalls findet sich auf seiner Webseite kein Hinweis darauf.

* In großen Fußstapfen

Die Vergabe der Entwicklungszusammenarbeit und -politik an die FDP und deren Übergabe an Dirk Niebel, hat dem Ressort mehr mediale Aufmerksamkeit beschert als der gesamte Verlauf der Koalitionsverhandlungen. Entsprechend dünn sind die entsprechenden Inhalte im Koalitionsvertrag. Nun mag dasselbe für die meisten entsprechenden Passagen der letzten Koalitionsverträge gelten; die Bedeutung des Ressorts hängt eng an Person und politischem Gewicht des Amtsinhabers. Hier tritt Dirk Niebel zweifellos in große Fußstapfen. Die Sozialdemokratin Heidemarie Wieczorek-Zeul, die “rote Heidi”, war seit den 1990er Jahren einer der führenden Köpfe ihrer Partei; im Ministeramt bewies sie mehr Zähigkeit und Ausdauer als alle anderen “Brandt-Enkel” und wurde so zur dienstältesten Amtsinhaberin seit Gründung des Hauses 1961. Wieczorek-Zeul, in den rot-grünen Kabinetten im Verbund mit der grünen Afrika-Expertin Uschi Eid als Staatssekretaerin, multiplizierte Gewicht und Einfluss des BMZ durch die Übernahme der Zuständigkeit für die Weltbank, wo die Ministerin sich einen Namen als Vorkämpferin der multilateralen Zusammenarbeit gemacht hat, und durch Aufnahme des BMZ in den Bundessicherheitsrat – der vor allem über Rüstungsexporte wacht.

Vor allem gelang es Wieczorek-Zeul in den 11 Jahren ihrer Amtszeit, den Etat des BMZ beständig zu steigern, auf ca. 5.8 Mrd. € im Bundeshaushalt 2009. Mit Gespür für politische Themen und Strömungen positionierte sie die deutsche EZ als Vorreiter der zivilen Friedensarbeit – mit einem starken Engagement der deutschen EZ in Afghanistan - ebenso wie als Fürsprecher einer “gerechten” Globalisierung, z. B. in der Auseinandersetzung um Baumwoll-Subventionen (vornehmlich der USA zum Schaden Westafrikas) und Zuckermarktabschottung (vornehmlich der EU zum Schaden Südamerikas). Nach dem verheerenden Tsunami 2004 lenkte sie schnell EZ-Ressourcen in die betroffenen Laender, z. B. Indonesien.

Als das BMZ 1961 gegründet wurde, gingen dem heftige politische Kämpfe vor allem mit dem damaligen Wirtschaftsminister Ludwig Erhard voraus; das Haus wurde zum Startblock der Karriere Walter Scheels, dem bisher einzigen FDP-Amtsinhaber (1961-66). Seither war es eher zum Nebenschauplatz und unter Helmut Kohl zum bloßen Klötzchen im Postenschacher geworden. Nach Erhard Eppler (1968-74) und Egon Bahr (1974-76) hat das Amt keine erinnerungswerten Namen mehr gesehen.

* Kontroverse Amtsführung?

Selbst wenn die Einschaetzung der Grünen-Parteivorsitzenden Claudia Roth stimmen sollte, dass seine Berufung eine “Provokation” sei, so wäre das nicht unbedingt schlecht. Bekanntlich gilt, “there is no such thing as bad publicity”, und wenn Dirk Niebel eine kontroverse Amtsführung wählen sollte, so kann es der EZ durchaus helfen, einem breiteren Publikum bekannt zu werden – und vielleicht dessen Interesse zu wecken.

Natürlich kann von der FDP erwartet werden, dass sie der Privatwirtschaft – als Entwicklungsthema, als Partner, als Profiteur von EZ-Maßnahmen – einen höheren Stellenwert einräumen wird. Das ist an sich nicht verwerflich – es sind sich wohl alle Praktiker einig, dass der Mangel funktionsfähiger Märkte in Afrika und Teilen Asiens ein wesentlicher Armutsfaktor ist. Die Streitfrage ist, wie Funktionsfähigkeit geschaffen wird. Nun hat es sich allem Anschein nach noch nicht bis zur FDP herumgesprochen, dass “laisser-faire” jedenfalls wenig Erfolge vorzuweisen hat. Wie Nobelpreistraeger Ronald Coase einmal sagte, die Börse (die von der FDP ja fast vergöttert wird) möge ein Beispiel des perfekter Marktes sein – sie ist auch das Ergebnis maximaler staatlicher Regulierung.

