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Die Armut steigt - die EU-Entwicklungshilfe sinkt

Artikel-Nr.: DE20100414-Art.19-2010

Die Armut steigt - die EU-Entwicklungshilfe sinkt

Die jüngsten ODA-Zahlen

Nur im Web - Die offiziellen Daten zur öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA), die die OECD jetzt veröffentlicht hat (s. Hinweis), ergeben ein düsteres Bild. Im Jahr 2009, in dem die Weltwirtschaftskrise ihren Höhepunkt erreichte, stagnierte die ODA der im Entwicklungshilfe-Ausschuss (DAC) der OECD organisierten Geber. Etliche EU-Mitgliedsstaaten schnitten schlecht ab. Ihre ODA sank, und dies ausgerechnet im letzten Jahr, bevor ihre Verpflichtung fällig wird, sie auf 0,56% des Bruttonationaleinkommens (BNE) anzuheben. Ohne drastische Maßnahmen kann die EU ihre kollektiven Ziele für 2010 nicht mehr erreichen, analysiert Bodo Ellmers.

Die 23 DAC-Geber haben in 2009 netto 119,6 Mrd. US-Dollar ODA ausgeschüttet, damit weniger als die 122,3 Mrd. US-Dollar vom Vorjahr. Unter Berücksichtigung konstanter Preise und Wechselkurse betrug die ODA 123,1 Mrd. Dollar, ein Plus von 0,7% gegenüber 2009. Das bedeutet nicht, dass die DAC-Geber nennenswerte Fortschritte gemacht hätten, das 40 Jahre alte 0,7%-Ziel der UN zu erreichen. Die ODA-Quote stieg lediglich marginal, von 0,30% auf 0,31% des BNE der DAC-Geber, und dies lag an einem Einbruch des BNE, nicht am Anstieg der ODA.

* Die ODA stagnierte in 2009

Weiterhin erreichen nur fünf Geber das 0,7%-Ziel (Schweden, Norwegen, Luxemburg, Dänemark und die Niederlande). Die USA blieben der größte Geber in absoluten Dollar-Werten; in 2009 gelang es ihnen sogar, den Schwarzen Peter als geizigster Geber, gemessen an der ODA-Quote, den sie jahrelang gehalten hatten, an Italien abzugeben. Das Engagement einzelner Geber variiert erheblich. Während Italien lediglich 0.16% des BNE zur Verfügung stellte, waren es in Schweden 1,12%. Nur Südkorea, das jüngste DAC-Mitglied, dessen Daten erstmals in der offiziellen Berichterstattung enthalten waren, stellte weniger zur Verfügung.

* Die ODA der Europäischen Union fällt

Die Ergebnisse für die ODA der EU sind deprimierend. Sie fiel von den 71,0 Mrd. Dollar in 2008 auf nur noch 67,1 Mrd. bzw. 70,8 Mrd. Dollar bei konstanten Preisen bzw. Wechselkursen. Damit wird offensichtlich, dass die EU entweder ein Wunder oder eine Finanztransaktionssteuer braucht, wenn sie das kollektive Ziel für 2010 noch erreichen will, nämlich 0,56% des BNE zur Verfügung zu stellen. Bis dahin ist es jedenfalls noch ein weiter Weg angesichts der 0,44%, die in 2009 erreicht wurden, und es ist unwahrscheinlich, dass bei den derzeit allgemein hohen Budgetdefiziten in Europe nennenswert zusätzliche Mittel bereit gestellt werden.

ODA-Nettoleistungen, 2009


Innerhalb Europas verlief die Entwicklung äußerst unterschiedlich. Der größte Anstieg war in einem Nicht-EU-Mitgliedsstaat zu verzeichnen: Norwegens ODA stieg um 17,3%. Frankreich steigerte seine Ausschüttungen um 16,9%, und Großbritannien um 14,6%. Auf der Negativseite stehen massive Kürzungen in Österreich (-31,2%), Italien (-31,1%) und Irland (-18,9%). In Italien und Irland waren Kürzungen der Entwicklungshilfebudgets ursächlich für den Abstieg, während in Österreich das Ausbleiben größerer Schuldenerlasse im Vergleich zu den Vorjahren zu dem Minus führte.

Schuldenerlasse können nach den Kriterien des DAC als ODA angerechnet werden – eine Praxis, die von zivilgesellschaftlichen Organisationen stets kritisiert wurde und weiterhin wird, da sie nicht zwangsläufig frisches Geld für die Armutsfinanzierung bringt. Außerdem handelt es sich häufig um erlassene Exportkredite, die lediglich kommerzielle und keinerlei entwicklungspolitische Zwecke hatten, so aber nachträglich zu entwicklungspolitischem Engagement eines Gläubigerlandes umgedeutet werden.

* Deutschland unterdurchschnittlich – mit fallender Tendenz

Deutschland wird die fragwürdige Ehre zuteil, das Geberland zu sein, dass den höchsten absoluten Rückgang zu verzeichnen hatte. Die ODA für 2009 betrug fast zwei Milliarden weniger als im Vorjahr, ein Rückgang von 14,0 Mrd. auf 12,0 Mrd. Dollar (-12%). Ein leichter Anstieg des Entwicklungshilfebudgets konnte den starken Rückgang der Schuldenerlasse nicht wettmachen, die in den vergangenen Jahren gerade in Deutschland einen erheblichen Anteil ausgemacht hatten. Die deutsche ODA-Quote sank von 0,38 auf 0,35% und entfernt sich damit immer weiter von den Zielmarken der EU.

