Der Fachinformationsdienst für Globalisierung, Nord-Süd-Politik und internationale Ökologie
en

Was suchen Sie?

Der wundersame Erfolg des Klimagipfels in Cancún

Artikel-Nr.: DE20101213-Art.68-2010

Der wundersame Erfolg des Klimagipfels in Cancún

Vage Hoffnungen und vertagte Probleme

Nur im Web – Wenn Erfolg am Aufschub schwieriger Entscheidungen gemessen wird, dann war die Klimakonferenz in Cancún ein voller Erfolg: Entscheidende Fragen wie Finanzierung oder neue Zielsetzungen zur Reduzierung der Treibhaus-Emissionen wurden auf die nächste Vertragsstaatenkonferenz vertagt, die in einem Jahr in Durban/Südafrika stattfindet. Von Stephen Leahy

Die internationalen Klimaverhandlungen gingen ungerührt weiter in dem luxuriösen und überklimatisierten Moon Palace Resort in Cancún. Nach zwei langen Wochen zogen sich die abschließenden Gespräche bis in den frühen Samstagmorgen hin, während Bolivien sich standhaft weigerte, eine schwache Vereinbarung zu akzeptieren, die „auf einen Anstieg der Erdtemperatur um mehr als 4 Grad hinauslaufen könnte“, wie der bolivianischen Chefunterhändler Pablo Solón sagte.

* Ein trügerischer Sieg

Doch am Ende ging der Widerstand Boliviens im Applaus und Jubel der über 190 Delegationen unter, als die Vorsitzende der Versammlung, die mexikanische Außenministerin Patricia Espinosa die Sitzung beendete und „einen Konsens ohne Bolivien“ erklärte. „Der Cancún-Text ist ein hohler und trügerischer Sieg, der ohne Konsens durchgedrückt wurde“, erklärte Bolivien zum Abschluss.

Gemessen an den Erkenntnissen der Wissenschaft, hat Bolivien nicht Unrecht. Die Weltwetterorganisation erklärte in der letzten Woche, dass das laufende Jahrzehnt das heißeste sein wird. Die über 100 Seiten, die die Cancún-Vereinbarung darstellen, werden nichts dazu beitragen, die Treibhaus-Emissionen, die den Planeten erwärmen, einzuschränken; aber sie hauchen dem UN-Klimaprozess neues Leben ein, nachdem er letztes Jahr in Kopenhagen fast gestorben war. Und die meisten Beobachter vor Ort glauben, dass diese Vereinbarung die Voraussetzungen für ein substantielles Abkommen auf der 17. Vertragsstaatenkonferenz (COP) der UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC) im nächsten Dezember in Durban schafft.

„Ich kann Bolivien nicht widersprechen, dass diese Vereinbarung wissenschaftlich betrachtet für eine Erderwärmung um 4 Grad Celsius steht“, sagt Kumi Naidoo, Exekutivdirektor von Greenpeace. “Der Text ist nicht gut genug, aber er rettet den Prozess, und vielleicht bringt uns dies in Durban einen wirklich fairen, ambitionierten und ausgewogenen Vertrag.”

* UN-Klimaprozess vorerst gerettet

„Die Regierungen haben klar signalisiert, dass sie gemeinsam eine Zukunft mit niedrigen Emissionen anstreben, erklärte die UNFCCC-Exekutivsekretärin Christiana Figueres. Die Cancún-Vereinbarungen stellten „die wesentliche Grundlage dar, auf der mehr kollektiver Ehrgeiz aufbauen kann“. „Es ist jämmerlich, wie die Weltgemeinschaft kämpfen muss, um so niedrige Hürden zu überwinden“, kommentiert Naidoo, der selbst aus Durban stammt. „Unsere einzige wirkliche Hoffnung besteht darin, vor Durban eine breite Klimabewegung zu mobilisieren, die alle Teile der Öffentlichkeit und Zivilgesellschaft einbezieht.“

Freitags spät in der Nacht war die Stimmung in den Gängen erstaunlich optimistisch. Die Verhandlungen waren nicht nur nicht zusammengebrochen, es gab formale Übereinkünfte in einer Reihe von Fragen, darunter die Anerkennung, dass die Emission im Lichte wissenschaftlicher Erkenntnisse bis 2020 um 25-40% gekürzt werden müssen und dass die Erdtemperatur weniger als 2 Grad steigen dürfe (statt 2 Grad, wie es noch im Kopenhagen-Akkord hieß).

* Kyoto-Prozess weiter unterminiert

Gleichwohl untergruben Japan, Kanada, die USA und Russland mit ihrem Lobbying für die Abschaffung des Kyoto-Protokolls und seine Ersetzung durch ein schwaches System freiwilliger Selbstverpflichtungen erfolgreich jegliches bindende Abkommen darüber, wie diese Ziele erreicht werden können. Würden die Selbstverpflichtungen aus Kopenhagen umgesetzt, käme es nach den meisten Analysen zu einem globalen Temperaturanstieg von 3-5 Grad Celsius.

