Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

20 Jahre danach: Ein neuer Rio-Gipfel kommt

Artikel-Nr.: DE20100524-Art.26-2010

20 Jahre danach: Ein neuer Rio-Gipfel kommt

Die Zukunft der nachhaltigen Entwicklung

Nur im Web – Die Vorbereitungen auf einen neuen Rio-Gipfel haben begonnen. Es ist fast zwei Jahrzehnte her, seit der Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro/Brasilien die Aufmerksamkeit der Welt auf die Doppelkrise von Umwelt und Entwicklung gelenkt hat. Trotz der großartigen Erklärungen dieses Treffens, an dem fast alle Regierungschefs teilnahmen, ist die Umwelt heute in einer tieferen Krise als jemals zuvor, schreibt Martin Khor.

Ein wichtiger Grund für diesen Missstand besteht darin, dass die Globalisierung, vorangetrieben durch die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) 1995, neue Kräfte der ökonomischen Konkurrenz in die internationalen Beziehungen gebracht hat. Die Länder mussten die Kosten so niedrig halten, dass die Konzerne auf globalisierten Märkten überleben konnten. Immer weniger Aufmerksamkeit galt in der Folge dem Umweltschutz und der Unterstützung der Entwicklungsländer.

* Rio-plus-20: Auf geht‘s

Business as usual bekam die Oberhand: Wälder wurden vernichtet, mineralische Rohstoffe ausgebeutet und Fabriken und Autos pumpten Schadstoffe in die Luft und trieben die Welttemperatur nach oben. Obwohl der Klimaschutz kürzlich wieder in den Schlagzeilen war, gibt es viele andere ökologische Probleme. Mit dem Verlust an Artenvielfalt gehen sogar mehr ökonomische Verluste als mit dem Treibhauseffekt einher, wie ein neuer Bericht der Vereinten Nationen in der letzten Woche enthüllte.

Hinzu kommt die wachsende Wasserknappheit, die viele Länder in der nächsten Dekade treffen wird und die ein großes Konfliktpotential birgt. Das letzte Zeichen dafür ist die Kampf um die Nutzung des Nil-Wassers zwischen sieben afrikanischen Ländern am Ober- und Unterlauf des Flusses. Dies könnte sich durchaus zu einem zentralen regionalen Problem auswachsen.

Die Vereinten Nationen organisieren im Jahre 2012 den Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung, der ebenfalls in Rio stattfinden wird, um an den 20. Jahrestag der Konferenz von 1992 zu erinnern. Ziel ist es, erneut die Unterstützung der führenden Politiker für nachhaltige Entwicklung zu bekommen, Fortschritte und Versäumnisse seit den letzten Gipfeln einzuschätzen und die neuen und neu aufkommenden Herausforderungen anzugehen. Auch zwei spezielle Themen wurden für den Gipfel ausgewählt: eine „grüne Ökonomie“ und der künftige institutionelle Rahmen für nachhaltige Entwicklung.

Das erste Treffen in diesem Rio-plus-20-Prozess fand in der letzten Woche bei den UN in New York statt. „Wir treffen uns vor dem Hintergrund eine multiplen Krise“, sagte UN-Untergeneralsekretär Sha Zukang. „Die traurige Wahrheit besteht darin, dass wir es trotz zweier Jahrhunderte spektakulären Wachstums auf unserem Planeten nicht geschafft haben, die Geisel der Armut auszurotten. Wenn wir auf dem derzeitigen Pfad fortfahren, werden wir die materielle und ökologische Armut, und nicht Wohlstand, an unsere Kinder und Enkel weiterreichen. Unsere Ad-hoc-Lösungen reichen nicht länger aus. Nur nachhaltige Entwicklung kann eine dauerhafte Lösung für die Krise sein.“

* Das Erbe von Rio

„Nachhaltige Entwicklung“ ist in der Tat das Schlüsselkonzept für die ganze Debatte. Es ist der Begriff, der mit seiner facettenreichen Bedeutung direkt aus dem Erdgipfel von 1992 hervorging. Ursprünglich sollte eine UN-Konferenz über die Umwelt abgehalten werden. Doch die Entwicklungsländer bestanden darauf, dass Umweltfragen auch in ihrem Verhältnis zu Entwicklungsfragen erörtert werden müssten. So wurde das Konzept „Nachhaltige Entwicklung“ geboren, mit seinen drei Säulen – Umwelt-, soziale und ökonomische Fragen – die auf ausgewogene und integrierte Weise unauflöslich miteinander verbunden sind. Man kam überein, dass Umweltprobleme so stark mit sozialen und wirtschaftlichen Problemen (besonders mit Armut und Unterentwicklung) verbunden sind, dass alle drei Aspekte zusammen behandelt werden müssen.

