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Athens schmerzhafte interne Abwertung

Artikel-Nr.: DE20100503-Art.22-2010

Athens schmerzhafte interne Abwertung

Der IWF im Griechenland-Test

Vorab im Web - „Interne Abwertung“ nennen die Ökonomen eine Anpassungsprozedur, der sich überschuldete Länder unterziehen müssen, wenn ihnen der Weg zu einer Währungsabwertung versperrt ist, weil sie entweder einer Währungsunion wie dem Euro angehören oder die nationale Währung fest an eine Leitwährung gebunden ist („peg“). Das jetzt beschlossene Sparprogramm Griechenlands trägt alle Merkmale einer solchen inneren Abwertung. Eine vertiefte Rezession ist dabei einkalkuliert. Das Programm und seine Elemente analysiert Rainer Falk.

Im Kalkül der Protagonisten einer internen Abwertung muss die Rezession tief genug und die Arbeitslosigkeit hoch genug sein, um Löhne und Preise so weit nach unten zu drücken, dass die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes auch ohne Abwertung der Währung wieder hergestellt wird. Das jetzt zwischen dem Internationalen Währungsfonds, der Europäischen Zentralbank, der EU und der griechischen Regierung „vereinbarte“ Paket weist dem Land aller damit einhergehenden Rhetorik zum Trotz diesen Weg. Unklar ist nur, ob am Ende wirklich die Verbesserung der „Wettbewerbsfähigkeit" steht, oder ob die wirtschaftliche Schrumpfung so drastisch ausfallen wird, dass dem Land doch noch die Luft zur Bedienung seiner Zahlungsverpflichtungen ausgehen wird.

* Drastische Maßnahmenbündel

Presseberichten zufolge sind im Einzelnen sind u.a. folgende Maßnahmen vorgesehen, die sich in drei Gruppen unterteilen lassen:

1. Einsparungen im Staatshaushalt:
* Kürzung der Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst um 8%;
* dreijähriger Einstellungsstopp im öffentlichen Sektor;
* Abschaffung des 13. und 14. „Monatsgehaltes”, d.h. der Sonderzahlungen zu Weihnachten und Ostern für Beschäftigte im öffentlichen Sektor (für Verdiener ab 3000 € brutto und Rentner ab 2500 €; weniger Verdienende erhalten pauschal 500 € als Weihnachtsgeld und je 250 € für Ostern und Urlaub);
* Kürzung der Beihilfen, Sonderzuschläge und Freibeträge um 8%;
* Kürzung der Pensionen für Staatsbedienstete;
* keine Verlängerung kurzfristiger Beschäftigungsverträge im öffentlichen Sektor;
* Einsparung bei Militärausgaben.

2. Steigerung der staatlichen Einnahmen:
* Anhebung der Mehrwertsteuer um weitere 2% auf 23%;
* auch die Besteuerung von Luxusimmobilien und Luxusautos sowie von Alkoholgetränken, Tabak und Benzin soll angehoben werden;
* erwähnt werden auch eine einmalige Steuer auf besonders rentable Unternehmen sowie Abgaben auf Vermögen.

3. Strukturelle Maßnahmen und Reformen:
* Stärkung der Steuerverwaltung mit dem Ziel, die Effizienz der Steuererhebung zu steigern und auch die Besserverdienenden bzw. „high-wealth individuals“ zu erfassen und der Steuerpflicht zu unterziehen;
* entschiedeneres Vorgehen gegen Steuerflucht, schärfere Strafen für Steuersünder;
* Schließung von über 800 staatlicher Einrichtungen;
* Beseitigung von Zugangsschranken zu über 60 Berufen;
* Privatisierung von Staatsunternehmen („divest“);
* Verbesserung des Geschäftsklimas;
* Verkauf oder Vermietung von staatseigenen Liegenschaften;
* Überholung des Systems der Altersversorgung: Das Mindestrentenalter wird 60 Jahre für Männer und Frauen festgesetzt.

Über drei Jahre hinweg soll so erreicht werden, das Haushaltsdefizit von 13,6% (2009) auf unter 3% (bis 2014) des Bruttoinlandsprodukts (BIP) abzusenken. Insgesamt soll eine fiskalische Entlastung um 30 Mrd. € erreicht werden. Die vorgesehenen Einsparungen sollen bis 2013 gut 5% des BIP bringen, die geplanten Einnahmesteigerungen durch Steuererhöhungen sollen rund 4% des BIP entsprechen.

* Hilfe diesmal ohne Schmach?

Im Gegenzug dazu erhält Griechenland einen Überbrückungskredit von insgesamt 110 Mrd. €, wobei etwa zwei Drittel (80 Mrd. €) auf bilaterale Darlehen der anderen Euro-Länder entfallen und rund ein Drittel (30 Mrd. €) auf den IWF. Der IWF-Kredit wird im Rahmen eines traditionellen Stand-by-Abkommens – das klassische Kreditvergabeinstrument des Fonds – bereit gestellt. Seine Auszahlung erfolgt – ebenso wie die bilateralen Kredite – in Tranchen alle drei Monate, wenn die Überprüfung der Umsetzung des Sparprogramms ergeben hat, das das Land nach wie vor „on track“ ist.

