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Afrikas Rolle in der neuen Weltwirtschaft

Artikel-Nr.: DE20100618-Art.32-2010

Afrikas Rolle in der neuen Weltwirtschaft

Wandel der Abhängigkeit

Vorab im Web - Die traditionellen Industrieländer sind nicht mehr die alleinigen Herren der Welt. Der Afrikabericht 2010 der UNCTAD untersucht Auswirkungen der veränderten globalen Kräfteverhältnisse auf Afrika. Im Windschatten neuer Akteure wie China, Indien und Brasilien erhalten die afrikanischen Länder mehr politischen Spielraum – der von ihnen aber noch produktiv zu nutzen ist. Eine Auswertung des Reports von Jörg Goldberg.

Die aktuelle Krise zeigt, dass die Weltwirtschaft im Umbruch ist, dass einige der großen Entwicklungsländer wirtschaftlich und politisch erheblich an Gewicht gewonnen haben. Die Verlagerung der weltwirtschaftlichen Wachstumspole in den Süden hat neue Akteure auf den Plan gerufen – zu denen Afrika selbst aber (noch?) nicht gehört. Dies ist die wohl wichtigste – wenn auch nicht explizit angesprochene – Schlussfolgerung der UNCTAD-Analyse. Trotz wirtschaftlicher Erfolge auf bestimmten Gebieten bleibt der afrikanische Kontinent mehr Objekt als Gestalter des globalen Kapitalismus.

* Afrikas Süd-Süd-Kooperation im Aufschwung

Trotzdem ist die Tatsache, dass sich die Abhängigkeitsverhältnisse Afrikas mit dem Aufstieg der asiatischen und teilweise auch der lateinamerikanischen Peripherie dramatisch verändern, von großer Bedeutung. Zwar ist die Kooperation Afrikas mit dem Süden nichts Neues – neu ist aber ihr Charakter. Während diese früher vorwiegend politisch war, stehen nun wirtschaftliche Vereinbarungen im Vordergrund, an erster Stelle das im Jahre 2000 gegründete „Forum on China-Africa Cooperation“.

Die intensivierten Wirtschaftsbeziehungen zum globalen Süden mindern die Abhängigkeit Afrikas von den ehemaligen Kolonialländern (plus USA): „Die Tatsache, dass die Beziehungen zum Süden auf dem Prinzip der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten basieren, hat den afrikanischen Ländern größere politische Spielräume eröffnet und den Einfluss der traditionellen Partner auf innere und regionale Angelegenheiten vermindert.“ (25) Die hierzulande viel diskutierte Frage der Menschenrechte streift der Report nur kurz – mit dem richtigen Hinweis, dass dies den Norden noch nie z.B. von Waffengeschäften mit afrikanischen Diktaturen abgehalten hat.

Allerdings wird darauf hingewiesen, dass dieser größere politische Spielraum entwicklungspolitisch nur dann genutzt werden könne, wenn die afrikanischen Länder die Vielzahl der bi- und multilateralen Abkommen und Beziehungen zum Süden bündeln und strategisch ausrichten. Tatsächlich scheint hier gegenwärtig noch ziemlicher Wildwuchs zu herrschen – eine afrikanische Konzeption der Süd-Kooperation, in der die Afrikanische Union (AU) eine wichtige Rolle spielen müsste, fehlt bisher.

* Regionale Diversifizierung und Rohstoffabhängigkeit

Die Veränderungen in den regionalen Strukturen sowohl des Außenhandels als auch der Kapitalbeziehungen, die der Bericht detailliert darstellt, sind in der Tat eindrucksvoll. Der Anteil der nicht-afrikanischen Entwicklungsländer am Außenhandel Afrikas ist zwischen 1995 und 2008 von 19,6 auf 32,5% angestiegen, China ist heute (nach den USA) der zweitwichtigste Handelspartner Afrikas. 2008 waren die Süd-Handelsbeziehungen des Kontinents erstmals bedeutender als die mit Europa. Auch Direktinvestitionen (FDI) aus dem Süden – vor allem chinesische – sind deutlich angestiegen und erreichten 2008 schon 21% der Zuströme. Selbst die Entwicklungshilfe (ODA) des Südens gewinnt an Gewicht. Anders als die ODA der Industrieländer konzentriert sich diese vor allem auf Infrastrukturinvestitionen.

