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Wie die 3-F-Krise Frauen und Kinder trifft

Artikel-Nr.: DE20090819-Art.34-2009

Wie die 3-F-Krise Frauen und Kinder trifft

Globale Krise und Südasien

Vorab im Web – Seit 2007 sind in Südasien schätzungsweise 100 Millionen Menschen zusätzlich in Nahrungsunsicherheit und Armut gestürzt. Das ist das Ergebnis der Nahrungsmittelpreiskrise von 2008 und der globalen Rezession. Schon vor der 3-F-Krise (3 F: „Food, Fuel, Finance – Nahrungsmittel, Brennstoff und Finanzen“) waren 300 Millionen Menschen – mehr als einer von fünf – Hunger und Mangelernährung ausgesetzt, berichtet Gabriele Köhler.

Die kombinierten Auswirkungen von chronisch hoher Einkommensungleichheit, schneller Urbanisierung, anhaltender und scharfer sozialer Polarisierung, mangelnder Aufmerksamkeit der Regierungen für den Agrarsektor und die ländliche Entwicklung und zunehmenden Konsequenzen des Klimawandels hatten, verstärkt durch steigende Nahrungsmittelpreise und sich verschlechternde Existenzbedingungen, zur Folge, dass sich die Zahl der in Armut lebenden Menschen in Südasien inzwischen auf 400 Millionen beläuft (s. Tabelle).

* Eine ‚stille Krise‘

Die ‚stille Krise‘ von Hunger und Unterernährung betrifft am stärksten Frauen und Kinder, Menschen in Armut und sozialer Marginalisierung. Bis zu 41% der Bevölkerung Südasiens bzw. 615 Millionen Personen sind unter 18 Jahre alt. Nach dem UNICEF-Bericht zur Lage der Kinder in der Welt von 2009 sind 45% der 175 Millionen unter fünf Jahren, die in der Region leben, unterernährt. Das ist sowohl die absolut höchste Anzahl als auch die höchste Rate der Unterernährung in der Welt – höher selbst als in Subsahara-Afrika. Mehr noch, die Verwundbarkeit ist noch größer für Mädchen und für sozial ausgeschlossene Gruppen – Gemeinschaften, die zu einer „niedrigeren“ Kaste, zu einer ethnischen, sprachlichen oder religiösen Minderheit gehören oder die behindert sind.


Werden die jüngsten Schätzungen der Hungerzahlen (gemessen in % der Bevölkerung, die weniger das länderspezifische Minimum konsumiert) mit der Armutsgrenze der Weltbank (1,25 Dollar/Person/Tag und 2 Dollar/Person/Tag) und den Daten über die Unterernährung von Kindern in Beziehung gesetzt, so zeigt sich, dass in vielen südasiatischen Ländern der Kalorienkonsum pro Kopf in den letzten fünf Jahren stagnierte oder fiel, und dies trotz steigender Pro-Kopf-Einkommen. Somit besteht die Herausforderung von Hunger und Unterernährung in Südasien sowohl im Zugang zu Nahrungsmitteln als auch in der Angemessenheit von Nahrungsmitteln und Ernährungsgewohnheiten, insbesondere bei jungen Kindern.

Südasien wurde von der Wirtschaftskrise in den Industrieländern auf verschiedene Weise betroffen: durch die Verlangsamung der globalen Nachfrage, den Anstieg der heimischen Inflation, besonders bei Nahrungsmitteln, durch den Strukturwandel der Arbeitsmärkte und die Volatilität von Kapitalflüssen. Die südasiatischen Ökonomien wachsen auf makroökonomischer Ebene in der Regel schneller als die der Industrieländer, doch ging selbst mit den hohen Wachstumsraten zur Mitte des laufenden Jahrzehnt kein entsprechendes Beschäftigungswachstum einher, um das Beschäftigungsniveau im formellen Sektor aufrecht zu erhalten, geschweige denn die große Zahl von Jugendlichen, die jedes Jahr neu auf den Arbeitsmarkt kommen, aufzufangen. Der Druck auf den informellen Sektor, in dem schätzungsweise 90% der südasiatischen Arbeitskräfte ums Überleben kämpfen, wird zunehmen. Auch der Druck auf die netto Nahrungsmittel konsumierenden Haushalte und die Nahrungsmittel und Energie importierenden Länder nimmt zu.

* Wie Frauen und Kinder mit Krisen umgehen

Es gibt vereinzelte Belege dafür, wie südasiatische Haushalte und Familien, insbesondere Frauen und Kinder aus armen und sozial ausgeschlossenen Gemeinschaften, mit Krisen umgehen, wenn keine hinreichenden Sicherheiten oder Sozialversicherungssysteme vorhanden sind (FAO, Food Insecurity in Bangladesh, February 2009; UN Inter Agency Mission, Pakistan, July 2008, WFP Nepal, February 2009). Dazu gehören:

* Rückläufige Einkommen beeinträchtigen die Qualität und Quantitäte der Nahrung besonders von Frauen, da diese in vielen südasiatischen Haushalten als letzte essen.