„Die hier erreichten Vereinbarungen sind deshalb völlig inadäquat und können zu einem katastrophalen Wandel des Klimas führen, sagt Nnimmo Bassey, der Vorsitzende von Friends of the Earth International (FOEI). Bassey ist dieses Jahr unter den Gewinnern des Alternativen Nobelpreises, weil er „die vollständigen ökologischen und menschlichen Schrecken der Ölproduktion“ in Nigeria, seinem Heimatland, aufgedeckt hat. Bassey fordert, dass die Industrieländer unter einem neuen Kyoto-Protokoll ihre Emissionen verbindlich um 40% reduzieren müssen.

Das gegenwärtige Kyoto-Protokoll sieht eine Reduzierung der Emissionen um 5% von 1990 bis 2012 vor. Die meisten Industrieländer erreichen dieses Ziel, wobei Kanada, dessen Emissionen um 30% nach oben geschnellt sind, eine bemerkenswerte Ausnahme darstellt. Kanada, Japan und Russland haben erklärt, dass sie für ein zweites Kyoto-Protokoll nicht zur Verfügung stehen werden. Die USA haben schon die Ratifizierung von Kyoto I verweigert und weisen ein Kyoto II ebenfalls zurück. Diese Positionen haben die Verhandlungen fast zum Scheitern gebracht, da die Entwicklungsländer lange darauf bestanden haben, dass die Industrieländer bindenden Reduktionen unter Kyoto zustimmen. Jetzt stimmt man darin überein, nicht übereinzustimmen: Die endgültige Schlacht um Kyoto wurde auf Durban verschoben.

* Klimafonds beschlossen

Ebenfalls beschlossen wurde ein „Grüner Klimafonds“ mit 100 Mrd. Dollar jährlich bis 2020 und der wiederholten Zusage, den Entwicklungsländern bis 2012 mit jährlich 30 Mrd. Dollar bei der Reduzierung ihrer Emissionen und der Anpassung an den Klimawandel zu helfen. Der Fonds wird von einem paritätisch aus Nord und Süd besetzten Entscheidungsgremium gemanagt werden, wobei die Finanzen in den ersten drei Jahren über die Weltbank fließen sollen.

* REDD bleibt umstritten

Auf dem Gebiet des Regenwaldschutzes gab es möglicherweise einen großen Durchbruch in Cancún. Die Delegierten beschlossen, einen dreiphasigen Prozess zu etablieren, in dem die tropischen Länder die Entwaldung verringern und dafür Kompensationszahlungen von den Industrieländern bekommen, wobei dies auch den Schutz der Waldbevölkerung und der biologischen Vielfalt einschließt. Die Entwaldung trägt derzeit mit 15-20% zu den weltweiten Treibhaus-Emissionen bei.

„Das ist viel besser als was wir in Kopenhagen hatten“, sagt Peg Putt von der Wilderness Society, einer US-Umweltgruppe. „Die vielfältigen Vorteile der Wälder und der Integrität des Ökosystems werden jetzt offiziell anerkannt.“ Auch Schlupflöcher wurden ihrer Meinung nach geschlossen, und es gibt Fortschritte beim Kampf gegen die Triebkräfte der Waldzerstörung. Doch viel ist noch zu tun bei der Stärkung von Schutzbestimmungen und der Ausarbeitung der Details für das neue Finanzierungsinstrument, das sich REDD („Reduced Emissions from Deforestation and Degradation“) nennt (Der REDD-Hype in den Klimaverhandlungen).

REDD bleibt hochgradig kontrovers. Es wird weithin angepriesen als Weg zur Mobilisierung von 10-20 Mrd. Dollar pro Jahr, um die Wälder durch den Verkauf von Kohlenstoffguthaben an die Industrie zu schützen, die sich das dann auf ihre Verpflichtung zur Emissionsreduzierung anrechnen kann. Viele indigene und zivilgesellschaftliche Gruppen lehnen REDD rundheraus ab, weil es den Industrieländern gestattet, eine reale Reduzierung von Emissionen zu vermeiden.

„Wir weisen Scheinlösungen wie den Kohlenstoffmarkt-Mechanismus von REDD zurück“, sagt beispielsweise Tom Goldtooth, Exekutivdirektor des Indigenous Environmental Network. REDD stelle ein neues Set handelbarer Eigentumsrechte auf der Basis von Bäumen und anderer Umweltdienstleistungen dar. „Wenn wir das Klima retten wollen, müssen wir uns auf wirkliche Lösungen konzentrieren, die gewährleisten, dass die Wälder stehen bleiben und die Rechte der dort lebenden Bevölkerung respektiert werden.”

© IPS/TerraViva

Veröffentlicht: 13.12.2010

Empfohlene Zitierweise: Stephen Leahy, Der wundersame Erfolg des Klimagipfels in Cancún, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 13.12.2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).