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Auslaufmodell Entwicklungshilfe?

Artikel-Nr.: DE20100505-Art.23-2010

Auslaufmodell Entwicklungshilfe?

DIE stellt 0,7%-Ziel in Frage

Nur im Web - In seiner jüngsten Kolumne stellt das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) das international anerkannte Ziel, die Industrieländer sollten 0,7% des Bruttonationaleinkommens (BNE) für öffentliche Entwicklungshilfe (ODA) zur Verfügung stellen, in Frage. „Ist das 0,7%-Ziel in der Entwicklungszusammenarbeit noch relevant?“, fragt der wöchentliche Kommentar. In der Pose des kritischen Tabubrechers liefert der Verfasser eine Steilvorlage für den neuen Entwicklungsminister, meint Rainer Falk.

Das DIE ist nicht irgendeine Institution in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Nach seiner Selbstdarstellung zählt es „weltweit zu den führenden Forschungsinstituten und Think Tanks zu Fragen globaler Entwicklung und internationaler Entwicklungspolitik“. Faktisch arbeitet es hauptsächlich dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (und anderen offiziellen deutschen EZ-Institutionen) zu, aus dessen Etat auch das Gros seiner Haushaltsmittel kommt.

* Welche Zukunft für die ODA?

Auch der Verfasser der Kolumne, Peter Wolff, ist nicht irgendwer, sondern der Leiter der DIE-Abteilung Weltwirtschaft und Entwicklungsfinanzierung, also jenes Institutsbereichs, der sich auch über die Zukunft der ODA Gedanken machen soll. Wie diese Zukunft aussehen sollte, bleibt nach der Lektüre von Wolffs Text allerdings eher schleierhaft. Folgt man der Headline der auf ZEIT-ONLINE veröffentlichten Version des Kommentars, dann ist die ganze „traditionelle Entwicklungshilfe nicht mehr zeitgemäß“. Der Trend sei jedenfalls klar und weise nach unten: „Auch bei weiteren leichten Erhöhungen der Investitionen in die internationale Entwicklungszusammenarbeit ist das 0,7%-Ziel wegen der dramatischen Haushaltslage der OECD-Länder in absehbarer Zeit nicht zu erreichen, auch nicht von der Gruppe der EU-Länder, die sich dazu bis 2015 verpflichtet haben.“

„Statt jetzt auf die Erfüllung von vorerst nicht mehr erfüllbaren Zusagen zu pochen,“ so Wolff weiter, „sollte die inzwischen völlig veränderte weltwirtschaftliche Situation zum Anlass genommen werden, das 0,7%-Ziel und die traditionelle Entwicklungszusammenarbeit generell in einer neuen Perspektive zu sehen.“

Das ist elegant formuliert, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Wirtschaftskrise und Rezession schon immer zum Anlass genommen wurden, um entwicklungspolitische Leistungen zu kürzen. Das war in den 70er Jahren so, als die Kürzung der entwicklungspolitischen Verpflichtungsermächtigungen den Rücktritt von Erhard Eppler als Entwicklungsminister provozierte. Das war in den 80er und 90er Jahren so, als die ODA-Quoten ihren Tiefpunkt seit Beginn des Unternehmens Entwicklungshilfe erreichten. Und heute? Es gibt tatsächlich keine Garantie dafür, dass die Anstrengungen der entwicklungspolitischen Gemeinschaft einen erneuten Einbruch der Leistungen verhindern können. Nur ist dies längst noch nicht ausgemacht.

* Abschied von der traditionellen EZ?

Zur Untermauerung seiner Argumentation rekurriert Wolff auf die jüngsten ODA-Zahlen (???042ae69d5a10e9e01???). Danach wird u.a. die Hilfe für Afrika in diesem Jahr (2010) nur rund 36 Mrd. US-Dollar betragen, obwohl von den G8 in Gleneagles 2005 50 Mrd. Dollar zugesagt worden waren. Bei Deutschland ist die ODA-Quote zwischen 2008 und 2009 von 0,38 auf 0,35% zurück gegangen – trotz einer geringfügigen Steigerung des BMZ-Haushalts. Was Wolff allerdings nicht zitiert, sind Beispiele, dass es auch anders geht: So haben Frankreich und Großbritannien – Länder mit durchaus vergleichbaren „Haushaltzwängen“ und ähnlicher Wirtschaftslage – ihre EZ-Leistungen im selben Zeitraum von 0,39 auf 0,46% bzw. von 0,43 auf 0,52% des BNE gesteigert. Es geht also vor allem dann anders, wenn der politische Wille vorhanden ist, es anders zu machen.

