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Europas Entwicklungspolitiker wider Willen

Artikel-Nr.: DE20101130-Art.66-2010

Europas Entwicklungspolitiker wider Willen

EU-Kommissar Andris Piebalgs

Vorab im Web – Was haben Kommissar Piebalgs und Minister Niebel gemeinsam? Zuerst einmal natürlich ihre Ressortzuständigkeit – die Entwicklungspolitik. Aber die beiden eint auch, dass sie vor ihrer Ernennung dieses Ressort auf gar keinen Fall wollten. Piebalgs hatte sich als Energiekommissar einen Namen gemacht, der den Kampf mit den Energiemonopolen aufgenommen hatte - und wäre auch gerne bei diesem Ressort geblieben. Von Ska Keller und Anna Cavazzini.

Doch Kommissionspräsident Barroso wollte es anders. Er verteilte viele Kommissionsposten entgegen den Kompetenzen und Vorlieben der KandidatInnen, um sich so einen größtmöglichen Einfluss im Kabinett zu sichern. Auf diese Weise kam Piebalgs zur Entwicklungspolitik – ohne Erfahrungen und ohne größere Leidenschaft für das Thema.

* Politikkohärenz und Dialog

Vor einem Jahr nahm die derzeitige Barroso-Kommission ihre Arbeit auf. Anhand welcher Kriterien sollte man die Arbeit des EU-Entwicklungskommissars nach einem Jahr bewerten? Drei Punkte sind für uns zentral: die Formulierung eigener Initiativen und politischer Visionen für die europäische Entwicklungspolitik; die Fähigkeit, Politikvorschläge anderer Ressorts entwicklungsfreundlicher zu machen und Inkohärenzen aus dem Weg zu räumen; und die politische Dialogfähigkeit mit der Zivilgesellschaft, dem Europaparlament und anderen Akteuren.

Fangen wir doch gleich mit dem letzten Punkt an. Trotz Piebalgs geringer Erfahrung im Entwicklungsbereich muss man zugeben: Der Kommissar lernt, kann zuhören und ist neuen Vorschlägen gegenüber sehr aufgeschlossen. Er pflegt einen sehr fairen politischen Umgang und stellt sich oft dem Dialog mit dem Entwicklungsausschuss des Europaparlaments sowie der Zivilgesellschaft. Vor seinem Amtsantritt wurde befürchtet, dass durch den neu geschaffenen Kommissionsposten für internationale Zusammenarbeit und humanitäre Hilfe Unklarheiten über die Kompetenzen entstehen könnten und die Entwicklungspolitik an Profil verlieren würde. Die Kooperation zwischen Piebalgs und seiner Kollegin Georgieva, der Kommissarin für humanitäre Hilfe, funktioniert entgegen aller Sorgen jedoch relativ gut – allerdings kann jetzt der Entwicklungskommissar tatsächlich nicht mehr die Lorbeeren für die humanitäre Hilfe einheimsen und wird in der Öffentlichkeit von Georgieva überstrahlt.

Bei dem zweiten Kriterium, der Politikkohärenz, konnte der Kommissar nicht wirklich überzeugen. Hierbei kann Piebalgs Eigenschaft der Kooperationsfähigkeit von Nachteil sein, nämlich wenn es darum geht, auch mal auf den Putz hauen zu können, sich im Kabinett durchzusetzen und beispielsweise im Ringen mit der mächtigen Generaldirektion Handel nicht unterzugehen. Entwicklungspolitik heißt nicht nur, ausgeklügelte Länderstrategiepapiere zu entwerfen und die verschiedenen Fonds zu verwalten. Europäische Entwicklungspolitik heißt auch, dem Grundsatz der Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung endlich Geltung zu verschaffen. Die Wirksamkeit der europäischen Entwicklungspolitik wird heute von unserer Agrar- und Handelspolitik unterminiert. Leider konnte sich Piebalgs an dieser Stelle bis jetzt nicht durchsetzen. Er zeigte kein wirkliches Engagement beim Tauziehen um den Europäischen Auswärtigen Dienst und ließ sich von den AußenpolitikerInnen unterbuttern.

Die kürzlich veröffentlichte neue EU-Handelsstrategie konzentriert sich auf den Marktzugang für europäische Firmen überall in der Welt ohne Wenn und Aber. Auch der Reformvorschlag für die Gemeinsame Agrarpolitik enthält keine Entwicklungsperspektive und schwadroniert weiter über die Erhöhung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der europäischen BäuerInnen. Wo ist Piebalgs, wenn das umstrittene Freihandelsabkommen mit Indien verhandelt wird? Was ist Piebalgs Position zu dem gerade fertig verhandelten Anti-Produktpiraterie-Abkommen, welches erheblichen Einfluss auf den Zugang zu Medizin in Entwicklungsländern haben wird?