Auch das Prinzip der „gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortung“ wurde in Rio geboren. Es besagt, dass alle Länder die Aufgabe haben, zu „nachhaltiger Entwicklung“ beizutragen, aber dass die reichen eine größere Verpflichtung tragen, weil sie in der Vergangenheit mehr globale Ressourcen verbraucht haben und auch mehr Lasten tragen können. Somit müssen sie die Entwicklungsländer unterstützen, u.a. durch den Transfer von Finanzen und Technologie. Dieses Prinzip steht nicht nur im Zentrum des Ergebnisses von Rio, der Agenda 21, sondern auch der Konventionen über Klimawandel und Biodiversität, die alle gleichzeitig 1992 in Rio unterzeichnet wurden.

* Was Entwicklungs- und Industrieländer (nicht) wollen

Die Entwicklungsländer wollen den Rio-plus-20-Prozess nutzen, um zu untersuchen, was in den letzten 20 Jahren schief gegangen ist und nur so armselige Ergebnisse gebracht hat. Es gab eine anhaltende „Umsetzungslücke“, sagte der Vorsitzende der Gruppe der 77 und Chinas, Botschafter Abdullah Alsaidi von Jemen, auf den Treffen in der letzten Woche.

Die Industrieländer haben viele Verpflichtungen nicht erfüllt. Und deshalb müsse es jetzt eine effektivere Umsetzung der Beschlüsse früherer Gipfel gaben – einschließlich einer besseren Finanzierung, fügte er hinzu. Many commitments by the developed countries have not been met, and there must now be more effective implementation of what was agreed on at previous summits, and with greater funding, he added.

Viele Industrieländer sind indessen gar nicht so stark darauf erpicht, dass sich der Gipfel von 2012 auf die Fehlschläge der Vergangenheit konzentriert. Vielleicht wollen sie sich nicht vorhalten lassen, wie wenig von den gemachten Zusagen beim Finanz- und Technologietransfer eingehalten wurden. Stattdessen würden sie die Debatte lieber auf die „Grüne Ökonomie“ und die internationalen Strukturen lenken, die man braucht, um Umweltfragen effektiver anzugehen.

Die Entwicklungsländer stimmen durchaus mit den beiden Themen und ihrer Bedeutung überein, befürchten jedoch eine Überbetonung der Umweltfragen gegenüber der sozialen und entwicklungspolitischen Säule von nachhaltiger Entwicklung. Die G77 und China sagten, es sei nicht notwendig, „nachhaltige Entwicklung neu zu definieren oder durch ein „weniger präzises, abstraktes Konzept zu ersetzen, womit sie auf die „Grüne Ökonomie“ zielen. Besondere Besorgnis herrscht, dass der Übergang zu einer „Grünen Ökonomie“ zu Bedingungen und Standards führen könnte, die einseitige Restriktionen beim Handel, bei Finanzen und Entwicklungshilfe rechtfertigen. Allen Ländern sollte der erforderliche politische Spielraum gewährt werden, um den eigenen Weg zur Nachhaltigkeit zu bestimmen.

* Die Debatte um Rio-plus-20 ist eröffnet

Die Entwicklungsländer haben die Befürchtung, dass zu viel Gewicht auf den Umweltaspekt eines neue ökonomischen Modells ihre Entwicklungsbedürfnisse vernachlässigen würde und so ein Schritt zurück hinter Konzept und Praxis der „nachhaltigen Entwicklung“ wäre, auf die zu einigen so viel Zeit in Anspruch genommen hatte.

Die Debatte darüber, was auf Rio-plus-20 erreicht werden soll, ist eröffnet. Eine weitere Hauptkontroverse wird darum gehen, welche Art von Institutionen die nachhaltige Entwicklung der Zukunft steuern soll. Sollen die existierenden Institutionen, wie das UN-Umweltprogramm (UNEP), die UN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD), das UNDP und UNCTAD gestärkt werden und besser zusammenarbeiten? Oder brauchen wir eine radikalere Restrukturierung oder sogar die Schaffung einer neuen Institution, und was wäre dann ihr Mandat? Solche interessanten und wichtigen Themen und intensive Verhandlungen werden den Weg zum Gipfel von 2012 begleiten.

Veröffentlicht: 24.5.2010

Empfohlene Zitierweise: Martin Khor, 20 Jahre danach: Ein neuer Rio-Gipfel kommt, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 24. Mai 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).