Es kann vermutet werden, dass ein FDP-geführtes BMZ stärker darauf dringen wird, dass die deutsche Wirtschaft direkt spürbare Vorteile aus der EZ zieht. EZ als Exportförderung, das gab es ja unter Spranger in den 1990er Jahren schon einmal. Aber auch in den vergangenen 11 Jahren war “Public-Private-Partnership“ (PPP) immer irgendwie chic – regelmäßig mehr chic als schlüssig. Vielleicht wird es ja nun auch das – mehr Ehrlichkeit beim Profitmotiv der “private partners” und weniger Heuchelei bei der sog. Sozialen Unternehmensverantwortung (CSR: „Corporate Social Responsibility“) wäre durchaus willkommen.

Gudrun Kopp hat sich mit Fragen der Energiepolitik und des Welthandels beschäftigt; es koennte sein, dass der “rot-grüne” EZ-Schwerpunkt der Förderung regenerativer Energien dem FDP-Mantra für die Atomenergie zum Opfer fällt. Allerdings ist kaum zu erwarten, dass die deutsche EZ in Zukunft Atomenergie in Afrika, Asien oder Südamerika fördern wird. Abgesehen davon, dass es aus sicherheits- und energiepolitischen Gründen unsinnig wäre, wäre es politisch viel zu heikel.

Eine Anknüpfung an die Rolle, welche das BMZ mit Blick auf Handelspolitik in den letzten Jahren angenommen hat, sollte der neuen Fuehrung gelegen kommen. Der eigentlich interessante Konflikt liegt hier zur CSU: Der Koalitionsvertrag bekennt sich zum Abbau der Agrarsubventionen – da dürfte “Bauernführer” Horst Seehofer (auch CSU-Vorsitzender und bayrischer Ministerpräsident) davor sein. Hier liegt für Niebel eine politische Chance: Er kann sich für die FDP profilieren und gleichzeitig Sympathien in der “EZ-Gemeinde” sammeln. Falls Niebel sich auf diesem Gebiet als prinzipien- und durchsetzungsstark erwiese, so wäre das entwicklungspolitisch wertvoller als jede andere Einzelmaßnahme, einschließlich einer Etaterhöhung.

* Ende der Etatsteigerungen

Es ist unwahrscheinlich, dass der neue Minister den Kurs der Etatsteigerung fortsetzen kann oder sogar will. Dazu ist das Ressort in einer unter extremen Kürzungsdruck – maßgeblich von der FDP-Steuerpolitik verstärkt – stehenden Regierung zu unwichtig. Es kann also klar davon ausgegangen werden, dass die deutsche EZ in den kommenden Jahren mit deutlich weniger Geld auskommen muss. Das wird wohl vor allem die deutschen Beiträge zur multilateralen EZ und Budgethilfen betreffen. Erstere will die Koalition auf ein Drittel des
BMZ-Etats begrenzen, letztere nur nach “strengen, transparenten Vergabekriterien” gewähren.

Schrumpfende Etats werden auch Auswirkungen auf die ca. 600 BMZ-Mitarbeiter und die über 4.000 deutschen Mitarbeiter der Vorfeldorganisationen (davon ca. 3.000 bei GTZ, einschließlich der CIM) haben. Der Koalitionsvertrag kündigt an, “[d]ie Reform der Durchführungsstrukturen soll mit der Zusammenführung der Organisationen der Technischen Zusammenarbeit (TZ) beginnen und mit Mechanismen zur besseren Verknüpfung von technischer und finanzieller Zusammenarbeit verbunden werden. Die Entscheidung über die Strukturen der TZ wollen wir, gegebenenfalls unterstützt durch externe Beratung durch den Bundesrechnungshof, innerhalb des ersten Jahres der Legislaturperiode treffen.” Das zielt auf die Reform der Durchführungsorganisationen, welche Wieczorek-Zeul nicht durchsetzen konnte.