* Gemischtes Bilanz nach einem Jahr

Das Fazit zu Piebalgs Initiativen und Visionen fällt gemischt aus. Mit eigenen Initiativen kann der Kommissar sehr wohl punkten. Schnell griff er die Initiative des Entwicklungsausschusses im Europaparlament auf und veröffentlichte eine Mitteilung zu Steuern und Entwicklungsländern. Er traf damit auch den Nerv der Zeit und gab diesem hochaktuellen Thema einen Platz auf der europäischen Agenda. Allerdings lassen die konkreten Aktivitäten noch auf sich warten.

Piebalgs große Vorliebe ist die Energiepolitik, als Erbe seiner vorherigen Tätigkeit. Piebalgs träumt von der Elektrifizierung Afrikas und hat dabei – was man ihm zugute halten muss – vor allen Dingen erneuerbare Energien im Sinn. Jedoch hat der Traum einen Haken: Der große Masterplan, dem Kontinent von oben – mit Großprojekten – die erneuerbaren Energien aufzudrängen, wird nicht funktionieren. Außerdem ist Piebalgs ein großer Anhänger von Biokraftstoffen und geht mit der Thematik relativ unkritisch um.

Der 2005 geschlossene Europäische Konsens für die Entwicklung gilt momentan als Bibel der EU-Entwicklungspolitik. Piebalgs will das Paket wieder aufschnüren und den neuen Gegebenheiten anpassen. Das kann gut gehen und das Endprodukt tatsächlich aufwerten. Es kann im heutigen Krisen- und Sparklima vieler Mitgliedsstaaten aber auch nach hinten losgehen. Viele Nichtregierungsorganisationen hätten es deshalb am liebsten, dass Piebalgs die Finger vom Konsens lässt.

Vollmundig angekündigt hatte der Kommissar, der ODA-Wächter zu werden und drohte den Mitgliedsstaaten sogar mit rechtsverbindlichen Stufenplänen zur Erreichung des 0,7% Ziels. Am Ende blieb davon nichts mehr übrig und die Mitgliedsstaaten kürzen mittlerweile munter ihre Entwicklungsbudgets. Auch die Ankündigung, die Effektivität der Hilfe durch eine bessere Koordinierung der Aktionen der Mitgliedsstaaten zu erreichen, ist bis jetzt folgenlos geblieben. Der Koordinierungsprozess kommt nur sehr schleppend voran.

Die EU hat sich auf dem Millenniumsgipfel in New York nicht besonders konstruktiv hervorgetan. Die Ankündigung der zusätzlichen Milliarde für die Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele war eine Luftnummer, weil es sich um schon einmal versprochene Gelder handelte. In Zeiten von nicht eingehaltenen Versprechen und sinkenden ODA-Mitteln ist es zudem nicht sonderlich hilfreich, wenn der Entwicklungskommissar von der ODA als Instrument zur Verminderung der Armut ablenkt und vermehrt auf Darlehen, Kredite und Risikoteilung („risk-sharing facilities“: die EU und die Europäische Investitionsbank teilen sich das Kreditrisiko) setzt.

* Die Herausforderungen kommen noch

Das Gesamtfazit ist demnach weder schwarz noch weiß: Piebalgs ist einerseits aufgeschlossen und kooperationsbereit und zeigt bei vielen Themen großes Engagement. Andererseits bringt er aber nicht die nötige Standhaftigkeit (oder den politischen Willen?) mit, sich auch über den Ressorttellerrand gegen KabinettskollegInnen oder auch gegen die Mitgliedsstaaten durchzusetzen. Viele von Piebalgs eigenen Initiativen sind gut gemeint, bis jetzt hapert es aber an der Konkretisierung. In vielen Bereichen gibt es große Diskrepanzen zwischen blumigen Worten und wirklichen Taten.

Die großen Umwälzungen in der EU-Entwicklungspolitik stehen noch an. Die Verhandlungen zum nächsten mehrjährigen Finanzrahmen 2014-2020 beginnen bald. Die Präferenzerosion im Rahmen der Zusammenarbeit mit den AKP-Staaten schreitet weiter voran und die Kommission muss ihre Vision für eine Reform noch vorlegen. Die EPA-Verhandlungen stocken schon seit geraumer Zeit, ohne dass die Kommission Lehren daraus gezogen hätte und von ihrem bisherigen Kurs abweichen würde. Piebalgs muss in all diesen Bereichen “Entwicklungs-“Führungsstärke beweisen.

Ska Keller ist Mitglied im Europäischen Parlament (Bündnis 90/Die Grünen). Anna Cavazzini ist ihre wissenschaftliche Mitarbeiterin.

Veröffentlicht: 30.11.2010

Empfohlene Zitierweise: Ska Keller/Anna Cavazzini, Europas Entwicklungspolitiker wider Willen: EU-Kommissar Andris Piebalgs, in: Informationsbrief Weltwirtschaft & Entwicklung (W&E), Luxemburg, 30.11.2010 (www.weltwirtschaft-und-entwicklung.org).