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Wie das US-Finanzkapital seine Krise selbst managt

Artikel-Nr.: DE20081227-Art.01-2009

Wie das US-Finanzkapital seine Krise selbst managt

Von George Bush zu Barack Obama

Vorab im Web – Wie ist das bisherige Management der um sich greifenden Finanzkrise zu bewerten? Handelt es sich um eine Ausplünderung der öffentlichen Kassen zugunsten des Kapitals oder ist es ein erster Schritt in Richtung Sozialismus? Wer gibt die Krisenlösungsstrategien vor, wer managt die Krise, und wer wird die Lasten tragen? Bisher hat es den Anschein, dass das Finanzkapital die Krise sehr zu seinen Gunsten managt. Wird sich das unter dem neuen Präsidenten Barack Obama ab Januar ändern, fragt Christoph Scherrer.

Für Naomi Klein, kanadische Journalistin mit „No Logo“-Weltruhm, sieht im 700-Mrd.-Dollar-Rettungspaket die letzte Plünderungsaktion der Regierung Bush vor ihrem Abgang („Bush’s Final Pillage“). Sie vergleicht das Verhalten von Schatzminister Hank Paulson mit dem der europäischen Kolonialisten, die – kurz bevor sie ihre Kolonien aufgaben – alles Gold mitgehen ließen. Das Schatzamt sei für viele künftige Jahre zur „bottomless cash machine“ der Banken umfunktioniert worden. Der französische Ökonom Frédéric Lordon sieht den Zentralbanker „Karl“ Bernanke und „Wladimir Iljitsch“ Paulson hingegen mit einer Schirmmütze mit rotem Stern, die ihnen zwar nicht stehe, doch „sie haben wenigsten begriffen, dass sie im Ernstfall die neue Kopfbedeckung aufbehalten müssten“.

* Beginn der Krise: Stagnation der Immobilienpreise

Der Krise ging ein spektakulärer Anstieg der Immobilienpreise voran, der u.a. durch eine massive Ausweitung des Markts für Hypothekenderivate angetrieben wurde. Da die Hypotheken im Glauben auf steigende Immobilienpreise aufgenommen wurden, war eine Krise spätestens, seit diese Preise stagnierten, nämlich ab Mai 2006, zu vermuten. Abgesehen von wenigen Ökonomen wurde die Immobilienpreisentwicklung nicht öffentlich thematisiert, erst die Konkursanmeldung der zweitgrößten Hypothekenbank, New Century Financial Corporation, im April 2007, ließ die Medien aufhorchen. Sie behandelten diesen Konkurs aber als Einzelfall, als Folge einer besonders aggressiven Expansionsstrategie und des unüberlegten Handelns einkommensschwacher Haushalte.

Die Ratingagentur Moody’s stufte die Bonität von Subprime-Anleihen zum ersten Mal im Juni 2007 herab. Einige Fonds verweigerten daraufhin ihren Investoren die Rücknahme des eingezahlten Geldes, und Ende Juli drohte der deutschen staatlichen IKB die Zahlungsunfähigkeit. Nach weiteren Abstufungen kamen die Ausleihungen unter den Banken zum Stillstand. Nun erst reagierte die US-Notenbank (Fed) und versorgte in außergewöhnlichen Aktionen die Banken mit Liquidität. Seit Dezember 2007 erlaubte die Fed auch zweifelhafte Hypothekenanleihen als Sicherheiten für ihre Ausleihungen an die Banken. Somit muss die Fed eventuell selbst die Ausfälle tragen. Zusätzlich begann die Fed im August 2007 die erste von vielen weiteren Senkungen des Leitzinssatzes. Im Februar 2008 legte die Bush-Regierung zudem ein Konjunkturprogramm auf.

In dieser Phase wurde das Fehlverhalten des Finanzkapitals noch kaum thematisiert, der Fokus lag mehr auf den Schuldnern und einzelnen Finanzinstitutionen, die Krisenbewältigungsstrategien waren hauptsächlich geldpolitischer Art, und die ersten Opfer der Krise, überschuldete Hausbesitzer, erhielten keine Hilfe. Die Hegemonie des Finanzkapitals war noch ungebrochen.

