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Die Staateninsolvenz als einzige Lösung

Artikel-Nr.: DE20100607-Art.30-2010

Die Staateninsolvenz als einzige Lösung

Schuldenkrise in Europa

Vorab im Web - Solange Schuldenkrisen nur ein Problem des Südens waren, lehnten Gläubigerregierungen, insbesondere die deutsche, eine Insolvenzlösung dezidiert ab. Griechenlands Krise änderte das schlagartig. Zwar wurde die einzige Lösung vorerst zugunsten eines Bail-outs spekulativer Anleger verworfen, doch verlangen selbst bisherige Hardliner wie die deutsche Bundesregierung ein Insolvenzrahmenwerk. Von Kunibert Raffer.

Zur Vermeidung künftiger Krisen im Euroraum schlug etwa Finanzminister Schäuble ein Insolvenzverfahren für Staaten vor. Allerdings setzt sich die deutsche Bundesregierung nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) nur für ein Insolvenzrecht für EU-Staaten ein: Schuldnerschutz und Menschenrechte nicht für alle Menschen, sondern nur für Menschen mit EU-Pass.

* Warum eine schnelle Entschuldung Sinn macht

Rein logisch braucht natürlich jeder insolvente Staat diese Lösung. Eine Differenzierung in Menschen mit und ohne Menschenrechte ist unhaltbar. Es zeigte sich immer wieder, dass ein Hinausschieben der einzigen Lösung bei insolventen Schuldnern lediglich zu unnötigen Leiden und letztlich höheren Verlusten der Gläubiger führt. Die Schuldenkrise von 1982 illustrierte dies klar. Dabei war die Relation Schulden-Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Lateinamerika im Vergleich zu Griechenland geradezu harmlos. Doch bislang wollte man offenbar nicht lernen.

In Griechenland zeichnet sich das Schema der lateinamerikanischen Schuldner schon klar ab: Neues Geld, um die Lösung zu verzögern, und nach viel unnötigem Leid der Bevölkerung schließlich doch Schuldenreduktion, ob sie nun „Brady-Initiative“ oder ehrlicherweise Insolvenz heißt. Eine schnelle Entschuldung wäre für alle sinnvoller, außer für jene, die aus der Schuldenkrise politisches Kapital schlagen und Druckmittel gegen Schuldnerstaaten bekommen.

Für Bankleute sind die Vorteile schnellen Handelns bei Insolvenz klar. So haben prominente Vertreter des Bankensektors, David Suratgar und Alfred Herrhausen, schon kurz nach 1982 eine Schuldenreduktion vorgeschlagen. Auch im Falle Griechenlands sprach Ackermann das Unvermeidliche aus: Schuldenreduktion ist unvermeidbar. Thomas Mayer, Chefökonom der Deutschen Bank, propagiert mit Engagement eine Insolvenz Griechenlands. In einem mit Daniel Gros veröffentlichten Papier schlagen die Autoren eine Schuldenreduktion von 50% vor. Das wäre für Gläubiger, die ihre Papiere kürzlich kauften, „nur ein bescheidener“ Verlust. Bankleute rechnen eben ökonomisch; politische Druckmittel über rechtlose Schuldnerstaaten, die Regierungen so schätzen, haben keinen monetären Wert. Prolongierte Krisen, für Internationale Finanzinstitutionen ein prolongiertes, exzellentes Geschäft, zahlen sich privatwirtschaftlich nicht aus.

* Warum die EU-Krisenstrategie die „Märkte“ nicht beeindruckt

Bedenkt man, dass Griechenland laut wohl etwas optimistischen IWF-Schätzungen 2012 und 2013 Schulden von etwa 150% des BIP haben wird, wird klar, warum die unter Bruch des Lissabon-Vertrages mit hanebüchenen Begründungen untermauerte „Krisenstrategie“ die „Märkte“ nicht überzeugte. Für Spekulanten war dies die Einladung, weiter zu machen und die Zinsen risikolos, aber mit Hinweis auf das „große Risiko“ zu erhöhen. Wie auch Spanien und Portugal zeigen, nehmen die Spekulanten diese Einladung offenbar freudig an. Eine Insolvenz mit Verlusten hätte sie gestoppt.

Es stellt sich somit nur die Frage, wann ein für Staaten geeignetes Insolvenzmodell kommt: bald oder nach einigen weiteren katastrophalen und sinnlosen Vernichtungsaktionen von Steuergeld durch unsere Regierungen und die EU.

Erfreulicherweise scheint sich die Einsicht durchzusetzen, dass ein geordnetes Verfahren benötigt wird, was rein willkürliche „Haarschnitte“ wie durch Brady oder die Entschuldungsaktionen des Pariser Clubs ausschließt. Griechenland, einem Nicht-Entwicklungsland, wird offenbar ein Anspruch auf ein Minimum an Rechtsstaatlichkeit zugebilligt. Auch legt man auf politische Druckmittel in diesem Fall sichtlich weniger Wert.