Die schlechte Leistung Deutschlands und einiger anderer europäischen Schwergewichte ist besonders ärgerlich, da sie die Gesamtbilanz der Europäischen Union beeinträchtigt. Die Hälfte der EU-DAC-Geber übertraf bereits in 2009 die für 2010 gesetzten Ziele, doch ohne dass Wirtschaftsmächte wie Deutschland, Frankreich oder Italien ihren fairen Beitrag leisten, kann die EU ihre kollektiven Ziele nicht erreichen.

* Frontloading-Bluff aufgeflogen

Der „Frontloading“-Bluff der Europäischen Kommission ist aufgeflogen. In ihrer Mitteilung „Supporting developing countries in coping with the crisis“ hatte die Kommission vorgezogene Ausschüttungen („frontloading“) als ein zentrales Element ihrer Strategie identifiziert, um von der Krise hart getroffene Entwicklungsländer finanziell zu unterstützen. Die ODA der Kommission ist tatsächlich gestiegen, um 4,4%, doch das war ein weitaus geringerer Anstieg als die 17,5% im Vorjahr. Im Gegensatz zu den Anfang 2009 geweckten Erwartungen hat frontloading offensichtlich nicht wirklich stattgefunden, zum Teil wegen des Widerstandes der EU-Mitgliedsstaaten, die finanzielle Implikationen befürchteten und daher wenig Unterstützung für die Kommissionspläne zeigten. In Wirklichkeit ging die Europäische Kommission mit einem Business-as-usual-Ansatz durch das Krisenjahr 2009.

* Schuldenerlasse sinken – Schulden steigen

Im Allgemeinen war der Anteil der Schuldenerlasse an der ODA in 2009 weitaus niedriger als in den vorangegangenen Jahren seit 2005. Für einige Jahre waren die ODA-Werte durch die Auswirkungen der Schuldenerlassinitiativen HIPC und MDRI und zwei außerordentliche Schuldenerlasse für Irak und Nigeria stark aufgebläht. Im Ergebnis geben die Werte für 2009 ein deutlich klareres Bild, wie viel frisches Geld die Geber wirklich zur Verfügung stellten. Abzüglich Schuldenerlassen und humanitärer Hilfe stieg die ODA in 2009 um 8,5%, allerdings enthalten diese Daten immer noch einige Bestandteile, wie die Kosten für Studenten oder Flüchtlinge aus Entwicklungsländern in den Geberländern, die keinen realen Finanztransfer in den Süden darstellen.

Besonders bemerkenswert ist, dass Kredite mit 20,6 % weitaus stärker stiegen als Zuschüsse, die lediglich ein Plus von 4,6% verzeichneten. Hier machen sich die antizyklischen Kreditpakete verschiedenster Entwicklungsbanken bemerkbar. Der neue Trend zu kreditlastiger Entwicklungshilfe ist besorgniserregend, da er den Schuldenstand von Entwicklungsländern wieder in die Höhe treibt, und die mit den Schuldenerlassinitiativen der vergangenen Jahre mühsam erreichte Reduzierung wieder zunichte zu machen droht.

* MDGs außer Reichweite

Die Steigerung der ODA ist eine der wichtigsten Verpflichtungen reicher Länder im Rahmen der Globalen Entwicklungspartnerschaft, dem achten der Millennium-Entwicklungsziele (MDGs). Um dieser Verpflichtung nachzukommen, hatte die EU in 2005, in Vorbereitung des MDG+5 Gipfels, den Stufenplan zur Erhöhung der ODA verabschiedet, der das 0,56%-Ziel für 2010 etablierte.

Die jetzt vom DAC veröffentlichten Zahlen machen deutlich, dass 2009 ein verlorenes Jahr für die Steigerung der Entwicklungszusammenarbeit war. Die Aussichten für 2010, die der DAC bereits im Februar veröffentlicht hatte, geben wenig Hoffnung, dass die EU ihre Ziele noch erreichen kann. Die Globale Entwicklungspartnerschaft droht zu scheitern, wenn die Geber nicht augenblicklich außergewöhnliche Maßnahmen ergreifen, um ihren Verpflichtungen nachzukommen. So wie die Dinge derzeit stehen, wird der für September dieses Jahres angesetzte MDG+10-Gipfel lediglich den Rückschritt in der Armutsbekämpfung konstatieren. UNDP schätzt, dass die Anzahl der Menschen, die in extremer Armut leben, in 2009 um mindestens 55 Millionen gestiegen ist.

Bodo Ellmers ist Mitarbeiter beim European Network on Debt and Development (Eurodad) in Brüssel.

Hinweis:
* DAC/OECD: Development aid rose in 2009 and most donors will meet 2010 aid targets, OECD: Paris, 14 April 2010. Bezug: über www.oecd.org.

Veröffentlicht: 14.4.2010

Empfohlene Zitierweise: Bodo Ellmers, Die Armut steigt - die EU-Entwicklungshilfe sinkt, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, 14.4. 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).