* Rettung einzelner Finanzinstitute

Die Ausweitung der Krise ließ zunehmend Kritik an den Banken aufkommen, so dass sich das US-Finanzministerium genötigt sah, diese stärker in die Verantwortung zu nehmen. Es drängte die Großbanken, einen Rettungsfonds zu finanzieren, der herunter gestufte Anleihen aufkaufen und so die einzelnen Banken von ihren Risiken befreien sollte. Die Banken zögerten, und bereits im März 2008 musste die Fed mit eigenem Geld beim Auffangen eines einzelnen Instituts einspringen, der großen Investmentbank Bear Stearns. Sie garantierte für Kreditderivate im Wert von 29 Mrd. US-Dollar, um den Notverkauf an den Konkurrenten JP Morgan Chase zu ermöglichen. Keiner der Gläubiger von Bear Stearns erlitt Verluste, allein die Aktionäre wurden billig abgespeist, doch ohne Rettung hätten sie alles verloren.

Nach der Rettung von Bear Stearns glaubten alle, dass größere Institute aufgefangen werden würden. In der Tat wurden in rascher Folge die großen Hypothekenbanken staatlich abgesichert. Doch am 14. September 2008 musste die bis dato viertgrößte US-Investmentbank, Lehman Brothers, Gläubigerschutz anmelden. Dem Finanzministerium war es nicht gelungen, ähnlich wie im Falle von Bear Stearns, eine privatwirtschaftliche Auffanglösung mit staatlichen Garantien einzufädeln. Die unterlassene Hilfe für Lehman wird kontrovers bewertet. Finanzminister Paulson stellte das Fallenlassen dieser Investmentbank als Versuch dar, die Finanzakteure stärker in die Pflicht zu nehmen. Ein Kommentator der Financial Times sah darin hingegen eine Maßnahme zur Beseitigung der Konkurrenz von Goldman Sachs, der Paulson früher vorgestanden hatte. Auffällig sei gewesen, dass das Verbot von Leerverkäufen erst nach dem Kurseinbruch von Lehman wieder eingeführt wurde, und zwar rechtzeitig um Goldman Sachs vor den Spekulanten zu schützen. Goldman Sachs stünde vor allem deshalb besser als die Konkurrenz da, weil das Bankhaus sich gegen Kursverluste der von ihm angepriesenen Hypothekenanleihen durch gleichzeitige Spekulationsgeschäfte für erwartete Kursverluste abgesichert hatte.

In dieser Phase wurde die Krise offensichtlich, am Ende war ihre systemische Dimension nicht mehr zu verleugnen. Zunächst galten die Bankenzusammenbrüche noch als Einzelfälle, die zudem unter staatlicher Vermittlung von der Privatwirtschaft aufgefangen werden konnten. Selbst nachdem Zentralbank- und Steuergelder massiv eingesetzt worden waren, blieb der Anschein gewahrt, dass der Staat das Bankenkapital in die Verantwortung nimmt. Allerdings förderte er damit die Bankenkonzentration. Das Finanzkapital verlor zwar im Zuge der Ausbreitung der Krise seinen bisherigen Nimbus des Erfolgs, doch seine Stellung im Krisenbewältigungsprozess blieb unangefochten. Hilfe für Hausbesitzer oder arbeitslose „einfache“ Bankangestellte blieb aus. Das Finanzkapital bewahrte seine Hegemonie.