Dem Irrtum verhaftet, Gott gäbe Personen mit dem Amt auch den dazu passenden Verstand, haben europäische Staaten mit einer Ausnahme kein Insolvenzrecht für öffentlich-rechtliche Schuldner, die USA aber schon. Die Grundideen dieses Insolvenzrechts für Schuldner mit Hoheitsgewalt („Chapter 9-Verfahren) – unter der Abkürzung FTAP („Fair and Transparent Arbitration Process“) von vielen NGOs propagiert – lassen sich problemlos auf Staaten anwenden, wie ich dies schon 1987 zeigte. Selbstverständlich sollen nur die Grundideen internationalisiert werden. Details, wie verfassungsrechtliche Probleme des Kompetenzdschungels zwischen Staaten und der Union sind in den USA sehr wichtig, aber international völlig bedeutungslos.

* Zentrale Grundsätze

Da ich meinen Vorschlag schon des öfteren präsentierte, zuletzt in meinem 2010 erschienenen Buch (s. Hinweis), wiederhole ich nur kurz die wichtigen Punkte.

* Unparteiische Entscheidungen und Rechtsstaatlichkeit: Es ist die Grundlage jedweden Verfahrens, dass nicht eine Partei auch Richter sein darf. Die Richterin muss eine unbeteiligte, neutrale, von der Sache in keiner Weise selbst betroffene Person sein. Das „Schuldenmanagement“ im Süden, bei dem offizielle Gläubiger auch gleich Richterin, Gutachter und Gerichtsvollzieher spielen, verhöhnt die Grundlagen jeglicher Rechtsstaatlichkeit. Es wird auch nur im Süden praktiziert. Bei der De-facto-Insolvenz Deutschlands sah das Londoner Abkommen für Streitigkeiten Schiedsgerichtsbarkeit vor. Zwar gab es für die Festlegung der Vergleichsquote keine unparteiische Instanz, doch schlug ein Deutscher den Gläubigern vor, wie viel Deutschland zahlen könne, ein wesentlicher Unterschied zur Gläubigerdominanz im Süden.

Generell muss bei einer Staateninsolvenz eine unabhängige Entscheidungsinstanz eingesetzt werden, idealerweise ein Schiedsgericht. Ob ein Ad-hoc-Schiedsgericht oder eine Institution, ist ein rein technisches Detail. Ich schlug beides vor, bevorzugte aber aus Gründen der schnelleren und leichteren Durchführung öfter die Ad-hoc-Lösung. Schiedsgerichte sind ein traditioneller Mechanismus des Völkerrechts, sonst – etwa in der WTO – von Gläubigerstaaten sehr gerne verwendet.

* Schutz der Hoheitssphäre: Bei Staaten stellt sich die Frage, ob bzw. inwieweit das Schiedsgericht in die staatliche Sphäre eingreifen darf. §904, Chapter 9, Title 11, US Code löst dies: gar nicht, außer der Schuldner erlaubt es. Selbst sein Vermögen und Einkommen darf nicht angerührt werden. §904 schützt Schuldner gleich der Souveränität. Liquidation und Zwangsverwaltung des Schuldners sind selbstverständlich ausgeschlossen. Nur dieser darf den Plan vorlegen, d.h. die Maßnahmen zur Lösung der Überschuldung. Das Weiterbestehen des Schuldners liegt im öffentlichen Interesse. Trotz dieser formaljuristisch starken Stellung funktioniert das Verfahren seit Jahrzehnten. Ökonomisch müssen Schuldner etwas Akzeptables vorschlagen, sonst würde das Problem nicht gelöst und der Zugang zum Kapitalmarkt bliebe verschlossen. Es besteht somit insgesamt ein Machtgleichgewicht zwischen den Gläubigern und dem Schuldner.

* Schuldnerschutz der betroffenen Bevölkerung: Besonders wichtig sind das Anhörungsrecht der betroffenen Bevölkerung und ein gewisser Schutz ihres Lebensstandards, einmalige, demokratische und transparente Elemente, die jede Staatsinsolvenz haben muss. Selbstverständlich kann das Anhörungsrecht nur durch Repräsentation ausgeübt werden: durch Gewerkschaften, Unternehmerverbände, NGOs oder internationale Organisationen wie UNICEF.

Hinweis:
* Kunibert Raffer, Debt Management and Development. Protection of the Poor and the Millennium Development Goals, 322 pp, Edward Elgar Publishing: Cheltenham (UK)-Northampton 2010. Bezug: Buchhandel

Veröffentlicht: 7.6.2010

Empfohlene Zitierweise: Kunibert Raffer, Die Staateninsolvenz als einige Lösung. Schuldenkrise in Europa, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung, Luxemburg, W&E 06/Juni 2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).