Die wichtigsten Gläubiger Griechenlands


Der IWF ist sichtlich bemüht, im Falle Griechenlands den Eindruck der Schmach zu vermeiden, die Ländern wie Thailand, Indonesien und Südkorea in der Asien-Krise durch die IWF-Programme Ende der 90er Jahre zugefügt wurde. So betont er, dass seine Konditionalität inzwischen „fokussierter“ sei und macht die sog. „structural performance criteria“ – ein Standardset von neoliberalen Strukturanpassungsmaßnahmen – nicht mehr zur Voraussetzung der Kreditauszahlung. Es ist jedoch unübersehbar, dass das oben dargestellte Maßnahmenpaket sehr wohl Grundelemente eines klassischen IWF-Anpassungsprogramms aufweist: Es beginnt mit der Einschränkung der Leistungen für die Beschäftigten des öffentlichen Sektors und endet mit Maßnahmen der Liberalisierung, Privatisierung und Entstaatlichung.

In einer Stellungnahme zum Abschluss der Verhandlungen über das Stand-by-Abkommen betont der Geschäftsführende Direktor des IWF, Dominique Strauss-Kahn, die doppelte Ausgewogenheit des Programms: Es beruhe auf zwei Grundpfeilern, einer Fiskalpolitik, die die Überschuldung angeht, und auf wachstumsfördernden Maßnahmen, um die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Gleichzeitig sei es sozial ausgewogen und biete Schutz für die verwundbarsten Gruppen der Gesellschaft. Das hört sich zu schön an, um wahr zu sein.

* Zu schön, um wahr zu sein

Auffallend ist, dass die Einkommenskürzungen im öffentlichen Dienst sehr konkret ausfallen und sofort greifen sollen, während die Schritte zur Verbesserung der Steuerverwaltung und vor allem die Heranziehung der oberen Einkommensgruppen oder der Kampf gegen die Steuerflucht eher vage formuliert sind und erst im Laufe der nächsten drei Jahre folgen sollen. Von einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes lesen wir nichts, obwohl Strauss-Kahn von der Einführung einer "progressiveren Besteuerung aller Einkommensraten" spricht. Das Gros der Steuererhöhungen betrifft Massensteuern. Allenfalls die Verschonung der unteren Einkommen von der völligen Streichung der Zulagen kann als gewisser Schutz der „Verwundbaren“ gewertet werden.

Ähnliches gilt für das Verhältnis von Fiskalpolitik und Wachstumspolitik. Es mag sein, dass um die Kürzung von Löhnen und Gehältern kein Weg herum führt, wenn diese rund 70% der Staatsausgaben ausmachen. Insgesamt leitet dieses Programm jedoch eine weitere Schrumpfung der griechischen Ökonomie ein, die durchaus im Einklang steht mit dem, was von einem Prozess der internen Anpassung zu erwarten ist. So prognostiziert das griechische Finanzministerium für das laufende Jahr einen Rückgang der Wirtschaftsleistungen von -4%. Im nächsten Jahr soll das Minus des BIP noch einmal 1% betragen.

Sicher ist somit nur, dass das jetzt verabschiedete Sparprogramm Griechenland zunächst einmal weiter in die Rezession treiben wird. Wann und ob neues Wachstum zurückkehrt, aus dem der Schuldendienst ohne neue Kredite finanziert werden könnte, steht erst einmal in den Sternen. Das Beispiel der Baltischen Länder und ihrer IWF- und EU-finanzierten Bail-outs, die ähnlichen Ratschlägen wie die Griechen gefolgt sind, könnte sogar einen noch viel schmerzhafteren und tieferen wirtschaftlichen Einbruch nahelegen (>>> The Baltic Future of Greece).

* Blind für die Asymmetrien in der Eurozone

Das jetzt zusammengezimmerte Hilfspaket für Griechenland ist aber nicht nur deshalb unausgewogen, weil es die Akzente einseitig auf den Abbau des Haushaltsdefizits setzt und Wettbewerbsfähigkeit vor allem an Kostenfaktoren, nicht zuletzt an niedrigen Löhnen und Gehältern, festmacht. Einseitig ist es nicht zuletzt deshalb, weil es die widrigen außenwirtschaftlichen Bedingungen, denen Griechenland im Euroraum ausgesetzt ist, völlig unbeachtet lässt.

Ein wirklich ausgewogenes und längerfristig erfolgreiches Gesundungsprogramm für die griechische Ökonomie dürfte nicht nur kurzfristige Überbrückungshilfe bieten und die Beendigung einiger griechischer „Spezialitäten“ fordern. Es müsste auch den Ländern mit Handels- und Leistungsüberschüssen, also allen voran Deutschland, Anpassungsleistungen abverlangen. Diese könnten nach Lage der Dinge nur in einer Stärkung der deutschen Binnenökonomie und einem Abbau der strukturellen außenwirtschaftlichen Überschüsse bestehen, die Griechenland und andere Länder über Jahre hinweg in die Schuldenfalle getrieben haben (???042ae69d20140670e???).

Die Griechenland-Krise verweist so gesehen auf nicht mehr und nicht weniger als auf die Notwendigkeit neuer Regeln in der Eurozone. Über die Haushaltsdefizite hinaus müsste der Europäische Stabilitätspakt auch Kriterien wie Leistungsbilanzdefizite und –überschüsse, die Lohnstückkosten oder das konjunkturelle Gleichgewicht in der Eurozone ins Visier nehmen – oder es wird den Euro früher oder später nicht mehr geben. Vielleicht sollte dies ja auch dem IWF einmal dämmern, wo er doch jetzt definitiv nach Europa zurückgekehrt ist.

Veröffentlicht: 3.5.2010

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Athens schmerzhafte interne Abwertung. Der IWF im Griechenland-Test, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 05/Mai 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).