* Umfassender Aufkauf fauler Kredite

Nach dem Lehman-Schock verunsicherte am 16. September die staatliche Rettung des weltgrößten Versicherungskonzern A.I.G. die Finanzwelt tief greifend. A.I.G. hatte in einem Umfang von 440 Mrd. Dollar die Wall-Street-Spekulationen durch Kreditausfall-Swaps („Credit Default Swaps“) abgesichert. Angesichts der immensen Größe des Markts für Kreditausfallversicherungen beruhigte die staatliche Garantie für A.I.G. in Höhe von 85 Mrd. Dollar nicht. Auf die aufkommende Panik reagierten Finanzminister Paulson und Zentralbankchef Bernanke am 19. September 2008 mit dem Plan eines umfassenden Rettungspaktes. Mit dem Argument der unmittelbaren Dringlichkeit verlangten sie einen Blankoscheck vom Kongress in Höhe von 700 Mrd. Dollar, der zum Aufkauf der faulen Kredite nach dem Ermessen des Finanzministers eingesetzt werden sollte. Das bereits am 3. Oktober 2008 von Präsident Bush unterzeichnete Gesetz Emergency Economic Stabilization Act of 2008 (EESA) weicht im Kern nicht von der ursprünglichen Fassung ab.

Sicherlich hat Paulsen die vom Kongress eingeforderten Änderungen erwartet. Dieser verlangte und bekam weitgehende Befugnisse, Rechenschaft über die Verwendung des Geldes verlangen zu können. Nach der Einigung mit der Führung des Abgeordnetenhauses überraschte dann allerdings die Haltung vieler Abgeordneter von Paulsons eigener Partei, der Republikaner. Diese teilten nicht einmal seine Krisendiagnose. Sie sahen keine Gefahr für die gesamte Wirtschaft. Diese Einschätzung speiste sich aus ihrem Wunsch, das Markenzeichen ihrer Politik, die Ablehnung von „big government“, nicht zu kompromittieren. Sie befürchteten zudem, dass ihre WählerInnen eine Unterstützung der reichen Finanzakteure im fernen New York City angesichts des Preisverfalls ihrer Eigenheime nicht gutheißen würden. Paulson verlor die Abstimmung im Abgeordnetenhaus 228 zu 205.

Die Befürworter des Rettungsplans brachen den Widerstand im Abgeordnetenhaus durch drei Aktionen. Erstens starteten sie eine Medienkampagne über die Auswirkungen der Finanzkrise auf die gesamte Ökonomie. Zweitens wurde – ganz ungewöhnlich – eine Abstimmung im Senat der im Abgeordnetenhaus vorgezogen. Am 2. Oktober 2008 billigte der Senat mit 74 zu 25 das Rettungspaket. Drittens wurde zur Absicherung des besser verdienenden Klientels der Republikaner die Einlagensicherung auf 250.000 Dollar angehoben.

Am 3. Oktober wurde der von einer ganz breiten Koalition von Verbänden des Finanzwesens und des Industriekapitals begrüßte Rettungsplan schließlich vom Abgeordnetenhaus Dank der Stimmen der Demokraten mit 263 zu 171 verabschiedet.

* Das 700-Milliarden-Dollar-Rettungspaket

Das verabschiedete Gesetz sieht die Einrichtung eines Troubled Asset Relief Program (TARP) vor. Dieses autorisiert das Finanzministerium, in Not geratenen Banken faule Kredite im Gesamtwert von bis zu 700 Mrd. US-Dollar abzukaufen. Damit soll erreicht werden, dass die Banken wieder Kredite an Unternehmer vergeben und der Wirtschaftskreislauf im Schwung bleibt.

Der ursprüngliche Paulson-Plan setzte zwar systemisch an, stellte aber nicht die Systemfrage. Im Gegenteil, es war ein Rettungsplan ohne Auflagen. Das verabschiedete Gesetz fiel nicht so eindeutig zugunsten der Finanzindustrie und der Machtfülle des Finanzministeriums aus. Das Ministerium ist verpflichtet, den Kongress zeitnah von seinen Aktivitäten zu unterrichten. Es beinhaltet zudem, dass im Falle der Inanspruchnahme staatlicher Gelder über 300 Mio. Dollar hinaus das Gehalt der fünf höchst bezahlten Vorstandsmitglieder keine Anreize für risikoreiches Verhalten enthalten darf und ihnen auch keine großzügigen Abfindungen zustehen. Eine Begrenzung der Gehälter oder der Dividendenauszahlungen sieht das Gesetz allerdings nicht vor.