* Die Haushaltsausgaben für Gesundheit und Bildung könnten ebenso beeinträchtigt werden: Z.B. könnten Kinder aus kostenpflichtigen Privatschulen genommen und auf öffentliche Schulen von schlechterer Qualität geschickt, zur Arbeit geschickt oder auch ganz aus der Schule genommen werden. In vielen südasiatischen Ländern sind Mädchen hiervon stärker betroffen als Jungen.

* In einer Krise beginnen Frauen möglicherweise außerhalb des Haushalts zu arbeiten, um zusätzlich Geld zu verdienen. Während dies ihren Status verbessern kann, steht gleichzeitig weniger Zeit für die Kinderversorgung zur Verfügung. Wenn die Verantwortung im Haushalt von erwachsenen Frauen auf Mädchen übergeht, ist das oft auf Kosten von deren Erziehung.

* Heimische und internationale Migration zur Arbeitssuche kann ein Weg sein, um der Armut zu entgehen. Gleichwohl finden sich Migranten oft in Jobs mit niedriger Produktivität wieder und sehen sich zunehmend untragbaren und gefährlichen Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Wenn wichtige Familienmitglieder abwesend sind, kann diese Belastung der traditionellen Familienstrukturen negative Konsequenzen für die Kinder haben. Die Zielländer beginnen jetzt, die Beschäftigung ausländischer Arbeiter abzubauen. Im Ergebnis fallen die Heimatüberweisungen, was zusätzlichen Druck für Haushalte mit niedrigem Einkommen bedeutet.

* Schon heute bis an die Grenzen angespannt, tendieren viele Familien dazu, Kredite zu hohen Zinssätzen aufzunehmen und hart erwirtschafteten Besitz zu veräußern. In der Konsequenz bleiben sie ohne Ressourcen und Reserven, die sie gegen weitere Schocks und steigende Nahrungsmittelpreise schützen könnten.

Im Ergebnis dieser kurzfristigen Strategien im Umgang mit der Krise geht es vielen Familien schlechter als zuvor. Ihre Mittel, den Abstieg in die absolute Armut zu stoppen oder umzukehren und künftigen Schocks und Preisschwankungen zu begegnen, schrumpfen.

* Politische Antworten

Welche politischen Antworten gibt es und wie können sie verbessert werden, um zunehendem Hunger und Armut zu begegnen? Ein Dreh- und Angelpunkt scheint die soziale Sicherung zu sein. In der Tat verfügen alle Länder Südasiens über Formen sozialer Sicherung, sei es Sozialversicherung im formellen Sektor oder beitragsunabhängige Sozialhilfe (UNICEF ROSA, Social Protection in South Asia: A Review, i.E. 2009). Zu den armutsorientierten Bargeldtransfers gehören das Samurdhi-Programm in Sri Lanka, Benazir Income Support Programme in Pakistan oder das Challenging the Frontiers of Poverty Reduction Programme in Bangladesh.

Viele Länder unterhalten Schulspeisungsprogramme und unterstützen so die Basisernährung von schulpflichtigen Kindern, was gleichzeitig als Anreiz zum Schulbesuch dient. Die meisten Länder haben Beschäftigungsprogramme nach dem Muster „food-for-work” und “cash-for-work”: Indien führte 2005 ein umfangreiches Schema der Beschäftigungsgarantie für Arme auf dem Lande ein (NREGS) – ein Ansatz, der in Bangladesh und Nepal nachgeahmt wurde und derzeit auch in Pakistan erwogen wird. Bangladesh, Indien, Pakistan und Sri Lanka nutzen verschiedene Interventionsinstrumente, um die Inflation von Nahrungsmittelpreisen zu kontrollieren. Vier Länder haben inzwischen beitragsunabhängige Altersversorgungsprogramme eingeführt.

Dies sind einige der politischen Ansätze, die man in der gegenwärtigen Krise nutzen und auf denen man aufbauen kann. Insgesamt geht es darum,

* die großen Probleme der Unterernährung in Südasien schnell anzugehen;

* den Zugang zu sozialen Dienstleistungen schnell auszuweiten;

* die öffentlich finanzierten Ausbildungs- und Beschäftigungsmodelle, insbesondere für Jugendliche, auszuweiten; und

* soziale Sicherung für alle voranzutreiben und systematisch auszubauen.

Gabriele Köhler ist Mitarbeiterin des UNICEF-Regionalbüros für Südasien in Kathmandu/Nepal. Ihr Beitrag ist eine gekürzte und modifizierte Version von: A Matter of Magnitude. The Impact of the Economic Crisis on Women and Children in South Asia, 31 pp, Kathmandu/Delhi 2 June 2009. Diese beruht auf einer umfassenderen Studie von: Aniruddha Bonnerjee/Gabriele Köhler, The 3 Fs crisis and South Asia’s vulnerable, UNICEF Regional Office South Asia, July 2009. Weitere Info im Internet unter: www.unicef.org/rosa.

Veröffentlicht: 19.8.2009

Empfohlene Zitierweise: Gebriele Köhler, Wie die 3-F-Krise Frauen und Kinder trifft. Globale Krise und Südasien, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E-Hintergrund August 2009 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).