Neben Haushaltszwängen nennt Wolff drei weitere Gründe für den Abschied von der „traditionellen EZ“: das neue Gewicht der privaten Kapitaltransfers, die Aufholerfolge der Schwellenländer, die andere Formen der Zusammenarbeit brauchten, und die Bewältigung der globalen Zukunftsaufgaben, die andere Finanzierungsformen erforderten. Vor diesem Hintergrund sei es nicht sinnvoll, „nur den öffentlichen Mitteleinsatz zu betrachten und dafür Ziele zu setzen. Es muss ein Weg gefunden werden, die Mischung aus öffentlichen Mitteln angemessen zu bewerten. Auch die neuen Geber, allen voran China, entziehen sich mit ihrer Mischung aus öffentlichen Zuschüssen und privaten Investitionen der OECD-Definition von Entwicklungshilfe. Es ist an der Zeit, neue Maßstäbe, Messverfahren und Zielgrößen für die finanzielle Dimension der internationalen Zusammenarbeit – jenseits der Entwicklungshilfe – zu finden.“

Auch das ist nicht unbedingt neu: Es gab Zeiten, in denen die privaten Direktinvestitionen in den Ländern des Südens auch in der offiziellen Statistik schamlos als „Entwicklungshilfe“ verbucht wurden. Und nicht alles ist völlig falsch: Die öffentliche EZ beispielsweise darf nicht zum Steinbruch für die Finanzierung von Klimaschutzmaßnahmen werden. Auch die ODA-Definition der OECD ist überholungsbedürftig. Mit der impliziten Aufwertung des Privatsektors in der EZ aber geraten die Plädoyers gegen „traditionelle Entwicklungshilfe“ schnell zu Steilvorlagen für einen Minister, der ohnehin lieber die „wirtschaftliche Zusammenarbeit“ und die Rolle des Marktes betont als die Bedeutung öffentlicher Daseinsvorsorge und staatlicher Unterstützung.

* Vorauseilender Gehorsam

Kein Wunder, dass das neue Plädoyer aus dem DIE bei Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nicht gerade Begeisterungsstürme ausgelöst hat. „Ich bin sehr dafür, die ODA-Definition zu verändern“, sagt beispielsweise Ulrich Post von der Deutschen Welthungerhilfe, der derzeit auch Vorsitzender des entwicklungspolitischen Dachverbandes VENRO ist. „Erste Prüfobjekte wären dann die kalkulatorischen Studienkosten für ausländische Studierende, Schuldenerlasse und ähnliches mehr. Leistungen von Privaten gehören aber auch in Zukunft nicht zur ODA.“

Auch am 0,7%-Ziel möchte Post festhalten, „weil wir mit ihm erstens eine international akzeptierte Messgröße für staatliche Leistungen haben, die Vergleiche ermöglicht. Zweitens benötigt Entwicklungszusammenarbeit auch mehr Mittel, z.B. um sich an der Finanzierung öffentlicher Güter in Entwicklungsländern zu beteiligen. Das leisten Private nicht.“ Die Diskussion um die Abschaffung des 0,7%-Ziels ist für ihn einfach „vorauseilender Gehorsam gegenüber dem Finanzminister“.

Ähnlich argumentiert Jörn Kalinski von Oxfam Deutschland: „Die positiven Beispiele vieler Entwicklungsländer, die sich von ODA unabhängig machen, dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass die ODA in vielen Teilen der Welt, vor allem in Afrika, noch benötigt wird. Die Finanzkrise hier als Vorwand zu nehmen, die gemachten Versprechen nicht einzuhalten, ist unseriös“, erklärte Kalinski gegenüber W&E.

„Für die Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele ist die Erhöhung der ODA auf 0,7% weiterhin nötig“, betont Bodo Elmers vom Europäischen Netzwerk Schulden und Entwicklung (Eurodad) in Brüssel. „Genau genommen ist sie seit den Rückschlägen durch die Finanzkrise wichtiger denn je.“

Ellmers verweist schließlich darauf, dass die planmäßige Steigerung der Entwicklungshilfe, wie von der EU zugesagt, auch für die Effektivität der Entwicklungszusammenarbeit zentral ist: „Empfängerländer müssen sich bei ihrer Entwicklungsplanung darauf verlassen können, dass in Aussicht gestellte Gelder auch tatsächlich fließen.“

Und auch Tobias Kahler von ONE Deutschland pocht auf der Einhaltung der gegebenen Zusagen, und zwar nicht nur, "um die Glaubwürdigkeit der Industrieländer und ein Klima konstruktiver Partnerschaft mit dem Süden zu erhalten. Es ist auch jenseits strategischer Notwendigkeit für wirksame Armutsbekämpfung sinnvoll. Natürlich geht die Gleichung ‚mehr Geld = mehr Entwicklung‘ nicht von alleine auf. Es gibt aber zahlreiche erfolgreiche Ansätze und Programme, die nach wie vor unterfinanziert sind. Eine richtige Steuerung vorausgesetzt, ist das 0,7%-Ziel deshalb ein unverzichtbarer Beitrag zur Bekämpfung extremer Armut.“

Was den NGO-Vertretern entgangen ist bzw. was sie sich zu sagen verkniffen haben, ist die Ironie hinter der Geschichte: Fiele die Infragestellung des 0,7%-Ziels auf fruchtbaren Boden und käme es zu einer Absenkung der BMZ-Mittel, könnte dies schnell auch beim DIE zu Kürzungen führen. Auch mit dem Expansionskurs der letzten Jahre, der dem Institut eine neue Weltläufigkeit beschert hat, wäre es dann schnell wieder vorbei.

Veröffentlicht: 5.5.2010

Empfohlene Zitierweise: Rainer Falk, Auslaufmodell Entwicklungshilfe? DIE stellt 0,7%-Ziel in Frage, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 5. Mai 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).