Statt wie geplant faule Kredite aufzukaufen, wechselte Paulson rasch den Kurs und vergab die erste Tranche von 250 Mrd. Dollar an Banken im Austausch gegen Vorzugsaktien. Auf einen Sitz im Aufsichtrat der bedachten Banken verzichtete das Finanzministerium, es will nur als „silent partner” agieren. Mithin muss das Führungspersonal dieser Banken nicht befürchten, strenger beaufsichtigt oder gar abgelöst zu werden.

Mit der Verwaltung des Geldes betraute Paulson zudem ihm vertraute Personen von Goldman Sachs: u.a. Ed Frost für den Aufbau des Office of Financial Stability, Neel T. Kashkari für die Leitung von TARP und Edward M. Liddy für die Führung von A.I.G.. Die operative Umsetzung des Rettungsprogramms soll bei zehn Banken liegen, wobei Goldman Sachs im Ausschreibungsverfahren seine Dienste gratis angeboten hat. So liegt das Rettungspaket operativ in den Händen nicht nur von Finanzmarktakteuren im Allgemeinen, sondern von einem Bankhaus, das vom politischen Management der Krise bisher am meisten profitierte (s. oben).

Bisher ist nicht erkenntlich, dass die Banken die staatlichen Hilfen für den beabsichtigten Zweck, nämlich die Kreditvergabe wieder in Gang zu setzen, nutzen. Vielmehr bestehen Hinweise, dass das Geld zum Aufkauf anderer Banken genutzt werden soll. Ferner haben die Banken bisher für 2008 ihre Gehalts- und Prämienzahlungen insgesamt nicht reduziert. Der Rechnungshof kritisierte bereits, dass bei der bisherigen Umsetzung des Notprogramms keine Vorkehrungen hinsichtlich der Überwachung der vom Gesetz vorgeschriebenen Begrenzung der Gehälter getroffen wurden.

* Gegenhegemoniale Alternativen?

Am bisherigen Krisenmanagement wurde vielfach Kritik geäußert. Insbesondere Hausbesitzer- und Verbraucherverbände argumentieren, dass die Lösungen bei der Ursache ansetzen sollten, nämlich bei den nicht bedienten Hypotheken. Wenn die überschuldeten Hausbesitzer in die Lage versetzt werden würden, ihre monatlichen Hypothekenraten zu zahlen, dann müssten die Investoren keine Ausfälle mehr befürchten und die Märkte würden sich beruhigen. Deshalb fordern einige Ökonomen beider Parteien, alle Hypotheken von Eigenheimen in Hypotheken mit einer langen Laufzeit und einem festen Zinssatz umzuwandeln und unter das Dach der nun wieder staatlich kontrollierten Fannie Mae and Freddie Mac zu platzieren. Sie vermuten Kosten in Höhe der Hälfte des Paulsonschen Rettungsplan, so dass eine solche Lösung gewisse Chancen haben könnte, zumal die Leiterin der Einlagenversicherung FDIC, Sheila Bair, ankündigte, gemeinsam mit dem Schatzamt die Konditionenänderung durch Standardisierung zu vereinfachen. Die nach Marktwert nun größte US-Bank, JP Morgan Chase, verkündete wenige Tage später einen Plan zur Abänderung der Hypothekenkonditionen für ein Volumen von 110 Mrd. Dollar an, einem Drittel der von der Bank selbst gehaltenen und verwalteten Hypotheken. Weitere ca. 1,2 Billionen Dollar Hypotheken verwaltet die Bank bloß im Namen von Investoren und sind entsprechend von geplanten Änderungen ausgenommen.

Änderungen der Konditionen gehören in Krisenfällen zum Standardgeschäft von Banken (im internationalen Geschäft: London Club), so dass auch bei einer umfassenderen Anpassung der Hypothekenkonditionen nicht das Finanzkapital als solches in Frage gestellt wird, zumal es sich in solchen Krisen selbst günstig refinanzieren kann.