Afrikas Exporte in den Süden


Afrikas Importe aus dem Süden


Während das zunehmende Engagement insbesondere der asiatischen Schwellenländer die regionale Struktur der internationalen Wirtschaftsbeziehungen Afrikas diversifiziert, gilt dies nicht für die sektorale Zusammensetzung. Die schon bisher bestehende Einseitigkeit – es werden Rohstoffe exportiert und Industriewaren importiert – wird im Handel mit dem Süden noch akzentuiert. Der Anteil der unverarbeiteten Rohstoffe am Süd-Süd-Handel beträgt 75%, während der Anteil verarbeiteter Produkte auf 10% gefallen ist. Zudem handelt es sich dabei fast ausschließlich um Konsumgüter. Billigimporte aus China verdrängen lokale afrikanische Produkte – so stammen die auf den südafrikanischen Straßen verkauften Fanartikel zur Fußballweltmeisterschaft überwiegend aus China. Auch bei der ODA und den Direktinvestitionen spielt (neben der Infrastruktur) die Förderung von Rohstoffen eine große Rolle. Immerhin handelt es sich bei den FDI aus dem Süden vorwiegend um neue („greenfield“) Investitionen, weniger um den Aufkauf bestehender Betriebe.

Die Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen mit dem Süden trägt also nur wenig zur Überwindung der einseitigen Struktur der afrikanischen Wirtschaft bei, lockert aber immerhin die Abhängigkeit von den Industrieländern. Das hat sich in der jüngsten Krise offensichtlich ausgezahlt: „Die Diversifizierung von Afrikas Exportmärkten hat der Region geholfen, die gegenwärtige Krise rascher zu meistern“, meint die UNCTAD, fügt aber hinzu: „Der Aufschwung bleibt fragil und basiert ganz überwiegend auf der Rohstoffwirtschaft.“ (44)

Trotzdem sind die UNCTAD-Autoren der Ansicht, dass die regionale Diversifizierung der Exportmärkte Afrikas Stellung in der Weltwirtschaft verbessern könnte. Dies zeigt der wohl interessanteste Teil des Berichts, der sich mit multilateralen Handelsvereinbarungen befasst. Denn obwohl die aufstrebenden Länder des Südens in den globalen Verhandlungsrunden der WTO durchaus eigene Interessen vertreten, die – wie im Nahrungsmittelbereich – mit afrikanischen Interessen über Kreuz liegen können, scheint Afrika im Windschatten der neuen Akteure seine globale Verhandlungsposition stärken zu können. Teilweise profitiert Afrika direkt von der größeren Durchsetzungskraft asiatischer und lateinamerikanischer Länder, teilweise aber auch, indem afrikanische Länder eigene Verhandlungsgruppen bilden und so von den übrigen Ländern der Peripherie lernen. In der Studie heißt es: „Bezogen auf die multilateralen Regeln des internationalen Handelssystems gewinnt Afrika sehr viel durch die Zusammenarbeit mit den aufstrebenden Entwicklungsländern.“ (47)

* Eine afrikanische Strategie ist nötig

Dies ist allerdings kein Automatismus: In den Wirtschaftsbeziehungen Afrikas mit dem Süden geht es – wie in den Beziehungen zum industrialisierten Norden – um knallharte Interessen. Auch China hat in Afrika vor allem die eigene Entwicklung im Sinn – ebenso wie die USA oder die EU-Staaten ihre eigenen Interessen verfolgen.

Der Bericht entwickelt am Schluss eine Reihe von politischen Empfehlungen, wie Afrika die intensivierten Süd-Süd-Beziehungen stärker entwicklungspolitisch nutzen könnte. Vor allem müsse Afrika eine Gesamtstrategie entwickeln, die nationale und regionale Interessen in den Mittelpunkt stellt. Der Verstärkung der regionalen Integration wird dabei eine große Bedeutung zugemessen. Denn während die Wirtschaftsbeziehungen zum Süden boomen, stagniert die innerafrikanische Arbeitsteilung: Der Anteil des innerafrikanischen Handels am Außenhandel der afrikanischen Länder sank zwischen 1995 und 2008 von 21 auf 11%. Die meisten afrikanischen Länder sind klein, ihre Märkte sind eng, und der Aufbau von verarbeitenden Industrien – und nur diese schaffen produktive Beschäftigung – ist nur im regionalen Maßstab möglich. Die sich mit der verstärkten Süd-Kooperation bietenden Chancen können nur genutzt werden, wenn Afrika gemeinsam handelt. Dies ist die zentrale Botschaft des Berichts.

Hinweis:
* United Nations Conference on Trade and Development, Economic Development in Africa, Report 2010, South-South Cooperation: Africa and the New Forms of Development Partnership, 116 pp, New York-Geneva 2010. Bezug: über www.unctad.org

Veröffentlicht: 17.6.2010

Empfohlene Zitierweise: Jörg Goldberg, Afrikas Rolle in der neuen Weltwirtschaft. Wandel der Abhängigkeit, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, W&E-Hintergrund Juli 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).