Niebel ist ein anerkannter Sozialpolitiker, der gern die Agentur für Arbeit auflösen möchte, weil “diese Mammutbehoerde […] nicht reformierbar [… und] in ihren Strukturen verkarstet [ist].” Statt für die Agentur für Arbeit ist Niebel nun für die GTZ, die CIM, die KfW-Entwicklungsbank, den DED und InWent zuständig. Die meisten dieser Organisationen sind zwar keine Mammutbehörden, aber es soll Leute geben, die an ihrer Reformfähigkeit schon mal Zweifel geäußert haben. Dies schlägt sich z. B. im OECD-Peer-Review der deutschen EZ nieder. Wenn Niebel und Kopp hier als “neue Besen” mal ordentlich durchkehren, von keinerlei Seilschaften belastet das Bestehende auf einen harten aber fairen Prüfstand stellen, so könnte das die Qualitaet der deutschen EZ positiv beeinflussen.

Niebels Hintergrund als fachlich versierter Sozialpolitiker könnte der inhaltliche Ausrichtung der deutschen EZ durchaus interessante Impulse geben. Die strukturellen Problemstellungen der Sozialpolitik sind denen, welche in der EZ bearbeitet werden, ja durchaus vergleichbar. Die FDP neigt hier bekanntermaßen zu Lösungen, welche auf privates Angebot und Eigenverantwortlichkeit der Nachfrage setzen. In vielen Niedrigeinkommensländern (und auch im Schwellenland Indien) könnten solche Lösungen durchaus diskussionswürdig sein, da Ministerien und Behörden sich regelmäßig als handlungsunfähig erweisen. Freilich bleibt die Frage, wie Ministerien und Behoerden handlungsfähig werden können – in einem wie auch immer gearteten Zusammenspiel mit Privaten – unbeantwortet und doch zentraler Erfolgsfaktor jeder Entwicklungsstory.

Interessant könnte der Hinweis im Koalitionsvertrag werden, “die Außenstruktur des für die Entwicklungspolitik zuständigen Ressorts und die Präsenz in multilateralen und europäischen Strukturen” zu verbessern. Wie das mit sinkenden deutschen Finanzbeiträgen zu vereinbaren ist, wäre noch zu zeigen. Zugleich könnte sich hier eine Gewichtsverschiebung andeuten – weg von den Vorfeldorganisationen hin zur relativ jungen Außenstruktur des BMZ (angesiedelt in den entsprechenden deutschen Botschaften), welche derzeit 10% seiner Mitarbeiter ausmacht. Dies wäre ein konsequenter Schritt hin zu der von der FDP ursprünglich angestrebten Verschmelzung von BMZ und Auswärtigem Amt (AA). Was diese gestärkten Mitarbeiter tun, wenn sie weniger Vorfeld zu überschauen und weniger Budgethilfe zu verteilen und weniger multilaterale Abstimmung vorzunehmen haben, wäre dann noch herauszufinden. Es dürfte unwahrscheinlich sein, dass BMZ-Beamte demnächst Projektaufgaben des Vorfeldes uebernehmen.

* Dem FDP-Wahlprogramm verpflichtet?

Die spannendere Frage ist, ob sich die neue politische Führung des BMZ dem FDP-Wahlprogramm verpflichtet sieht, das BMZ möglichst klein zu machen und an das AA “anzuschmiegen”. Der künftige Aussenminister Guido Westerwelle hat ja betont, dass er keine “Nebenaußenpolitik” des BMZ wünscht. Ein klarer Schlag gegen die Positionierung, die das Ressort in den letzten 11 Jahren vorgenommen hat. Niebel erhält das Amt als Entlohnung für treue Dienste an Herrn Westerwelle; und der Zeitsoldat Niebel hat einen Ruf als Teamspieler, der Konflikte vermeidet (so ein Porträt des Tagesspiegels). Aber Niebel ist auch ein vergleichsweise junger Politiker, der seine Karriere noch vor sich hat. Man wird sehen, ob er die Spielräume seines neuen Wirkungsfeldes “kampflos abrüstet” oder ob sie den neuen Hausherrn dazu reizen werden, sein politisches Profil über den Generalsekretär hinaus zu erweitern. Ob Dirk Niebel an Walter Scheel oder an Heidemarie Wiczorek-Zeul oder an die Kohl-Jahre anknüpfen wird, ist noch keineswegs ausgemacht.

Dr. Oliver Schmidt ist in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit tätig.

Veröffentlicht: 25.10.2009

Empfohlene Zitierweise: Oliver Schmidt, Was die deutsche EZ von Dirk Niebel erwarten kann. Frischer Wind oder Rückfall?, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 25.10.2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).