Jenseits von Verbänden der Eigenheimbesitzer ist allerdings noch keine organisierte gesellschaftliche Kraft erkennbar, die sich um schlüssige Alternativen bemüht. Auf den Webseiten beider Gewerkschaftsdachverbände, AFL-CIO und Change-to-Win, fand sich weder eine Stellungnahme zu dem Rettungsplan der Regierung noch zur Finanzkrise im Allgemeinen. In den bisherigen Anhörungen im Kongress sind diese Organisationen gleichfalls nicht präsent. Allein das gewerkschaftsnahe Economic Policy Institute hat kurze, recht allgemein gehaltene Stellungnahmen verfasst. Ansonsten sind vor allem Stimmen kritischer Ökonomen zu vernehmen. Stiglitz forderte bei einer Kongressanhörung nicht nur eine schärfere Aufsicht, sondern auch das Verbot gewisser Finanzinnovationen, insbesondere die Verbriefung hoher Risiken.

Angesichts fehlender organisierter Finanzkapitalkritiker ist es jedoch wahrscheinlicher, dass die Forderung nach mehr Transparenz aufgegriffen wird. Die Credit Default Swaps sollen öffentlich gehandelt werden, so die Forderung des Leiters der Börsenaufsicht S.E.C., Christopher Fox.

* Mit Obama alles anders?

Der Sieger der Präsidentschaftswahl, der demokratische Kandidat Barak Obama, ist sicherlich kein Marktgläubiger, doch ist von ihm ein direktes Vorgehen gegen das Finanzkapital kaum zu erwarten. Zu den sieben größten Spender für Obama gehören die Manager von Goldman Sachs, JP Morgan und Citi (s. www.opensecrets.org). Zudem erhielt Obama starke und frühe Unterstützung durch den Chicagoer Hedge-Fonds-Milliardär Kenneth C. Griffin. Obama hielt sich bei den Debatten um das Bankenrettungspaket zurück, doch er sei, so sein Unterstützer Paul Krugman, von sehr erfahrenen Krisenmanagern, wie Paul Volcker und Robert Rubin, umgeben. Diese Ikonen des Finanzkapitals lud Obama auch gleich nach seiner Wahl zusammen mit dem legendären Investor Warren Buffet zu einem Gespräch über die Wirtschaftskrise ein.

Seine Wahl für Kabinettsposition, Berater und Leiter wichtiger Aufsichtsbehörden lassen ebenfalls keinen radikalen Schwenk erwarten. Als Finanzminister designierte er Timothy Geithner, Protegé von Rubin, der von der New York Times für seine Rolle im bisherigen Krisenmanagement als Vorsitzender der Fed in New York scharf kritisiert wurde, weil er angeblich Goldman Sachs bevorzugte. Als Leiter seines Nationalen Wirtschaftsrats benannte er Lawrence Summers, den Nachfolger Rubins als Finanzminister unter Clinton, der maßgeblich die Deregulierung der Finanzmärkte vorangetrieben hatte. Wenngleich Summers hinsichtlich sozialer Ungleichheit progressiver wurde, sind seine Vorstellungen zur Regulierung des Finanzkapitals eher konservativ. Zur Chefin der Börsenaufsicht will Obama Mary Schapiro küren, der allzu große Nähe zur Wall Street vorgeworfen wird.

Für die Aufsichtsbehörde für Warentermingeschäfte hat er Gary Gensler ausgewählt, der unter Clinton im Finanzministerium Deregulierungsvorreiter war. Weniger mit dem Finanzkapital verbunden ist die designierte Vorsitzende des Ökonomischen Sachverständigenrates, die Berkeley-Expertin für Konjunkturzyklen mit gewissen Sympathien für Keynes, Christina Romer. Und mit deutlicher Kritik an der bisherigen Bankenregulierung fiel Daniel Tarullo auf, der für einen Vorstandssitz in der Zentralbank vorgeschlagen wird. Die zentralen Positionen werden somit von bewährten Freunden des Finanzkapitals besetzt, allerdings wird es auch einige kritische Stimmen unter Obamas ökonomischen Beratern und Entscheidungsträgern geben.

Der Sieg der Demokraten bei den Kongresswahlen wird ebenfalls kaum zu einem scharfen Vorgehen gegen das Finanzkapital führen. Die Finanzzentren der USA sind seit 1992 Hochburgen der Demokraten geworden. Hedge-Fonds gaben bereits 2006 dreimal mehr den Demokraten als den Republikanern. Die wichtigen demokratischen Senatoren Schumer und Dodd haben diese entsprechend auch verteidigt.

* Fazit

Der finanzmarktkritische Ökonom Lordon begrüßte die staatlichen Rettungspakete als Zeichen, dass die Marktgläubigkeit erschüttert wurde und dass beim Krisenmanagement – die Lehren der Weltwirtschaftskrise beherzigend – nicht auf die Selbstheilungskräfte des Marktes vertraut wird. Dies ist sicherlich richtig, doch angesichts der Freiheit, die das Rettungspaket zum einem dem Finanzminister und zum anderen den Banken lässt, erscheint mir zum jetzigen Zeitpunkt die Macht des Finanzkapitals noch ungebrochen, allerdings ist ihr Nimbus angekratzt. Der systemische Charakter der Krise ist allgemein anerkannt und die Ursache wird mittlerweile zumeist (aber nicht durchgängig) auf fehlende Regulierung zurückgeführt. Doch daraus folgt nicht die Infragestellung des spekulativen Finanzwesens, geschweige denn des Kapitalismus als solchem. Eine Forderung nach Begrenzung des Finanzwesens auf Einlagen und Kreditgeschäft ist nicht zu vernehmen. Die Ursachendiagnose begrenzt sich auf Teilbereiche. Die Krisenlösungen samt ihrer konkreten Umsetzung werden fast ausschließlich durch Akteure des Finanzwesens konzipiert. Entsprechend haben die Finanzakteure Vorrang und werden von einer schärferen Aufsicht bisher verschont. Nachdem die Lasten der Entwertung des Kapitals auf die SteuerzahlerInnen umverteilt wurden, beginnen die Banken nun ihren KundenInnen entgegenzukommen, indem sie die Zins- und Rückzahlungsbedingungen der Hypotheken senken. Nach „Plünderung des Schatzamts“ (Klein) leisten sie sich kleine materielle Zugeständnisse, in der Hoffnung, die Ausfälle gering zu halten und das Image aufbessern zu können. Zugleich nutzen die Banken die Krise für das, was Marx für die normale kapitalistische Krisenüberwindungsstrategie gehalten hat, nämlich zur Zentralisation des Kapitals. Dadurch ist das Kapital bekanntlich selten schwächer geworden.

Gleichwohl ist die Hegemonie des Finanzkapitals angekratzt. Sein „sich anderer Leute Geld aneignender“ Charakter wird sichtbarer und seine Macht nimmt stärker die Form von Erpressung statt hegemonialer Führung an. Es bedarf jedoch breit getragener Konzepte einer Ökonomie ohne spekulatives Kapital und gesellschaftlicher Kräfte, die diese durchsetzen wollen. Beides ist bisher in den USA nicht sichtbar.

Prof. Christoph Scherrer ist lehrt Politik der Globalisierung an der Universität Kassel (scherrer@uni.kassel.de) und ist Mitherausgeber von W&E. Sein Text erscheint in einer hegemonietheoretisch unterfütterten, aber weniger aktuellen Fassung in Nr. 153 der Zeitschrift „Prokla“.

Veröffentlicht: 28.12.2008

Empfohlene Zitierweise: Christoph Scherrer, Wie das US-Finanzkapital seine Krise selbst managt. Von George Bush zu Barack Obama, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Hinterrgrund Januar 2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org)